Wann ist wieder Bundesliga?

ACTA kommt wohl nicht, aber doch die Vorratsdatenspeicherung. Der Schwarmgeist siegt, aber an Medienkompetenz hapert's. Twitter ist das neue Facebook, zumindest im negativen Sinn. Und das Bier beim Bundesliga-Gucken dürfte teurer werden.

"Leute, mehr Medienkompetenz bitte!"

Dieser Ausruf kommt nun mal nicht aus Kreisen, die sonst immer reflexhaft "Medienkompetenz" fordern, sagen wir (etwas polemisch): vom zweiten schleswig-holsteinischen Staatssekretär für Forst- und Medienwirtschaft, oder zitieren wir, ernsthaft, aus dem Informationsstrom der letzten Tage: von der ehrenwerten Vorsitzenden des WDR-Rundfunkrats, Ruth Hieronymi ("... hob die Bedeutung der Themen Jugendmedienschutz und Förderung von Medienkompetenz hervor, die beim letzten Treffen des Programmausschusses des Rundfunkrats mit dem Programmausschuss der Medienkommission der Landesanstalt für Medien im Mittelpunkt gestanden haben..."). Dieser Ausruf kommt von Felix von Leitner, also dem Blogger Fefe.

Denn von Leitner und Frank Rieger haben für ihre Podcast-Reihe "Alternativlos" ein Gespräch "mit Dr. Mathias Döpfner über den Axel-Springer-Verlag, das Leistungsschutzrecht, das Verhältnis von Politik, Anzeigenkunden und Presse, BILD und die Zukunft des Kapitalismus" geführt. Das Gespräch dauert knapp 90 Minuten, wobei "der Gast fast 90% der Sendung über zu Wort" kommt.

Was der Springer-Chef dabei sagte, und dass die beiden Interviewer "Springer-PR nicht rausgeschnitten oder unterbrochen haben" (vielleicht auch, dass sie die Sitte der Bild-Zeitung, "Bild" immer in Großbuchstaben zu schreiben, einfach übernommen haben), hat offenbar zu solcher Kritik geführt, die wiederum in einem Update des Fefe-Blogeintrags zum Döpfner-Interview zum Ausruf "mehr Medienkompetenz bitte!" führte. 

Wer sich nicht anderthalb Stunden auf Mathias Döpfner einlassen möchte, findet hier das kollaborativ entstandene Transkript des Interviews, das zumindest Schnell-Leser schneller bewältigen können. Bei meedia.de gibt's eine Zusammenfassung (die oberflächlichen Kennern der Dr.-Döpfner-Diskurse verrät, dass Döpfner wenig grundsätzlich anderes sagte als er sonst zu sagen pflegt), und am interessantesten ist wohl tatsächlich die Einschätzung des Interviewers selbst. Fefe schreibt:

"Die erste spannende Einsicht für mich war, dass Verlage wie Axel Springer nur zu 50% ihre Einnahmen aus dem Werbegeschäft beziehen. Ich hätte den Anteil für deutlich höher gehalten. Damit kann ich den Druck in Richtung Paywall deutlich besser nachvollziehen. Allerdings habe ich versucht, hier Gegenargumente zu platzieren, und auch eine Kulturflatrate ins Gespräch gebracht, die Döpfner nicht rundheraus ablehnte (nach einem initialen Missverständnis, dass auch bei der Verteilung jeder Verlag nur eine feste Summe kriegt). ...."

[+++] Jedenfalls verläuft der Informationsfluss zum Themenfeld Digitalia derzeit recht dickflüssig. Vorratsdatenspeicherung und ACTA, Twitter und Facebook, Medienwandel an sich - es ist für jeden ist etwas dabei.

Was die Vorratsdatenspeicherung betrifft, hat die FAZ mit der zuständigen EU-Kommissarin, der Schwedin Cecilia Malmström ein Interview geführt, das nach recht erheblichem Konfliktpotenzial zwischen europäischen Institutionen und den deutschen, die derzeit eine solche Speicherung ablehnen, klingt. Malmström sagt u.a.:

"... Die Idee der Vorratsdatenspeicherung ist, dass wir Zugriff auf historische Daten haben, um Verbrecher zu finden. Das Bundesinnenministerium hat uns berichtet, dass es unmöglich war, bei den jüngsten Ermittlungen gegen den NSU Verbindungsdaten aus der Vergangenheit zu nutzen, weil es in Deutschland keine Vorratsdatenspeicherung gibt..."

[+++] Was das ACTA-Abkommen betrifft, so gibt es Lob für das EU-Parlament, das dieses zu Fall gebracht hat (und bekanntlich selten Lob zu lesen bekommt), vorn auf der TAZ. Im Blatt wird die ACTA-Erfolgsstory der Netzaktivisten mit Markus Beckedahls Hilfe noch einmal nacherzählt, aber auch die Fortsetzung namens Ipred 2 antizipiert.

Ob die Freude über das Aus für ACTA auch auf der Meinungsseite der Süddeutschen herrscht - das liegt im Auge des Lesers. Andrian Kreyes bei jetzt.de frei online verfügbarer Kommentar beginnt mit historischem Enthusiasmus ("...Dann hat der Schwarmgeist des Internets seinen ersten echten Sieg über die politischen Institutionen errungen...") und endet offen:

"Würde die Politik Acta kippen, hätte sie vor dem Schwarmgeist kapituliert. Das wäre jedoch kein neues Modell von Demokratie und Freiheit durch das Internet. Das wäre ein revolutionärer Akt mit ungewissem Ausgang."

[+++] Wie das Netz und die sogenannten sozialen Medien Revolutionen auslösen oder anfeuern oder doch nicht, da laufen bekanntlich schon länger gewichtige Diskurse. Heute (wenn auch online auf den morgigen 5. Juli vordatiert) bieten BLZ/ FR aus dem Hause DuMont ein Interview mit Evgeny Morozov, der deshalb ein glaubhafter Internet-Skeptiker ist, weil er früher keiner war. Unter anderem sagt er:

"Es ist ein dummes, altes Vorurteil, dass autoritäre Staaten von Idioten gelenkt werden, die Dinge wie das Internet nicht verstehen und das ganze Volk gegen sich haben. Tatsächlich sitzen da zum Teil sehr intelligente Leute an den Schaltstellen. Sie haben sehr gute Berater, oft aus dem Westen. Sie kaufen westliche Technologien und wissen oft bestens, wie sie das Internet für ihre Zwecke nutzen können."

Welche Forderungen Morozov, der auch mit Erfahrungen aus dem russisch-georgischen Krieg 2008 argumentiert, genau daraus ableitet, bleibt ein wenig in der Schwebe. Es sollte im Interview halt um alles zwischen Kampagnen gegen Kindersoldaten in Uganda und den deutschen Piraten (Morozov: "Es ist wie bei den Punks in den Siebzigern: Ein bisschen Provokation rüttelt auch mal wach") gehen.

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[+++] Nicht überraschend jedenfalls die grundsätzliche Facebook-Skepsis:

"Wenn du Facebook-Kunde bist – was ich persönlich nicht bin – haben andere permanent Zugriff auf deine Freunde",

sagt Morozov ebenfalls, was zu Twitter führt. Denn dieses Netzwerk, bislang "das konzeptionelle Gegenstück zum auf Biegen und Brechen kommerziell ausgerichteten Facebook, das immer Mainstream war", scheint aktuellen Aussagen des Twitter-Chefs Dick Costolo zufolge Facebook folgen zu wollen. Es geht "um mehr Kontrolle und mehr Geld", schreibt Falk Lüke dazu in der TAZ. Einen ähnlichen Nachruf auf das gute alte Twitter, das "also ein wenig so wie das Internet insgesamt" war, aber so nicht bleiben wird, gab es gerade auch bei sueddeutsche.de.

[+++] Falls Sie den Medienwandel grundsätzlich positiv betrachten und aktuelle, nummerierte Anregungen wünschen, wie der Journalismus sich dazu verhalten sollte, hilft wiederum meedia.de, und zwar mit "7 Wegen zum digitalen Qualitätsjournalismus". Der Text (eine auf der "Generalversammlung des Verbands Österreichischer Zeitungen" gehaltene Rede) stammt vom Vocer-Herausgeber Stephan Weichert und wird in seinen Aussagen dadurch bestätigt, dass er, obwohl selbst nur gut 23.300 Zeichen stark, unten drunter Kommentare nach sich zieht, deren im Moment neueste beide gemeinsam rund 26.700 Zeichen nach sich ziehen.

Insofern kommen Artikel und Kommentare gemeinsam schon deutlich über die Hälfte des Ausmaßes des 91.300 Zeichen schwere Döpfner-Podcast-Transkripts.

Jetzt aber zu dem, was diesem im Vergleich leichtgewichtigen Altpapier den Titel gab. Bzw. dann doch im...


Altpapierkorb

+++ Man ist ja schon jetzt ganz gespannt auf die Bundesliga, auch deshalb, weil Matthias Sammer umso seltener als Experte (Nachfolger: Michael Ballack?, vgl. kress.de), sicher umso öfter auch bei anderen Sendern als Sky als betroffener Sportdirektor performen wird. Und man wird den Vorzug dieses Wettbewerbs, dass zumindest dort immer deutsche Mannschaften gewinnen, zu schätzen wissen. Zum Thema Bundesliga also hat der Tagesspiegel eine harte News: Jener Bezahlsender Sky, dessen Aktionäre sich (natürlich nur, sofern sie zum richtigen Tiefpunkt eingestiegen waren) über schönere Gewinne freuen konnten als die von Dr. Döpfners Springer-Konzern (vgl. meedia.de), will zur weiteren Profitabilität nun die Wirte kräftig belasten: "Sky erhöht die Abopreise für die Sportsbars um zehn Prozent", "Kneipiers in Berlin nennen die Teuerungsrate 'unverschämt'", schreibt Joachim Huber. +++

+++ Huber sprach aber nicht nur mit Kneipiers, sondern auch ausführlich mit Paula Lambert, die im Digitalsender ZDFkultur nun ab 22.00 Uhr in der Sendung "Im Bett mit Paula" mit Männern " ("Wir haben uns aber für männliche Gesprächspartner entschieden, weil dann eine natürliche sexuelle Spannung gegeben ist") über Sex talkt. "Hausfrauenporno ist nach Vampirerotik the next big thing", ist nur eine der Infos aus diesem Interview. Was Lambert darin mit "Gegacker" meint, könnten Sätze wie "Ich hätte gerne mal Hans Eichel in meinem Bett" sein, die sie selber für welt.de Antje Hildebrandt zur Verfügung stellte. +++

+++ "Insgesamt haben die Onlineangebote der deutschen Tageszeitungen in allen Altersgruppen zugelegt", interpretiert der Tagesspiegel eine frische Statistik. "Demnach erreichen die Webseiten von 'Süddeutsche Zeitung', 'Bild', aber auch des Tagesspiegels bereits knapp 40 Prozent der Deutschen...". +++ Außerdem geht's ebendort um die wiederum bei Sky ansehbare Serie "Game of Thrones", und zwar anhand des deutschen Darstellers mit der größten Rolle. Wie Tom Wlaschiha mit seinem iPhone vor seiner Raufasertapete in Berlin das Bewerbungsvideo gedreht hat, beschreibt Sonja Pohlmann. +++ Eine andere Seite des Medienwandels: große Städte ohne gedruckte Tageszeitung. In New Orleans wird's so kommen. Dorothea Hahn berichtet in der TAZ. +++

+++ Im Aufmacher der SZ-Medienseite 15 porträtiert Christopher Keil im bewährt offenen Stil den noch recht neuen ZDF-Intendanten: "Als er noch Fußball spielte, war Thomas Bellut, der in Osnabrück aufwuchs und in Münster studierte, ein rechter Verteidiger. Er hatte wohl nicht die beste Technik, aber er war angstfrei. Das ist keine schlechte Eigenschaft, schon gar nicht für einen Intendanten." +++  Eine Übersicht der ZDF-Baustellen, auf denen vor allem Belluts Nachfolger als Programmdirektor tätig werden muss, bietet mit fröhlichem "Top, die Wette gilt" frei online dwdl.de. +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite 29 geht's um den "abermals enger" werdenden "Markt für seriöse und kritische Medien in Russland" ("Der Fernsehsender 'Kommersant TW' wird geschlossen, ebenso wie die Zeitschrift 'CitizenK'..."), sowie um französische Fußball-Medien ("Erstmals konnte Frankreich nur die Hälfte der Spiele im frei empfangbaren Fernsehen sehen. Die Verknappung hat den Zuschauerzahlen gutgetan..."). +++ Und vor allem geht's um um die Dreharbeiten zum Münchhausen-Film der ARD. Am Ende seines Berichts versucht Michael Seewald eine Parallele zwischen dem Lügenbaronen (alten, Münchhausen'schen Zuschnitts) und Leserreportern der Bild-Zeitung zu ziehen. +++ Außerdem führt Daniel Haas das Erzählmuster von "How I Met Your Mother" auf die griechische Antike zurück. +++

+++ Schließlich empfiehlt die Süddeutsche "Über uns das All" morgen spätabends in der ARD als "wirklich todtraurigen Film" mit einer "wunderbaren Bildsprache" und würdigt den verstorbenen Schauspieler Andy Griffith eher wegen der anno 1968 geendeten "Andy Griffith Show" als als Matlock-Darsteller. +++ Und die TAZ-Kriegsreporterin stellt sich "große Scheißfragen, die nicht viel Freude bereiten", darunter diejenige, ob sie sich beim Manager Magazin-Chefredakteur Arno Balzer entschuldigen müsste, da für das Cover, über das sie sich letzte Woche ärgerte, die Furtwänglerin selbst verantwortlich sei. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.