Deutschland, Deine Sender

Starke Vielfalt an Künstler-Dokumentationen. Außerdem: der Karren von Google, der Kugelschreiber der Industrie, der "Paywill" der Zeitungsleser. Und alle Radiosender (außer dann doch so einigen) werden mehr gehört.

Heute abend im sog. Ersten heißt es wieder: "Deutschland - Deine Künstler". Star der ersten Folge der neuen Staffel ist die darstellende Künstlerin Hannelore Elsner, die demnächst, unglaublich, aber wahr, 70 Jahr wird, und dem breiten Publikum vor allem aus Sendern wie Das Erste bekannt ist. Gelinde Zweifel, ob es denn sinnvoll ist, wenn eine große öffentlich-rechtliche Institution wie die ARD unter dem ohnehin unsäglichen Reihentitel auch noch geläufige Prominente aus ihrem eigenen Programm abfeiert, stärkt die freundliche Besprechung der Sendung in der FAZ zumindest implizit:

"Die Regisseurin Inga Wolfram nähert sich Hannelore Elsner in ausgedehnten Interviews, in Filmausschnitten und Szenen von aktuellen Dreharbeiten. Regisseure, mit denen sie zusammengearbeitet hat, äußern sich bewundernd: Oskar Roehler lobt ihre Präsenz und Offenheit, Dani Levy, mit dem sie 2006 bei 'Alles auf Zucker!' zusammenarbeitete, ihre Risikobereitschaft und Experimentierfreude. ... Auch Elsner selbst äußert sich eher in Gemeinplätzen, während sie die Kamera im Zug, am Strand oder bei einer Autofahrt durchs verschneite Bayern zeigt. ...Keine Spur von Selbstzweifel, keine Konflikte. Obwohl es sie in dieser langen Karriere sicherlich gegeben hat: Hier kommen sie nicht zur Sprache",

schreibt Lena Schipper. Achtung übrigens, wenn Sie hier zum offiziellen Internetauftritt von "Deutschland - Deine Künstler" klicken: Die zwischen Elsner und dem Fernsehschauspieler Matthias Brandt, bekannt aus "Polizeiruf 110" und nächsten Mittwoch in derselben Reihe porträtiert, abgebildeten Herren sind keine Künstler im Sinne der Reihe, sondern der ARD-Chefredakteur Thomas Baumann und der SWR-Fernsehdirektor Bernhard Nellessen, die halt jeweils Presseheftvorworte gedichtet haben.

Und falls Sie lieber eine frei online verfügbare Besprechung des Elsner-Porträts lesen möchten, so bietet das Hamburger Abendblatt eine an:

"Für die Künstler-Reihe begleitet sie die Autorin Inga Wolfram zur ersten Lesung aus ihrer Autobiografie 'Im Überschwang', in dem Elsner viel aus ihrer Kindheit erzählt...".

[+++] Warum an diesem Mittwoch diese, nun ja: Dokumentation ins Auge springt: weil die ARD mit edlen Vierfarbanzeigen in großen Qualitätszeitungen dafür wirbt. Und also mit ein wenig von ihren GEZ-Gebühren der gedruckten Presse unter die Arme greift, der es bekanntlich nicht allzu blendend geht. War gestern die jüngste Auflageentwicklung der Zeitschriften Thema des Tages (siehe Altpapier; Nachklapp heute zuzüglich der aktuell bestätigten Einstellung der Zeitschrift Yuno im Tsp.), so wurde gleich anschließend bei den Zeitungen abgerechnet.

Vom großen Auftritt des Hauptgeschäftsführers des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, Dietmar Wolffs also, dieses "Mannes von Statur, den normalerweise nichts so schnell aus der Fassung bringt" (Bülend Ürük, newsroom.de), berichten die Zeitungen Tagesspiegel und Süddeutsche.

In ersterer geht es um Wolffs Wortschöpfung "Paywill", die das Thema, auch im Internet Geld verdienen zu wollen, schöner andeutet als "Paywall". Und in der Süddeutschen (S. 31) schildert Christoph Giesen, wie Wolff einen Kugelschreiber des Bundesverbands der Deutschen Industrie mitbrachte, um sich anhand des darauf angebrachten Aufdrucks "BDI schützt geistiges Eigentum" darüber zu echauffieren, dass dieser BDI gegen das sog. Leistungsschutzrecht ist, das der BDZV unterstützt. Da lasse sich der Verband "vor den Karren von Google" spannen (newsroom.de).

Um Zahlen geht es natürlich auch in den Berichten. "Derzeit geht es der Branche auch ohne Leistungsschutzrecht noch ordentlich" (Süddeutsche), nur 0,1 Prozent weniger Umsatz. Die volle Dröhnung Wolff gibt's beim BDZV selbst unter der Überschrift "Zeitungen in der Offensive": Von Argumenten gegen Leistungsschutzrecht-Gegner ("gewerbliche Kopisten", "Schattenwirtschaft"...) bis zu einer Fülle neuer Geschäftsideen, für die "Zeitungsverlage ...geradezu prädestiniert" seien, wie etwa "Weiterbildung, Events, Games und im B-2-B-Bereich Dienstleistungen für Unternehmen, Organisationen und Institutionen" ist für jeden etwas dabei.

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[+++] Der heutige Medienmedien-Cocktail enthält selbstredend ebenfalls eine kompetente Vermutung, wohin die Reise wirklich geht. Der Chefredakteur jener amerikanische Großstadt-Zeitung, die ab Oktober als erste ihr tägliches Erscheinen auf dreimaliges pro Woche zurückfahren und zwischendurch dann nurmehr digital erhältlich sein wird, der The Times-Picayune aus New Orleans, gibt der TAZ ein Interview.

Jim Amoss sagt u.a.:

"Die Medienunternehmen müssen sich einfach etwas einfallen lassen, wie sie mit sinkenden Anzeigenverkäufen, sinkenden Auflagen und der Verlagerung von Nachrichten ins Internet umgehen. Die Frage ist: Wie kann man einerseits Zeitungsleser halten und andererseits im digitalen Bereich wachsen. Das sind die Trends auf dem Zeitungsmarkt. Das ist in Deutschland doch nicht anders, oder? "

Nein, antwortet die TAZ, der vermutlich jeder hiesige Verlagsgeschäftsführer beinahe vollständig dasselbe sagen würde.

[+++] Und in noch einer Mediengattung wurde gerade wie bei Zeitungen und Zeitschriften wieder kräftig abgerechnet. Im Radio können weder Klicks noch verkaufte oder verteilte Exemplare gezählt werden, "die Einschaltquoten im Radio werden nicht gemessen, sondern hochgerechnet auf der Basis von zwei Hörerbefragungen im Jahr", erklärt Radio-Fachmann Stefan Fischer in der Süddeutschen.

Gerade war wieder Media-Analyse. Als "Begleitmedium zum Internet", wie die TAZ schreibt,  erreiche das Radio immer mehr junge Mediennutzer: Die "tägliche Radionutzung hat in allen Zielgruppen zugenommen".

Nur in Berlin überhaupt nicht, wo acht Sendern mit steigenden Hörerzahlen elf mit sinkenden Hörerzahlen gegenüberstünden, wie der Tsp. errechnete ("Unterm Strich beträgt das Minus somit 30.000 Hörer in der Durchschnittsstunde"). Und Fischer hat in der SZ noch einen interessanten Verlierer-Sender identifiziert - den, der durch die Proteste der Radioretter überregionale Bekanntheit gewann:

"WDR3 laufen die Hörer davon. 190.000 Menschen haben das noch nicht reformierte Programm täglich eingeschaltet, 30.000 weniger als bei der letzten Befragung. Die Reichweite liegt bei selbst für eine Kulturwelle bescheidenen 1,2 Prozent. Zum Vergleich: BR Klassik hat 240000 Hörer, in einem kleineren Sendegebiet."

Der WDR-Hörfunk ist nach eigenen Angaben aber selbstverständlich dennoch "der große Gewinner der Media-Analyse". Und überhaupt ist der Orkan der Jubelmeldungen, den die MA wieder bei den Radiosendern entfesselte, sicherlich kaum lesens-, aber doch vielleicht anschauenswert. Denn was immer man der deutschen Radiolandschaft vorwerfen kann: dass sie nicht sehr viele unterschiedliche Kanäle enthält (auf denen teilweise auch vielfältige Programme gesendet werden), das nun wirklich nicht.

Was übrigens auch für die Künstler-Dokumentationen des Fernsehens gilt. Außer eingeschränkt das heutige Elsner-Porträt empfiehlt die FAZ auf ihrer Medienseite auch noch "Gustav Klimt - Der Geheimnisvolle" auf Arte anzugucken. Allerdings beginnt die Sendung ebenfalls um 21.45 Uhr. Wer linear fernsehen möchte, muss sich dann zwischen den Künstlern Klimt und Elsner entscheiden...


Altpapierkorb

+++ Immer mehr verdichten sich auch in deutschsprachigen Medien die Anzeichen, dass die BBC nicht mehr ist, was sie mal war. "Kurz bevor der Film am Montag dieser Woche um 21 Uhr auf BBC 2 laufen sollte", wurde "The Riots: In Their Own Words" über die Londoner Unruhen im Sommer 2011 "aus dem Programm genommen" (TAZ knapp). +++

+++ Ebenfalls nicht mehr, was sie einst waren: Filmrollen. "Ich habe in den letzten zwölf Jahren in 54 Filmen mitgespielt", sagt Franz Dinda zur Süddeutschen, die ihn für ihren Medienseiten-Aufmacher porträtiert. Aber dass es sich bei ihm um einen Schauspieler handelt, muss man halt doch immer dazu schreiben. "Er gewann auch diverse Nachwuchspreise, aber noch fehlen ihm die prägenden Hauptrollen", informiert Judith Liere: "Die Geschichte der Karriere des Franz Dinda ist keineswegs traurig - allerdings ist sie sehr typisch für die deutsche Fernsehfilmlandschaft". +++ Wie man es richtig macht, demonstriert Devid Striesow: Irgendwann muss man als deutscher Schauspieler mit Ambitionen einfach seine erste Kommissars-Rolle haben. Es gibt ja genug davon. Striesow, früher "Bella Block"-Assistent (dabei ein guter Schauspieler), bekleidet inzwischen das "Tatort"-Kommissars-Amt des Saarlandes. Der Tsp. bringt einen DPA-Drehbericht zu den beiden ersten Filmen. +++

+++ Vielleicht noch ein Nachbesserungs-Nachtrag fürs oben erwähnte Leistungsschutzrecht: die "Modalitäten zur Nutzung der Website 'London 2012'", die Vera Bunse bei Carta entsprechend vorsichtig verlinkt... +++

+++ Der jüngsten Facebook-Aufregung gehen die Berliner Zeitungen BLZ und Tsp. nach. +++ "Blogger Sascha Lobo sagt auf Spiegel Online, Facebook kollidiere mit dem Grundgesetz", heißt's in letzterem Text. "Da, wo Lobo und die Samwers sind, an den Plätzen an der Sonne und bei 'Spiegel Online', da wollen sie alle hin und Gastbeiträge schreiben oder was auch sonst immer nötig ist, um an diese tausend Euro zu kommen, solange es kein Bedingungsloses Grundeinkommen für sie gibt", schreibt Rainer Meyer, der ja "unter dem Namen Don Alphonso einer der bekanntesten deutschen Blogger" ist, im nicht durch Freundlichkeit bestechenden Beitrag "Diese verflixten tausend Euro" über die eine Berliner Digitalfreundeszene vorn auf dem FAZ-Feuilleton. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.