So wie einst Borussia Mönchengladbach

Nachberichterstattung zur Champions League-Nachberichterstattung der Anstalten. Und Neues von schillernden Gestalten der Journalismus- und Medienpolitik-Szene: Christian von Boetticher und Johannes Beermann, Béla Réthy und Oliver Welke, Günter Wallraff und Michael Maier.

Kürzlich mal wieder 15 Minuten Randspalten-Ruhm in Medienressorts genoss der ehemalige CDU-Landesvorsitzende und Landtagswahlen-Spitzenkandidat Christian von Boetticher, der nach einer "Lolita-Affäre" (bild.de) in die gewiss vorübergehende Versenkung zurückgetreten war. Wie etwa Süddeutsche und TAZ am Dienstag gern berichteten, sollte er aus dieser über einen Posten im Medienrat der gerade wg. des Sat.1-Lizenzwechsels überdurchschnittlich beachteten Landesmedienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein zurückgeholt werden. Ja, die gewiss gut informierteten Kieler Nachrichten räumten ihm, anonymen "Medienkreisen" zufolge, gar "gute Chancen für den Vorsitz" ein.

Dass daraus nichts wurde, von Boetticher nicht nur nicht Medienrat-Vorsitzender werden, sondern diesem Medienrat überhaupt nicht angehören wird, drohte fast ein wenig unterzugehen in der Mediennews-Fluss. Heute bringt die TAZ eine Notiz, vorher meldete es nur Springer-Presse am Rande (vgl. welt.de, der obige bild.de-Link). Und die Kieler Nachrichten, die seit 2009 der Springer-Presse gar nicht mehr zugehörig sind, wissen natürlich auch Bescheid und illustrieren ihre Meldung mit einem perfekt zur Stimmung passenden Foto des Jungpolitikers.

[+++] Wenn wir bei der seltenen Spezies der medienpolitisch interessierten CDU-Politiker und in den regionalen Zeitungen sind: Johannes Beermann, als Staatsminister im ostdeutschen Bundesland Sachsen einer der ganz großen Entscheider in der CDU-Rundfunkpolitik, hat der Nachrichtenagentur DAPD vor kurzem ein Interview gegeben, das in seiner ausführlichen Wortlautform scheinbar nur auf der WAZ-Seite derwesten.de veröffentlicht wurde (der es digitalfernsehen.de dann fälschlich zuschrieb).

Dabei enthält es viele große Sätze, etwa "Die Talk-Shows gehen zulasten des deutschen Films. ...Alle Beteiligten sollten einmal darüber nachdenken, das Fiktionale wieder zu stärken", die zumindest belegen, dass Beermann Wichtigeres zu tun hat, als regelmäßig die eher unter einer Krimiserienplage leidenden Programme des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens anzuschauen.

Allerdings, Olympia geguckt hat er. "Die Olympia-Berichterstattung war gut und von hoher Qualität", sagt er ebenfalls, und hat dazu eine dennoch kritische und auch bedenkenswerte Anmerkung:

"Ich verstehe nicht, warum sich ARD und ZDF nicht darüber verständigen können, dass einer der beiden Sender von der Eröffnungsfeier bis zum Abschluss berichtet. ARD und ZDF begreifen sich immer noch vor allem als Konkurrenten. Es ist wirklich zum verzweifeln, dass dort noch ein Geist herrscht, der von den Schöpfern von ARD und ZDF nicht gewollt ist. In Wahrheit sind sie aber Bruder und Schwester, die aus dem selben Geldbeutel vom Gebührenzahler finanziert werden."

[+++] Wenn wir nun schon in der Fauna bzw. im Treibhaus den öffentlich-rechtlichen Sport-Entertainments sind, gibt's auch hier eine Menge Berichte. Schließlich ist die Zeit, in der beinahe täglich mindestens ein Fußballspiel übertragen wird, angebrochen. Am Dienstag feierte das ZDF seine Champions League-Premiere und war dabei zumindest "besser als Mönchengladbach", das, auf dem Platz,  ebenfalls seine Champions League-Premiere, aber vermutlich fast auch schon seine Champions League-Dernière beging.

Matthias Kalle, der für den Tagesspiegel gestern vormittag online und heute auch gedruckt (und in der Druckfassung online) kommentierte, scheint jeweils ein wenig darunter zu leiden, dass er sich im Medienressort nicht zu Borussia Mönchengladbachs Leistung äußern darf ("...aber es gehört zum Wesen der Fernsehkritik, dass das Spiel an sich an dieser Stelle nicht wirklich interessiert"). Auf dem Feld der Fernsehkritik lobt er die Leistungen des Kommentators Béla Réthy zumindest im Vergleich mit seinen Olympia-Leistungen ("unfallfrei" sei er durchs Spiel gekommen), und gutgelaunt Oliver Welke.

Etwas analytischer an die Sache heran (obwohl er mit einem "heute-show"-haften Kathrin Müller-Hohenstein-Gag in den Artikel einsteigt) geht Björn Wirth für die Berliner Zeitung:

"Deutlich schlimmer geriet die berüchtigte Nachberichterstattung mit den gewohnt investigativen Fragen: Was ist schiefgelaufen? Woran hat’s gelegen? Wie geht’s weiter? Schiefgelaufen ist im Spiel vieles, bei der Übertragung hätte die eine und die andere Zeitlupe dem Zuschauer gutgetan. Woran’s gelegen hat, wusste keiner außer Fehlervermeider Olli Kahn, wie’s weitergeht."

Aus medienjournalistischer Sicht ja auch interessant, wie das ZDF mit den Sponsorenhinweisen umgeht, die es mit den Champions League-Rechten zugleich eingekauft hat (und ab 2013 gar nicht mehr in derselben Form senden darf). Was meinen die Quotenmesser von dwdl.de?

"Zur Refinanzierung und als Zugeständnis an die Sponsoren hat das ZDF, das nach 20 Uhr bekanntermaßen keine Werbung zeigen darf, im Anschluss an 'heute' ein kurzes 'Champions League-Magazin' ins Programm genommen. Und das erwies sich als echter Abschalter: Ab 19.22 Uhr sahen nur 1,64 Millionen Zuschauer zu, das entsprach einem miesen Marktanteil von nur 8,4 Prozent. Bei den 14- bis 49-Jährigen - angesichts der Tatsache, dass die Sendung vor allem aus Werbegründen ins Programm genommen wurde für das ZDF ebenfalls eine sehr wichtige Zahl - lag der Marktanteil sogar nur bei 3,9 Prozent."

Selbst die "Rosenheim-Cops" aus dem Beermann zufolge schutzbedürftigen Biotop der deutschen Fernsehfiktion seien in Mitleidenschaft gezogen worden. Auf diesen Niveaus könnte Intendant Thomas Bellut dann ja fast schon erwägen, Thommy Gottschalk heimzuholen... Mehr öffentlich-rechtliches Sport-Entertainment folgt in Kürze im Altpapierkorb, jetzt noch von den Gebühren-finanzierten und bürokratisch strukturierten Anstalten zu den schillernden, charismatischen Gestalten, die als Einzelkämpfer bzw. nur scheinbare Einzelkämpfer seit Wochen und Tagen im Fokus stehen.

[+++] Günter Wallraff ist nicht nur Adressat eines neuen, eigentlich wie eine private E-Mail ausschauenden Blogposts ("Hallo Günter") seines Kritikers André Fahnemann, in dem dieser "einen Schlussstrich unter die ganze Angelegenheit zu ziehen" anbietet.

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Er ist auch Gegenstand des Leitartikels auf der TAZ-Meinungsseite. "Aus der Überidentifikation mit dem Meister wird abgrundtiefe Enttäuschung, wenn sich herausstellt, dass Wallraff kein Heiliger ist, sondern die Zusammenarbeit mit ihm ganz schön anstrengend sein kann", fasst darin Jürgen Gottschlich zusammen. Weil dieser aber nicht nur Türkei-Korrespondent der TAZ ist, sondern auch Wallraff-Biograf, fasst auch er noch einmal dessen Lebensleistung in schönen Sätzen zusammen und geht dafür (wie schon das Altpapier vom Freitag) in Jahr 1987 zurück, in dem die Kritik daran auch schon hochkochte.

[+++] Michael Maier, im Moment Herausgeber der Deutsch Türkischen Nachrichten, hat seine gestern veröffentlichten Angriffe gegen den Spiegel (siehe Altpapier) an meedia.de weitergereicht, das sie dokumentiert, aber auch beim Spiegel nachgefragt und den Spiegel-Sprecher Hans-Ulrich Stoldt ans Telefon bekommen hat. Ergebnis:

"Zu den dezidierten Darstellungen der Gesprächsverläufe sagt Stoldt: 'Die in den DTN geschilderten Dialoge sind nach Angaben des Kollegen Fiktion.' Sätze wie 'Ich weiß doch, was ihr tut und wer ihr seid. Ich weiß, dass ihr da mit drinsteckt. Ich werde einen Bericht schreiben und das wird alles drinstehen', seien - so der Spiegel-Sprecher 'nie gefallen'. Das gelte auch für die angebliche Formulierung 'Ich rufe an, wo ich will. Sie haben mir hier gar nichts zu befehlen!' sind beispielsweise nie gefallen. Dem widerspricht DTN-Herausgeber Maier..."

Klein-klein, das vor allem belegt, dass es im Internet keine Schlussredakteure gibt... Einerseits lehnt man sich mit der Annahme, dass einem Spiegel-Sprecher wohl wortmächtigere Dementis zur Verfügung stünden als "sind nach Angaben des Kollegen Fiktion", gewiss nicht weit aus dem Fenster.

Andererseits hat Maier seinen gestrigen Bericht, der also die "rüden Recherche-Methoden" des Magazins geißelt (inzwischen unter dieser URL) mehrfach aktualisiert, darunter mit diesem Nachsatz:

"Die Zeitung 'Zaman', die zum Gülen-Medienhaus World Media Group gehört, und sich ebenfalls über die Recherche-Methoden des Spiegel beschwert, hat einen Journalisten mit Klarnamen in drei langen Texten attackiert. Dieser Journalist empfindet das, wie er den DTN sagte, als Kampagne. Das können wir verstehen und halten ein solches Vorgehen für unzulässig. Auch der Pranger ist kein Mittel des Journalismus in einer aufgeklärten Demokratie."

Auch diese Sache bleibt verzwickt.


Altpapierkorb

+++ Falls Sie oben zum Beermann-Interview geklickt haben sollten, sind Sie auch auf Norbert Lammert gestoßen, den in Medienressorts vor allem als Talkshow-Kritiker geläufigen Bundestagspräsidenten. Wo dieser auch vorkommt: in diesem TAZ-Artikel. Da berichtet Anja Maier, warum Sabine Adler schon wieder im Deutschlandradio auf Sendung geht, obwohl Lammert sie erst im letzten Sommer als Bundestags-Pressesprecherin angeheuert hatte. Eigentlich sei alles okay gewesen, doch habe sie gemerkt, "dass der Job einer Pressesprecherin nicht zu mir passt", sie sich "ihrer Stimme beraubt gefühlt" habe, sagt Adler, die eine Rückkehroption zog und nun Warschau-Korrespondentin ist. +++

+++ Was gestern noch ins Altpapier gehört hätte: Jürgen Kaubes FAZ-Antwort auf Markus Beckedahls Kommentarkultur-Krisenerklärung: "'Na hören Sie', sagte der Leser aufgeräumt, 'eine kontrollierte Kommentarkultur, Sie sind aber ganz schön anspruchsvoll! Aber ich hab da gerade etwas gesehen, das wäre vielleicht etwas. Nicht, dass es jeden Anspruch erfüllt, aber den auf Repression des gedankenlosesten Geschwätzes und der ärgerlichsten Redundanzen schon. Beleidigungen werden auch geprüft, die Autoren beobachten sich wechselseitig, die schlimmsten Nervensägen laufen Gefahr, öffentlich benannt zu werden. Das könnte Ihnen eigentlich gefallen. Die Hersteller nennen es Zeitung.'" +++ Die öffentlich-rechtliche Nervensäge des Verbraucherjournalismus-Overkills benennt Peer Schader im FAZ-Fernsehblog. +++

+++ Zurück ins Fernsehsport-Treibhaus: "Waldis Club" hat bereits "die Tradition einer Gesprächsrunde im Anschluss an die Fußball-Länderspiele" begründet (ARD), die nun in Abwesenheit Waldi Hartmanns mit dem "Sportschau-Club" und Matze Opdenhövel, Gerry (Gerd?) Delling bzw. Reini Beckmann fortgeführt werden soll. +++ Eine "Notlösung", meint Joachim Huber (Tsp.), es werde aber schon "nach einer weiblichen Vorsitzenden für die Club-Runde gesucht. Der Name von Anni Will ist bereits gefallen." +++ "Die ARD macht weiter auf dem Weg zum Talksender...", schreibt die Süddeutsche. +++ Michael Hanfeld schöpft in der FAZ den Ausdruck "die berühmt-berüchtigte Fachsimpelrunde mit Waldemar Hartmann". +++

+++ "Die waldpilzartige Vermehrung von Marken, die gut laufen", wie man sie vom ja auch immer nischigeren Zeitschriftenmarkt kennt, sieht Altpapier-Autor René Martens in der Süddeutschen durch all die "Panorama"-Sendungen des NDR ins Fernsehen übertragen. Nach dem neuen "Panorama3" könne sich NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz noch vorstellen: "'Panorama Interview'. Ein 'hartes' Vier-Augen-Gespräch schwebt ihm da vor. Das sei aber eine langfristige Überlegung. So lange es in der ARD so viele Talkshows gebe, sagt Cichowicz, bestehe kein Bedarf." +++

+++ Doris Heinze, einst ebenfalls beim NDR, sprach vor Gericht von "einer Art Hexenjagd" und würde gern neu anfangen, wird da und dort berichtet, frei online (und mit aktuellem Heinze-Foto) im Hamburger Abendblatt. +++

+++ "German Angst" auf ZDF-neo wird in der SZ recht unentschieden, in der FAZ recht differenziert besprochen: "Durchwachsen ist auch die Leistung des Reporters Micky Beisenherz. Seine lockere Art ist jeder falschen Anteilnahme und Besserwisserei abhold, wirkt manchmal aber zu unbekümmert. Dass er mit einem Gewaltopfer keinen Betroffenheitsdialog à la Markus Lanz führt, ist ihm hoch anzurechnen, doch in manchen Augenblicken hätte etwas mehr Ernsthaftigkeit nicht geschadet. ... Und dann wäre noch zu fragen, warum ZDFneo Geld in die Reihe steckt, sie damit bewirbt, die Zuschauer hätten sie ins Programm gewählt, sie aber am späten Abend versteckt....", meint Oliver Kühn. Die Sendung läuft um 23.00 Uhr (nicht im Haupt-ZDF). +++ "Es gibt wirklich irrsinnig viele Tote, viel Blut und viel nackte Haut", mit diesen Worten rät die FAZ von der britischen RTL2-Serie "Strike Back" eher ab. +++

+++ Im Aufmacher der SZ-Medienseite würdigt Willi Winkler die Journalistin Inge Deutschkron, die einst im frühen ZDF den bundesdeutschen Staatssekretär Hans Globke und vormaligen Nazi-Rassegesetze-Kommentator Hans Globke "Schweinehund" nannte, zum 90. Geburtstag. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.