Zeitschriften wirken!

Cover-Aufregungen von Titanic bis Weltwoche (aber auch wegen eines von brand eins gestalteten Magazins). Außerdem: Das neue Meldegesetz könnte dem Freistaat Bayern, aber auch Zeitungen helfen.

Da sprühen natürlich die Funken, wenn der infallible Papst Benedikt XVI. persönlich gegen das Satiremagazin Titanic, das seinerseits auch nicht mehr ist, was es mal war, aber mit Bonusmaterial wie Anwaltsfax-Foto, unjustiziablem Fortsetzungs-Gag und internationaler Presseschau gern und breit nachlegt, vorgehen lässt.

Und wenn also alle Nachrichtenportale dies vermelden müssen und wollen und dafür natürlich auch den Gegenstand der Streitigkeit in Worte wie "Pipi-Satire" (Springers welt.de, voller Überschriften-Wortlaut: "Der Papst geht zu Recht gegen die Pipi-Satire vor") und "Pinkel-Cover" (horizont.net) oder Add-on-Gags à la "Benedikt lässt nicht laufen" (taz.de) oder "Unheiliger Stuhl" (SPON) kleiden müssen. Gewiss haben viele Redaktionen gründlich abgewogen, ob sie das umstrittene Cover der aktuellen Titanic mit Vorder- und Rückseite gar nicht zeigen (wie evangelisch.de in seiner Meldung) oder vollständig dokumentieren wie z.B. taz.de, nur einen unverfänglichen Teil zeigen wie welt.de oder bloß ein ganz bisschen vom verfänglichen wie SPON hier.

Die Rechtslage sieht tatsächlich wohl so aus, dass "Titel- und Rückseite der aktuellen Ausgabe" der Titanic "nicht mehr abgedruckt, aber weiter verkauft werden" dürften, wie die gedruckte TAZ knapp ("Halleluja") meldet. Was aber nur die Titanic betrifft. Davon, dass dieses Verbot nicht anderswo erscheinende Fotos von Titel- und auch Rückseite ihrer aktuellen Ausgabe betrifft, die ja Gegenstand weitverbreiteter Meldungen sind, kann man ausgehen.

Die Titanic selbst, die das bekanntlich schwierige Geschäftsmodell verfolgt, bedrucktes Papier zu verkaufen, kann sich freuen. "Bessere Werbung hätte der Papst dem Magazin kaum bescheren können", schließt Sonja Pohlmanns Artikel im Tagesspiegel, der auch deshalb relativ empfehlenswert ist, weil er darauf hinweist, dass die von Erzbischof Angelo Becciu beauftragte  Anwaltskanzlei auch aus Christian-Wulff-Kontexten medienrechtlich bekannt ist. Und weil er die Aussage des redelustigen Titanic-Chefredakteurs Leo Fischer "Wir sind bereit, durch alle Instanzen zu gehen" nicht (wie etwa sueddeutsche.de) ausgerechnet vor dem Nachtrag "bis hin zum Jüngsten Gericht" abschneidet und insofern dokumentiert, dass Fischer auch über feineren Humor verfügt. Bloß damit verkauft man halt schlecht.

[+++] Ein anderes Cover ist schon länger durch, sowohl in der öffentlichen Aufregung (vgl. etwa Altpapier aus dem April) wie seit kurzem auch in der juristischen Nachbereitung: "Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat hat die Stafuntersuchung gegen die Weltwoche im Fall des umstrittenen Roma-Covers eingestellt. Weder das Titelbild noch der Artikel von Philipp Gut und Kari Kälin erfüllen laut der Staatsanwaltschaft den Tatbestand der Rassendiskriminierung", meldet die umstrittene schweizerische Zeitung auf ihrer Webseite.

Wer darauf anspringt, ist die TAZ:

"Dass moralisch verkommenes Verhalten nicht immer gleich juristisch verboten ist, ist für die moralisch Verkommenen seit jeher Quelle ihrer aufgeblasenen Angeberei",

so steigt Robert Misik in seinen Artikel gleich mit Volldampf ein. Damit könnte er vielleicht ja die beruhigen, die sich über ein aktuelles Zeitschriftencover erregen, wer weiß. Sich selbst beruhigt er jedoch nicht, sondern nimmt die Argumente der Staatsanwaltschaft eher emotional als analytisch auseinander, um am Ende zu folgendem in jeder Hinsicht fragwürdigen Fazit zu gelangen:

"Aber egal. Moralisch sind die Weltwoche-Leute ohnehin längst erledigt. Da kann man sie ruhig juristisch davonkommen lassen."

Wenn das egal wäre, wäre verdammt vieles egal. Dass es Misik aber alles andere als egal ist, das zumindest spricht aus jeder Zeile des Artikels.

[+++] "Nicht ... unerhebliche Lustigkeit" erkannte Thomas Knüwer (indiskretionehrensache.de) kürzlich in einem Heribert-Prantl-Kommentar:

"Und so ist es nicht von unerheblicher Lustigkeit, wenn 'Sueddeutsche'-Großkommentator Heribert Prantl am Samstag schrieb: 'Von der breiten Öffentlichkeit fast unbemerkt (im Internet freilich tobt der Protest)…"

Es hält sich zurzeit eben jede Öffentlichkeit für breit, und inwieweit sie andere, womöglich ähnlich breite oder gar noch breitere überhaupt zur Kenntnis nimmt, hängt von den jeweiligen Filter-Bubbles ab. In der Sache ging's bei Knüwer wie Prantl um den jüngsten Datenschutz-Aufreger, "jene unfassbare Förderung des Datenhandels durch die Bundesregierung" (Knüwer), das in 57 Sekunden durch den Bundestag gejagte Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens.

Die Süddeutsche hat sich für heute vom Chef der Meldebehörde ihres Redaktionssitzes München, Anton Hanfstengl, sagen lassen, die aktuelle Debatte sei

"'mit einem Lärm geführt, der mir übertrieben erscheint'. Er will einem 'Irrglauben' widersprechen: 'Die Kommunen betreiben gar keinen Datenhandel und erst recht keinen Verkauf von Meldedaten.'"

Im selben Artikel (online bei jetzt.de) kommt auch ein Vertreter des Dialogmarketing-Verbands (DDV) zu Wort, der ebenfalls abwiegelt. Und anschließend spricht die Zeitung sozusagen in eigener Sache ihres Verlags:

"Großes Interesse an Adressen haben Presseverlage. Sie müssen alljährlich bis zu 15 Prozent neue Abonnenten gewinnen, um überhaupt nur ihre Auflage zu halten. Dafür seien sie auf Briefwerbung angewiesen, erklärten die Verbände der Zeitungs- und der Zeitschriftenverleger am Dienstag."

####LINKS####

Wem das nicht einleuchtet, der ist wahrscheinlich im Internet... Relativ gegenläufige Informationen hat Christiane Schulzki-Haddouti hier nebenan auf evangelisch.de. Dass das Gesetz vor allem von der bayerischen CSU forciert worden ist, könnte damit zusammenhängen, dass Bayern "das größte bundesweite Online-Portal für Melderegistereinkünfte" betreibt:

"In Bayern sitzt das öffentlich-rechtliche Softwarehaus AKDB, das bereits 2003 mit dem ZEMA-Portal das erste bundesweite Online-Portal für Melderegisterauskünfte bereit stellte. Über das Portal können so genannten Poweruser die Daten vieler kommunaler Dienstleister aus Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, dem Saarland und Schleswig-Holstein 'binnen kürzester Zeit' abrufen",

schreibt sie, kommt dann aber auch noch auf die Bertelsmann-Firma Arvato (und verlinkt jeweils dorthin).

Hach je, welche Öffentlichkeit hat hier nun wieder recht?
 


Altpapierkorb

+++ Was man auch selten liest: "Pfui, pfui, brand eins!" - ein Ausruf der TAZ-Kriegsreporterin aus Anlass des "genauso ... wie eine Ausgabe von brand eins" aussehenden und von dessen Verlag gestalteten 130-Seiten-Magazins "Hilfe! Zwischen Krankheit, Versorgung und Geschäft" (hier beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. download- und bestellbar). +++ Noch 'ne neue Zeitschrift. WASD "könnte frischen Wind in die Szene" der Games-Hefte bringen (Tsp.). +++

+++ Die letzte irdischeInstanz hierzulande, das Bundesgerichtshof fällte ein positives Urteil über einen "sich jahrelang hinziehenden richtungweisenden Rechtsstreit" (wiwo.de) um einen Zeitungsverlagskauf: Die Südwest Presse darf das Haller Tagblatt (erscheint nicht in irgendeinem Halle, sondern in Schwäbisch Hall)  übernehmen. +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite empfiehlt Patrick Bahners das Protokoll des Supreme Court Blog-Gründers Tom Goldstein, "das das Geschehen in den entscheidenden Minuten" nach dem zunächst spektakulär falsch wiedergegebenen Gesundheitsreform-Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA "beinahe in Sekundenschritten rekonstruiert." +++

+++ Thomas Fuchs, Landesmedienwächter für Hamburg und Schleswig-Holstein und derzeit Chef der von allen Landesmedienanstalten gebildeten Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK), ist mit 46 Jahren ein recht junger Mann in seinem Milieu. Auf die Frage der Interviewerin Claudia Tieschky wie er die alte Streitfrage nach den Drittsendezeiten bei Sat.1 (die dazu führte, dass Sat.1 die notwendige Lizenz nicht mehr wie früher in Rheinland-Pfalz, sondern bei Fuchs in Norderstect beantragte) beurteilt, antwortet er: "Um das zu kommentieren, fühle ich mich zu jung im Amt, das kann man fast nur historisch verstehen." Außerdem sagt er: "Diese nun geäußerten Vorwürfe von Mauscheleien richten sich eigentlich gegen diejenigen, die sie äußern und die offensichtlich meinen, dass Medienpolitik so funktioniert. Und so scheint es teilweise ja auch in den Neunzigern und Nullerjahren gewesen zu sein." In den späten Nullern allerdings war Fuchs schon auch bereits dabei gewesen... Wo er das sagt: auf der Medienseite der Süddeutschen (S. 35, jetzt also wohl immer direkt auf der Vorderseite des Fernsehprogramms). +++ Stimmen zum Relaunch der Süddeutschen: Das kleine "s" sei "eine Katastrophe", sagte Erik Spiekermann zu meedia.de, und was derselbe über den Klang von Zeitungen sagt, könnte auch bleiben. +++

+++ "Wer die jüngst veröffentlichte Transparenzrangliste der 105 größten börsennotierten Unternehmen studiert, ist vielleicht wie ich erstaunt, dass Amazon, Apple und Google auffällig schlecht abschneiden", schreibt der Transparency International Deutschland-Geschäftsführer Christian Humborg bei Carta. Und reißt an, warum diese Firmen schlecht abschneiden: "Verbieten die Unternehmen politische Spenden oder, falls sie diese zulassen, veröffentlichen sie diese? Fehlanzeige bei allen dreien. Gibt es eine eindeutige Firmenpolitik, dass Schmiergeldzahlungen verboten sind und ist diese Politik auch öffentlich erklärt? Wieder Fehlanzeige..." +++ "Während sich Google und Apple wenig um die Privatsphäre scheren, gewähren sie selbst wenig Einblick", titelt die SZ im Wirtschaftsressort. +++ Die TAZ wiederum beklagt "empirische Schieflage" beim Auswahlverfahren durch Transparency International: "TI suchte seine Hundertschaft nach deren Börsenkapitalisierung aus, gelistet von einem Nachrichtenmagazin (Forbes) für das Jahr 2010. Da herrschte aber tiefste Krise. Banken und Versicherungen galten an der Börse nichts" und fehlen daher. +++

+++ Ica Souvignier, die "dynamische Produzentin deutscher Filme", die u.a. den ARD-Zweiteiler "Contergan" initiierte, ist mit 51 Jahren gestorben, meldet die SZ-Medienseite. +++

+++ Tankred Lerch hält als Fernsehautor auf Carta ein Plädoyer gegen Doris Heinze (siehe Altpapier vom Freitag). +++ "Dass ARD und ZDF es seit Jahren versäumen, sich mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit auseinanderzusetzen", dass deutsche Serien "in der Mehrheit harmlose Anekdoten aus Anwaltspraxen, Krankenhäusern und Polizeirevieren in der Provinz" erzählen, beklagt Diemut Roether (epd medien). +++

+++ Heute, 20.15 Uhr in der ARD: eine verwickelte und ziemlich, aber nicht ganz wahre Geschichte von den Olympischen Spielen 1936 als (eigentlich 2009 fürs Kino entstandener, dort aber wenig wahrgenommener) Spielfilm. "Überhaupt, die Nazis. Warum sind sie in deutschen Filmfiktionen stets so simple, so tumbe Gestalten? Wahrscheinlich wollen die verantwortlichen Produzenten auf Nummer sicher gehen, ihre superkorrekte Haltung ausstellen. Aber dieser Blickwinkel, dass verschlagene Stiernacken und sinistre Bärtchenträger mühelos ein Volk auf Linie bringen und 'Feinde des Reiches' von der Bildfläche vertreiben konnten, ist eine grobe Unterschätzung der Nationalsozialisten, ihrer Anziehungskräfte, ihrer Raffinesse, ihrer Perfidie", schreibt Joachim Huber im Tagesspiegel, ohne damit aber von "Berlin 36" abraten zu wollen. +++ Man merke dem Film an, "dass er überfrachtet wurde, dass das historische Korsett drückt, dass die für zwei Schicksale dann viel zu knappe Zeit die Handlung schnürt und sie viel zu dünn erscheinen lässt. Man kann das der Inszenierung vorwerfen, andererseits war die Geschichte von Gretel Bergmann und Dora Ratjen zu lange verschollen. Sie überhaupt zu entdecken, ist hier die Leistung...", lobt Hanno Raichle in der Süddeutsche ähnlich komplex. +++ Meanwhile auf Arte: ein englischer Film (TAZ). +++

+++ "Unter der zaristischen Zensur konnte die russische Gesellschaft mangels öffentlicher Debatten tagespolitische Probleme in der Sprache von Literatur und Poesie erörtern. Von ödem Infotainment ruhiggestellt und von all den Blogger-Scharfschüssen ermattet, ist die Öffentlichkeit heute wieder in dieser Sprache erreichbar...", mit diesem weiten Bogen leitet Kerstin Holm ihr Porträt des russischen Journalisten und "Talkstars" Dmitri Bykow (FAZ, s. 29) ein. +++

+++ "Er könnte vor seinem Fernseher einschlafen. Aber die Welt lässt ihm keine Ruhe. Er ist ein Weltaufrührer. Manche sagen, er sei ein Irrer. Die Welt braucht Irre..." (F. J. Wagner, der das zumindest wissen könnte, in der Bild-Zeitung über den Assad-Interviewer (siehe Altpapier) Jürgen Todenhöfer). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.