Der Prozess um Doris Heinzes Drehbuch-Affäre schreit bereits nach seiner Verfilmung (und belastet eine amtierende ARD-Würdenträgerin). Künftig könnten auch Talkshows Drehbuchautoren Arbeit bieten. Außerdem: Kritik an Kritikern des ZDF und an Michel Platini.
Spektakulärer Medien-Prozess gestern in Hamburg: Doris Heinze, die stets stahlhart blickende einstige Fernsehfilchefin des NDR, die auch in verbotenen Konstellationen ihre eigenen Drehbücher verfilmen ließ (eine dieser Verfilmungen zeigt Arte heute abend), stand vorm Gericht.
Wie sie dort stand, zeigen Fotos auf dem dirty boulevard der Hansestadt. Die Mopo setzt ihre Heinzes mitangeklagtem Ehemann zum Schutz einen schwarzen Balken vor die Augenpartie (und verblüfft mit der Bildunterschrift "Schweigen seit Jahren zu den Vorwürfen: Doris Heinze und ihr Mann Klaus-Wilhelm S."), die Bild-Zeitung zeigt dassselbe Bild ohne Balken und benennt den Mann, der schließlich nicht nur, aber auch unter eigenem Klarnamen als Autor auftrat, korrekt als Claus Strobel.
Am eindrucksvollsten das Heinze-Foto, das der Tagesspiegel zu seinem Artikel unter den etwas paradoxen Überschriften "Paukenschlag/ Heinze-Deal kommt nicht zustande" online präsentiert.
Das heißt, der Prozess um Betrug bei Drehbuchhonoraren in fünfstelligen Bereichen geht, am kommenden Freitag, dem 13., weiter. Relativ umfassend informiert die Süddeutsche:
"Die Verteidigung hatte auf einen Deal gesetzt - was die Staatsanwaltschaft aber durchkreuzte. Die Anklagebehörde wolle plötzlich eine bereits getroffene Absprache nicht mehr, behauptete [Heinzes Anwalt Gerd] Benoit am Donnerstag, nachdem der Vorsitzende Richter Volker Bruns mit dem Versuch gescheitert war, eine so genannte 'Verständigung' herbeizuführen: Niedriges Strafmaß gegen hübsches Geständnis. Ohne Deal kein Geständnis."
"Die Verhandlung musste jedoch nach rund zweieinhalb Stunden unterbrochen werden, weil sich Heinzes Verteidiger krank fühlte", fügt das Hamburger Abendblatt hinzu.
Doch irgendwie scheinen die meisten Berichterstatter den spekaktulärsten Teil versäumt zu haben. Nur Bernhard Hübner von der (ebenfalls in Hamburg ansässigen) FTD hat mitbekommen, dass auch der Name einer aktuellen hohen Würdenträgerin der ARD gefallen ist und belastet wurde:
"Wichtige NDR-Führungskräfte, die von Heinzes illegalen Nebengeschäften hätten wissen können, sind bereits tot oder im Ruhestand. Nur die heutige WDR-Fernsehdirektorin Verena Kulenkampff, zeitweise beim NDR Heinzes Vorgesetzte, wird von den Angeklagten belastet. Dass Heinzes Mann unter dem Namen Niklas Becker für einen NDR-Film als Drehbuchautor arbeitete, sei mit Kulenkampff abgesprochen gewesen, sagte die Mitangeklagte Heike R. in einer vor Gericht verlesenen Aussage bei der Staatsanwaltschaft."
Und Kulenkampff ist nun wirklich ein großes Tier in der ARD, ihr Wirken beim WDR nicht ganz unumstritten. Jene Heike R. wiederum wird anderswo auch mit vollem Namen genannt und kann auf eine sogar ziemlich umfangreiche Filmografie zurückblicken. Übrigens hat FTD-Redakteur Hübner auch am umfassendsten der naheliegenden Versuchung nachgegeben, schon mal ein Exposé fürs Drehbuch zur Verfilmung der Drehbuch-Affäre aufzusetzen, wofür natürlich vor allem die unverzichtbare emotionale Komponente herausgearbeitet werden muss:
"Wäre das hier ein NDR-Fernsehfilm, hätte Doris Heinze sicher eine nettere Schlussszene schreiben lassen, optimistischer und fröhlicher. Aber das ist das reale Leben, und darin trottet Heinze, die frühere Fernsehspielchefin des Norddeutschen Rundfunks, eine der mächtigsten Figuren der deutschen Film- und TV-Branche, gealtert und etwas verloren durch einen übergroßen, fast leeren Sitzungssaal zur Anklagebank. Sie trägt einen Mantel und eine Lederfransentasche. Auch ihr Gesicht wirkt gegerbt..."
Sobald das Ende dann feststeht, kann der NDR für so einen Film vielleicht noch einmal Horst Königstein reaktivieren. Der hatte ja ein paar gute Dokudramen gedreht (die manchmal auch schon vor Mitternacht auf den Sender durften).
[+++] Auch sonst sorgt das Fernsehen fürs Entertainment in den sommerlichen Medienmedien. Das diesem Medium besonders freundlich gesonnene Medienmagazin dwdl.de sieht ein neues Subgenre in die Tagesprogramme der Privatsender einziehen - die komplett geskriptete Talkshow:
"Gegen den inszenierten Krawall-Talk erscheint der Dailytalk aus den 90er Jahren fast wie konservatives Fernsehen. Damals vertraute man noch auf Menschen, die etwas zu erzählen haben und Redakteure, die solche Gäste finden können. Das lässt sich natürlich alles beschleunigen, wenn man sich die absurdesten Gästekonstellationen einfach selber ausdenkt",
schreibt Thomas Lückerath über die beiden Pilotformate namens "Annica Hansen" und "Ernst-Marcus Thomas", die die Firma Constantin Entertainment für Sat.1 herstellte. Wer weiß, ob der Unternehmensgründer, "Der Bernd" (Weltpremiere des ARD-Degeto-koproduzierten Dokumentarfilms gerade auf dem Filmfest München; siehe Süddeutsche-Feuilleton und, was die neue, etwas merkwürdige Lowbudget-Filmreihe der Constantin betrifft, auch -Medienseite) da nicht doch im Grabe rotiert.
Andererseits, wenn künftig auch noch Talkshows Drehbuchautoren Arbeit bieten, entspannt das die Lage auf dem angespannten Arbeitsmarkt für schreibende Berufe.
[+++] Die FAZ-Medienseite gibt derzeit Programm-Machern Gelegenheit ihre Anliegen ungefiltert aus eigener Sicht darzulegen. Das gestern in der äußeren Form eines Interviews erschienene Power Point-Präsentation des obersten UFA-Chefs Wolf Bauer über die vielen Qualitäten seiner Firma und über die dennoch anstehende Umstrukturierungen steht nun frei online. (Die Knaller-Personalie, wer denn nun in der Verfilmung durch Ufas Teamworx den Guttenberg geben soll, bekam allerdings die Bild-Zeitung: Kai Schumann, bekannt aus der RTL-Serie "Doctor's Diary", ist's).
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Und heute bekommt in der FAZ ZDF-Chefredakteur Peter Frey Gelegenheit, dem "Kritik-Tsunami" am Heringsdorfer ZDF-"Fußballstrand" zur Europameisterschaft entgegentreten. Er zitiert allerlei Kritik aus Presse und Internet ("übrigens mit Vokabeln (die Moderatorin sollte 'abgewrackt' werden), die Geschmacksgrenzen überschritten") und argumentiert:
"Statt viel Personal für zusätzliche Übertragungswagen und Studios an den Spielstätten wählten wir - keine Selbstverständlichkeit für einen Sender mit seinem Hauptquartier am Rhein - einen Ort, der das Fußballerlebnis mit dem Kennenlernen einer vielen Deutschen noch ziemlich unbekannten Region verbinden sollte. Schließlich ging es ja um eine Europameisterschaft und die Chance darzustellen, dass Europa doch mehr ist als Euro und Krise."
Insofern habe das Konzept auch finanziell gestimmt. Sendungen wie "Morgenmagazin" und "Volle Kanne" inklusive seien "vom Fußballstrand fast achtzig Stunden Programm gesendet worden, in einem bisher nicht gekannten, am Ende auch finanziell günstigen Zusammenspiel verschiedener Abteilungen". Womit Frey gleich noch der ihm noch unbekannten, weil gerade erst erschienen Kritik des Funkkorrespondenz-Fernsehbeobachters Dietrich Leder ("Die Bühnenkonstruktion auf Usedom hat das ZDF sicher viel Geld gekostet, verströmte aber den Charme eines Club-Urlaubs mit Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn als Reiseleiter...") entgegentritt. Leder hat's aber auch eher auf Michel Platini, sozusagen den eigentlichen Weltregisseur der Fußball-Bewegtbilder, abgesehen. Mit Bezug auf die ins Halbfinale nicht-live einmontierten deutschen Tränen schreibt er:
"Es wird kein Ereignis wiedergegeben, es wird eines geschaffen, und zwar nach den ökonomischen Normen und ästhetischen Vorstellungen von Michel Platini, dem Chef des europäischen Fußballverbandes UEFA. Dessen Geschmack entlarvte sich auch im Logo der Euro 2012, virtuellen Kunstblumen, die sich ornamental aufrankten. Dieses kitschige Logo wurde während der Spiele bei jeder Zeitlupe bis zum Überdruss gezeigt. Für eine solche Annahme einer ökonomischen und ästhetischen Normierung spricht auch, dass die UEFA das Zeigen einer auf dem Unterhosenbund angebrachten Reklame durch den dänischen Spieler Nicklas Bendtner höher bestrafte als die rassistischen Rufe kroatischer 'Fans'."
+++ Wer das ARD-Programm nun wieder bereicht: Kurt Kroemer. Von der Vorstellung der neuen Samstagspätabend-Show des Berliner Entertainers berichten die Berliner Zeitung (Kroemer "wirkt viel ernster, als man ihn kennt") und der Berliner Tagesspiegel: "Ausschließlich lustig soll sie nicht werden", die Sendung. Ob Kroemer-Sendungen überhaupt lustig sind, darüber ließe sich freilich auch streiten. +++
+++ Joachim Huber (Tsp.) hat eine (relativ) neue Fernseh-Studie ausgewertet. Der Trend gehe zum "Fan-Fernsehen". Das heißt: "Die Sender haben weniger Zuschauer, diese Zuschauer sehen aber 'ihre' Programme immer länger". +++ "Sie sind mal wieder unterwegs: die Experten. Schlimmer noch, die Social-Media-Experten", würde Martin Meuthen (epd medien) sagen: "Seit einiger Zeit hat sich diese Gruppe junger und eloquenter Menschen neben den Online- und Printmedien auf einen weiteren Kandidaten eingeschossen: das Fernsehen" +++ Außerdem Thema im Tagesspiegel: das "Ich bin schwul, war es immer und werde es immer sein"-Outing des "bei der Prominenz mit dem ZDF-Anchorman Claus Kleber durchaus vergleichbaren" CNN-Moderators Anderson Cooper. +++
+++ Infos zur grünen Medienpolitik enthält die neue Funkkorrespondenz: Einerseits stoße der rot-grüne Regierungsentwurf zur Novellierung des Bremischen Landesmediengesetzes auf Kritik bei den betroffenen Privatsendern. Der Entwurf expliziert sowohl die "nachhaltige" Unterstützung der "Integration von Menschen mit Migrationshintergrund", aber auch von Sendungen "in niederdeutscher Sprache (Plattdeutsch)". Außerdem heißt's zu den neuen Personalienmeldungen vom ZDF, dass ein Platz im ZDF-Verwaltungsrat noch unbesetzt sei, weil er nach herrschenden Lehre einem linken Ministerpräsidenten zukomme. Ob Ministerpräsident Winfried Kretschmann ihn einnimmt oder den Argumenten der vor allem von den Grünen vorangebrachten Klage gegen den ZDF-Staatsvertrag (und gegen den Ministerpräsidenten-Einfluss) folgt, scheint noch unklar. +++
+++ Die Seite 3 der Süddeutschen bringt ein großes Porträt des aktuell in die Kritik geratenen Regierungssprechers ("Steffen Seibert war Protestant und wurde Katholik, er war Journalist und wurde Regierungssprecher. In die Berliner Republik bringt er Frische. Und mitunter stiftet er Verwirrung") von Evelyn Roll. +++
+++ Tim Pritlove, seines Zeichens "diskordischer Evangelist, professioneller Amateur, Rampensau", verdient "monatlich im Durchschnitt 1.700 Euro" dank Flattr und wird so zu einem von vier Beispielen dafür, wie sich "eigene Kunst, Videos, Musik online vermarkten" lässt. Es braucht bloß "ausgefallene Ideen und eine treue Fangemeinde" meint die TAZ etwas wohlfeil. +++ Außerdem geht's dort um die von den herrschenden Islamisten behinderte Medienfreiheit in Tunesien und um Artes "Summer of Rebels" ("Neben richtig guten Beiträgen sind auch ziemlich biedere dabei"). Den darin gern zitierten Ansager Ben "Tante" Becker hat die BLZ Rebel-halber interviewt. +++
+++ "Nur indem man den Protagonisten Zeit und Raum lasse, ihre persönliche Geschichte authentisch und emotional zu erzählen, werde 'Pay-TV eine ernsthafte Alternative zu Öffentlich-Rechtlichen und Privaten Fernsehstationen', sagt sich Biography-Geschäftsführer Andreas Weinek". Trotz dieser Spechblasen scheint die deutsche Eigenproduktion des amerikanischen Bezahlsenders, "Der elfte Tag" (über den Anschlag auf die Olympischen Spiele 1972), nicht schlecht zu sein, heißt es auf der SZ-Medienseite. +++
+++ Die FAZ-Medienseite enthält außer einer innovativen Todesanzeige ihrer Konzertagentur für Margot Werner einen Bericht zur aktuellen Lage bei der sudanesisch-südsudanesischen Zeitung The Niles und ein Porträt des künftigen BBC-Generaldirektors George Entwistle. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.