Matthias Brandt ist noch nicht verstorben!

Die ARD feiert den Spiegel von vor fast 50 Jahren, aber auch einen ihrer "Polizeiruf"-Kommissare. Eberhard Itzenplitz ist tot und der britische Premierminister in einer spektakulären Bredouille.

Just jetzt, da die Völker der Welt nach London schauen oder zumindest zu schauen beginnen sollten, damit die bei der Berichterstattung von den Olympischen Spielen engagierten Konzerne auf ihre Kosten kommen, kommen aus der britischen Hauptstadt auch spektakuläre News aus dem Spannungsfeld, auf dem Politik und Medienbusiness sich begegnen.

Denn just als die ehrenwerte Leveson-Inquiry, der vom amtierenden britischen Premierminister David Cameron eingesetzte Untersuchungsausschuss zur News of the World- oder Telefonabhör-Affäre, ihre Arbeit nach 102 Tagen abschloss, verkündete auch die Staatsanwaltschaft, dass sie mehrere führende Mitarbeiter des bekanntlich nicht mehr existierenden Rupert Murdoch-Blattes  wegen "Verschwörung zum Abhören von Kommunikation" ("conspiring to intercept communications", vgl. Guardian) anklagen wird - darunter den ehemaligen Chefredakteur, aber auch ehemaligen Sprecher des wie gesagt amtierenden Premierministers Cameron, Andy Coulson.

Eine gute Zusammenfassung, auch wenn sie naturgemäß der gestrigen der NZZ nicht ganz unähnlich ist, bietet Christian Zaschke in der Süddeutschen. Er erinnert auch daran:

"Cameron war es als Oppositionschef vor den Wahlen von 2010 gelungen, Murdoch auf seine Seite zu ziehen. Den ehemaligen Murdoch-Mann Andy Coulson hatte er als Sprecher eingestellt, obwohl dieser als Chef der News of the World zurücktreten musste, als 2007 erste Hinweise auf abgehörte Telefone auftauchten. Jeder habe 'eine zweite Chance' verdient, erklärte Cameron damals feierlich."

Jetzt werde er, da die Verfahren zwar angekündigt, aber "vermutlich nicht mehr in diesem Jahr eröffnet" werden, "noch eine Weile mit dem Ruf leben müssen, dass potenzielle Straftäter zu seinen engen Freunden und ehemaligen Mitarbeitern gehören."

Eine Seite später in der SZ meint Stefan Kornelius in einem nicht ganz unwohlfeilen Kommentar über die nun auseinanderklamüserten "ekelig verklebten Teile einer politisch-medialen Mauschelei mit kriminellem Charakter", aus der Sache die Erkenntnis ziehen zu können, "dass es für diese qualitätsarme Form des journalistischen Gewerbes", wie sie Murdochs Boulevardblatt betrieb, "keine wirkliche Zukunft mehr gibt".

[+++] Das spannende Spannungsfeld zwischen Politik und Journalismus ist heute abend auch Thema einer ARD-Dokumentation. Der Anlass ist ein völlig anderer, er liegt 49 Jahre und neun Monate zurück, was schon allein den einzigen Vorabbesprecher, den SZ-Wirtschafts-Ressortleiter Hans-Jürgen Jakobs, mächtig ärgert:

"Vorauseilender Jubiläumsjournalismus ist eine Marotte geworden. Nun legt die ARD eine Dokumentation zur 'Spiegel'-Affäre vor, drei Monate vor dem 50. Jahrestag. Und dann ist der Film auch noch schlecht",

schäumt er auf der Medienseite 31 über Grit Fischers und Maik Gizinskis "Wie die 'Spiegel-Affäre' die Republik veränderte".

Tatsächlich ist das 45-minütige Werk zumindest seltsam [ich sah es mir gestern an, allerdings nicht vollständig], weil es nicht nur mit Hilfe von sehr naheliegenden Gesprächspartnern wie dem Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo zeigen möchte, "wie der Mythos Spiegel geboren wurde" (O-Ton Off-Kommentar), sondern dessen Geburt ziemlich schnell abhandelt, um dann ein buntes Allerlei rund um die große Politik ("gläsern und transparent ist die Berliner Republik nur auf den ersten Blick") sowie um den Journalismus an sich und die Probleme, denen er heute so gegenübersteht, aufzieht, ohne dabei Christian Wulff und den Freiherrn von und zu Guttenberg außer Acht zu lassen. Jakobs kritisiert weiter:

"Einen großen Teil nehmen Befindlichkeitsbetrachtungen des Gewerbes ein. Wer sind wir? Wie waren wir? Wie könnte es sein? So beklagen die interviewten Journalisten das erhöhte Tempo im Gewerbe, den Kampf ums beste Bild. Wolfgang Schäuble mahnt mehr Rücksicht an, sonst falle er noch mal aus dem Rollstuhl."

Als weiterer namhafter Experte performt der länger nicht mehr öffentlich aufgetauchte ehemalige Hamburger Regierende, Ole von Beust.

Übrigens, wenn Jakobs beklagt, dass diese schnell geschossene Doku zu früh kommt, ist "früh" nicht wörtlich zu verstehen, wie regelmäßige Altpapier-Leser natürlich ahnen. Um 23.40 Uhr zeigt die ARD sie.

[+++] Was läuft zuvor? Man muss der ARD ohne Zweifel zugute halten, dass sie zur sog. besten Sendezeit fünfe grade sein und zulässt, dass der 20.15 Uhr-Film ("Whisky mit Wodka", der Kinofilm von 2009) mal nicht 90 Minuten dauern muss, sondern 100 Minuten darf. Und dann muss nach den Tagesthemen, zur auch bereits künstlerfreundlichen Sendezeit um 22.55. Uhr,  noch Folge 2 der Reihe "Deutschland, Deine Künstler" (siehe auch Altpapier von vor einer Woche) ins Programm.

Künstler der Woche ist der insbesondere aus der ARD bekannte sympathische Fernsehschauspieler Matthias Brandt. Auch diese, nun ja, Dokumentation wurde von fleißigen Fernsehkritikern vorab angeschaut. Der häufig freundliche Berliner Tagesspiegel nennt sie nicht nur einmal "sehenswert", und zwar wohl weil sie nicht "allzu vordergründig" und bloß "etwas zu selbstgefällig" arbeitet.

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In der in ihren TV-Besprechungen erfreulicherweise öfter mal unfreundlichen TAZ kritisiert Jens Müller die "Deine Künstler"-Reihe an sich, weil sie

"nicht kontrovers sein will, sondern lobhudelnd. Der Sound des Off-Kommentars kommt mit einer Gravitas daher, dass der Zuschauer sich selbst versichern muss, es nicht mit einem Nachruf zu tun zu haben: Matthias Brandt ist noch nicht verstorben!"

[+++] Wer indes verstorben ist, mit 85 Jahren, einstweilen aber offenbar nicht mit einer Wiederholung eines seiner Filme gewürdigt wird, ist der Fernsehregissur Eberhard Itzenplitz. Er war allerdings auch "einem ernsthaften Begriff des Fernsehspiels verbunden, den man heute kaum noch kennt", so Michael Hanfeld in der FAZ. Einen etwas ausführlicheren, frei online verfügbaren Nachruf hat Joachim Huber für den Tagesspiegel verfasst ("Itzenplitz verstand sich als filmender Zeitgenosse und nicht als filmischer Mitläufer").

"Der Regisseur Eberhard Itzenplitz verfilmte brisante zeitgeschichtliche Themen", informiert 3sat.

Vielleicht kann einer der zahreichen öffentlich-rechtlichen Kultursender ja doch noch mal einen dieser Itzenplitz-Filme aus dem Archiv besorgen, womöglich den, zu dem Ulrike Meinhof das Drehbuch schrieb, und statt der nächsten "Tatort"-Wiederholung (Bleiben Sie dran! Mehr zum "Tatort" im Altpapierkorb) oder im Anschluss daran einschieben.
 


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+++ "Das sind coolen, neuen, jungen Tatort-Stars" (bild.de)! Der neueste neue "Tatort" kommt aus Erfurt, aber nicht vom Kinderkanal, vielmehr hat unter "86 Produktionsfirmen mit 105 Konzepten", die sich auf die Ausschreibung des MDR meldeten, "den Zuschlag ... nun die FFP New Media aus Köln erhalten. Das ist eine Überraschung. Die FFP New Media hat in den zurückliegenden Jahren das romantische Gegenangebot zum 'Tatort' für den Sonntagabend entwickelt: Rosamunde Pilcher, Barbara Wood, solche Stoffe halt". Hier zitieren wir, Sie erkennen es am Zungenschlag, schon wieder aus der Süddeutschen. Das Konzept stamme von "Autor und Regisseur Tom Bohn, der zahlreiche Episoden der Reihe mit Robert Atzorn und Ulrike Folkerts schrieb und inszenierte". Da handelt sich vermutlich also um sonst als Thomas Bohn bekannten Filmemacher. +++ Wie der MDR Alina Levshin und ihre coolen Kollegen posieren lässt, wirkt übrigens nicht gerade ungeheuer unkonventionell. +++

+++ Jetzt aber zur Digitalisierung. Für die offiziell sog. Elite-Unis ist sie kein Thema, beklagt Norbert Schneider in einem epd medien-Beitrag: "Man überlässt es im Zweifel denen, die beforscht werden sollten, zum Beispiel Google, Geld für diese Arbeit zur Verfügung zu stellen. Das ist ziemlich unexzellent. Elite wird man auf diese Weise nie." +++

+++ Google könnte in seiner Streitgkeit mit der EU-Kommission einem Kompromiss näher kommen, weil es "bedeutende Änderungen seines Geschäftsgebarens zugesagt" hat. Das meldet die FTD unter Berufung auf die englische FT. +++ Ferner will Google die Anonymität nun auch bei Youtube zurückdrängen (TAZ). +++

+++ Ein enorm breites Feld in eher knappen Meldungen bespielt heute die FAZ-Medienseite 29: In den USA wollen republikanische Parlamentarier New York Times-Autoren, die " über sogenannte Tötungslisten der amerikanischen Regierung und den Cyberkrieg Amerikas gegen Iran" berichteten, vors Schwurgericht laden und eventuell einsperren. Es strebten ja "sowieso alle Journalisten an, für den Schutz einer Quelle ins Gefängnis zu gehen, das sei so etwas wie das Kronjuwel eines Lebenslaufes", zitiert die FAZ den Abgeordneten Trey Gowdy (siehe auch huffingtonpost.com). +++ Und in Deutschland habe die GEMA "trotz der massiven Kritik von Betroffenen an den neuen Gebühren" nun ihren ersten darauf basierenden Vertrag geschlossen - mit dem Bund Deutscher Karneval. +++

+++ Ähnlich breit das Feld der besprochenen Fernsehsendungen ebd.. Es geht um den rumänischen Spielfilm "Picknick" um 22.45 Uhr auf Arte ("...verstörend, schonungslos, zugleich ungemein ehrlich und deshalb eine Herausforderung, die sich lohnt") und um "Der Jugendknast" um 22.10 Uhr bei RTL2 ("In Wahrheit aber wird hier in bemühter Action-Manier ein 'Jugendknast' inszeniert, von dem man nicht glauben möchte, dass er als Schule für ein besseres Leben taugt"). +++

+++ Datenjournalismus wird auch im Fußball immer wichtiger. Marin Majica berichtet in der Berliner von einer Neuerung, die Adidas in Nordamerika einführen wird, und stellt den Zusammenhang zur relativ legendären "Ran-Datenbank" her. +++

+++ Ist das Medienboard Berlin-Brandenburg, die lokale Subventionsagentur für Filme aller Art, dem zumindest entstehenden Großflughafen vergleichbar? Nein, es "wurde offenbar nur geschlampt - bereichert hat sich niemand", meint die Süddeutsche in dieser Sache. +++ Toll für Berlin: In der Strategie des Konzerns Hubert Burda Media steht es bald gleichrangig neben Offenburg, München und Hamburg (u.a. kress.de). +++

+++ Eine wenn nicht schöne, dann doch aufschlussreiche Presseschau zur (am Montag im Altpapier gestreiften) deutschen, nun ja: Berichterstattung rund um den Amoklauf in einem amerikanischen Kino hat Lukas Heinser (coffeeandtv.de) verfasst. +++

+++ Was macht eigentlich MTV, das aus dem Blickfeld nicht dafür zahlender Zuschauer verschwunden ist? Es sei, wie auch das frei empfangbare Viva "durchaus auf einem guten Weg", seine Marktanteils-Ziele zu erfüllen. Das berichtet dwdl.de unter Bezug auf Gesprächspartner wie Jin Choi, SVP & Country Manager Germany bei Viacom International Media Networks Northern Europe. +++

+++ Und was die Mainzelmännchen? Wie sieht es bei ihnen mit Frauen aus? "Nur ganz versteckt lässt das ZDF Frauen an die Mainzelmännchen heran. Bei Veranstaltungen des Senders treten regelmäßig überlebensgroße Mainzelmännchen auf, sogenannte Walking Acts - in den Kostümen stecken auch Frauen. Mehr ist nicht drin", heißt's in einer Sommerloch-Reportage des Tsp.. +++

+++ In einer anderen Sommerloch-Reportage, oder zumindest einem Traum davon, sah die TAZ-Kriegsreporterin Klaas und Joko, wie "sie sich zunächst Kugelschreiberminen in die Harnröhre stopften". +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.