Heute auf der Agenda: Was Berliner Gerichte zu „Frauentausch“ und Transparenz sagen. Außerdem: Sonia Mikichs neuer Job, das nicht ungeile Zeitschriftenmacherleben in den 80er Jahren und das Wesen der „Narcoblogs“.
Wenn in den Medien von „Promi-Kanzlei“ die Rede ist, war bisher in der Regel dieser Laden aus Berlin gemeint, der nun aber befürchten muss, dass ihm in dieser Label-Liga langsam ein Anwaltsbüro aus der früheren Bundeshauptstadt Bonn den Rang abläuft.
„Hilfe der bekannten und teuren Promi-Kanzlei Redeker Sellner Dahs, die auch Ex-Bundespräsident Christian Wulff gegen die Medien vertrat“,
hat nun auch das für Sport zuständige Bundesinnenministerium gesucht. Das berichtet das Rechercheblog von DerWesten in eigener Sache, nämlich in einem Artikel über den Streit mit dem Hause Friedrich um die Herausgabe von Dokumenten, die Aufschluss geben über die Medaillenvorgaben für die deutschen Olympia-Sportler (siehe Altpapier).
Bemerkenswert ist, dass als Mandant nur Wulff genannt wird, obwohl die Kanzlei in einer aktuelleren Sache einen global gesehen noch wesentlich prominenteren Promi vertritt: den Papst. Dass Redeker Sellner Dahs auch in den nächsten Tagen in medienjournalistischen Debatten immer wieder auftauchen werden, hat auch mit einem Fall zu tun, den Klaus Ott am Dienstag in der SZ (noch nicht online) recht ausführlich schilderte:
„In diesen Tagen kümmert sich die Bonner Kanzlei wieder um ein Verfahren, in dem es um das große Ganze geht. Anton Weinmann, früher Vorstand der MAN AG, ist in München wegen Beihilfe zur Bestechlichkeit angeklagt. (...) Sein Prozess, Ausläufer einer Schmiergeldaffäre bei MAN, beginnt am 16. August. Vergangene Woche wollte die Münchner Justizpressestelle den Kern der Anklage Medienvertretern zukommen lassen. Das ist vielerorts bei Gerichtsverfahren üblich, an denen ein öffentliches Interesse besteht. Doch dieses Mal erreichte die Mail mit den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft keinen Journalisten. Weinmann hatte mit Hilfe von Redeker Sellner Dahs verhindert, dass die Justiz über den wichtigsten Teil der Anklageschrift informiert, obwohl genau der bei Beginn eines Prozesses stets verlesen wird.“
Die Bonner Promi-Helfer können aber auch ganz anders, hin und wieder kämpfen sie auch für die Berichterstattungsfreiheit, für das ZDF, für arte oder das Deutschlandradio - was man hier und hier sieht, wenn man „Redeker“ ins Suchfenster eingibt.
Aber zurück zur eigentlichen Sachlage rund um den Streit zwischen den Rechercheuren der WAZ und dem Ministerium:
„Das Verwaltungsgericht Berlin hat dem Innenminister Hans-Peter Friedrich und seinem Ministerium bis (...) Freitagnachmittag um 15 Uhr Zeit gegeben, um uns die Medaillenvorgaben der der deutschen Sportverbände zu nennen. Folgt Friedrich dem nicht, droht eine Zwangsabgabe von 10.000 Euro.“
Bei Jens Weinreich findet man, neben einer historischen Einordnung der aktuellen juristischen Auseinandersetzung, einen Verweis darauf, dass entsprechende Dokumente in Großbritannien und Dänemark öffentlich zugänglich sind.
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[+++] Der oben zuerst genannten Promi-Kanzlei aus Berlin muss man im übrigen zu Gute halten, dass sie keineswegs nur für Promis arbeitet, sondern auch für Menschen, die erst einmal Prozesskostenhilfe beantragen müssen, um überhaupt vor Gericht gehen zu können. So kam eine Unterlassungsklage eines, verkürzt gesagt, Opfers der RTL-2-Sendung „Frauentausch“ in Gang. Anna Bok benennt auf der SZ-Medienseite die Fragen, mit denen sich das Berliner Landgericht in diesem Zusammenhang beschäftigt hat:
„Darf eine Show wie ‚Frauentausch‘, wenn sie den Eindruck erweckt, vornehmlich dokumentarisch zu arbeiten, den Alltag einer Familie so inszenieren, dass die dargestellten Personen vorgeführt werden? Womit muss ein Kandidat rechnen, der freiwillig und gegen eine Aufwandsentschädigung an einer Doku-Soap mitwirkte?“
Dass das Gericht der Unterlassungsklage statt gegeben habe, könne „für Produzenten von Doku-Soaps grundsätzliche Bedeutung haben“, schreibt Bok. Christopher Keil präzisiert auf der Meinungsseite:
„Wer freiwillig und für Geld an einer Fernsehshow mitwirkt, muss sich trotzdem nicht alles gefallen lassen. Vor allem muss er sich nicht (...) lächerlich machen lassen, wie das einer Mutter von fünf Kindern in der RTL-2-Serie ‚Frauentausch‘ passierte. Sie war weder unmissverständlich noch wahrheitsgemäß über Art und Absicht der Sendung aufgeklärt worden. Das Berliner Landgericht hat deshalb dem Produzenten untersagt, eine 2009 ausgestrahlte Folge zur Wiederholung anzubieten.“
[+++] Durchaus noch einiges zu sagen gibt es zu der Causa Nadja Drygalla. Elke Wittich hat für die Jungle World ein Interview mit dem im Altpapier bereits gewürdigten Kombinat Fortschritt geführt, das den in dieser Angelegenheit ausgebrochenen „media storm“ (The Economist) ausgelöst hat. Und Martin Krauß weist in der Jüdischen Allgemeinen auf den - nicht nur in in der Drygalla-Debatte sehr weit verbreiteten - falschen Umgang mit dem Begriff „Sippenhaft“ hin. Die Ruderin
„sitzt nicht im Gefängnis. Ihr droht keine ‚Sippenhaft‘, wie es beinah überall heißt, sondern es geht um Haftung, also um die Frage, ob auch sie Verantwortung trägt für ihr privates Umfeld.“
Auch Jens Jessen benutzt in der aktuellen Zeit (Seite 4) im Zusammenhag mit Drygalla den Begriff „Sippenhaft“ falsch, obwohl wir einem Feuilleton-Ressortchef grundsätzlich durchaus das Gegenteil zutrauen. In einer anderen bräunlichen Angelegenheit geht es heute um eine Radiomoderatorin, die meinte, on air den Spruch „Arbeit macht frei“ bringen zu müssen. Ihren Job bei Gong 96,3 ist sie nun los (süddeutsche.de, Welt Online).
[+++] Das Altpapier hat als „enzyklopädisch-tagesaktuelles Format“ natürlich stets auch die aktuellen Revival-Tendenzen im Medienbetrieb im Blick. Glaubt man Anne Waak, wird derzeit das Magazin Männer Vogue „wieder entdeckt“, was vor allem mit dem kürzlich auch vom Zeit-Magazin gepriesenen Grafiker Beda Ackermann zu tun hat, der das Blatt zwischen 1984 und 1989 prägte. Deshalb hat Waak für die neue Spex (September/Oktober-Ausgabe, Inhaltsverzeichnis hier) mit Ackermann gesprochen - unter anderem darüber, wie denn damals ein Arbeitstag so aussah:
„Wir fingen gegen 9.30 Uhr an zu arbeiten, konferierten und tüftelten ein paar Sachen aus. Dabei lief immer sehr laute Musik - David Bowie, Iggy Pop, Stan Ridgway, The Fuzztones, Mantronix. Im Sommer gingen wir meist gegen 14 oder 15 Uhr in den Biergarten. Da führten wird unsere Konferenzen weiter, bevor wir am Abend ziemlich heiter zurück in die Redaktion gingen und das Magazin layouteten. Das ging bis Mitternacht, danach gingen wir noch auf ein paar Drinks ins Schumann‘s.“
Ha, Konferenzen im Biergarten! Laut Mantronix hören! Es ist nicht auszuschließen, dass heutige Verlagsmanager einen leichten Herzinfarkt bekommen, wenn sie lesen, dass so etwas einmal möglich war in ihrer Branche. Und wie wurden damals eigentlich die Fotos ausgewählt?
„Ab und zu haben wir die Bilder auf dem Bode ausgelegt, auf jedes kam ein Hundekuchen, und dann ließen wr meinen Hund, Doktor, auf sie los. Dasjenige, das er zuerst ansteuerte, kam ins Heft. Weil sie alle gut waren, machte es keinen Unterschied, welches wir nahmen.“
Eine im Gegensatz zur Männer Vogue noch existierende Modezeitschrift ist heute ein Nachrichtenthema: Lady Gaga hat unerlaubterweise vorab das Cover der sehr, sehr dicken September-Nummer der amerikanischen Vogue ins Netz gestellt, weil sie selbst darauf zu sehen ist, lesen wir bei Spiegel Online.
+++ Sonia Mikich wird sich schon sehr bald „neu erfinden“, prophezeit das Hamburger Abendblatt, weil sie Ende des Monats ihren Posten als Redaktionsleiterin und Moderatorin von „Monitor“ aufgibt, um im WDR ein investigatives Ressort aufzubauen. Kai-Hinrich Renner nennt ein paar Details: „Sie will nun einen Verbund organisieren: ‚,Monitor' und ,die story' sollen allererste Adressen für kritischen Enthüllungsjournalismus werden‘", sagt sie.(...) Wir wollen auch interessant für schreibende Kollegen werden.‘ (...) Auch Kooperationen mit Journalisten anderer ARD-Sender, etwa denen des NDR-Magazins ‚Panorama", kann sie sich vorstellen.“
+++ Bei tagesschau.de berichtet ARD-Korrespondent Jörg Armbruster über die Arbeitsbedingungen in Syrien.
+++ Wikileaks ist derzeit nicht erreichbar, und Antileaks ist schuld (futurzone.at).
+++ Der Freitag (Seite 3) berichtet darüber, dass der mexikanischen Drogenkrieg „einen neuen Schauplatz hat: das Internet“. In Sonja Peterandls Text gehr es unter anderem um „Narcoblogs“, „ein eigenes Blog-Genre (...), das ausschließlich die blutigen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Kartellen, aber auch zwischen Kartellen, Soldaten und Polizei dokumentiert“.
+++ Die auf den ersten Blick vielleicht verrückt klingende Frage, ob eine von einem Mediatycoon mitgegründete neue afghanische Fußball-Liga, für die gerade mit Hilfe einer Reality-TV-Show Spieler gesucht werden, nach dem bevorstehenden Abzug der US-Truppen zur Befriedung des Landes beitragen könnte, greift der Blog The Turbulent World Of Middle East Soccer auf. Siehe dazu auch einen zu Wochenbeginn erschienenen Text in der Washington Post.
+++ „‚Der Turm‘ ist ein guter ARD-Film, aber keine Verfilmung von Uwe Tellkamps Roman.“ So urteilt Sven Goldmann (Tagesspiegel) über eine neue Event-Produktion aus dem Hause Teamworx. Weitere Meinungen dazu sicher in den nächsten Wochen im Altpapier, denn der Film läuft erst am 3. und 4. Oktober.
+++ Einen großen Qualitätsunterschied zwischen den „beiden Formaten, in denen das ZDF seine größeren Informationsstücke präsentiert“, nämlich zwischen „ZDFzeit“ und „ZDFzoom“ (und zwar zu Gunsten letzterer Reihe) konstatiert Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite.
+++ Die taz würdigt die amerikanische Web-TV-Serie „H+", in der „das Internet seine ganze Grausamkeit zeigt“ und „zum Ausgangspunkt einer Apokalypse“ wird.
+++ Aufmacher der SZ-Medienseite ist ein Text darüber, dass Nachrichtenagenturen auch nicht mehr das sind, was sie mal waren, sondern in einem immer stärkerem Maße international agierende Allround-Dienstleister, die für Kunden aller Art tätig sind (Disclosure: Der Artikel ist von mir).
+++ Außerdem noch in der SZ: „Als Vegetarier muss ich auch nicht in ein Steakhaus gehen“, sagt Kurt Krömer, und zwar in der „Reden wird über Geld“-Reihe auf die Frage, warum er zu Zeiten, als es ihm finanziell nicht so doll ging, Anfragen von Privatsendern abgesagt habe. „Beim Privatsender sagen sie dir sofort, in dieser Sendeminute haben 10.000 Zuschauer abgeschaltet, weil du Scheiße gesagt hast. Dann kamen 12.000 dazu, weil Hannelore Elsner als Gast kam, Dann hast du sie beleidigt, 100.000 weg. Brauch ich nicht.“
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.