Zeitungsgipfel mit flammendem Appell, Qualitätspresse-Chefredakteurs-Talk vor ausgewähltem Publikum, aber auch wahre Liebe im und zum Journalismus. Außerdem: die Jugend-Vertreibung bei ARD und ZDF. Und Bayern München macht jetzt auch Rundfunk.
Hach, der Journalismus. Man muss ihn einfach lieben, oder zumindest, wenn es jemand nicht tut, schlucken. Frisch bei Carta vor liegt ein eloquenter Liebesbrief, vielleicht auch an die prominente Journalismus-Liebhaberin Julia Friedrichs, definitiv aber an den Journalismus selbst. Man wäre als Journalist ja "gerne noch einige Jahrzehnte mit Freude bei der Sache", schreibt Moritz Meyer, aber das sei schwierig "in der momentanen Mediensituation": Da
"hat man nur die Wahl zwischen Zynismus (= Pessimismus) und Naivität (= Optimisimus). Da entscheide ich mich doch lieber für Zweiteres. Für Pessimismus fühle ich mich jedenfalls mit meinen 31 Jahren noch zu jung. Vielleicht haben Julia und ich uns in jemanden verliebt, dem es gerade nicht gut geht. Aber bevor ich mich zu denen geselle, die den Journalismus endgültig zu Grabe tragen wollen, versuche ich lieber, ihm da, wo ich kann, neues Leben einzuhauchen."
Und Meyer hat eine Menge Atem, haucht also in Form eines langen Textes, aber wer den Journalismus liebt, kann ja mal anfangen.
Vermutlich wäre es ungerecht, den Managern, die sich am Dienstag im hübschen Wiesbaden zum "Zeitungsgipfel 2012" trafen, zu unterstellen, gerne noch ein paar Quartale mit anständigen Margen bei der Sache sein zu wollen. Jedenfalls berichtet seit gestern der Veranstalter Horizont vom "1. Deutschen Zeitungsgipfel" (nicht zu verwechseln mit dem bis dahin letzten deutschen "Zeitungsgipfel", der gut eine Woche vorher in Köln stattfand).
Und horizont.net ist von der Veranstaltung mit Programmpunkten wie "Cashcows unter Druck – Erfolgreiche Geschäftsmodelle von morgen" und "Content counts – Qualität und Aktualität trotz Kostenschraube" ganz begeistert: Der Kongress "könnte der Startschuss für eine völlig neue Qualität im Kampf gegen die Gratiskultur im Netz sein". Falls es so käme, wäre es dem Springer-Manager Jan Beyer zu verdanken, der einen "flammenden Appell" für "flächendeckende Bezahlmodelle" vortrug. Den Ernst Beyers fing Horizont-Fotograf auch gut ein (und man kann eigentlich nur raten, auch die 74 weiteren Fotos von der Veranstaltung durchzuklicken, so lange so etwas noch gratis ist).
Horizont berichtet ferner vom Auftritt Michel Friedmans ("Mit den meisten heute noch im Amt befindlichen Machern der großen überregionalen Tageszeitungen bin ich aufgewachsen. Das kann nicht gut gehen. Irgendwann haben sich auch die besten Chefredakteure erschöpft."). Von außen blickte zumindest kurz (und mit der gewohnten Bosheit) Thomas Knüwer zum Gipfel hinauf, und zwar mithilfe der Tweets des Werbemenschen Thomas Koch.
Wer genügend Atem mitbringt und sich weiter mit tagesaktuell Grundsätzlichem zum Text-Journalismus beschäftigen möchte, kann dies erstens noch in der TAZ tun. Sie spricht mit Paul-Josef Raue, der Chefredakteur der WAZ-Zeitung Thüringer Allgemeine, der einst, 2010, Sergej Lochthofen ablöste. Raue beweist, dass er auf jedem Gipfel-Podium mit-performen könnte ("Wir erfinden die Regionalzeitung neu. Wir nehmen unsere Leser ernst..."). Das Interview ist aber auch auf der Metaebene interessant, weil es zur Sache geht und z.B. Raue sagt:
"... Das mag Sie wundern, aber ich unterschreibe 80 Prozent von dem, was die Redakteure beklagen. Wer allerdings interne Debatten, sogar mithilfe von Politikern, nach außen trägt, der beschädigt das Vertrauen. Wir sind doch nicht die taz."
Und die TAZ einfügt:
"Den Verweis auf die taz hat Raue bei der Autorisierung eingefügt. Überhaupt ist das Interview von ihm noch überarbeitet und verdichtet worden. Das ist nicht unüblich, geht aber in diesem Fall über das übliche Maß hinaus."
Wer doch lieber Ansichten der üblichen Verdächtigen aus den, nun ja: im Wesentlichen wohl schon Qualitätszeitungen zur Sache hören möchte, kann dies zweitens erneut bei horizont.net tun. Der Hamburg-Korrespondent Roland Pimpl zählte zum erlauchten bzw. "exklusiven Kreis" ("rund 60 handverlesene Gäste - die meisten von werbungtreibenden Unternehmen, außerdem ein paar Agenturleute"), vor dem die gut gelaunten Chefredakteure Kurt Kister (Süddeutsche) und Georg Mascolo (Spiegel) anlässlich einer neuen Vermarktungskooperation ihrer beiden Leuchttürme eine Unterhaltung "über den Stellenwert und die Zukunft von Qualitätsjournalismus" aufführten.
Umgekehrt ist aber auch Theater Journalismus, würde zumindest Altpapier-Autor Matthias Dell sagen und hat dazu für den Freitag ein Gespräch mit dem scheidenden Intendant des HAU (des Berliner Hebbel am Ufer-Theaters), Matthias Lilienthal, geführt.
[+++] Damit ins Fernsehen, das früher ja auch wesentlich aus Theater bestand. Die aus Mascolos Spiegel gekommene, gestern im Altpapier genannte News vom aktuellen Chef der TV-Firma Eyeworks Deutschland ("Rach, der Restauranttester", "Lothar - immer am Ball" u.v.a.), Oliver Fuchs, als künftigem Chef der ZDF-Unterhaltung wird heute im Tagesspiegel nur vorsichtig weiterverbreitet. Die Süddeutsche betrachtet sie als bereits gegeben:
"Mit einer ablehnenden Haltung des Gremiums muss er", der verantwortliche ZDF-Programmdirektor Norbert Himmler, "nicht rechnen. Dass seine Wahl an diesem Dienstag bereits vermeldet wurde (Spiegel), hat Himmler aber überrascht. Das ZDF lässt mitteilen, das bis Freitag keine Stellung zum Engagement eines Nachfolgers für Manfred Teubner, 62, genommen wird."
Eingerahmt in einen Rückblick, wer eigentlich bisher dieses Amt des Unterhaltungschefs bekleidet hat (Fred Kogel, Victor Worms) fragt Christopher Keil, "was Fuchs für die 50-, 60-, 70-Jährigen entwickeln wird, die mehrheitlich einschalten?"
Ungefähr da hakt in einem wesentlich grundsätzlicheren, nicht mehr Fuchs geltenden Tagesspiegel-Kommentar Joachim Huber ein. Es geht um kürzlich wieder aufgekommene und abgewiesene Pläne innerhalb der ARD, einen weiteren eigenen Sender fürs jüngere Publikum zu lancieren. Das sei der falsche Weg, meint Huber:
"Die Vertreibung des jungen Publikums ging einher mit der Auslagerung eminent wichtiger Themenkomplexe aus den Hauptprogrammen. Politik wurde Phoenix, Kultur wurde 3sat und Arte, Kinder bekamen Kika. Vertreibung und Auslagerung haben ARD und ZDF ärmer und im Publikum älter gemacht. Anderes war gewollt, aber nur dieses Ergebnis wurde erreicht. Die Vertreibung des jungen Publikums ging einher mit der Auslagerung eminent wichtiger Themenkomplexe aus den Hauptprogrammen. Politik wurde Phoenix, Kultur wurde 3sat und Arte, Kinder bekamen Kika.
Vertreibung und Auslagerung haben ARD und ZDF ärmer und im Publikum älter gemacht. Anderes war gewollt, aber nur dieses Ergebnis wurde erreicht."
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[+++] Dann ist aus dem Fernseh-/ Rundfunkbereich noch ein weiterer schöner Erfolg für den amtierenden deutschen Vizemeister und Vize-Pokalsieger sowie Vize-Champioons League-Gewinner im Fußball zu vermelden (was zumindest für den Zustand der Medienpolitik aufschlussreich ist). Der FC Bayern München besitzt nun auch eine Rundfunkzulassung für sein fcb.tv, verkündet die zentrale Webseite der deutschen Landesmedienwächter, die-medienanstalten.de:
"Für die Live-Elemente im Angebot von 'FCB.TV' hat die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Medienanstalten (ZAK) der FC Bayern München AG bei ihrer Sitzung am 26. Juni in Stuttgart eine Lizenz erteilt. 'FCB.TV' versteht sich als 'Online-Klub-TV' des Vereins und wird im Internet sowie über Social Media und mobile Dienste live bzw. auf Abruf verbreitet. Das Programm berichtet in redaktionellen Beiträgen, Nachrichten, Interviews und regelmäßigen Liveberichten von Spielen, Trainingseinheiten und anderen Ereignissen vor allem über die Aktivitäten des ProfiFußballteams des Vereins. Die Rundfunkzulassung steht unter dem Vorbehalt der medienkonzentrationsrechtlichen Prüfung durch die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK)."
Und auch wenn die in Bayern München-Dingen stets gut informierte Süddeutsche auf ihrer Medienseite 15 knapp darauf hinweist, dass der Verein dieses Angebot "seit gut zwei Jahren" unterbreitet und bislang dabei wohl auch ohne Lizenz zurechtkam - auf die Prüfung des Sachverhalts durch die KEK kann man fast so gespannt sein wie darauf, ob es vielen Bayern München-Spielern heute gelingen wird, sich für noch ein Finale zu qualifizieren.
+++ Neues vom Weltbild (nicht dem, das die Weltregie bei EM-Spielen zeigt, sondern der Büchershop-Kette der katholischen Kirche): Sie wird doch nicht verkauft wie zuletzt angekündigt, "sondern von der katholischen Kirche in anderer Rechtsform weitergeführt" (FAZ): als Stiftung. Warum nochmal wollten die Bischöfe dieses Geschäft verkaufen? Weil "im Onlineshop Weltbild.de erotische Romane des Verlags Blue Panther Books wie 'Schlampen-Internat' und 'Anwaltshure' angeboten" wurden (golem.de). +++
+++ Schon beschlossen: die Aufspaltung des Murdoch-Konzerns News Corp.: "Das Kino- und TV-Geschäft gilt als weitaus renditeträchtiger als das Zeitungsgeschäft des Konzerns, der an der Börse zurzeit rund 60 Mrd. Dollar wert ist: Die Sparte steuerte zuletzt fast 90 Prozent zum operativen Gewinn der Gruppe bei", beschreibt die FTD den zentralen Unterschied zwischen den künftig getrennten Firmen. +++ Pragmatisch kommentierte die FAZ bereits gestern im Wirtschaftsressort: "Es ist denkbar, dass die Abtrennung der skandalgeplagten Zeitungen eine neue Chance zum Kauf des britischen Bezahlsenders BSkyB eröffnen könnte". +++
+++ Die BBC ist auch nicht mehr, was sie mal war und als was sie hierzulande gern noch gilt. Sie bräuchte "ihre Originalität und die arrogante Verachtung für das Gängige und Naheliegende" wieder (Tsp.). +++
+++ Ein Lokaltermin bei den "Journosophen", die in Berlin als deutsch-französisches Gemeinschaftsunternehmen das Philosophie Magazin herstellen, bildet den Aufmacher der SZ-Medienseite: "Eines der letzten Nischenthemen wird jetzt populär". +++
+++ Die FAZ-Medienseite füllen weitgehend Korrespondentenberichte über das Deutschland-Image in Medien anderer Länder, nicht oder kaum vor Fußball-, sondern vor Euro-Krisen-Hintergrund. "Noch sind die historischen Feindbilder erst in den Hinterköpfen - und nicht in den Medien. Glücklicherweise identifiziert sich Frankreich überhaupt nicht mehr mit seiner Fußballnationalmannschaft", meldet Jürg Altwegg aus Frankreich. "Die meisten chinesischen Medien lehnen sich bei internationalen und erst recht wirtschaftlichen Vorgängen, solange das eigene Land nicht direkt beteiligt ist, nicht so weit aus dem Fenster, dass sie eine eigene Meinung riskieren. Doch beim Konflikt über die europäische Krise erscheint immer am ehesten die deutsche Position als plausibel" Mark Siemons aus China. +++
+++ Neues aus der angewandten Einschaltquoten-Analystik "ZDF: Royals wieder top, Brauner Terror flop" (dwdl.de über den Dienstagabend). +++ Da macht meedia.de den Online-Medienmedien Ehre: "So schlecht wie bei 'Endlich Prinzessin' sah man mit dem Zweiten allerdings selten". +++
+++ Die DuMont-Presse brachte gestern im Lauf des Tages zum Thema Kabelfernsehen (BLZ: "Kabel-Boykott") eine Nutzwert-Klickstrecke zu Fragen wie "Können Kabelkunden auch 2013 ARD und ZDF empfangen?". +++ Heute erörtert Jan Freitag anhand von Beispielen aus dem aktuellen Fernsehprogramm, "wie heterogen der Begriff Literaturverfilmung ist". +++ Die Frankfurter Rundschau stellt online ihren nun offiziell bekanntgegebenen neuen Chefredakteur Arnd Festerling vor. +++ Und der KSTA seinen veränderten Onlineauftritt. +++
+++ Stefan Niggemeier hat von Claus Strunz verantworteten digitalen Springer-Bewegtbild-Content transkribiert. +++
+++ Und die amerikanische Diskussion über den Tod des NYT-Reporters Anthony Shadid nach einem Syrien-Einsatz wird bei sueddeutsche.de nun auch frei online auf deutsch nachvollzogen. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.