Große Journalismus-Generalkritiken: die Schuhe der Verleger, der Leser als junger Hund. Außerdem: warum die Öffentlich-Rechtlichen lieber "Brennpunkte" statt Talkshows senden sollten.
Der Journalismus muss gerettet werden, und zwar zügig und beherzt. Das ist in der Nische schon länger geläufiges Thema, nun könnte es im allgemeinen Bewusstsein nach vorn schießen. Drei große Journalismuskrisen-Erklärungen kommen neu rein, darunter von zweien der bekanntesten deutschen Journalismusgeneralkritiker.
Da wäre erstens natürlich Thomas Knüwer, der auf seinem Foto immer so lieb guckt, als könnte er keinem jungen Hund etwas zuleide tun, aber doch der verlässlichste Verkünder bevorstehenden Totholz-Sterbens ist. Im großen Interview auf vocer.org geht es gleich mit Butter bei den Fischen los:
"Den Journalismus bedroht, ehrlich gesagt, gar nichts. Das Berufsbild des festangestellten Journalisten wird durch den digitalen Wandel massiv bedroht. Der Journalismus selbst entwickelt sich hin zur Tätigkeit und nicht mehr zum Beruf...",
hebt Knüwer an. Ob der Unterschied zwischen Tätigkeit und Beruf in der Bezahlung besteht oder worin sonst, fragt Interviewerin Ulrike Langer leider nicht (sondern: "In welchen Bereichen halten Sie journalistische Innovationen für besonders wichtig?" und im weiteren Verlauf gar noch: "Werden Angebote wie 'WikiLeaks' in der Bevölkerung wichtiger als klassische Medienmarken?"). Die eine oder andere interessante Knüwer-Aussage folgt dennoch, zum Beispiel:
"Tageszeitungen sterben, kommen wir drüber weg. Auf dem Land werden sie vielleicht noch am längsten bleiben, weil viele lokale Themen von den nationalen Medien nicht abgedeckt werden. Die wirtschaftliche Entwicklung zeigt aber einen Rückzug der Unternehmen aus dem Bereich der Printanzeigen. Handelsketten wollen nicht mehr für Zeitungsbeilagen bezahlen, wenn es auch komplett digital geht..."
[+++] Der andere prominente Journalismusgeneralkritiker heißt Thomas Koch und ist von Beruf bzw. Tätigkeit ebenfalls Berater in Düsseldorf. Seine "In den Schuhen deutscher Verleger möchte ich nicht stecken"-Ansprache, die mit der tröstlichen Wendung endet, dass er eigentlich doch "sehr gern" in den Verlegerschuhe stecken wollen würde, wenn die Verleger bloß endlich begreifen würden, wohin die Reise geht und worauf es ankommt... diese Rede also war vor drei Wochen hier Thema, ist seit einer Woche bei horizont.net (sowie in Kochs Posterous-Blog) abrufbar und steht heute auch auf der FAZ-Medienseite. Dort ist sie nicht mit einem Foto von Koch illustriert, sondern mit einem von Warren Buffett (der im Text vorkommt, was natürlich ein geschickter Kniff ist: Wenn Verleger irgendwen respektieren, dann ja wohl erfolgreiche, ähm... Investoren).
[+++] Außerdem gerettet werden muss der Fernsehjournalismus. Sagt übrigens auch Knüwer (auf die Frage nach journalistischen Innovationen: "Am nötigsten hätte das Fernsehen eine paar Innovationen. Die Zuschauer von morgen haben sich das lineare Fernsehen abgewöhnt"). Dazu hat die Medienseite der Süddeutschen ein paar Anregungen. Johan Schloemann schreibt dort (S. 37) ein großes Stück anlässlich der gerade mehr oder weniger herrschenden Talkshow-Sommerpause (die es ja so richtig nicht mehr gibt; vgl. Altpapier).
Schloemann kann schon deshalb große Bögen schlagen, weil er als Sachbuch- und Geisteswissenschaften-Redakteur nicht mit dem täglichen Kleinkram befasst ist, welche Talkshow nun gerade welche Einschaltquoten erzielt. Nicht ohne populär zu sein, z.B. mit vergleichsweise unverbraucht erscheinenden Vergleichen ("Talkshows im Fernsehen sind für viele so etwas wie die Deutsche Bahn im Verkehrswesen: Dampfablasser") und den in elektronischen Medien unverzichtbaren Alliterationen ("Es gibt zudem noch viel Schlimmeres im öffentlich-rechtlichen Fernsehen: Pilawa, Pilcher, Precht"), schlägt er etwa diesen:
"Es war eine ziemlich hirnrissige Idee, das tägliche Abendprogramm und die sogenannten Formate nach dem Proporz zwischen bestimmten Moderatoren auszurichten, anstatt es umgekehrt zu machen - also erst eine halbwegs sinnvolle Programmstruktur, dann die Besetzung mit Köpfen. Die ARD hat nun eigentlich gar keine andere Wahl als umzusteuern, sonst gleicht ihr Programm bald jener Parzellierung von Grundbesitz, die in früheren Jahrhunderten durch die Aufteilung von Höfen unter mehreren Erben entstand und in den Ruin führte. Der agrarische Fachbegriff für die Reparatur dieses Zustands heißt: Flurbereinigung."
Formatierung wäre wiederum der Fachbegriff des Fernsehens (der leider auch nur selten hinterfragt wird). Dass für eine grundsätzliche Reform zunächst die historisch gewachsenen Flure der Landesrundfunkanstalten selber, die, um im betagten Bild zu bleiben, all ihre Erbhöfe verteidigen, bereinigt gehörten, gehört zu den Details, in die Feuilletonisten wohl nicht gehen müssen. Dennoch gelingt Schloemann jedenfalls eine sehr treffende Analyse:
"Dem Aufstieg der politischen Talkshows steht nämlich ein Mangel an Weiterentwicklung der Nachrichtensendungen gegenüber. Dadurch ist die Balance zwischen Analyse und Meinung im deutschen Fernsehen insgesamt durcheinandergeraten",
wie sich auch daran zeige, dass die Nachrichtenmoderatoren gern auf "interessante Hintergründe... auf der Internetseite der Sendung" verweisen, obwohl es "doch genau umgekehrt" sein müsste: "Online stehen die Nachrichten, und die Spätnachrichten liefern mir Hintergrund und Analyse". Einen Lösungsvorschlag hat Schloemann auch, nämlich
"zur Debatte über Beschneidungen, zur Euro-Krise oder zum Länderfinanzausgleich lieber einen zwanzigminütigen oder halbstündigen Nachrichtenschwerpunkt machen als eine weitere Talkshow ins Leben zu rufen. Das Potenzial der Korrespondenten würde besser genutzt, und man würde auch mal ein fünf- bis siebenminütiges Streitgespräch in die Spätnachrichten einbauen... ... Nur wenn etwas Dramatisches passiert, gibt es einen 'Brennpunkt' oder ein 'Spezial'. Vielleicht wäre es die bessere Antwort auf die Flut der Talkshows, jeden Abend einen Brennpunkt zu machen."
Das kann so gleich auf die Tagesordnung der nächsten ARD-Intendantenrunde.
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[+++] Und das ist wiederum auch trotz allem das Schöne am deutschen Journalismus: An Lösungsvorschlägen und Innovationsideen herrscht kein Mangel. Etwas derartiges sprang gerade aus einem "Fachmagazin für Journalisten" (vielleicht dem medium magazin, vielleicht einem anderen) dem TAZ-Kolumnisten Ambros Waibel ins Auge, und zwar aus einem Bericht über einen Reporterforum-Workshop:
"Spiegel-Redakteur Cordt Schnibben wird von dort mit dem Satz zitiert 'Man muss sich den Leser heute als jungen Hund vorstellen.' Und das Magazin fragt seine Leser: 'Wie also dressiert man das Hündchen?' Cordt Schnibben findet aber nicht nur, dass Sie, lieber Leser, ein junger Hund sind; er findet auch, dass Sie 'der schlaue Hund' sind, der heute alle Tricks der Reporter schon kennt. Und deshalb 'müssen wir schlauer sein als der Hund'".
Bei aller "Sie, lieber Leser"-Nervigkeit des TAZ-Kolumnenformats (das auch nicht im Brennpunkt des Interesses selbst der TAZ-Redakteure zu stehen scheint; "Matthias Lohres gestrige Kolumne 'Vaterschaft in Erklärungsnot' ist zum zweiten Mal erschienen. Wir bedauern diesen Fehler", lautet der letzte Satz des Zeitungstextes) macht Waibel da einen wichtigen Punkt: Vielleicht sind "innerjournalistische Dramaturgiediskussionen" nicht immer nur Teil der Lösung, sondern teilweise auch Teil des Problems.
+++ Dennoch: Sätze, die "catchy" (Schnibben? Waibel jedenfalls) sind, bleiben auch dann im Gedächtnis, wenn die Zusammenhänge, denen sie entstammen, eher gleichgültig sind. Der Satz "Reichweite haben auch Schnitzel, die man vom Kirchturm wirft" z.B.: Ob ihn jetzt Stephan Scherzer äußerte, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Zeitschriftenverleger, den die Süddeutsche porträtiert, oder die Autorin Claudia Tieschky ihn selbst ersann, ist unklar. Aber er hallt nach, auch wenn der Text (Anlass: wiederum die Journalismuskrise, die dem Zeitschriftenabverkauf ja besonders zu schaffen macht; Scherzer jedoch ist ein gnadenloser Optimist à la "Warum, fragt er, sollte etwa 'Landlust' nicht auch E-Commerce betreiben, den andere erfolgreich praktizieren?") längst wieder vergessen sein wird. +++
+++ Was tun, wenn das Leistungsschutzrecht tatsächlich kommen sollte? "Zunächst Abschalten, d.h. alle Texte der letzten zwölf Monate offline stellen, wenn man 'gewerblich' tätig ist. Außerdem sollten sie in den Texten der letzten 12 Monate Links oder Textzteilen entfernen, soweit diese auch nur mehrere Worte des Original-Artikels enthalten. zudem sollten sie Links ändern auf neutrale Worte wie 'hier' sowie Zitate vorerst, je nach Risikobereitschaft, vorsichtshalber streichen...", das rät der aus ehemaliger Elektronikdiscounterwerbung bekannte, aber auch als Anwalt kompetente "streitbare Medien- und Markenanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel" (wuv.de). Der Rat geht an "kleine Fische" im Internet, die dennoch im diffusen Sinne des (noch nicht verabschiedeten) Gesetzes "gewerblich" unterwegs sind. +++
+++ Es ist nicht alles schlecht im deutschen Fernsehnachrichtenjournalismus. N24-Chefreporter Steffen Schwarzkopf war sogar in Syrien. Beim Interview, das er dem Tagesspiegel dazu gibt ("In Homs wurden uns von den Regierungsvertretern Galgen präsentiert, die angeblich von den Rebellen zur Ermordung von Assad-Anhängern genutzt wurden. Aber es war ganz klar, dass die Galgen erst kurz vor unserer Ankunft aufgestellt worden waren und gar nicht funktionieren könnten. Trotzdem war das Regime offensichtlich überzeugt, dass wir die Bilder so transportieren, wie wir sie filmen. Dass wir die gezeigten Situationen anzweifeln oder das Material auch gegen das Regime verwenden könnten, so weit haben sie nicht gedacht"), ließe sich drüber streiten, ob es über Syrien oder über N 24 aufschlussreicher ist. +++ Außerdem hat der Tsp. unter der lustigen Überschrift "Rudolf Heß folgt Adolf Hitler" aus irgendwie aktuellem Anlass ein paar Infos zu Nazi-Stoff im weiten Internet zusammengestellt. +++
+++ Paywill statt Paywall: taz.de verzeichnete, seitdem im Oktober 2011 das Modell der "Freiheit im Abo" eingeführt wurde, Einnahmen von 53.192,49 Euro. "Das reicht zwar bei Weitem noch nicht aus, die Kosten von taz.de zu decken, ist aber sehr ermutigend", heißt es im TAZ-Hausblog. +++
+++ Auf Carta weist Thomas Stadler das von Sascha Lobo gefordete "Telemediengeheimnis"-Gesetz zurück, weil es dort, wo z.B. Facebook sitzt, nicht gelten würde. Leonard Novy wiederum weist darauf hin, dass die Praxis der Zitate-Autorisierung bei Interviews, von der es hierzulande oft heißt, sie würde in den USA nicht geübt, doch "zur Standardpraxis in Washington" gehöre. +++
+++ Gestern gab's einen kleinen DPA-Drehbericht zum neuen Saarland-"Tatort" mit Devid Striesow. Heute gibt's einen großen in der FAZ (S. 31): "Der neue Hauptkommissar heißt Jens Stellbrink.... Elisabeth Brück übernimmt die Rolle der Hauptkommissarin Lisa Marx. Ein ungleiches Team. Stellbrink fährt Vespa, handelt nach klaren moralischen Prinzipien und ist laut Christian Bauer, dem 'Tatort'-Redakteur im Saarländischen Rundfunk, ein 'liebenswerter, eher weicher Typ'. Sein hervorstechendstes Merkmal ist sein trockener Humor. Ganz anders Lisa Marx...", wird der erfrischende Ansatz umrissen. +++
+++ "TV-Verbrechen direkt melden" können Nutzer "auf der Plattform www.kalkwatch.de", verkündet der Privatsender Tele 5, der ab Oktober wegen Oliver Kalkofe eingeschaltet zu werden dient. Einen "kleinen Appetithappen" hat er auf Youtube gestellt. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.