Kräftiges Rudern rund ums Leistungsschutzrecht. Schadet ein Linkboykott der Suchmaschinenoptimierung? Außerdem: Innovationen im deutschen (!) Fernsehen. Mehr Krimis im ZDF, das auch Lob für sein Internetangebot bekommt.
Willkommen auch heute wieder zur redaktionell-technischen Festlegung journalistischer Beiträge im Rahmen der unter dem Titel Altpapier im Träger Internet periodisch, nämlich werktäglich veröffentlichten Sammlung, Einordnung und Zuspitzung medienjournalistischer Texte (Quelle der Definitionsfestlegungen: PDF, also der von irights.info zur Verfügung gestellte Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz zum womöglich kommenden Leistungsschutzrecht für Presseverlage).
Der Gesetzentwurf zieht wie in den letzten Tagen so auch heute wieder allerhand Kreise. "Lob bekam Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die sich für ein Leistungsschutzrecht aussprach", einer aus Sicht des Verlags M. DuMont Schauberg aus Agenturmeldungen zusammenmontierten Übersicht über das Kölner "medienforum NRW" zufolge (DPA & EPD/ BLZ).
Lob bekommt die Bundesjustizministerin ansonsten nicht viel. Der Freie-Journalisten-Verband Freischreiber [in dem Mitglied bin] protestiert mit konkret aus dem Entwurf abgeleiteten Befürchtungen. Der Deutsche Journalisten-Verband DJV protestiert mehr als dass er (aber auch) begrüßt, und zwar mit einer kraftvollen Formulierung seines Vorsitzenden Michael Konken ("Journalistinnen und Journalisten sind nicht das überflüssige Reserverad des Medienbetriebs, sondern sein Motor!").
"In seiner derzeitigen Form ist der Entwurf ein Frontalangriff auf die Netzkommunikation", meint der Rechtsanwalt und ehemalige FTD-Redakteur Stephan Zimprich im Internetauftritt des medium magazins.
Bekannte Blogger formulieren in gewohnter größerer Schärfe. Thomas Knüwer schreibt nicht nur von "Kotau vor der Verlagsindustrie", sondern auch von einem "hirnentleerten Gesetzesentwurf", und greift den z.B. bei jensscholz.com geäußerten Vorschlag auf, "auf das Angebot eines klassischen Mediums" nicht mehr zu verlinken:
"Jene drei Spiegel-Online-Autoren bekräftigen, man dürfe auch weiter auf sie verlinken. Wie gnädig. Und wenn ich nicht mehr will? Denn genau das ist der Fall. Ich mag nicht mehr. So lange dieser Leistungsschutzunsinn im Raum steht werde ich nicht mehr auf die Angebote klassischer, deutscher Verlage verlinken. Wörtliche Zitate wird es nur noch geben, wenn es um eine unmittelbare Berichterstattung über einen spezifischen Inhalt geht. Dann wird die Quelle natürlich genannt – aber nicht verlinkt."
Damit entgingen den Verlagen "für Geld kaum zu kaufende SEO-Hilfen". Und dass SEO zu den Dingen im Internet gehört, in das die Verlage relativ kräftig investieren, ist zumindest unbestreitbar.
Stefan Niggemeier wiederum beobachtet Christoph Keese, den Außenminister der Axel-Springer-AG, in dessen Presseschauder-Blog beim "Zurückrudern", das heißt beim "unterschwelligen" Eingestehen, "wie weitreichend und potentiell zerstörerisch die Folgen einer Monopolisierung der Sprache ist, wie sie der Entwurf vorsieht, der auch kleinste Teile eines Presseerzeugnisses schützt". Niggemeier nutzt diese Beobachtung, um auch selbst zurückzurudern und seine Position von vor wenigen Tagen, das Leistungsschutzrecht-Projekt sei "selten ...so tot wie heute" gewesen, zu räumen.
Wie so oft hat er aber auch eine sowohl schön bunte als auch in ihrer Absurdität besonders prägnante Detailbeobachtung in seinen Rundumschlag integriert. Sie stammt vom Filmregisseur Rudolf Thome, einem alt gewordenen Vertreter des einst Jungen deutschen Films, der auf seiner Webseite moana.de ein umfangreiches, vor allem Foto-basiertes Blog betreibt (das zumindest ist schön bunt). Und dort heißt es im Juni (für den 12.6., zu dem man ganz schön nach unten scrollen muss):
"Dann flattert mir ein Brief der Hamburger Anwaltskanzlei 'ksp Dr. Seegers' ins Haus. Eine Abmahnung, weil auf meiner Website zwei Kritiken des "Tagesspiegel" wiedergegeben waren ('ROT UND BLAU' und 'DU HAST GESAGT, DASS DU MICH LIEBST'). Kosten 958,27 Euro. Wie kann dem 'Tagesspiegel' ein Schaden durch die Wiedergabe zweier uralter Kritiken entstanden sein, frage ich mich. Und dann kriege ich so was ausgerechnet vom 'Tagesspiegel', für den ich selbst 15 Jahre lang Filmkritiken geschrieben habe. Meine erste Reaktion gestern war, alle wiedergegebenen Kritiken zu allen meinen Filmen zu löschen, meine zweite heute morgen, nicht mehr den 'Tagesspiegel', sondern die 'Süddeutsche Zeitung' zu kaufen."
[+++] Damit hinein in die Medienberichterstattung der gedruckt kostenpflichtigen, online gratis verfügbaren und derzeit auch gratis verlinkbaren Presse. Trotz allem eine schöne Leistung des gerade schon erwähnten Tagesspiegel ist das Interview mit dem Moderator des am kommenden Sonntag letztmals ausgestrahlten "Nachtstudios" im ZDF.
Zugegeben, was Volker Panzer mit seinen beiden Interviewern Joachim Huber und Thomas Eckert plaudert, klingt zunächst "ein bisschen langweilig", wie irgendjemand im Gesprächsverlauf auch sagt. Aber kurz darauf sagt Panzer etwas, das man in solchen Interviews praktisch niemals liest ("Wir hatten zum Beispiel nie Ärger mit dem ZOF des ZDF, dem zielorientierten Führungssystem. Das bedeutet, dass wir die Quote, die wir zu erreichen hatten, immer geschafft haben", und auch "Wir sind neben 'Volle Kanne' die preisgünstigste Sendung im Programm des ZDF"). Und man fragt sich, warum eigentlich all die Heerscharen interviewter Fernsehschaffender sonst niemals vom ZOF oder solchem Sendungs-Preisvergleich reden. Weil das jedem, der weiterhin Sendungen machen möchte, streng verboten ist?
Jedenfalls hat Panzer mit dem Fernsehen abgeschlossen, so dass sich das Tsp.-Interview dann auf folgenden Höhepunkt zubewegt:
"... Ich kann die Entscheidung des ZDF auch nicht wirklich nachvollziehen. Schließlich waren wir einzigartig. Sicher, das ZDF will und muss neue Wege gehen. Aber wenn wir mit einer Sendung über die documenta in Kassel 400.000 Zuschauer, und das mitten in der Nacht, erreichen, dann soll uns das erst mal einer nachmachen."
"Ein Loch tut sich auf. Was wird statt des 'Nachtstudios' laufen?"
"Nichts. Also Wiederholungen. Krimis wahrscheinlich."
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[+++] Gibt es eigentlich etwas, "was wirklich neu ist" im deutschen Fernsehen? Jawohl, meint zumindest dwdl.de-Chefredakteur Thomas Lückerath. Und damit zurück zum "medienforum NRW" nach Köln. Die dort von Lückerath vorgetragene Übersicht über die "aktuellen Trends in den non-fiktionalen Entertainment-Genres im deutschen Markt" gibt's online zum Nachlesen. Das Erstaunlichste daran: die enorme Milde, mit der sich Trends wie derjenige, dass die Öffentlich-Rechtlichen "das Seichte und Gefällige (entdecken) - und das sogar zur Primetime" auch beschreiben lassen.
Interessant im internationalen Vergleich: "Kaum ein Programm-Genre ist in Deutschland - verglichen mit anderen TV-Märkten - so überrepräsentiert wie Dating". Das aktuell spektakulärste Exempel dieses Genres, "Auf Brautschau im Ausland" bei Sat.1, ist "unter aller Würde", meint hier nebenan evangelisch.de-Portalleiter Hanno Terbuyken.
[+++] Falls Sie eben oben auf den Link zum ZDF-Nachtstudio geklickt haben sollten, dann haben Sie so gut wie nichts gesehen. Also nicht einmal Krimis, vor allem aber keinerlei Text. Das ist das neue Internetangebot des ZDF, das Michael Hanfeld in der FAZ, ebenfalls über Kölner Medienkonressgeplänkel berichtend, auf das alte, aber beileibe noch nicht abgeschlossene Verlage-/ Anstalten-Streitthema der "elektronischen Presse" abhebend, im Gegensatz zu dem der ARD lobt:
"Schon auf den ersten Blick ist zu erkennen, wie sehr sich das Erste und das Zweite im Internet unterscheiden: Das Internetangebot des ZDF hat sich unter dem neuen Intendanten Thomas Bellut fundamental gewandelt: Das bewegte Bild steht ganz eindeutig im Vordergrund, die Texte sind Beiwerk – so sieht Fernsehen im Internet aus. Bei der ARD ist es umgekehrt: Sie hat eine vielköpfige Textredaktion ins Leben gerufen, die Beiträge produziert, die, wenn überhaupt, eher lose mit dem Fernsehprogramm verbunden sind – so sieht eher Zeitung im Internet aus."
+++ Die TAZ kritisiert zwar die "Sparwut in Spanien", die dort die öffentlichen Fernseh- und Radiosender erreicht habe. +++ Die TAZ-Kriegsreporterin würde sich aber etwas Sparwut in der ARD wünschen. Zumindest fragt sie sich (u.v.a.), warum "Tagesthemen"-Moderatorin Caren Miosga für Livesendungen "mitsamt zwei Redakteuren die Gebührengelder nach Athen tragen" muss, "um die Euros zu denen zu bringen, die sie brauchen?" +++
+++ Immerhin keine Sparwut bei Phoenix. Der sogenannte Dokumentations- und Ereigniskanal von ARD und ZDF soll auch künftig, nach Christoph Minhoffs Weggang, zwei Programmgeschäftsführer haben, also "einen von der ARD, einen vom ZDF". ZDF-Intendant Thomas Bellut soll eine Frau benennen wollen, berichtet Claudia Tieschky in der Süddeutschen (S. 17): "Das gewünschte Profil wird angeblich Michaela Kolster zugetraut. Die 47-Jährige war Korrespondentin im Hauptstadtstudio des ZDF, ihr werden gute Kontakte zu Angela Merkels Medienberaterin Eva Christiansen nachgesagt, die künftig im ZDF-Fernsehrat sitzt." +++
+++ "Wenn wir einen hochinteressierten Käufer finden, der uns viel Geld" für die Frankfurter Rundschau zahlen würde, dann würde der Verlag M. DuMont Schauberg diesem nicht sofort die Tür weisen. Schon auch deshalb, weil "ein unerwartet starker Rückgang beim Geschäft mit Stellenanzeigen" die anders formatierte Lokalausgabe der Berliner Zeitung weiter in den roen Zahlen hält. Das sagte jeweils Franz Sommerfeld, aus dem DuMont-Vorstand der FTD. +++ Vielleicht eine Ansprechpartnerin? Die australische Milliardärin Gina Rinehart, die zumindest "ihr Geld auch gegen unabhängigen Journalismus einsetzt" (taz.de).+++
+++ "Rufmord im wahrsten Sinne des Wortes" aus ebenso traurigem wie fürs Gebaren der digitalen Springer-Presse aufschlussreichem Anlass großartig visualisiert von Frl.Krautwurst. Hintergründe bei bildblog.de. +++
+++ 2011 wurden in Deutschland 64 Millionen Euro mit Video-on-Demand-Angeboten verdient (dwdl.de). +++
+++ Anschnallen bitte! Anstelle des bekannten "Gegurkes" (Wolfgang Michal, Carta) bauen sich die Webseiten von freitag.de, hier die mit was-mit-Medien-Inhalten, in beinahe solch rasanter Geschwindigkeit auf, wie man sie sonst aus dem Internet kennt. Weitere Reformen erläutert meedia.de: "Unterschiede zwischen Nutzer- und Redakteursbeiträgen sollen noch stärker als bisher verschwinden - beide Formate werden intern als 'Beiträge' bezeichnet", in der Artikelleiste deutet nur eine blaue (Redaktion) oder pinke (Nutzer) Unterlegung des Namens auf die Quelle hin", ja, denkbar, dass "autorisierte Nutzer ihre Blogs selber moderieren oder dass sie ganze Dossier-Themen betreuen", sagte der Chefredakteur der Wochenzeitung, Philip Grassmann. +++
+++ Zu dem, was dwdl.de "Balljungen-Gate" nennt, also zur UEFA-Regie, die die einzigen Fernsehbilder von EM-Fußballspielen verbreitet, bringt die Süddeutsche Hintergründe: "Es wird gerne so dargestellt, als ob das Produktionsensemble aus den besten Regisseuren, Bildmischern, Tonmeistern und Kameraleuten Europas bestehe. Theoretisch mag das sogar sein. Aus Deutschland wird Knut Fleischmann in Polen und der Ukraine eingesetzt. Fleischmann ist TV-Regisseur und ansonsten bei Sportcast beschäftigt, der Firma, die für die Deutsche Fußball-Liga (DFL) die Bundesliga-Live-Spiele produziert - eine DFL-Tochter. Er ist also Experte. Trotzdem fällt bei dieser EM auf, dass wichtige, strittige, faszinierende Spielmomente häufig zu spät, zu kleinteilig oder gar nicht wiederholt werden." +++ Wen interessiert, welche Fußballreporter Matthias Kalle gut und vor allem: schlecht findet, bitte hier (Tsp.) klicken. +++
+++ Ferner in der SZ: Was Waltraut von Mengden, Geschäftsführerin der frischgebackenen Bauer-Verlags-Tochter Marquard Media, über die Welten sagt, die zwischen ihrem Standort München und dem Bauer-Sitz Hamburg liegen. Bauer verfolgt nun "eine neue Strategie, um das erste Haus für Frauentitel zu werden", und SZ-Autor Jens Schneider scheint zu glauben, dass das klappen könnte. +++
+++ Etwas, das es nur noch selten gibt, heute auf der FAZ-Medienseite: eine Nachkritik, und zwar zur Piraten(-Partei)-Reportage der ARD. Und zwar eine für Print angepasste Fassung der Online-Früh-, aber auch Nachkritik. "Das größte Problem der Piratenpartei offenbarte der Film ganz ohne Absicht: Sie langweilt inzwischen. Das Publikum kennt den jungen Menschen, der plötzlich ein politischer Prinz wird, inzwischen ziemlich gut", meinte und meint Stefan Schulz. +++
+++ Der abgeschlossene Roman der tazzwei liest sich auf Papier bzw. mit Fotos sicher besser als in dieser Onlineform: "Sechs Wochen lang war er in Homs gewesen, eine Stadt, die der Weltöffentlichkeit herzlich egal gewesen war, bis sie zu dem Symbol für die Brutalität des Assad-Regimes in Syrien wurde. 'Es war schlimmer als Srebrenica!', schrie Robert und konnte gar nicht mehr aufhören zu sprechen. Ich fragte, ob wir nicht jetzt sofort ein Bier zusammen trinken wollten. 'Ich bin mehr der Wodka-Typ.' Mir war schon klar, dass diese Art von hartgesottenen Fotojournalisten Bier nur trinkt, wenn es gar nichts anderes gibt. Was ich sagte, war, dass ich das mit dem Wodka schon wüsste, dass es in meiner Kultur aber als sehr unhöflich gelte, jemanden gleich als harten Trinker einzuschätzen. Das gefiel Robert. Wir trafen uns bei 32 Grad und Sonnenschein ..." Da berichtet Jasna Zajcek aus Beirut über den Kriegsfotograf Robert King. +++
+++ "Vadim Glowna war ein großartiger Schauspieler, er wusste auch hier, sein Inneres mit genial-fleischiger Mimik nach außen zu holen": Seinen letzten Fernsehfilm, eine Folge der ARD-Reihe "Bloch", empfehlen Süddeutsche, Tsp. und Tilman P. Gangloff nebenan. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.