Schwadronage mit Klasse

Die Zukunft der Frankfurter Rundschau, die Schuld an Thommy Gottschalks Scheitern und natürlich die Rolle der Bild-Zeitung: viel Gegacker, von hyperaktiven Jubelpersern, aber auch von im Nachhinein noch schlaueren Topmanagern.

Eine Menge Awards wurde gestern wieder vergeben, Grimme Online Awards, Lead Awards. Die Award-Gewinner sind hier und hier auf den Webseiten der Award-Auslober genannt. Beziehungsweise bei der Lead Academy fehlen sie am Donnerstagmorgen noch (aber kress.de hilft aus). Kein Wunder, nach der gewiss rauschenden Party.

Der Ruhm der Lead Awards korreliert natürlich eng mit der schillernden Berufs-Vita des LeadAcademy-Vorstandsvorsitzenden Markus Peichl. Darin sind legendäre 1980er Magazine wie Wiener und Tempo ebenso enthalten wie legendäre TV-Shows der Nuller und 2010er Jahre, "Beckmann" und zuletzt "Gottschalk live".

Was macht nun eigentlich Thommy Gottschalk? Gestern (falls Sie den kress.de-Link nicht klickten) moderierte er in Hamburg Peichls Lead Awards-Gala. Und ebenfalls gestern fungierte der hyperaktive Entertainer bei einer merkwürdigerweise auch nicht im Fernsehen übertragenen Berliner Veranstaltung des Springer-Konzerns als dessen "Jubelperser", wie es David Denk in der TAZ formuliert. Es ging im 19. Stock des Springer-Hochhauses um die Buchpremiere eines elf Kilo schweren "Coffee Table Books", wie es Joachim Huber im Tagesspiegel nennt (der dort übrigens Gottschalk mit Nichterwähnung straft). Für nur 99,99  Euro ist jetzt das von Kai Diekmann herausgegebene, von Stefan Aust, Sebastian Turner, Ferdinand von Schirach und Franz Josef Wagner als Autoren verantwortete "Bild-Buch" aus dem "Kunstbuchverlag" (wie es wiederum Denk formuliert) Taschen erhältlich.

Um Thommy muss man sich also keine Sorgen machen. Er konnte bei Springer wieder mit Promis plaudern (TAZ: "Maske, Heino, Witt, Kerner, Pooth, Schröder (nur Kristina)") und analysierte: "Irgendwann macht jeder seinen Frieden mit Bild".

[+++] Immerhin, Thommy Gottschalk hat in letzter Zeit nicht immer recht gehabt, ja sogar mit manchen Einschätzungen grob unrecht.

Was "Gottschalk live" betrifft, so läuft die Fehleranalyse weiter. Erstmals nun hat sich eine besonders hochrangige Expertin geäußert. Die WDR-Intendantin und derzeitige ARD-Vorsitzende Monika Piel hat der WAZ-Gruppe, also diversen Zeitungen ihres Heimat-Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, ein großes Interview gegeben und antwortet darin auf die Frage "Hätte Gottschalk früher am Schräubchen drehen müssen, als sich das Desinteresse stabilisierte?" des Interviewers Jürgen Overkott:

"Eher seine Produktionsfirma. Das ist schon richtig. Es war eine volle Auftragsproduktion. Da hätte man früher reagieren können. Im Nachhinein ist man schlauer."

Ob sich das "Im Nachhinein ist man schlauer" auch auf andere Baustellen Piels bezieht, etwa die WDR 3-Radioreform (Piel dazu: "Ein Teil des Publikums, der sich sehr stark an der Hochkultur orientiert, hat offenbar Angst, etwas zu verlieren..."), wird sich wahrscheinlich auch erst in irgendeinem Nachhinein feststellen lassen. Jedenfalls könnte man Piels Aussage so verstehen, dass statt der ARD oder des innerhalb der ARD die bislang letzte Gottschalk-Show verantwortenden WDR die Bertelsmann-Firma Grundy Light Entertainment Schuld am Scheitern sei.

Dagegen erhebt die Süddeutsche (S. 17, derzeit nicht frei online) in Gestalt Hans Hoffs Einspruch:

"Ob es wirklich schlau ist, sich als öffentlich-rechtlicher Rundfunk von einer Produktion zu distanzieren, für die man zuständig ist? Schließlich fanden sich im Abspann von Gottschalk Live und im zugehörigen Presseheft gleich sechs Namen mit dem Zusatz WDR. ... Sollte also die Schuld am Scheitern hauptsächlich bei Grundy Light liegen, fragt man sich, was diese sicherlich gut bezahlten Herren zwischen Januar und Juni den lieben langen Tag so gemacht haben."

Welche sechs Namen? Etwa den des Fernsehspielchefs Gebhard Henke als "Executive Producer WDR" nennt Hoff. Hier gibt's das hübsch gestaltete Presseheft als PDF-Datei.

Als vorbildlicher Journalist hat Hoff aber nicht nur beurteilt, was Piel anderswo sagte, sondern auch noch einmal selbst nachgefragt und vom WDR folgende offizielle Auskunft erhalten: "Frau Piel hat nicht der Produktionsfirma die Schuld an dem geringen Zuspruch zugewiesen."

[+++] Das passt insofern, als dass Franz Sommerfeld aus dem Vorstand des wie der WDR in Köln ansässigen Verlags M. DuMont Schauberg MDS auch gerade etwas ausdrücklich nicht angedeutet haben möchte. Und zwar dass der Verlag die früher überregionale Zeitung Frankfurter Rundschau verkaufen möchte. Das betonten Sommerfeld und MDS in einer DPA-Meldung, die gestern erschien, nachdem in einem zuvor gestern erschienenen (hier im Altpapierkorb erwähnten) FTD-Artikel Sommerfeld unter der Überschrift "'Frankfurter Rundschau' wird Verkaufskandidat" mit folgenden Worten zitiert worden war:

"Wenn wir einen hochinteressierten Käufer finden, der uns viel Geld dafür zahlen würde, würden wir das natürlich prüfen".

Einerseits eine unanfechtbare Formulierung. Wer würde, wenn er auf hochinteressierte, vermögende Kaufinteressenten für eines seiner Besitztümer stieße, nicht nachdenken? Andererseits ist bei einem gewiss nicht schlecht bezahlten, ähm: Topmanager "davon auszugehen, dass Franz Sommerfeld seine Worte mit Bedacht wählt" (Tagesspiegel). 

Ziemliche Aufregung entspann sich um den "Spekulationsstoff" (SZ) vor allem, weil just gestern (wie die FTD natürlich wusste) der Minderheitsgesellschafter der Rundschau, die mit 40 Prozent beteiligte SPD-Medienholding DDVG, ihre Bilanzpressekonferenz abhielt. Dort wurden also mehrere Journalisten Zeuge, wie sich DDVG-Manager echauffierten.

Birte Bühnen (kress.de) hörte die SPD-Schatzmeisterin Barbara Hendricks von "Herumschwadronieren" und den DDVG-Geschäftsführer Jens Berendsen von "Schwadronieren" reden. Georg Altrogge vom Zuspitzungen eigentlich nicht abgeneigten Rivalen meedia.de hatte zwar wohl einmal bloß "Spekulieren" verstanden, aber ebenfalls mitbekommen, dass die SPD-Firma die Äußerungen aus Köln für vermögensschädigend oder wertmindernd hält und vielleicht sogar deshalb gegen MDS vorgehen wollte. Ferner erwähnt Altrogges Beitrag einen bei der Pressekonferenz anwesenden TAZ-Redakteur, der eine weitere spektakuläre Frage stellte.

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Heute in der TAZ enthüllt Steffen Grimberg zwar noch nicht, was es mit "einem österreichischen Konsortium" auf sich hat, mit dem MDS bereits verhandelt hätte, bestätigt aber zumindest, dass seitens der SPD doch von "Schwadronieren" die Rede war. Außerdem zitiert er Hendricks mit "Wenn er schon nicht mit Zahlen umgehen kann, sollte er wenigstens mit Worten umgehen können" (über Sommerfeld) und Berendsen mit dem Satz:

"Es ist völlig überflüssig, über öffentlich ungelegte Eier zu gackern."

Im (kontextsensitiv betrachtet, freilich unwahrscheinlichen) Fall, dass dieser Satz nun eher analytisch als schwadronierend zu verstehen ist, könnten Beobachter ja darüber nachdenken, ob womöglich intern bereits Eier gelegt sind, über die intern zu gackern auch sinnvoll sei.

Ansonsten geht es der DDVG übrigens gut. Sie ist ja auch mit knapp einem Viertel an der niedersächsischen Verlagsgruppe Madsack beteiligt. "Wenn Madsack wächst, wachsen wir mit", zitiert ebenfalls die TAZ Berendsen. Und kress.de weist darauf hin, dass die SPD-Medienholding auch international auf Draht ist und "Lernprodukte auf den chinesischen Markt bringen" möchte:

"In einem ersten Schritt sollen 26 Folgen der vom ZDF produzierten Kinderserie 'Oscar der Ballonfahrer' nach Asien exportiert werden. Mit der Beijing Publishing House LTD gibt es einen ersten Partner vor Ort."


Altpapierkorb

+++ Julian Assange jetzt in der ecuadorianischen Botschaft: Zu dieser letztlich-auch-was-mit-Medien-Geschichte liegen neue Interpretationen vor: als individuelle Tragödie Assanges (Süddeutsche), als Politthriller (Tsp.) sowie als zumindest doch kompliziertes, vielschichtiges Drama (TAZ). +++

+++ Zurück zu Springer: Droht nun am Samstag jedem deutschen Briefkasten, dessen Inhaber sich nicht rechtzeitig darum gekümmert hat, eine Gratis-Bild-Zeitung, deren Anzeigen Springer womöglich sogar Gewinn bescheren? "Das wird passieren, alles andere wäre eine Niederlage für 'Bild'", prognostiziert Joachim Huber im oben verlinkten Tsp.-Artikel. +++ "Mehr als 235.000 Menschen" haben sich gewappnet, damit ist  alle-gegen-bild.de-Organisatorin Susanne Jacoby zufrieden, sagt sie der TAZ. Außerdem wird am Samstag vor dem Springer-Hochhaus "eine überdimensionale Rote Karte" gezeigt. +++

+++ Einer der zahlreichen ARD-Fußballexperten, der frühere Top-Schiedsrichter Hellmut Krug, "wird an diesem Mittwoch vorzeitig abreisen. Dass ihn die ARD in der brisante Lage nicht auftreten ließ, hat ihn offenbar verärgert", berichtet die Süddeutsche. Mit der Brisanz ist der eskalierende Ärger um Fehlentscheidungen gemeint. Ohnehin übt Christopher Keil harsche Kritik (nicht nur am ZDF, auch) an der ARD-Berichterstattung von der EM: "Tatsächlich klingt das aber inzwischen eher nach Wok-EM statt nach Fußball-EM. Und das liegt nicht nur an Matthias Opdenhövel, der früher einmal die von Stefan Raab erfundene Wok-WM moderierte" +++ "Gerade den medial vermittelten Sport als interessantes Handlungsfeld für Integration und Partizipation" sieht Mark Ludwig vom Kölner Institut für Kommunikations- und Medienforschung auf vocer.org. +++

+++ Außerdem geht's in der SZ um den Kriegsfilm "Ich diene der Sowjetunion", der "kürzlich nachts im ukrainischen Fernsehen" lief und auf dem russischen Gazprom-Sender NTW für Ärger mit Veteranen sorgen könnte.

+++ Außerdem geht's im Tagesspiegel um die Zukunft der ersten ARD-Anstalten-Intendantin Deutschlands: "Alles andere als eine Wiederwahl der bisherigen Intendantin Dagmar Reim, 60, gilt als sehr unwahrscheinlich." +++

+++ Die FAZ (S. 35) berichtet dann noch von einem Urteil des Landgerichts Mainz zur ewigen Frage der Drittsendeplätze: Fernsehproduzent Josef Buchheit ("News and Pictures") ist mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung gegen die ProSiebenSat1 AG gescheitert. Nächste Woche will die Kommission namens ZAK ("...für Zulassung und Aufsicht) wieder weiterentscheiden. +++ Ansonsten sind zehn Jahre Halbwertzeit im Medienbusines natürlich grob unsachlich. Doch Peer Schader hat fürs FAZ-Fernsehblog mal überprüft, was der noch recht neue ZDF-Intendant Thomas Bellut anno 2002 so prognostizierte (u.a. über Thommy Gottschalk). +++

+++ Und falls interessiert, was aus den am vergangenen Donnerstag hier erwähnten was-mit-Medien-Prozessen geworden ist: Rolf Hochhuth und die DPA haben einen Vergleich geschlossen. Um die Einigung, die Wilfried Huismann und der WWF noch erzielen sollen, kümmert sich zumindest Amazon nicht (Die Zeit). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.