Nicht so laut!

Heute auf dem Programm: ein Ausflug in die Emotionsforschung; die Antithese zum FC Barcelona; ein Zeitungsverleger, dem Marx zu denken gibt. Außerdem: „2 Broke Girls“ startet. Und Johannes B. Kerner macht was Neues.

Die Sport Bild, die am Montag ihre alljährlichen Awards für dit und dat verliehen hat, verdient ein Lob. Den Preis in der Kategorie Social Media hat nicht Oliver Kahn bekommen. Schließlich ist es schon mal einiges wert, dass die Jury nicht die schlechteste Wahl getroffen hat. Sondern bloß die zweitschlechteste. Denn gewonnen hat den Social Media Award des Fachblatts doch tatsächlich Boris Becker.

„Sein Leben ist immer online. Boris 2.0 ist noch näher, aktueller, persönlicher“,

zitiert sport1.de aus der hier, in Springers Pressemitteilung, in voller Pracht zu lesenden Begründung.

„Dadaismus ist wieder im Kommen“,

kommentiert der Twitter-Nutzer @aufmplatz die Entscheidung aus dem Hause Springer, dem Becker ja manchmal auch böse ist, zumindest neulich, als ihn eine Mitarbeiterin der Welt öffentlich auf seine finanzielle Situation anzusprechen wagte. Dadaistisch mag man Beckers Umgang mit den drei Pünktchen nennen, er macht nie ein Leerzeichen davor, manchmal auch keines danach.

„Was war gestern in der Bundesliga los...in London bekommt man nicht alles mit ausser Ergebnisse!?“,

twitterte er beispielsweise am Sonntag. Bemerkenswert sind hier aber weder Pünktchen-Anordnung noch Rechtschreib- und Grammatik-Insuffizienz. Überraschend ist vielmehr, dass Becker seinen Followern weiszumachen versucht, es gebe Orte auf der Welt, in der man von der Bundesliga nur die Ergebnisse mitbekommt. So lange Boris Becker Preise bekommt für sein sozial-mediales Wirken, wird man es wohl hinnehmen müssen, dass in den Feuilletons Texte erscheinen, in denen Netzkommunikation generell auf „Geschnatter“ reduziert wird und Menschen mit Waldaffen verglichen werden - geschehen gerade in der NZZ, für die ein nebenbei als „freier Publizist“ tätiger Physik- und Philosophielehrer, der möglicherweise auch schon mal ein Biologiebuch in der Hand hatte, in die Tasten haute.

„Gebt ihm einen Sport-Bild-Award!“ rief Klaas Reese gestern in seinem Blog aus, und damit war natürlich nicht Becker gemeint, sondern ein gewisser Alfred Tatar, ein österreichischer Fußballcoach, dem es gerade gelungen ist, auf eine bis dato nicht gehörte und gesehene Weise einen Field-Reporter lächerlich zu machen. Sogar der doofe Fragensteller muss lachen über die von Tatar formulierte „Antithese zu Barcelona“.

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[+++] Dass Fernsehwerbung künftig nicht mehr wesentlich lauter sein wird als der Rest des Programms und es in Sachen Lautstärke künftig auch keinen Unterschied mehr geben wird zwischen Privaten und Öffentlich-Rechtlichen, ist heute vielerorts Thema, am ausführlichsten im Tagesspiegel:

„Die sogenannte Lautheitsnormierung geht zurück auf eine neue internationale Empfehlung der Europäischen Rundfunkunion (...). Danach soll künftig bei Tonmischungen im Fernsehen nicht mehr der absolute Spitzenpegel in Dezibel entscheidend sein, sondern ein durchschnittlicher Lautheitswert, der in Loudness Units (LU) gemessen wird. Auf bestimmte Einschränkungen muss sich der Zuschauer dennoch einstellen: ‚Die bewusst dramaturgisch eingesetzte Klangdynamik innerhalb eines Sendebeitrags oder eines Werbespots bleibt als elementares Gestaltungsmerkmal davon allerdings unberührt‘, hieß es bei der ARD.“

+++ Einen Nachtrag zu einer der größeren Diskussionen der vergangenen Woche, zur von netzpolitik.org angestoßenen Debatte zum Zustand der Kommentarkultur (siehe Altpapier) liefert das Handelsblatt. Steffen Meyer geht in seinem Artikel darauf ein, was die Wissenschaft zu dem Thema zu melden hat:

„Schon seit über drei Jahren widmet sich ein europäisches Forschungs-Konsortium dem Wesen von Netz-Communitys. Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen aus fünf EU-Ländern (...) und der Schweiz analysieren die Diskussionskultur in Blogs, Foren und sozialen Netzwerken. Emotionspsychologen, Informatiker, theoretische Physiker sowie Experten für Künstliche Intelligenz, Virtuelle Realität und Komplexe Systeme untersuchen unter dem Projektnamen CyberEmotions, warum teils so emotional gestritten wird – und was man dagegen tun kann.

Im Text, mit der Spitzmarke „Emotionsforschung“ versehen, geht es unter anderem um die Community des Online-Ablegers der österreichischen Zeitung Der Standard:

„Einige User diskutieren dort schon seit Jahren in den Kommentaren miteinander. Viele benutzen zwar Pseudonyme, doch sie kennen sich untereinander – und entsprechend reagieren sie weniger harsch aufeinander. ‚Wenn die User der Community wissen ‚Ach, das ist wieder der eine, der holt immer Marx aus der Kiste‘, dann verhalten sie sich ihm gegenüber mehr wie einem Bekannten, sagt (der Bremer Psychologie-Professor Arvid) Kappas. Ob der Benutzername nun ‚Steffen Meyer‘ oder ‚Anonymous‘ ist, ist fast egal.‘ Aber eben nur fast. Denn eine Klarnamenpflicht – also das Verbot, ein Pseudonym zu benutzen – ändert zwar selten den Umgang mit anderen Personen, aber den Umgang mit dem eigenen Wort. Wenn Menschen mit ihrem Namen für ihre Aussagen geradestehen, sagen sie nicht immer das, was sie eigentlich meinen. Kurz gesagt: Sie zensieren sich selbst.“


ALTPAPIERKORB

+++ „Im Fall der Einführung eines Leistungsschutzrechtes kann Google auf Inhalte aus Verlagshäusern verzichten, da sie nur einen Bruchteil des Google-Angebots ausmachen“ - das entnimmt meedia.de einer „Studie von TRG und Sistrix“. Wer oder was eigentlich TRG und Sistrix sind, steht in dem Artikel nicht.

+++ Über „die stille Verwandlung“ von Google, YouTube, Facebook und Co. von Dienstleistern „in Verlage neuen Typs“, schreibt Wolfgang Michal bei Carta.

+++ Zwei Mitarbeiter des TV-Senders Al-Hurra sind in Syrien „verschwunden“, berichtet die taz. Einer von ihnen, ein Kameramann, meldete sich mittlerweile im türkischen Fernsehen zu Wort (Welt Online kurz).

+++ Im bayerischen Erding hat der Pressesprecher der Piraten keinen Bock mehr auf die Partei: „Alle Diskussion kreisen nur um die Piraten selbst, anstatt endlich einmal sachlich miteinander zu arbeiten“, sagt Mike Anacker, der auch schon mal bei der CSU war (süddeutsche.de).

+++ Eine gute Nachricht aus der gedruckten SZ: Johannes B. Kerners „Zukunft könnte im Diät-Bereich liegen“, heißt es dort. Genauer: „Die von Kerner in diesem Sommer gegründete Eatletic GmbH soll laut Handelsregister ‚die 24-Stunden-Diät‘ vermarkten.“

+++ Eine Vorschau auf die TV-Berichterstattung zu den am Mittwoch beginnenden Paralympics findet man bei Welt Online.

+++ Klaudia Wick (Berliner Zeitung) hält die Neuauflage der ZDF-Quizshow „Die Pyramide“ (siehe Altpapier) für missglückt.

+++ Im Tagesspiegel lobt Tilmann P. Gangloff die neue Staffel von „Mord mit Aussicht“.

+++ Mehr Guckempfehlungen: Die Comedy-Serie „2 Broke Girls“ (Pro Sieben) erfährt in der taz eine Würdigung: „Die Geschichte ist schnell erzählt. Die ruppige Max lebt in Brooklyn, finanziert sich mit zwei Jobs - und lebt trotzdem am Existenzminimum. In dem Diner, in dem sie arbeitet, wurde eine neue Kellnerin eingestellt. Caroline stammt aus der reichsten Familie New Yorks. Über Nacht verliert sie ihr ganzes Vermögen. Und dann kommt es, wie es kommen muss. Die Frauen sind vollkommen unterschiedlich, können sich nicht leiden, dann aber doch, und am Ende haben sie einen gemeinsamen Plan."

+++ Daniel Haas schreibt auf der FAZ-Medienseite sowohl über „2 Broke Girls“ als auch über die „exzellente Polizeireihe“ „Southland“ (Kabel 1): Beide „trenen scharf zwischen den Milieus und ihren Haltungen und lassen zugleich keine Zweifel darüber aufkommen, auf wessen Seite die Binde- und Integrationskräfte von Kollektiven zu finden ist“.

+++ Ebenfalls in der FAZ: Oliver Jungen zeigt sich verwundert über Äußerungen eines ARD-Fiction-Funktionärs beim Fiction Summit in Köln: „Gebhard Henke, Programmbereichsleiter Fernsehfilm, Kino und Serie beim mächtigen WDR, brachte es auf den Punkt: ‚Sind wir eine Erzählernation, die so international erzählt, dass man auf unsere Filme scharf ist? Die Antwort ist: Nein!‘ Das aber sieht er nicht als Manko, sondern als Auftrag, auch weiterhin auf Produktionen mit starkem regionalen Einschlag zu setzen (...). Auch Barbara Thielen, Fictionchefin bei RTL, gab sich genervt vom ewigen Starren auf amerikanische Stücke (...), lobte aber immerhin die Skurrilität der Figuren in HBO-Serien. Gerade da könne man doch mithalten, meinte Henke, siehe ‚Bloch‘ oder ‚Der Dicke“. Na dann.“

+++ „Papa Marx“ nennt die SZ in ihrem Aufmacher den vermeintliche sozialromantischen Nürnberger Verlagspatriarchen Bruno Schnell, der als Vorbild für eine nicht unskurrile TV-Figur nach Henkes Vorstellungen dienen könnte. „83 Jahre ist der Mann mit der grauen Sturmfrisur und dem Kinnbart alt“, dem unter anderem die Nürnberger Nachrichten (NN), der Olympia-Verlag (Kicker), Internetportale, ein Buchverlag und ein Pressegrossounternehmen gehören. „Viel später als die anderen Verlage holt die Zeitungskrise den Patriarchen doch noch ein. Obwohl Anzeigenumfänge samt Auflagen auch bei einigen seiner Zeitungen und Magazine längst zu schrumpfen begannen, fühlten sich die Mitarbeiter in Bruno Schnells Trutzburg immer noch gut geschützt. Kein Wunder: Seine Verlage verdienten auch mangels nennenswerter Konkurrenz vor Ort immens, die Geldspeicher waren voll. ‚Ich habe nie einen Bankkredit aufgenommen', sagt Schnell. (...) Das Interview mit der Süddeutschen Zeitung ist sein erstes seit Jahrzehnten. Er erzählt, wie ihm als junger Mann sein Vater, Betriebsleiter in einer Margarinefabrik, Das Kapital von Karl Marx zum Lesen gab. 'Kapital ist zurückbehaltener Lohn', stehe da, und das habe ihm zu denken gegeben, sagt Schnell.“

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.