Großes Fernseh-Kino noch ein letztes Mal mit Thommy Gottschalk. Außerdem: Komplexe Nickeligkeiten mit Stefan Niggemeier und Jan Feddersen, Thomas Leif und auch Günther Jauch.
Großes Fernsehen heute vorabend, 19.20 Uhr unbedingt das sog. "Erste" einschalten! Denn auch wenn Thommy Gottschalk "weder verzweifelt noch am Ende meiner Kunst" ist, wie er der Nachrichtenagentur DPA sagte (Hamburger Abendblatt), so ist er doch am Ende seiner im Januar mit spektakulären Erwartungen gestarteten ARD-Show.
Der Schrecken hat ein Ende, würde Joachim Huber vom Tagesspiegel sagen. Denn natürlich ist das spektakuläre Scheitern, auch lange nachdem es beschlossen worden ist (im April, siehe Altpapier), wenn es denn nun wirklich programmwirksam wird, für Medienressortleiter noch einmal Anlass, große Erklärstücke darüber zu verfassen. Zwei Ressortleiter haben das für heute getan, und Huber also tut dies unter der Überschrift "Wenn Titanen Gassi gehen". Er geizt weder mit Gottschalk-Synonymen ("der Großraumspieler, der Umarmer, der Raumfüller...") noch mit Erklärungsansätzen ("'Gottschalk Live' passte nicht zu Gottschalk, er passte nicht zur Sendung, die Sendung passte nicht zum Publikum...), von denen Interessierte in den letzten Monaten ja schon so einige lesen konnten.
Und auch an Institutionenkritik spart Huber nicht. Während ARD-Kritik (heute neu: "Namentlich die neun Intendanten, von denen allenfalls zwei, drei wissen, was Fernsehen ist, während der Rest was von Hörfunk, von Juristerei und Verwalten versteht, sind mit Gottschalk gescheitert") ja schon seit Jahrzehnten zu wenig anderem führt, als dass die ARD sich noch intensiver um Marktanteile bemüht, besteht ein neuer Ansatz in konkreter Kritik an der privatwirtschaftlichen "Gottschalk live"-Produktionsfirma:
"Grundy Light Entertainment hat keine Erfahrung, wie ein Misserfolg in einen Erfolg verwandelt werden könnte. Wie auch. Die Tochterfirma von Grundy Ufa arbeitet als 'Übersetzungsbüro'. Erfolgsformate, die sich im Ausland bewährt haben, werden hier fürs deutsche Fernsehen adaptiert; bei jeder der genannten Sendungen lief dieses Muster ab. Im Normalfall ist jedem dieser Kaufprodukte ein Booklet, ein Rezeptbuch beigefügt, in dem haarklein ausgeführt wird, wie diese Sendung erfolgreich zu produzieren sei. Die Kölner Produktionsfirma lebt von der Afterkunst, nicht von der Kunst".
Afterkunst, Afterkunst, wie ist das zu verstehen? Schwierig. Man könnte den Dichter Friedrich Hebbel (1813-1863) bemühen... Man sollte aber jedenfalls schnell noch einmal zur Webseite der UFA-, also RTL-, also Bertelsmann-Firma Grundy Light Entertainment klicken.
Denn dort stehen sie immer noch, die nur anfangs etwas größenwahnsinnig und inzwischen längst eher tragikomischen Werbesprüche, die irgendwelche Kreativen auf Thommy Gottschalk, nachdem die ARD ihn eingekauft hatte, ersonnen haben:
"Er war in seinem Leben schon Mr. Morning und Mr. Late Night. Er hat Garfield eine Stimme und den Supernasen ein Gesicht gegeben. Er hat 23 Jahre lang auf alles gewettet und ist in der ganzen Welt zu Hause. Er hat einfach alles gemacht... 'Fast', sagt Thomas Gottschalk, 'denn das war alles nur Warm-Up. Jetzt geht's erst richtig los.'"
Und wenn Sie schon dabei sind, klicken Sie auch zur öffentlich-rechtlichen Sendungs-Homepage, die mit fünf unterschiedlichen Thommy Gottschalk-Lächeln zu erfreuen versucht (und ebenfalls länger nicht mehr aktualisiert worden zu sein scheint; dort, wo Gottschalk nicht lächelt, werden weiterhin Showtickets offeriert und natürlich die Chance, Thommys Fan zu werden).
Falls Gottschalk persönlich solche Artikel liest, dürfte ihm derjenige des Medienressortleiters der Süddeutschen eher behagen. Christopher Keil (S. 15, nun auch frei online) lässt sich von seiner Beobachtung, dass es "mittlerweile unwichtig (ist), ob es jemals ein Konzept gab" für Gottschalks ARD-Show, "oder viele falsche Konzepte", nicht von der Konzeptfehler-Analyse abhalten ("wenn man es genau betrachtet, wollte Thomas Gottschalk eine interaktive Radioshow ohne Studiopublikum mit Internetanschluss und linearer Ausstrahlung"). Dann aber tut er Thommy den Gefallen, ihn Vanity Fair-halber mit Oprah Winfrey, Howard Stern und Conan O'Brien zu vergleichen.
Und falls Sie einfach etwas über die zuletzt gesendeten und auch aktuellen Inhalte von "Gottschalk live" lesen möchten: dwdl.de.
[+++] Damit aus dem Fernsehen, dem Leitmedium der vergehenden Gegenwart, in das der zukünftigeren Gegenwart, wo die Titanen nicht mehr ganz so groß sein, aber eine Followerpower entwickeln können, die Thommy Gottschalk eben doch gern auch noch gehabt hätte.
Auf stefan-niggemeier.de steht ein Text, den nicht Stefan Niggemeier verfasst hat, und zwar eine Ausgabe der "traditionsreichen Kolumne 'Der homosexuelle Mann…' von Elmar Kraushaar". Den Vorspann, nämlich die Erklärung, warum diese Ausgabe nicht wie alle vorherigen in der TAZ erschien, aber hat Niggemeier im gewohnten Stil verfasst:
"Die Toleranz der 'taz' ist groß. Sie ist so groß, dass sie es sogar zulässt, dass ihr Redakteur Jan Feddersen auf taz.de ausdauernd Leute verächtlich macht, weil sie sich in einem Land wie Aserbaidschan für Menschenrechte einsetzen..."
Der bekanntlich streitlustige Niggemeier, der inzwischen zum "Spiegel"-Imperium gehört, setzt also seinen u.a. in der TAZ selbst aufgeführten Eurovision Song Contest/ Schlager-Grand Prix-Streit mit TAZ-Redakteur Feddersen auf einer anderen Ebene fort, hat eine Stellungnahme von Ines Pohl eingefordert und bekommen und kritisiert dennoch bzw. gerade wegen der Stellungnahme die bekanntlich selbst oft bis zur Ermüdung streitlustige TAZ nun grundsätzlich.
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Zu dieser komplexen Materie gibt es zwei unparteilichere Einschätzungen: eine knappe bei Carta, die andeutungsweise die TAZ kritisiert (und zum Ausgleich quasi auch den Spiegel), und einen alles andere als knappen Essay (zuzüglich Vorspann) bei vocer.org, der die Materie mit viel Geduld aufdröselt. Autor Johannes Kram ("kennt beide Protagonisten seit Jahren, mit Feddersen verbindet ihn auch eine Freundschaft", heißt es unten drunter) sprach mit Niggemeier wie auch mit Feddersen und entlockte ersterem den bemerkenswerten Satz:
"Wenn ich mir es richtig überlege, finde ich den ESC doch eher als Fan denn als Kritiker faszinierend."
[+++] Wer den ESC weder noch faszinierend findet, kann diesen Streit vielleicht auch einfach vergessen. Wenn wir aber bei den streitlustigen, auch reizbaren und als Reizfiguren empfundenen Journalisten sind: Was macht eigentlich Thomas Leif? Der könnte "hinter Professor Rüdiger Pichler stehen", der kürzlich in den auch nicht einfach zu überblickenden Streitigkeiten um das Netzwerk Recherche eine Rolle spielte, und diesen "munitioniert" haben. Das schreibt Christian Meier bei meedia.de, das kürzlich ("Professor kritisiert Netzwerk Recherche") aus einem Schreiben Pichlers zitierte. Nun zitiert meedia.de aus E-Mails, die Leif offenbar an Pichler geschickt hat ("Lieber rüdiger, Schreib ihm doch einfach, wie es ist...") und die meedia.de jetzt ebenfalls vorliegen.
Womit der Mediendienst offenbar auf Kritik "von einzelnen Mitgliedern des Netzwerks" reagiert, er hätte sich zuvor "instrumentalisieren" lassen. Ob allerdings auszugsweises Zitieren aus eher privaten E-Mails der beste Weg ist, sich nicht instrumentalisieren zu lassen - dazu könnte vielleicht noch mal jemand einen Essay schreiben.
+++ Nickeligkeiten aber auch in der klassischen gedruckten Presse: Das Heft des Bauer-Verlags namens Closer gab nicht nur nicht die von Günther Jauch geforderte Unterlassungerklärung ab, nachdem es den ARD-Talker und dessen Frau "beim Abendessen mit den Paaren Thomas Gottschalk und Guido Westerwelle" zeigte, sondern druckte das Foto sogar noch einmal ab (Süddeutsche). +++
+++ Zurück zu bzw. weiter mit Thommy: "Aufhören!" von Klaudia Wick und "Weitermachen!" von Peer Schader steht inzwischen auch frei online. Damit hat die BLZ das Pro-und-Contra-Prinzip aufgenommen. +++
+++ Nickeligkeiten aber auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen: "In der Sendung 'Hart aber fair' vom vergangenen Montag hat ... der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Kubicki, dem Autor [Stephan] Lamby vorgeworfen, trotz gegenteiliger Absprache ...eine heftige Aussage zu seiner Parteifreundin Birgit Homburger verwendet zu haben, also wortbrüchig geworden zu sein": Das schreibt eher knapp die FAZ (S. 32). Es geht um Lambys Film "Schlachtfeld Politik", der bereits in der ARD lief und demnächst in längerer Version im NDR-Fernsehen gezeigt wird. Lamby und der NDR weisen die Vorwürfe zurück, "Kubickis umstrittene Äußerung ... bleibe 'in vollem Umfang' erhalten" im Film. +++
+++ "Nicht gerade medienaffin" laut Tsp.-Literaturredakteur Gerrit Bartels, aber heute auf Arte zu sehen ("Fünf Tage mit Jonathan Franzen"): der US-Schriftsteller. +++ Auch unter die Schriftsteller geht Florian Weber, Schlagzeuger der Rockband Sportfreunde Stiller. Der Grund, aus dem das auf der Tsp.-Medienseite steht: Sein Roman "Grimms Erben" wird im Verlag namens "Edition Flux" erscheinen, der dem zum früher (vor dem "handfesten Gesellschafterstreit" mit dem inzwischen ausgeschiedenen Tim Renner) MotorFM heißenden Berliner Radiosender FluxFM gehört. +++
+++ "Edition Alfons" heißt der Verlag, in dem das neue Comic-Fachmagazin Alfonz, das allerdings selbst keine Comics abdruckt, erscheint. Andreas Platthaus berichtet in der FAZ. +++ Die ferner berichtet, dass France Soir "final verloren" scheine: "Der 26 Jahre alte russische Eigentümer ..., Alexander Pugatschew, hat kein Geld und keine Lust mehr", das Überleben zumindest im Internet zu finanzieren. +++
+++ Thema Facebook: Der österreichische Facebook-Kritiker Max Schrems spricht von einer "Wahl mit versteckten Urnen" wegen der Mitglieder-Abstimmung über den Datenschutz (auch FAZ, S. 32). +++ Verbraucherzentralen-Bundesverbands-Referentin Carola Engelbrecht nennt die Vorstellung eines Facebook für Kinder unter 13 Jahren "haarsträubend" (Tsp.). +++ Vom Problem Facebooks, "aus der wachsenden Zahl der Nutzer genug Kapital (zu) schlagen", um "die steigenden Kosten für die Rechenzentren" hereinzubekommen, berichtet "premium" (kaum frei online) die FTD. +++
+++ "Bednarz rief Soldaten zur Fahnenflucht auf, präsentierte im ersten Irak-Krieg desertierte US-Soldaten und ihre Unterstützer. Journalismus war keine Modeveranstaltung, sondern auch eine Haltungsfrage. Nach dem Brandanschlag in Solingen beschuldigte er in einem Tagesthemen-Kommentar die 'Blätter der Springer-Presse', aber auch FAZ und Spiegel, zur Panikmache gegen Ausländer beigetragen zu haben.." Da gratuliert in der Süddeutschen Hans Leyendecker Klaus Bednarz, "einem der wichtigsten ARD-Gesichter", zum 70. Geburtstag. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.