Neue Stellungnahmen an der Papst-/ Titanic-Front: Die CSU könnte eine "Lizenz zum Schreiben" fordern. Und Neues von Abgründen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Es hat bereits mit der Aufzeichnung seiner Oktober-Kochshows begonnen.
Es geht weiter lebhaft zu in der Auseinandersetzung (siehe Altpapier gestern) zwischen dem römischen Kirchenstaat Vatikan und Papst Benedikt XVI. einer- und der Frankfurter Satirezeitschrift Titanic andererseits, verkörpert von Chefredakteur Leo Fischer. Beide Seiten bekommen publizistische und prominente Unterstützung.
Während gelinde Verwunderung herrschen mag, dass ein global aktiver Papst bzw. seine Vertreter in dieser weder geschmackvollen noch erst recht brisanten Sache den völlig gewöhnlichen deutschen Rechtsweg beschreiten (und Telepolis auf regensburg-digital.de verweist, das darin bereits "neuen Wind" durch den gerade erst als Glaubenskongregations-Leiter bzw. als "Großinquisitor", wie diese auch nicht gerade papstfreundliche Webseite es formuliert, nach Rom berufenen Regensburger Bischofs Gerhard Ludwig Müller sieht)... während einen also das römische Einschlagen des deutschen Rechtswegs wundern kann, hat aus demselben Anlass bereits ein Politiker eine Veränderung des Rechts selbst vorgeschlagen.
Thomas Goppel von der CSU, auch Sprecher der Christsozialen Katholiken (CSK), brachte die "Lizenz zum Schreiben", die in solchen Fällen entzogen gehörte (und also zunächst einmal als Rechtsbegriff geschaffen und anschließend Befugten erteilt werden müsste), ins Gespräch. Wo? Gegenüber der Nachrichtenagentur DAPD, meldet dwdl.de, das überdies nachfasste und die Anregungen von Goppel (auch auf Twitter unterwegs) leicht konkretisiert bekam. Es gehe durchaus darum, "hier geltendes Recht nachzujustieren".
Eine zumal, was Empörungs-Power angeht, Goppel gleichrangige Koryphäe hat sich auf Seiten der Titanic geschlagen: der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes, Michael Konken.
"Auch der Papst muss sich Satire gefallen lassen. Er wurde von Titanic als Sinnbild für die Kurie des Vatikan mit satirischen Mitteln an den Pranger gestellt, der die Vatileaks-Affäre anhaftet. Das ist legitim",
zitiert der DJV Konken in gewohnter Prägnanz. Mit seiner Ermunterung der Titanic, auch selber den Rechtsweg weiter zu beschreiten, also gegen die Einstweilige Verfügung vorzugehen, beweist Konken Kenntnis der komplexen deutschen Medienjustizlandschaft: "Es wäre nicht die erste Entscheidung des Landgerichts Hamburg gegen ein Medium, die auf dem Weg durch die Instanzen keinen Bestand hätte."
Auch dazu gibt es eine fundierte Gegenmeinung: "Der Fall ist so eindeutig, wie ich es selten erlebt habe", sagt im ausführlichen Tagesspiegel-Interview der Berliner Medienanwalt Christian Schertz:
"Die Gestaltung der Titelseite und der Rückseite des Magazins verletzen eindeutig die Menschenwürde des Papstes. Es gibt keinen Grund, ihn derart entwürdigend zu zeigen. Der Umstand, dass es eine Vatikanleaks-Affäre gibt, also geheime Dinge aus dem Vatikan nach außen gedrungen sind, rechtfertigt es in keiner Weise, ihn gewissermaßen als inkontinent darzustellen."
Mangels sachlicher Ansatzpunkte hätten die Titanic-Fotomontagen mit Satire nichts zu tun, plädiert Schertz, und findet es auch richtig, dass der Papst dagegen vorgeht, so "ekelerregend und menschenverachtend" seien sie. Was übrigens nicht heißt, dass er Goppels Initiative begrüßt:
"Solche Reaktionen sind genauso absurd wie das 'Titanic'-Cover selbst, und sie zeigen mal wieder, wie manche Politiker bei spontanen Reaktionen den Rechtsstaat vergessen können oder einfach keine Rechtskenntnisse haben. Wir haben im Artikel fünf des Grundgesetzes die klare Regelung, dass eine Zensur nicht stattfindet. Das ist ein unbrechbares Gebot."
Dass Goppel zumindest, als dwdl.de nachfragte, kaum mehr im Affekt gesprochen haben dürfte, haben wir ja schon oben belegt.
Weiteres zum Thema im Schnelldurchlauf: Georg Altrogge, der meedia.de-Chefredakteur, neigt auch zur Meinung, dass die Titanic juristisch wenig Chancen habe. Die FAZ-Medienseite meldet unter der Überschrift "Vatikan gegen Titanic – 1:0", dass das Satireblatt "am Dienstag und Mittwoch mehr als hundert neue Abonnenten" bekommen habe, "im Gegensatz zu sonst rund zehn am Tag", wie Fischer zur FAZ sagte - was freilich auch wieder ein Scherz gewesen sein könnte). Und in der TAZ bringt Uli Hannemann die circa 155.000. deutsche "-gate"-Wortschöpfung ("Uringate um Papst Benedikt") und springt gegen "die heiligen Leberwürste" der Titanic bei, allerdings auf Niveaus, die Leo Fischer vermutlich ungern in sein Blatt ließe.
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[+++] Damit an völlig öffentlich-rechtliche Abgründe. Stefan Niggemeier hat für sein Blog (bzw. zur Abverkaufsverförderung der aktuellen Spiegel-Ausgabe, die man untendrunter online erwerben kann) zwei Medleys typischer Szenen des ZDF-Entertainers Markus Lanz zusammengeschnitten. Eines dauert 20 Minuten und ist sehr aufschlussreich, das andere dauert zweieinhalb Minuten.
Geschrieben hat Niggemeier vor allem im aktuellen Spiegel über Lanz, in diesem Blogeintrag schreibt er für seine Verhältnisse recht wenig, aber u.a. dies:
"Das Schlimmste an alldem ist die Ahnung, dass Lanz alles richtig macht. Dass das vom ZDF genau so gewollt ist. Dass der Sender sich vorstellt, dass seine Zuschauer so unterhalten werden wollen: so routiniert, so manieriert, mit dieser Mischung aus Wichtigtuerei und Besinnungslosigkeit - Anarchie für Leute, die es anarchisch finden, den Käse im Kühlschrank mal ins Gemüsefach zu legen."
Diese Ahnung ist eigentlich natürlich Gewissheit: Lanz ist die Gestalt, in der das ZDF die rundfunkpolitischen Auseinandersetzungen der mittleren Zukunft zu überleben hofft. Das sieht man im ZDF-Programm, das sagt der noch immer relative neue Intendant Thomas Bellut immer wieder im Rahmen seiner Interviewtournee (die ihn vor einer Woche zur Zeit geführt hat und zuletzt zur überregional eher unbekannten, aber am Sendersitz Mainz erscheinenden Allgemeinen Zeitung führte; dort gab er zum Besten, dass er sieben bis acht Millionen Zuschauer fürs neue "Wetten, dass ..?" erhofft). Und daran wird permanent emsig gearbeitet.
Sogar sonntagmorgens in Hamburg-Tonndorf, wo das Studio Hamburg steht. Thomas Klein war für die Berlin-Frankfurter DuMont-Presse dort, und zwar, als sage und schreibe drei "Lanz kocht"-Shows en suite aufgenommen wurden - darunter eine, deren Ausstrahlung im Oktober, "genau einen Tag bevor Markus Lanz am 6. Oktober in Düsseldorf zum ersten Mal 'Wetten, dass ..?' moderieren wird", eingeplant ist:
"Jetzt tritt er entspannt aus der Kulisse, schmaler Anzug, tailliertes Hemd. Er bittet sein Publikum ironisch um 'frühherbstlichen' Gesichtsausdruck und erklärt einem Zuschauer, dessen Flip-Flops kämen garantiert nicht ins Bild. Für Lanz ist die Koch-Sendung ein Heimspiel, die Köche Alfons Schuhbeck, Tim Mälzer, Stefan Marquard, Alexander Herrmann und Andreas C. Studer sind ganz alte Bekannte..."
Und auch wenn Klein sich dann als Teil der Lanz-Freunde-Fraktion entpuppt und lieber bekannte Fakten rekapituliert als weitere Showaufzeichnungs-Impressionen preiszugeben, macht einen sein Artikel für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gruseln.
+++ "Solche Witze mögen Wut und Ekel auslösen, aber justiziabel sind sie nicht", diese Aussage des Law-Bloggers Udo Vetter bekam Marin Majica (BLZ) nicht in Papst-Dingen, sondern zu einer "pädophilen Comicfigur" namens Pedobär, die kürzlich auf Facebook kursierte, inzwischen aber, nachdem Nutzer gegen geschmacklosen Witze "Sturm gelaufen" seien, verschwunden ist. Majica hat auch eine Vermutung, wer dahinter gesteckt haben könnte. +++
+++ Auch was mit Comic-Tieren, aber harmloser, wenngleich "auf den Subseiten der Fanforen ...die Ponypornoszene" florieren soll: das phänomenale Treiben um die Zeichentrickserie "My little Pony", welches am Samstag "im niedersächsischen Städtchen Bramsche" auf einem "My Little Pony Marathon" kulminieren soll. In der FAZ führt Marie Katharina Wagner aus diesem Anlass ausgiebig in diesen Themenkomplex ein. Anschlussfähig ans heutige Altpapier: Stephan Urbach, auch bekannt aus Piratenpartei-Kontext, soll im April in Markus Lanz' Show bereits davon erzählt haben. +++
+++ Nachhall zur Aufregung ums Meldegesetz: Im SZ-Feuilleton schreibt Detlef Esslinger unter der Überschrift "Das große Faseln": "Zum Teil sind es doch ein und dieselben Leute, die 'Sodele, jetzt Musik an und dabei Wohnung putzen.;-))))' für mitteilenswert halten, per Foto vom griechischen Urlaubsort ihre Abwesenheit von zu Hause dokumentieren (und damit zugleich bekannt geben, wo sie heimzusuchen wären), oder durch die Art ihrer Kommentare aller Welt offenbaren, dass Häme einer ihrer Hauptcharakterzüge ist - und die zugleich Unbehagen darüber zum Ausdruck bringen, dass das Einwohnermeldeamt Firmen womöglich den Abgleich von Name, Straße, Hausnummer und Postleitzahl ermöglicht." +++ Und nachdem wir oben schon zu Thomas Goppel verlinkten: Hier geht's zur Webseite Hans-Peter Uhls (auch CSU), auf der eine kurze Erklärung zum Melderecht steht (und eine längere auf Abruf wartet), worauf der Tagesspiegel hinweist. +++ "Aber wenn's sein muss, nimmt der Innenpolitiker auch mal etwas zurück" (TAZ). +++
+++ Um jetzt aber nicht nur Homepages von CSU-Würdenträgern, sondern auch mal zur Linken zu verlinken: Dieter Dehm freut sich auf seiner ausgelassen, dass er nicht bloß 15 Minuten, nein: 18 Stunden lang ein Star auf bild.de war. Darauf, also darauf, dass Springer den Artikel offenbar gelöscht hat, weist die TAZ (via Neues Deutschland) hin. +++
+++ "Man wägt eben ab, ob es wert ist, in die Konfrontation zu gehen", sagte Ringier-Konzernsprecher Edi Estermann pragmatisch (zur Süddeutschen, S. 47), nachdem die schweizerische Boulevardzeitung Blick ein "Abmahnschreiben nebst einer Unterlassungsverpflichtungserklärung" vom Berater des Fußballspielers Mario Götze bekommen hatte. Grund: Das Blatt hatte, wohl auch online, ein Foto des Fußballers "mit einer nicht zu übersehenden Erektion" präsentiert. Die Abwägungen bei Ringier haben dann dazu geführt, dass das Bild nicht mehr zu sehen ist - zumindest im ursprünglichen, "redaktionellen" Kontext. +++
+++ Zu den Platzhirschen, die ins Red Bull-Imperium wechseln, könnte auch ZDF-Hauptredaktionsleiter für Reihen und Serien, Klaus Bassiner, zählen, meldet die Süddeutsche. An ihm sei Servus TV interessiert. Angesichts des schönen Fotos hier (rechts oben) könnte das gut passen. +++ Bei der ARD und wohl auch bei Bayern München bleibt indes Mehmet Scholl (dies.). +++ Sehr sehr freuen dürften sich das ZDF und sein häufiger Auftragnehmer Oliver Berben über den Aufmacher der SZ-Medienseite, einen ungeheuer freundlichen Drehbericht über den kommenden, von Uli Edel inszenierten ZDF-Film "Hotel Adlon". +++
+++ "Der Begriff 'Honorar' wurde inzwischen branchenweit von der 'Aufwandsentschädigung' verdrängt" - noch nicht im Journalismus, aber im boomenden Fernsehsegment der Scripted-Reality, über das evangelisch.de einen Überblick gibt. +++ Der zeitungskritische Auftritt des "Media-Urgesteins" Thomas Koch auf dem "Zeitungsgipfel" war vor zwei Wochen im Altpapier Thema. Was er dort sagte, hat der Veranstalter Horizont nun ins Netz gestellt. +++
+++ Heute auf 3sat, zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr: die Dokumentation "Freiheit fürs Internet". Sie "zeigt Möglichkeiten, die Zensur zu umgehen. Seinen Zuschauern traut die Doku jedoch kaum Kompetenz zu, diese auch zu verstehen", schreibt dazu die TAZ. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.