Pillepalle

Spektakuläre Leistungsschutzrecht-Wendungen, kopfschmerzfreier Kater nach der "Zapp"-Sause, süffige Bertelsmann-Häme.

Breaking! In der Randspalte der Süddeutschen-Titelseite springt einen die Meldung "Blogger sollen nichts bezahlen" an.

Produkte von Apple oder wenigstens Starbucks betrifft diese News zwar nicht (Achtung, sanfte Polemik), sondern lediglich das leidige Leistungsschutzrecht. Dennoch eine überraschende Wendung. Im vollen Wortlaut enthüllt diese das schmale, nichtdestotrotz der Süddeutschen Zitationen bescherende Artikelchen "Gebühren nur für Suchmaschinen" auf Seite 6 des Blattes:

"Nach dem geänderten Gesetzentwurf zu einem Leistungsschutzrecht, das an diesem Mittwoch dem Kabinett vorliegt, sollen Lizenzgebühren nur 'die Anbieter von Suchmaschinen' zahlen sowie die Anbieter von ähnlichen Diensten im Netz, 'die Inhalte entsprechend einer Suchmaschine aufbereiten'. Die Verlinkung und 'Nutzung im Rahmen der Zitierfreiheit' bleibt auch für Suchmaschinen künftig kostenlos."

Achten Sie auch aufs Autorenkürzel: "pra", also Heribert Prantl, der kürzlich selbst Erfahrungen mit (auch) Internet-aggregierten Aufregungen machen musste (siehe Altpapier), ist's, der den Bloggern die gute Nachricht reicht.

Wer es inhaltlich denn ist, der Inhalte entsprechend einer Suchmaschine aufbereitet, ohne aber eine Suchmaschine zu sein, und ob dann überhaupt noch jemand Lesitungsschutzgebühren bezahlen wird, wenn Google halt nicht mitmachen möchte, das wird sicher angeregt diskutiert werden, sobald das Kabinett zur Tat geschritten sein wird.

Ausführlichere Details zur Update-Dramaturgie des je nach Lesart zweiten oder dritten LSR-Entwurfs, inklusive Verwicklungen, wer denn der Sozialdemokrat Jan Mönikes ist, der die jüngste Variation wohl als erster veröffentlichte, bieten netzpolitik.org und die Kommentarkultur ebd.. Eine gute Zusammenfassung etwa bietet Kommentator sumosu:

"Irendwie merkt man der Formulierung an, dass es den Verfassern eigentlich ziemlich pillepalle ist was genau sie da regulieren und was die Regulierung bewirken soll."

[+++] Damit nach Hamburg, wo das NDR-Medienmagazin "Zapp" am Montag unter dem erfreulich ironischen (also nicht ganz leicht verständlichen) Motto "Zehn Jahre 'ZAPP' sind genug - um zu feiern und über die Zukunft des Fernsehens zu streiten" seinen zehnten Geburtstag beging. Glückwunsch, auch.

Hier hat das Medienmagazin seine Sause multimedial aufbereitet. Zu sehen gibt's zwei Videos mit insgesamt über anderthalb Stunden Spieldauer, darunter eine Podiumsdiskussion zur Fernsehzukunft, sowie eine 15-bildrige attraktive, mit einem Moderationskartenfoto startende Klickstrecke. Falls Sie nach derem Durchklicken zum Eindruck gelangen sollten: Eine ungeheuer unbeschwerte, feuchtfröhliche Party war das aber nicht - den bestätigt zumindest die berichterstattende Presse.

"Unter den Gratulanten fand sich eine Reihe der kleiner werdenden Schar von Medienjournalisten, aber kaum ein Medienmacher. Freiwillig gehen sie offensichtlich nicht zu 'Zapp'", schreibt Ulrike Simon von der Berlin-Frankfurter DuMont-Presse in einem geradezu trübsinnig stimmenden Artikel. Weiter heißt es darin:

"Der Wunsch, 'mehr Biss' zu zeigen, wurde jedenfalls von nicht wenigen der anwesenden Gäste geäußert, bisweilen wünschten sie sich in Erinnerung an bessere Tage bei 'Zapp' auch 'wieder mehr Biss'".

Bei genauerer Betrachtung hat ihr engagiertes, ausgiebig Nikolaus Brender zitierendes "Medienjournalismus ist wichtig, aber ungeliebt"-Plädoyer aber auch gar nicht so viel mit "Zapp" zu tun, sondern mit der Lage des Medienjournalismus im Allgemeinen oder auch im Besonderen des DuMont-Verlags.

Checkt man andere Quellen, bestätigt sich das Bild. TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester, bekanntlich kein Kind von Trübsinnigkeit, lobt mit bösem Hintersinn:

"Hach, so lob ich mir das! Endlich mal eine Mediensause, bei der am nächsten Tag nicht das Köpfchen brummt. Das NDR Medienmagazin 'Zapp' hat Zehnjähriges gefeiert, und das war so hochanständig, dass ich mich fragte, ob ich auf der Jahresversammlung der GEZ gelandet bin."

Und nachdem Burmester am Rande ein wenig Grippe-Panik geschürt hat, macht sie Andeutungen über einen Vorfall mit dem Hamburger Abendblatt-Medienjournalisten Kai-Hinrich-Renner als "Publikumsopfer" der "Zapp"-Moderatorin Anja Reschke. Was dahinter steckt, schildert Renner (natürlich aus seiner Sicht) im Abendblatt selbst unter der Überschrift "Bei 'Zapp' wird kein Journalist verschont":

"Das Schicksal nahm seinen Lauf, als ich schräg rechts hinter mir etwas rot aufblitzen sah. Dieses rote Etwas war das Kleid der 'Zapp'-Moderatorin Anja Reschke, die mit einem Mikrofon bewaffnet hinter meiner Stuhlreihe stand. Ich ahnte, was jetzt kommen würde..."

Falls Sie nun auf die vom Springer-Konzern um Abendblatt-Content gezogenene Bezahlschranke stoßen und dennoch angefixt genug sein sollten, um weiterlesen zu wollen (es geht eigentlich aber nur darum, ob Lebensgefährtinnen von Entscheidern wie etwa dem NDR-Programmdirektor Frank Beckmann denn ausgerechnet in Medienressorts arbeiten sollen...) - dann dürfte es helfen, die genannte Überschrift bei Diensten einzugeben, die Inhalte entsprechend einer Suchmaschine aufbereiten...

Bliebe noch hinzuzufügen, dass meedia.de, das bekanntlich an der Hamburger Latte- und Partymeile Schulterblatt ansässig ist, auf die Sause offenbar keine Lust hatte und "Zapp" mit einem Vorabbericht abfrühstückte. Und es bleibt natürlich die inhaltliche Frage, ob denn zumindest die Podiumsdiskussion die Fernsehzukunft klären konnte. Nicht so, meint Altpapier-Autor René Martens in der Süddeutschen.

[+++] Nebenan auf Medienseite 31 der Süddeutschen, im übergroßen Aufmacher, wird Häme zunächst nach Gütersloh, an den Sitz der Bertelsmann AG, ausgegossen. "So schön war die Zeit. Damals, als Bertelsmann noch weltgrößter Medienkonzern war", hebt Hans-Jürgen Jakobs, derzeit der Wirtschaftschef des Münchener Blattes, an und zeigt, dass er aber mindestens Klaus Boldt (jenem manager magazin-Journalist, der gerade einen vielbeachteten Bericht über die noch nicht 100-prozentige Bertelsmann-Tochter Gruner+Jahr verfasste; siehe Altpapier vom Freitag) ebenbürtig ist. Also auch einer, der mit "zerstörerischer Wucht" "raunende Varianzen" (meedia.de dazu) einzusetzen versteht.

In gewohnter Süffigkeit ("Albert Frère ..., ein belgischer Baron mit Riecher für Geld und Rotwein") schießt Jakobs weniger gegen G+J als gegen Thomas Rabe, den "eispickelkühlen" Bertelsmann-Vorstandschef, und gegen Christoph Mohn, dessen Wahl zum Aufsichtsratschef am morgigen Donnerstag in Gütersloh auf der Tagesordnung steht:

"Acht Monate nach Rabes Start zeigt sich, dass er bisher außer Phantasie und Feuerwerk wenig zu bieten hat. ... Assistiert von den Unternehmensberatungen McKinsey und Boston Consulting Group wurde eine mögliche Wunschfirma nach der anderen virtuell dem Reich zugeordnet. Ein Hochzeitsportal aus den USA, theknot.com? Oder doch lieber die Scout-Gruppe, die bislang bei der Deutschen Telekom angesiedelt ist? Am Ende stand eine Erkenntnis: Um 400 Millionen Euro Umsatz dazuzukaufen, müsste eine Milliarde investiert werden, so die Analyse. Und allzu viel Finanzmittel hat Bertelsmann nicht. 'Die Familie braucht andauernd Kohle', sagt ein langjähriger Vertrauter."

Wer vor allem sein Gesprächspartner war, macht Jakobs aber deutlicher als Boldt:  "Jürgen Richter, einst Vorstandschef von Axel Springer und Bertelsmann Springer." Gibt man dessen nicht sehr seltenen Namen in eine Suchmaschine ein, um eine Webseite zu finden, auf der mit Medienmanagern der Vergangenheit nicht sehr vertraute Leser sich schnell informieren können, stößt man übrigens gleich wieder auf Boldt ("Man muss sich Richter vorstellen als einen Mann, der innerlich quasi immer draußen vor der Tür stand...", schrieb dieser anno 2007, aber man muss ja auch Boldt nicht immer folgen; zu tief in Manager-Nickeligkeiten einzusteigen, ist sicher nichts, was den Medienjournalismus wichtiger macht).

Jedenfalls, Richter wie Jakobs sind also kein Freunde Christoph Mohns, der ja einst die inzwischen total ehemalige Internetfirma Lycos "an die Wand gefahren" hatte (Jakobs, 2008). Der Frage, ob ausgerechnet Mohn ausgerechnet jetzt ein neues Google findet, wie er das angeblich zu fordern pflegt, gilt also die heutige Häme.

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[+++] Die aber auch zurück nach Hamburg führt. Schließlich scheint auch die Zukunft der womöglich bald 100-prozentigen Bertelsmann-Tochter G+J ungewiss. In einem weiteren Artikel prophezeit Jakobs nicht nur dem derzeitigen G+J-Chef Bernd Buchholz, gefeuert zu werden, sondern, raunend, gleich auch noch den Stern-Chefredakteuren (Buchholz hat "nach zehn Jahren bei Brigitte den Chefredakteur ausgewechselt, eine gleiche Operation beim Stern wird von manchem Bertelsmann-Meinungsführer gefordert").

Und gestern wurde via newsroom.de publik, dass die letzte G+J-Zeitung, die FTD, als werktägliches Druckerzeugnis sehr viel dünner werden soll ("...die Blattplaner müssen dann endlich nicht mehr mindestens 24 Seiten jeden Tag einplanen, selbst wenn die Zeitung wie im Moment so oft als anzeigenfreies Produkt erscheint. 24 ist im Moment schlicht die Mindestseitenzahl, anders kann nicht gedruckt werden...") bzw. in drei bis vier Jahren zur Wochenzeitung werden und als gedruckte Tageszeitung ganz verschwinden soll (meedia.de).

Heute nun melden die News-Füchse von newsroom.de (die ja auch die Aufgabe haben, gedruckte Medien zu bewerben, etwa die Zeitschrift namens Wirtschaftsjournalist), was eine andere graue Eminenz, eine die anders als Jürgen Richter selbst noch medien-operativ tätig ist, denn so von der Sache hält. Falls jemand wirklich wissen möchte, ob Michael Grabner für  Holtzbrinck die FTD kaufen wollen würde, muss er hier klicken.
 


Altpapierkorb

+++ Süffige Bertelsmann-Häme aber auch von Joachim Huber. Sie ergießt sich unter der Überschrift "In der Ochsenknecht-Falle" über Köln, wo die RTL-Group, eigentlich die sog. Cashcow des Konzerns sitzt, und auch die Häme sitzt: "So eine Strecke legt im Fernsehgeschäft sonst nur der ARD-Vorabend hin. Quoten-Pleiten wechseln sich mit Gottschalk-Pech und Gottschalk-Pech mit SerienQuiz-Pannen ab" (Tsp.). +++

+++ Neulich in Hamburg wurde unter einschlägigen Koryphäen wie Mathias Müller von Blumencron und Lutz Marmor die Zukunft des Fernsehens, aber auch der Fotografie und weiterer Medien im Digitalzeitalter diskutiert, und zwar im Umfeld des bekannten Medienpreises "Lead Awards". Niklas Hofmanns heutiger Text im SZ-Feuilleton gewinnt dadurch, dass oberhalb des Veranstaltungsorts Kinder offenbar gut hörbar Kinder auf einer Art künstlerischer Hüpfburg hüpften. +++ Vox-Geschäftsführer Frank Hoffmann diskutierte übrigens auch mit. Als er gerade in Frankfurt das neue Programm seines Senders vorstellte, war dwdl.de dabei: "Auch wieder breiter" soll es werden. +++

+++ DPA und DAPD vor Gericht. Wie's zuletzt ausging, steht knapp in der SZ. +++

+++ Die prallvolle FAZ-Medienseite enthält einen Drehbericht zum Reichstagsbrands-Eventfilm der UFA, in dem Jan Josef Liefers "einen SPD-Abgeordneten, wohltätigen Arzt und Juden" spielt. Und einen Artikel von Marcela Vélez-Plickert, die "sechs Jahre lang als Journalistin in Ecuador gearbeitet" hat und nun fragt: "Wie verbohrt ist Julian Assange eigentlich? Sein Beschützer, Ecuadors Präsident Correa, bedroht und kujoniert Journalisten. Und dabei haben ihm auch schon Dokumente von Wikileaks geholfen." +++

+++ Voll auf Sport ansonsten, die Tagesspiegel-Medienseite: Es geht um die ARD-ZDF-Berichte von Paralympics ("so viel wie nie zuvor"). Um den auch dabei wieder eingesetzten neuen, Olympia-bekannten Sportmoderator mit dem "süffisanten Schwiegersohn-Schmunzeln" (Alexander Bommes heißt er). Und um eine neue Forderung eines CDU-Politikers an ARD und ZDF: lieber "Turnwettkämpfe, Ruder-Rennen, Dressur-Meisterschaften, Hand- oder Volleyballspiele" zu zeigen als immer noch mehr Fußball, fordert der Berliner CDU-Mann und ehrenamtliche Handball-Bundesligisten-Präsident Frank Steffel. +++

+++ Updates zu den Klagen deutscher China-Korrespondenten über die erschwerte Berichterstattung haben Tsp./ DPA und Felix Lee in der TAZ. +++

+++ Und warum dem "analogen Erbe der Filmgeschichte ...die Renaissance in einer digitalen Welt verwehrt" bleibt, also ein urheberrechtliches Detailproblem, beleuchtet Paul Klimpel, bis 2011 Verwaltungsdirektor der Stiftung Deutsche Kinemathek, bei vocer.org anhand von Bundesgerichtshof-Urteilen zu den 1960er-Jahre-Filmen "Der Frosch mit der Maske" und "Polizeirevier Davidswache". +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.