Die vereinigte deutsche Privatsender-Mediathek bleibt verboten. Die deutschen Landesmedienanstalten wollen ihre Einigkeit dadurch stärken, dass sie einander verklagen. Und der Journalismus existiert nicht automatisch weiter.
Natürlich braucht kein Mensch eine gemeinsame Mediathek, Online-Video- oder Video-on-Demand-Plattform der Privatsenderfamilien RTL Group und ProSiebenSat.1. Höchstens eine Handvoll junior controller in den betroffenen Konzernen würde sich freuen. Und Angebote wie rtl-now.de, maxdome.de oder myvideo.de gibt es ja schon längst; auch dort müsste man überzeugter Fan dieser oder jener Inhalte sein, um sie nutzen zu wollen.
Dennoch ist das im März 2011 ausgesprochene, gestern vom Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigte Verbot einer solchen Unternehmung durch das Bundeskartellamt grotesk. Denn der Grund, aus dem kein Mensch so ein Gemeinschaftsunternehmen braucht, ist die Google-Tochter Youtube, deren deutscher Marktanteil letztes Jahr bei 70 Prozent lag und seitdem bestimmt nicht geschrumpft ist.
Heute informiert der Tagesspiegel ausführlich und neutral über die Sachlage, zu deren Verkomplizierung beiträgt, dass das vermutlich vergleichbare Video-on-Demand-Projekt mit dem abstrusen (nicht olympisch gemeinten) Arbeitstitel "Germany's Gold" (siehe etwa handelsblatt.com aus dem April) voraussichtlich gestattet werden wird - obwohl es privatwirtschaftliche Tochterfirmen öffentlich-rechtlicher, also rundfunkgebührenfinanzierter Sender betreiben werden.
Hier freut das Kartellamt sich über seinen Erfolg:
"Die Plattform hätte mit den vorgesehenen Vorgaben von RTL und ProSiebenSat.1 die bestehenden Verhältnisse auf dem Fernsehwerbemarkt konserviert und auf das Segment der Video-Werbung in Online-Video-Inhalten übertragen."
Was genau dieses "Segment der Video-Werbung in Online-Video-Inhalten" denn ist, ob es sich tatsächlich nicht so verhält, dass theoretisch jede Internetseite Videowerbung enthalten könnte und in der Praxis verdammt wenige deutsche Internetseiten sich überhaupt durch Werbung finanzieren können - dazu würde man jetzt gern mal einen unabhängigen Experten hören.
In der Süddeutschen (S. 39) nennt Katharina Riehl einen genaueren Grund für das ursprüngliche Verbot: Im März 2011
"ging es um die Frage, wie offen das Portal der beiden Privatfernsehkonzerne nicht nur für andere TV-Sender, sondern auch für Video-on-Demand-Angebote wäre. Das Amt forderte zudem, dass die Betreiber anderen Inhalte-Anbietern keine 'einschränkenden Vorgaben zu Verfügbarkeitsdauer, -zeitpunkt und zur Qualität der Angebote' machen. Die Sender, erklärte damals das Amt, 'waren jedoch nicht bereit, die geplante Plattform soweit zu öffnen'."
Schlichtes, aber überzeugendes Gegenargument:
"Wer eine Macht im - deutschen - Fernsehen ist, ist das im World Wide Web mitnichten. Warum schaut man sich die mögliche Entwicklung nicht erst einmal an - und schreitet dann gegebenenfalls ein? Doch das ist die Sache der hiesigen Regulierer nicht, sie bleiben bei ihrem kleinen Karo."
Das schreibt (wie regelmäßige Altpapier-Leser schon am Tonfall und an den großzügig eingesetzten Gedankenstrichen erkennen) Michael Hanfeld. Bekanntlich kann sich kaum jemand so hingebungsvoll über Dinge wie den "erstaunlich begrenzten" "Erfahrungshorizont der hiesigen Medienpolitik und auch der Rechtsprechung in Mediendingen" echauffieren wie der FAZ-Medienseitenchef. Leider geht in vielen Zielgruppenmilieus häufig unter, wie oft er dabei auch recht hat.
[+++] Heute hat Hanfeld das in gleich zwei Glossen. Die erste, "Kleines Karo", gilt der RTL-ProSiebenSat.1-Sache. Die zweite bereitet seinen gestrigen Nischen-Scoop (bei faz.net leider noch nicht frei online, siehe also Altpapierkorb bzw. hier als EPD-Meldung) nach: Ebenfalls vor Gericht, und zwar vors Verwaltungsgericht Schleswig, ziehen die Landesmedienanstalten von Rheinland-Pfalz und des Saarlandes, und zwar wegen des Sat.1-Lizenzwechsels gegen die vereinigte Medienanstalt Hamburgs und Schleswig-Holsteins.
Neu im world wide web ist die Begründung dafür. "Darauf muss man erst einmal kommen: Man geht dem anderen an die Gurgel, um der lieben 'Einheit' willen. Das nennt man pfälzische Dialektik", glossiert Hanfeld über die in der Tat köstliche rheinland-pfälzische Argumentation:
"'Dieser Rechtsstreit soll die Einheit der Landesmedienanstalten wiederherstellen und stärken. Ein solches Vorgehen eines Senders muss erfolglos bleiben. Hier steht die medienpolitisch gewollte Einheitlichkeit der Aufsicht über privaten Rundfunk in ihrer Grundsätzlichkeit auf dem Prüfstand.' erklärte die Direktorin der LMK, Frau Renate Pepper."
Die Mitteilung ist nicht auf die-medienanstalten.de zu finden, der gemeinsamen Webseite der 14 deutschen Landesmedienanstalten (dass diese sich zu einer gemeinsamen Webseite durchgerungen haben, kann als einer ihrer größten Erfolge betrachtet werden), sondern exklusiv auf der Webseite der rheinland-pfälzischen Anstalt, zwischen Meldungen über eine "Silver Surfer"-Fachtagung in Mainz und über einen Besuch Kurt Becks in der Jugendredaktion des OKKL (Offener Kanal Kaiserslautern).
Wer weiß, vielleicht hat die Sache immerhin insofern ihr Gutes, als dass sie der Anfang vom Ende der föderalen Medienwachtbehörden ist. Jedenfalls mal wieder lesenswert: der Peer Schader/ Stefan Niggemeier-FAZ-Artikel "Schafft die Landesmedienanstalten ab!" von 2005.
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[+++] Jetzt aber der Blick auf die Zukunft gerichtet, digitale Geschäftsmodelle usw.. Es haben wohl eher schon viele tausend als hundert kluge Experten geduldig und kenntnisreich, wenngleich in der Praxis bislang vergeblich erläutert, was denn bloß die sonstigen Medien aus der iTunes-Erfahrung der Musikindustrie lernen sollten. In welche Worte es nun der Ober-Perlentaucher Thierry Chervel im vocer.org-Interview kleidet (es kuratiert, würde Interviewerin Ulrike Langer natürlich sagen), ist trotzdem lesenswert.
Zum Beispiel sagt er unmittelbar zum iTunes-Aspekt:
"Die Musikindustrie hat iTunes nicht erfunden, weil jedes Unternehmen für sich dachte. Aber der Nutzer denkt von der Distributionsseite her. Der sagt: Ich mag die Beatles, und ich mag die Beethoven-Aufnahme von Karajan. Das sind zwei unterschiedliche Konzerne, das ist dem Hörer aber völlig egal, iTunes stellt beides zur Verfügung. So ähnlich ist das bei den Zeitungen auch, jede Zeitung möchte, solange es geht, aus einer Art Überlebensreflex heraus als Einzelnes, als Individuelles wahrgenommen werden. Das wird aufgelöst durch das Internet."
Wenn das dem Bundeskartellamt oder dem Düsseldorfer Oberlandesgericht zu Ohren gekommen wäre, vielleicht hätten sie in der eingangs erwähnten Sache anders entschieden.
Um Journalismus an sich geht es selbstredend ebenfalls. Chervel sagt etwa:
"... Journalisten haben schon immer eine Auswahl getroffen aus all dem, was an Informationen vorliegt. Das ist nicht neu, nur die Instrumente sind neu. Im Netz entsteht eine neue Form der Öffentlichkeit, die neue soziale Rollen schafft, die aber nicht mehr unbedingt unter den Titel des Journalismus fällt. Das beste Beispiel dafür ist für mich die Wikipedia. Als ich vor ein paar Jahren über den Georgien-Krieg recherchierte, habe ich klassisch in den Medien versucht, mir einen Überblick zu verschaffen. Genau diesen Überblicksartikel habe ich aber nicht gefunden, sondern nur fragmentierte Informationen, häufig aus politisch vorgeprägten Positionen. Dann habe ich kapiert, wo ich fündig werde: in der Wikipedia. Hier gab es den gewünschten Überblick längst, ein Text, der sowohl die enzyklopädisch langfristige Perspektive als auch die tagesaktuelle Oberfläche beinhaltet. Fazit: In der Wikipedia habe ich die beste Information über den Georgien-Krieg gefunden. Das ist aber kein Journalismus, das heißt wir haben Formen von Information, die nicht Journalismus sind. Und das zeigt, dass Journalismus nicht automatisch weiter existiert."
Altpapierkorb
+++ Bekanntlich sind auch die Kirchen sozusagen Medienunternehmer. Die katholische Kirche hat, nur zum Beispiel, ihr profitables Weltbild. Die evangelische finanziert, nur z.B., das enzyklopädisch-tagesaktuelle Format, das Sie gerade lesen. Und die anglikanische Kirche Englands gibt nun ihren 0,005-prozentigen Anteil an Rupert Murdochs noch ungeteiltem Medienkonzern News Corp. ab. Finanziell betrachtet zu einem guten Zeitpunkt, meinen die Börsenfüchse von der FTD, der Anteil sei 2,4 Millionen Euro schwer (allerdings "vermiesen" die Zeitungen die Zahlen, kam ebd. ganz frisch rein). Die offizielle Begründung aber dürfte auch Murdoch schmerzen, meint die TAZ. +++
+++ Außerdem macht die TAZ auf das trimedialen NDR-/ Radio Bremen-Projekt "Der Norden schaut hin" (ndr.de/dernordenschauthin) aufmerksam, das "rechtsradikalen Alltag" im norddeutschen Sendegebiet schildert: "Die besten Ideen sind bekanntlich oft so simpel, dass man sich fragt, warum nicht schon längst jemand darauf gekommen ist", meint Sven Sakowitz. +++
+++ Barbara Sichtermann prescht mächtig vor in eine allerdings auch gewaltige Lücke im eigentlich dicht besetzten Feld der Fernsehkritik. Kürzlich argumentierte sie, "Talkshows seien besser seien als ihr Ruf und ihre Kritiker machten es sich zu einfach" (Altpapier hierzu). Jetzt fordert sie zur Verblüffung vieler Kritiker des Zuschauer-Durchschnittsalters gar: "Man sollte öfter hochbetagte Menschen aus Politik und Zeitgeschehen vor die Kamera holen" (Tsp.). +++ Es geht, natürlich, um Helmut Schmidt und dessen Auftritt zum Thema Euro, aber auch Liebe in Sandra Maischbergers Talkshow, der auch anderswo (FAZ; in der BLZ bezieht Klaudia Wick gern eine Gegenposition: "Das Solo von Helmut Schmidt ... lebte vor allem von seinen Pausen und dem vielen Unausgesprochenen. Das ist aber weder telegen noch vielsagend") besprochen wird. +++ Achtung, auf dieses Foto sollten nur gefestigte volljährige Raucher klicken. +++
+++ Die SZ-Medienseite 39 gab dem juristischen Direktor und "damit stellvertretenden Intendanten" des Bayrischen Rundfunks, Albrecht Hesse, einen Text über einen vermutlich noch heftig werdenden Streitpunkt zu verfassen: über die Haushaltsabgabe, in welche die Rundfunk- nzw. GEZ-Gebühren 2013 umgewandelt werden. Das neue Finanzierungssystem stelle "einen gesamtgesellschaftlichen Vorteil" dar, argumentiert der Jurist, der aber auch mal zu schärferen Worten ("Auf jeden Fall kann sich niemand über eine Mehrbelastung beklagen, wenn diese daraus resultiert, dass er bisher seiner Gebührenpflicht nicht nachgekommen ist") greift. +++
+++ Sind Schauspielerinnen Genres? Zumindest gilt der Aufmacher ders. Medienseite Saskia Vester. Sie stehe, heißt es in der Unterzeile, "für ein Genre von Schauspielerinnen zwischen seichtem Lokalkolorit und ernsthaften Rollen. Sie ist eine der wenigen, die im Fernsehen in Würde altern dürfen". Dabei altern doch nicht nur im Schmonzetten-Genre, sondern auch in "Bella Block"-, "Rosa Roth"- und vielen weiteren Krimis wirklich nicht wenige Schauspielerinnen... +++
+++ Neue Aufgabe für Springer-Außenminister Christoph Keese: Er ist "Vorsitzender des Projektvorstands" der europäischen "Linked Content Coalition". Es geht darum, "Lösungen zu finden, wie Urheberrechte im Internet besser durchgesetzt werden können", informiert die FAZ-Medienseite: "Keese meint, es wäre sinnvoller und einfacher, wenn der Nutzer mit der Datei auch die notwendigen Informationen, wie Nutzungsbedingungen, Kontaktmöglichkeiten oder Kontonummern, bekäme und das Format immer gleich wäre." +++ Indes hat Till Kreuzer, auf Keeses presseschauder.de-Seite noch oben auf einem Foto zu sehen, Argumente gegen das Leistungsschutzrecht frisch kuratiert (Carta). +++
+++ In der FAZ erinnert Jürg Altwegg an den mit 82 Jahren verstorbenen Michel Polac, mit dem und dessen Fernsehsendung "Droit de réponse" nach François Mitterrands Wahlsieg 1981 "ein Hauch von Revolution und neuer Freiheit" durch Frankreich "wehte". +++
+++ Und David Denk (TAZ) hat Markus Lanz-halber Mitleid mit Thommy Gottschalk. +++ Wobei die Hörzu mit Lanz nicht ihr einziges aktuelles Exklusivinterview führte, Helmut Schmidt rechnet dort auch schon wieder ab, lesen wir gerade... +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.