Ist guter Boulevardjournalismus denkbar? Ist möglicherweise die taz eine Boulevardzeitung? Außerdem: Stuckrad-Barre macht einen ambivalenten Karriere-Move, die sächsische Staatskanzlei macht Krawall, und Senta Berger spielt heute gegen Joachim Löw.
Kein ganz normaler Tag, so viel lässt sich schon mal sagen: Das Foto auf der Titelseite der FAZ stammt heute aus einer TV-Sendung, das kommt ja nicht so häufig vor. Es stammt allerdings aus einer von 1972. Sehr viel geschrieben wird über eine im Herbst wieder laufende TV-Sendung, die nicht viel gesehen wird, und sehr gelobt wird eine TV-Sendung, die heute vermutlich nur wenige sehen werden.
Aber der Reihe nach: Das Foto vorn drauf auf der FAZ stammt naheliegenderweise aus jenem klassischen Monty-Python-Sketch, in dem deutsche und griechische Philosophen ein Fußballspiel bestreiten. süddeutsche.de und ftd.de greifen den Sketch auch auf.
Die gegenwärtige TV-Sendung, über die am meisten geredet wird, ist „Stuckrad Late Night“, die ab Oktober nur noch „Stuckrad-Barre“ heißt und dann nicht mehr bei ZDFneo läuft, sondern bei Tele 5. Warum wechselt Benjamin Stuckrad-Barre? Der Tagesspiegel zitiert Produzent Christian Ulmen:
„ZDFneo wollte mit der Entscheidung, ob und wie es mit der Sendung weitergeht, bis Herbst warten. Wir brauchten aber Planungssicherheit, deshalb haben wir uns für einen Senderwechsel entschieden.“
Eine ökonomisch-rationale Erklärung, eine mit allerlei unfreundlichen Zwischentönen allerdings. In der SZ (Seite 19) betont Ulmen deshalb, „Streit“ und „üble Gedanken“, habe es nicht gegeben, und seine „Wertschätzung für Frau Emmelius“ - die 53-jährige Neo-Geschäftsführerin, die mit Vornamen Simone heißt - äußert er auch.
Stucki zu Tele 5 - das klingt nicht wie ein Aufstieg für einen Mann, der mal als Hoffnungsträger gehandelt wurde, obwohl man jetzt auch schon nicht mehr so richtig weiß für was. Andererseits ist es vielleicht doch ein Aufstieg, denn Tele 5 hat die Ein-Prozent-Hürde übersprungen, ZDF Neo ist davon noch weit entfernt, obwohl Stuckrads Sendung sich zuletzt auf einen Marktanteil von „fast 1,5 Prozent“ (SZ) verbessert hatte.
dwdl.de zitiert zu der Personalie leicht irritierende Statements der Tele-5-Manager Kai Blasberg („Die Politsatire ‚Stuckrad-Barre' legt den Grundstein für ein neues Genre bei Tele 5“) und Thomas Friedel („Was wir Anfang des Jahres mit dem Grimme-Preis für Comedy begonnen haben, setzen wir im Herbst auf höchstem Niveau fort“). „Politsatire“ ist eine recht eigenwillige Kategorisierung für Stuckrads Sendung, aber immerhin hat der Protagonist ja mal am Drehbuch eines auch schon wieder vergessenen Films mitgeschrieben, der dies und das und vielleicht auch eine Politsatire war. Und einen „Grimme-Preis für Comedy“ (Programmdirektor Friedel) gibt es nicht. Wobei man an dieser Stelle natürlich erwähnen muss, dass „Walulis sieht fern“, jene Sendung, für die Tele 5 den Grimme-Preis in der Kategorie Unterhaltung bekommen hat, künftig beim ARD-Digitalkanal EinsPlus (Marktanteil: 0,3 Prozent) läuft. Während Stuckrad-Barre von einem Null-Komma-Sender zu einem Eins-Komma-Sender wechselt, geht Philipp Walulis also den umgekehrten Weg - freilich mit dem strategischen Hintergedanken, im ARD-Universum bald größer herauszukommen.
Auch wechseln wird - möglicherweise - Thomas Gottschalk, und zwar in die Jury der RTL-Sendung „Das Supertalent“. Recherchiert hat dies dwdl.de („Es wäre der Personal-Coup des Jahres“). Leute, die ein bisschen was von Gottschalk halten, werden, wenn es denn zu dem Wechsel kommt, bestimmt ein bisschen weinen.
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[+++] Der vielgelobte Film, der es, vorsichtig gesagt: nicht leicht haben wird heute (siehe oben), weil er bei arte parallel zum Spiel zwischen Deutschland und Griechenland läuft, ist Sophie Heldmans Langfilmdebüt „Satte Farben vor Schwarz“. Harald Keller preist in der Funkkorrespondenz den Film, in dem Senta Berger und Bruno Ganz ein Paar spielen, das seit 50 Jahren verheiratet ist. Eine Szene interpretiere die Regisseurin „so empathisch, als sei sie selbst beteiligt“, und das positive Gesamturteil wird auch nicht dadurch beeinträchtigt, dass
„wiederum beklagt werden kann, dass das Geschehen, wie so häufig im deutschen Fernsehfilm, im Milieu des gehobenen, materiell unabhängigen Bürgertums angesiedelt ist“.
Und tittelbach.tv schreibt:
„Rezeptionsästhetisch bringt das Schlussbild den Film großartig auf den Punkt: Das Angebot der Schauspieler, die Inszenierung ist zurückhaltend. Die Szenen, die Bilder leben größtenteils davon, was der Zuschauer bereit ist, in ihnen zu sehen.“
[+++] Nun zur Politik: Als Krawallschachtel der Medienpolitik versucht sich gerade der sächsische Staatskanzleichef Johannes Beermann zu inszenieren. An Stuckrad-Barres Sendung bei ZDFneo dürfte er wenig Gefallen gefunden haben, obwohl der Moderator ja auf seine Art ebenfalls eine Krawallschachtel ist. Beermann, auch Leiter der „Arbeitsgemeinschaft Beitragsstabilität“, hält von ZDFneo offenbar grundsätzlich nichts, jedenfalls will seine Dresdner Staatskanzlei den Sender abschaffen - nicht nur das, sie will auch alle anderen öffentlich-rechtlichen Digitalkanäle einstellen, inclusive DRadio Wissen. Die Funkkorrespondenz berichtet und weist darauf hin, dass es Beermann und Co. mit den Fakten nicht so genau nehmen.
[+++] Eine nicht ganz kleine Frage diskutiert die taz heute im Pro-und-Contra-Modus: Wäre Boulevardjournalismus auch ohne Niedertracht möglich? Anlass ist natürlich das Jubiläum einer Boulevardzeitung, die sich in der Disziplin Niedertracht von niemandem übertreffen lassen möchte. Der Contra-Kommentator Felix Dachsel meint unter anderem:
„Die Kritik am Boulevard verlangt keinen Intellekt. Sondern Mitgefühl.“
Steffen Grimberg argumentiert dagegen, es gebe guten Boulevardjournalismus, und zwar dort, wo viele ihn nicht vermuten. Christoph Lütgerts „Die Kik-Story“ sei so ein Beispiel. Am Ende wirft Grimberg noch „eine andere Frage“ auf:
„Ist die taz eine Boulevardzeitung? Die Antwort fällt verhältnismäßig leicht - sie lautet: Warum nicht?
+++ Positiv überrascht ist die taz von der ersten Spex-Ausgabe, die unter der Regie des ehemaligen Rolling-Stone-Redakteurs und - wie wir dank des Artikels nun auch wissen - Kettenrauchers Torsten Groß entstanden ist.
+++ Dagmar Reim bleibt Intendantin beim RBB. Der Tagesspiegel schreibt anlässlich ihrer gestrigen Wiederwahl: „In Reims Bilanz gibt es auch Schatten. Antenne Brandenburg ist zwar der Marktführer im Hörfunk, auch Radio Eins steht gut da. Doch im Fernsehen müssen ‚Abendschau‘, ‚Brandenburg aktuell‘ und ‚Zibb‘ sicherstellen, dass die Quote nicht untergeht.“
+++ „The drama and circus around Julian Assange is actively hurting the cause of WikiLeaks and his supporters need to recognise that", kritisiert Liberal Conspiracy.
+++ Dass das britische Wochenblatt New Statesman Angela Merkel als „Europe‘s most dangerous leader" bezeichnet, versteht Die Welt nicht.
+++ Google+ gibt es jetzt auch schon seit einem Jahr - eine Zwischenbilanz und ein Vorausblick in der NZZ.
+++ Wie Nazis mit YouTube-Videos Geld verdienen, beschreibt der Guardian.
+++ Eher Erfreuliches im Zusammenhang mit dem Videokanal: „Auch die Stars der Klassikszene“ werden heut zu Tage bei YouTube „entdeckt“, weiß die SZ (Seite12).
+++ Was Sat 1, Pro Sieben, Sixx und Kabel 1 demnächst so zeigen - letzterer Sender zum Beispiel Spiele der Europa League, vorletzterer eine Irgendwas-mit-Backen-Sendung mit enie van de meiklokjes -, fassen Tagesspiegel, SZ und FAZ zusammen. Michael Hanfelds FAZ-Text endet mit dem Satz, Sixx-Geschäftsführerin Katja Hofem habe „erkannt“, dass Backen „ein Trend“ sei, „der schon lange vorherrscht“. Wohl wahr! Sogar schon länger, als die FAZ existiert.
+++ Außerdem lobt die FAZ das „Programm für Entdecker“ mit Polen- und Ukraine-Bezug, das ZDFinfo für heute zusammen gestellt hat, unter anderem den Film „Immer gen Osten“, für den der „vielfach ausgezeichnete“ Zeit-Magazin-Redakteur Wolfgang Büscher 700 Kilometer zurückgelegt hat. Die FAZ schreibt natürlich: „per pedes“.
+++ Die SZ widmet den meisten Platz auf ihrer Medienseite der HBO-Serie „The Newsroom“, einer am Sonntag in den USA startenden Serie über die Nachrichtenredaktion eines fiktiven Senders, die Aufmerksamkeit erregt, weil sie von Aaron Sorkin („The West Wing“) stammt. Jörg Häntzschel findet „The Newsroom“ aber eher schlecht - wie auch die Huffington Post und der New Yorker, die er zitiert. Ein Interview mit Sorkin steht bei The Hollywood Reporter
+++ Fritz Göttler würdigt im SZ-Feuilleton den im Alter von 83 Jahren verstorbenen Journalisten Andrew Sarris, dessen Buch „The American Cinema. Directors and Directions 1929-1968“ „revolutionär gewirkt hat in der amerikanischen Filmkritik“. Inwiefern? „He brought to American film criticism its crucial idea, its crucial word (‚auteur‘), and the crucial taste that it signifies: the recognition that the best of Hollywood directors are the equals (...) of painters, writers, and composers of genius“, schreibt der New Yorker. Ein Nachruf auf den „Grandseigneur der amerikanischen Filmkritik“ steht auch in der FAZ (Seite 36)
+++ Apropos große Journalisten: Wer mehr erfahren möchte über Anton Kuh, einen der „wichtigsten österreichischen Feuilletonisten der Zwischenkriegszeit“, dem empfiehlt die Jüdische Allgemeine eine Deutschlandfunk-Sendung.
+++ Über Unschönes aus der österreichischen Medien-Gegenwart berichtet dagegen konkret. Anlass ist eine Studie zu antisemitischen Motiven in der Finanzkrisenberichterstattung der dortigen Printmedien.
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.