Showdowns vor Landgerichten

Medienjustiz beinahe so spannend wie Fußball: Morgen geht es rund für Rolf Hochhuth und die DPA, einen Bertelsmann- und WDR-Autor und den WWF. Außerdem im Fokus: Postboten, das neue Leistungsschutzrecht, der Urheberrechts-Begriff "Verblassen".

Immer wieder toll, was dieses Internet alles kann. In Echtzeit erscheinen vermutlich viel mehr Inhalte zum Beispiel über Mario Gomez oder Béla Réthy, als Réthy oder jedenfalls Gomez jemals lesen könnten, selbst wenn sie künftig nichts anderes mehr täten. In Echtzeit trendet zum Beispiel weltweit die für Nicht-Muttersprachler schwierige deutschsprachige phrase "Einigkeit und Recht und Freiheit" bei Twitter (bei Twitter trenden = in der Liste der trending topics, der zehn meistgetwitterten Worte oder Begriffe erscheinen). Natürlich vorübergehend, aber vorüber geht zum Glück ja jeder Trend.

[+++] In einer völlig anderen Epoche vor ein paar Jahrzehnten wurden trending topics noch auf den sogenannten Brettern, die die Welt bedeuten oder zumindest bedeuteten, gesetzt. Einem Vertreter dieser Epoche kann man noch in Berlin-Mitte begegnen, in einem Steakhaus oder der "Peking-Ente", "wo er manchmal spät Zeitung liest". Es handelt sich um Rolf Hochhuth, der mit dem Theaterstück "Der Stellvertreter" in den 1960-er Jahren quasi weltweit Diskussionen entfachte, wie es seitdem kaum mehr einem Theaterstück gelungen sein dürfte. In letzter Zeit ist der stets streitbare Hochhuth freilich, zweifellos auch das vorübergehend, zu einer Art bestenfalls tragischer Witzfigur für berlinfokussierte Feuilletons geworden. (Und dass seine offizielle Internetpräsenz aktuelle Termine von 2007 und 2008 auflistet, sollte niemand ihm verübeln).

Heute steht ein recht freundlicher oder zumindest fairer Artikel über ihn auf der Tagesspiegel-Medienseite. Autorin Deike Diening schreibt sehr vorsichtig, zwischendurch geht ihr Hochhuth-Porträt in ein Interview über. Vorsichtig ist sie jedoch aus gutem Grund. Aktueller Anlass ist ein Gerichtstermin am morgigen Freitag vor dem Hamburger Landgericht, bei dem es um bis zu 250.000 Euro oder sechs Monate Haft geht. Es streiten die Nachrichtenagentur DPA und Hochhuth, es geht eigentlich um etwas durchaus Wichtiges und auch ästhetisch Gelungenes, das Denkmal für den Hitler-Attentäter Georg Elser. Es geht konkret aber bloß um die Frage, ob die Agentur vor der Einweihung dieses von Hochhuth initiierten Denkmals darauf hingewiesen hatte. Dass sie das nicht getan hatte, hat Hochhuth wohl behauptet, während die DPA wohl nachweislich doch berichtet und jedenfalls dem Autor einen strafbewehrten Gerichtsbeschluss auf Unterlassung zugestellt hat.

"Woher er das weiß?

'Weil keine einzige Berliner Zeitung vorab berichtet hat.'

Wie aber kann er von der Berichterstattung auf die Information durch dpa schließen? Dazwischen stehen noch Redakteure, die auswählen, was sie melden.

'Ich bin nicht so unten durch in Berlin, und auch Georg Elser ist das nicht, dass keine Zeitung, hätte sie davon gewusst, das nicht angekündigt hätte. Das gibt's nicht.'

Auf die Idee, dass es nichts mit ihm zu tun haben muss, kommt Hochhuth nicht",

schreibt Diening. Noch wählen tatsächlich Redakteure aus, was sie vermelden, aber auch das dürfte sich relativieren. Jedenfalls halten der Autor und die DPA zwar "die Sache eigentlich für zu nichtig, um derart zu eskalieren". Aber am morgigen Freitag um 12.00 Uhr werden sie sich vor Gericht treffen.

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[+++] Am selben Freitag vor dem Landgericht Köln könnte es noch höher hergehen, berichtet noch ausführlicher die Medienseite der Süddeutschen Zeitung. Dort werden der World Wide Fund for Nature (Ex: World Wildlife Fund, WWF) und der Journalist Wilfried Huismann zu einem spektakulären Prozess aufeinandertreffen. Ihr Streitthema ist ein Buch, Huismanns "Schwarzbuch WWF", das auf einer TV-Reportage basiert. Über diesen Streit wurde bereits in allerhand Medien und allerhand Ressorts berichtet, wie schon die Pressetimmen-Übersichten auf den Webseiten der Kontrahenten (wwf.de/wwfinformiert, wilfried-huismann.de) belegen, jeweils inklusive Links zu den Artikeln und Videos.

Lars Langenau schreibt die Sache für die SZ (S. 17, derzeit nicht frei online) ausführlich und mit ausdrücklichem Bezug zu den gängigen Medienformen und -vertriebswegen auf:

"Die für den WWF tätigen Advokaten haben auch große Online-Buchhändler wie Amazon, Libri und Weltbild angeschrieben und drohen mit rechtlichen Schritten, falls das Schwarzbuch WWF über sie zu beziehen sei. Der beklagte Titel wurde mancherorts prompt aus dem Handel genommen. Von Amazon stammt die Benachrichtigung: 'Dieser Artikel ist in Deutschland indiziert bzw. beschlagnahmt. Wir bieten generell keine indizierten bzw. beschlagnahmten Titel auf Amazon.de an.' Dabei ist das Schwarzbuch - zumindest noch bis Freitag - erlaubt, allerdings praktisch kaum zu erwerben."

Und das, obwohl es in einem Bertelsmann-Verlag erschienen ist, also in einem keineswegs einflussarmen Konzern:

"Rainer Dresen, Anwalt des Gütersloher Verlagshauses, sagt, dass er schon viel erlebt habe, doch selbst bei kritischen Büchern über Scientology sei noch nie so ein massiver Druck auf den Verlag ausgeübt worden..."

Wer versuchen möchte, das Buch zu kaufen, erhält auf Huismanns Webseite Hinweise, wie es funktionieren könnte. Langenaus Artikel endet in Monaco:

"An diesem Donnerstag wird beim Fernsehfestival in Monte Carlo entschieden, wer 2012 etwa in der Kategorie 'Beste Dokumentation International' gewinnt. Huismanns 'Pakt mit dem Panda' ist nominiert, der Autor bekam aber keine Einladung. Als er bei der Festivalleitung anrief und nachfragte, wurde ihm erklärt, sein Film sei 'juristisch umstritten'. Hat der WWF womöglich mit Monegassen-Fürst Albert gesprochen?."

Huismann könnte vermutlich ganz gut damit leben, keine Nymphe d’Or zu gewinnen. Aber fürs Verschwörungskino ist so ein Fürst natürlich das Sahnehäubchen. "Pakt mit dem Panda" lautet übrigens der Titel der ursprünglichen Fernsehreportage. Sie lief letztes Jahr in der ARD. Müssten wir hier also die gestern und vorgestern angeklungene Kritik an den Sendezeiten der spektakulären ARD-Dokumentarfilme revidieren? Nö, um 23.30 Uhr im letzten Juni lief der Film, der in den Mediatheken rundfunkstaatsvertragsgemäß natürlich nicht mehr zu finden ist.

Wer "Pakt mit dem Panda" freilich im größten Videoportal der Welt sucht, wird ihn schwerlich nicht finden. Auch bzw. ganz besonders das kann das Internet.


Altpapierkorb

+++ Außerdem im Blickpunkt: Deutschlands Briefträger. Am übernächsten Samstag dürften sie besonders viel zu schleppen haben, zusätzlich zu "Einkauf aktuell", dem mit Werbeprospekten eingeschweißten Rudimentär-Fernsehprogramm, das ihr Arbeitgeber Deutsche Post herausgibt, auch noch die einmalige Gratis-Juibiläumsausgabe der Bild-Zeitung zu ihrem 60. Geburtstag. Von Unmut der Postboten in deren Internetforen berichtete gestern die FTD und das Bildblog. Die Post (der der Bild-Verlag Springer bekanntlich einst mit einem eigenen Postdienst Konkurrenz machen wollte), dürfte damit "zumindest einen niedrigen einstelligen Millionenbetrag verdienen", so die FTD. Zusammenfassungen der Lage haben Tagesspiegel, TAZ und Carta (mit Links für die ohne Bild-Zeitungs-Gratismentalität). +++

+++ Relativ breaking: Hier womöglich "der neue Paragraf 87f des Urheberrechtsgesetzes, so wie er in einem Referentenentwurf des Justizministeriums formuliert wurde: somit das sogenannte Leistungsschutzrecht!" (Kai Biermann bei Google +). +++

+++ Hier indes (blogfraktion.de) ein "Diskussionspapier der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Urheberrecht in der digitalen Gesellschaft", auf das die FAZ aufmerksam macht. Spekatkulär der Rechtsbegriff des Verblassens: "... Sofern es sich um ein neues Werk handelt und der Eindruck des Originals gegenüber demjenigen des neuen Werkes 'verblasst', darf das Original frei bearbeitet werden. Eine stumpfe Kopie ist dagegen keine schützenswerte Leistung". +++ Erläuterungen zum neuen hamburgischen Transparenzgesetz gibt Vertrauensperson Michael Hirdes (aka Dodger vom Chaos Computer Club) bei netzpolitik.org. +++ Praktisches Urheberrecht ist ganz besonders im Fernsehbereich enorm kompliziert. epd medien breitet einen schmalen Aktenordner des TV-Autors Peter Ohlendorf zu Fragen der Archivrechteklärung aus. +++

+++ "So ist es heute dank des Internets: Alle machen Musik, alle machen Texte - und abgesehen davon, dass keiner mehr für irgendetwas zahlen will, sagen alle auch ständig über alles 'Kann ich selber und besser'". Johannes Schneider vom Tagesspiegel war nach einem EM-Abend mit www.marcel-ist-reif.de dann aber "von fundamentaler Sprecherkritik zunächst geheilt". +++

+++ Post-ESC-Berichterstattung aus Baku: Stefan Niggemeier hat Erste-Hand-Informationen über den verhafteten aserbaidschanischen Fotografen und Videobloggers Mehman Husejnow. +++

+++ Noch ein älterer, zumindest nun ruhestandsreifer Herr aus den Medien, der ein Tagesspiegel-Porträt verehrt bekommt: "Aus den vielen Schnatter-Frolleins und Pluster-Buben des Polit- Medien-Milieus ragt Werner Sonne heraus. Einmal wegen seiner Größe, zum anderen wegen seiner Sprödigkeit. Dieser Journalist ist kein Stehrumchen, er redet eher wenig. Was er zu sagen hat, sagt er ins Mikrofon", so Joachim Huber über den ARD-Reporter. +++ Die "Fülle der Fehlleistungen bei der BBC-Berichterstattung zum Diamantenen Thronjubiläum von Königin Elisabeth II." ist großes Thema auf der FAZ-Medienseite 39. U.a. hätten Reporter die Königin als "Königliche Hoheit" statt korrekterweise als "Ihre Majestät" bezeichnet. +++

+++ Außerdem geht's ebd. um die neuen, "generischen" Top Level Domains, die gerade versteigert werden. Besonders "fällt Amazon auf. Das Unternehmen hat sich nicht nur um den eigenen Namen auch in chinesischer Schrift beworben, sondern zeigt auch an den Han-Entsprechungen der Wörter 'Lebensmittel' oder 'Online-Shopping' Interesse. Um die Endung .app konkurriert Amazon gleich mit zwölf anderen Unternehmen, um die Endung .book immerhin mit acht und um .game mit vier. Die Endungen .audible, .author, .read, .song und .tunes hingegen, aber auch .joy, .like und .smile beansprucht Amazon ganz allein", berichtet Fridtjof Küchemann. +++ "Etwas beunruhigt registriert am Mittwoch etwa Nikolaus Futter von der Firma punkt.wien, dass es auch drei Bewerbungen für .wine gibt" (Marin Majica, BLZ). +++ "Das Internet zwischen .love und .wtf" (Patrick Beuth, zeit.de). +++

+++ In den letzten Tagen kursierten bunte "Kultserie zurück"-Meldungen über den "Dallas"-Neustart in den USA. Für die Süddeutsche hat Jörg Häntzschel nun erste Folgen gesehen: "Viel ist offenbar nicht passiert in den 21 Jahren, nachdem die Serie und damit die Konflikte der Ewings versiegt waren". Diesmal kommt "zum Hegemonialstreit noch ein weltanschaulicher hinzu: Auf der einen Seite stehen J.R. und John Ross, Ewiggestrige ohne Skrupel. Auf der anderen befinden sich der Idealist Bobby und sein Sohn Christopher, der ... proklamiert: 'Öl ist vorbei, die Zukunft gehört der alternativen Energie.' ... ... Doch nicht das Unglück der Reichen ist das wahre Thema des neuen Dallas, sondern das Alter. Nirgends sonst im jugendfixierten amerikanischen Fernsehen wird mit solcher Offenheit vom Altwerden und Sterben gesprochen." Klingt so, als könnten sich RTL als bisheriger Besitzer der deutschen Rechte und ARD-Programmdirektor Volker Herres auf eine Übernahme einigen, "Dallas" wieder in die ARD laufen und und mit Sandra-Maischberger-Shows arrondiert werden. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.