Vom Kopf her

Kräftige Chefkritik beim Spiegel und im WDR, dessen Chefin dank gewitzter Umarmungsstrategie aber Chefin bleibt. Außerdem: die Probleme meinungsfreudiger Journalisten.

Es liest sich fast wie eine Titelstory des Spiegel, also eines jener Stücke, die ganz besonders durch Breite bestechen, aber auch dadurch, dass zahlreiche nicht namentlich genannte Insider Kritik an den Führungsebenen äußern: Der Aggregator meedia.de beleuchtet ausgiebig eines der gedruckten, aber auch digitalen Leitmedien des Landes, den Spiegel selbst. An dessen neuem glänzenden Amtssitz in der Hamburger Hafencitystieß stieß er auf viel internen Streit:

"Die Geschlossenheit und Harmonie, die das Topmanagement im vergangenen Jahr beim gemeinsamen Einzug aller Verlagseinheiten in den Neubau an der Ericusspitze demonstrierte, scheint nur noch Fassade",

schreiben Stefan Winterbauer und Georg Altrogge. Zwar ließen sich "Die sechs Problemzonen des Spiegel", die den klickoptimierten Titel der meedia-"Topstory" bilden, wenn man wenig Platz hätte (was für Online-Medien und Spiegel-Titelstorys bekanntlich ja aber kein Problem darstellt), eindampfen. Schließlich kommen die Problemzonen "Dicke Luft zwischen SpOn und Spiegel", "Die unklare Digital-Strategie" und "Die Auflage gerät unter Druck" doch ziemlich identisch daher.

Dennoch ist das Stück lesenswert. Nicht zuletzt, wegen des gewaltigen Aufgebots an Spiegelianern. Es treten u.a. auf: ein "mit den Vorgängen vertrauter Insider", "ein hochrangiger Redakteur" des gedruckten Spiegel, "einflussreiche Stimmen" (die freilich dem Insider und dem Hochrangigen gehören könnten) sowie "jemand aus der SpOn-Redaktion". Wen all diese vor allem kritisieren: den Print-Spiegel-Chef Georg Mascolo.

Weil es allein mit Anonymi auch nicht geht, ist ein Kritiker auch namentlich dabei, einer der es sich leisten kann: der auch aus Talkshows sowie als Verleger der Wochenzeitig Freitag bekannte Spiegel-Miteigentümer Jakob Augstein. "Unabhängig vom Medium: Probleme sollten jeweils da behoben werden, wo sie auftreten", lautet sein guter Rat.

[+++] Wenn wir schon bei machtvollen Medieninstanzen sind, in denen sehr sehr viele Mitarbeiter hinter vorgehaltenen Händen ihre auch nicht wenigen Vorgesetzten kritisieren, und ganz besonders den Kopf an der Spitze der Institution: Heute dürfte in Köln die "derzeit mächtigste Frau im öffentlich-rechtlichen System" (KSTA) mit Pauken und Tropeten wiedergewählt werden: die WDR-Intendantin und außerdem noch amtierende ARD-Vorsitzende Monika Piel. Mit Pauken und Tropeten schon wegen der Abwesenheit von Gegenkandidaten.

Angesichts der engen Verbundenheit von Öffentlich-rechtliche-Anstalten-Fragen mit den Medienseiten der Zeitungen gibt es heute wie schon gestern (siehe Altpapierkorb) weitere umfangreiche Übersichten über all die Baustellen, an denen Piel (zwischen dem Radioprogramm WDR 3 - siehe Radioretter-Blog - und der bis weit über den Überdruss hinaus bekannten ARD-Gottschalk-Frage) werkeln muss, um zumindest am Ende ihrer zweiten Amtszeit einen Erfolg vorweisen zu können. Im Kölner Stadtanzeiger wählt Anne Burgmer einen human touch-Weg der Annäherung an die Intendantin.

"Selbst in Hintergrundgesprächen agiert sie derart vorsichtig, dass nur vage zu erahnen ist, was sie wirklich denkt",

beklagt Burgmer. Dabei sei Piel doch "im persönlichen Gespräch freundlich und aufgeschlossen".

"Eine erfolgreiche Strategie des Umarmens" betreibe Piel, würde der Berliner Tagesspiegel sagen, der ungefähr die Strategie der Piel-Analyse wählt, die gestern Hans Hoff in der Süddeutschen (inzwischen frei online) noch pointierter verfolgte. Dabei würdigte dieser auch das dritte Fernsehprogramm des WDR:

"Da fügt sich ins Bild, dass Fernsehdirektorin Verena Kulenkampff das WDR-Fernsehen mit pseudoregionalen Ratingshows und weichgespülten Magazinen auf erfolgreiche Belanglosigkeit trimmt - was in scharfem Kontrast zu Piels Beteuerungen steht, man sehe sich in erster Linie der Qualität verpflichtet - also nicht zuerst der Quote."

Wen umarmt Piel nun aber? Die, die sie wiederwählen können und die einen Gegenkandidaten aufstellen könnten, den "Abnickverein für Sender- und Intendantenwünsche" (Hoff/ SZ), also den Rundfunkrat. Sie hat, wenn auch kein anderes, sozusagen zumindest ihr eigenes Problem dort gelöst, wo es auftrat.

"Ruth Hieronymi, die Vorsitzende des Rundfunkrats, kann die Kritik an der Wahl, die ja eigentlich gar keine ist, nicht nachvollziehen. Bei einer Verständigung zwischen dem Gremium und dem amtierenden Intendanten im Vorfeld gebe es keinen Grund für einen Gegenkandidaten",

sagte Hieronymi wiederum dem KSTA. Nur wenige Zeilen wendet Michael Hanfeld in der FAZ (S. 29) fürs Thema auf: "Auch die Reform des Radiokanals WDR 3 verläuft alles andere als reibungslos, sie ist hochumstritten. Gleichwohl soll auch diese, so unfertig sie scheint, vom Rundfunkrat heute abgesegnet werden".

[+++] Falls die Probleme von Führungspersönlichkeiten großer Medien nicht interessieren: Über Probleme meinungsfreudig schreibender Journalisten informiert heute die TAZ.

Einerseits geht es um die DuMont-Presse-Kolumnistin Mely Kiyak. Die hatte Thilo Sarrazin "flapsig" (TAZ) als "lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur" (BLZ, nun aber nicht mehr online) bezeichnet, ohne von der halbseitigen Gesichtslähmung zu wissen, welche Sarrazins Mimik zumindest partiell bestimmt. Daher wird Kiyak nun selber in "rechten bis rechtsextremen Blogs" wüst beschimpft.

Schwierige Sache, das. Es aber am Ende vor allem gegen die Springer-Presse wenden zu wollen, die die Kiyak-Kritik reflexhaft anfeuert, wirkt selber  reflexhaft, zumal, wenn man nicht so viel Raum hat wie das Bildblog, dessen Story die TAZ relativ getreulich, aber halt gedrängt nacherzählt.

####LINKS#### [+++] Was, andererseits, perfekt jenes Lagerbildungs-Problem illustriert, das umso konträrer und dennoch ausgewogen, weil in Pro- und Contra-Form, weiter hinten im Blatt die tazzwei behandelt: Nachdem Jan Fleischhauer und Marco Carini in ihren Beiträgen ziemlich konträr loslegen, gelangen sie gegen Ende zu den Ansichten:

"Wir wären einen ganzen Schritt weiter, wenn sich die Vertreter des linken Mainstreams endlich eingestehen könnten, dass die Tage, als die Linke noch Protestbewegung war, lange vorbei sind."

Und:

"Wer links fühlt, bleibt hin- und hergerissen zwischen Karriere und Konsum auf der einen und sozialer Verantwortung und solidarischem Handeln auf der anderen Seite",

sodass man zumindest zwischenzeitlich kaum mehr weiß, wer nun wer ist.


Altpapierkorb

+++ Hat sich die FAZ denn nun noch einmal zur Liquid-truth-Frage geäußert, wer genau das jüngste Grass-Gedicht schrieb, oder zu Volker Weidermanns tollkühner Attacke auf den Mitbewerber Süddeutsche Zeitung (siehe Altpapier gestern)? Nö, soweit mir beim Durchblättern keine Miniglosse entging. Außer aggregierten Zusammenfassungen (meedia.de, horizont.net) liegt neu dazu lediglich eine mittelwitzige Mitteilung der Original-Titanic vor. +++

+++ Aber neuen scharfen Piraten-Stoff bietet die FAZ (S. 3, auch frei online). Interviewer Stephan Löwenstein traf den Parteivorsitzenden Bernd Schlömer zum Interview in der "Böse-Buben-Bar" in Berlin-Mitte und hielt es anschließend nicht nur für nötig zu berichten, dass Schlömer während des Interviews ein Glas Wasser und ein Paar Wiener Würstchen verzehrte, sondern räsoniert im fertigen Text auch von-Uslar-artig erheblich mehr selber als Schlömer redet. +++ Falls Bedarf an noch einer ungeheuer zum Diskutieren anregenden Polemik besteht: Jacques Schuster sieht in der Welt die Piraten als Teil der "Infantilisierung der Gesellschaft" (... "Jetzt hat das 'Haben, haben, haben'-Wollen auch die Politik erreicht. Und da wundert man sich noch, dass das Urheberrecht in Gefahr ist!"). +++

+++ Die "Rundshow" Richard Gutjahrs und anderer "Selbstvermarktungskünstler" im dritten Programm des Bayerischen Fernsehens stößt auf Zurückhaltung im epd medien-Tagebuch und bei Michael G. Meyer (BLZ). +++

+++ Es gibt tatsächlich lebende deutschsprachige Prominente, die sich für Interviews zwecks Fernsehdokumentationen über sie nicht zur Verfügung stellen. Steffi Graf ist so eine. Trotzdem hat der SWR für sein Drittes eine Fernsehdokumentation über sie hergestellt. +++ "Trotzdem ist Steffi Graf - ein Porträt eine nahezu tadellose TV-Doku geworden, für die lange Weile: ein Stück Deutschland vor dem Euro, eine Familiensaga mit Brüchen und einer absurd erfolgreichen, hilfsbereiten, angstfreien, aber ständig misstrauischen und gesprächsunwilligen Hauptdarstellerin", lobt Christopher Keil bewährt kryptisch in der Süddeutschen. +++ "Bei allem soliden Chronistenfleiß" "scheitert" der SWR "am Porträt der Tennis-Ikone", meint die FAZ. +++ Filmautor Friedrich Bohnenkamp "schafft es, sich dem Mysterium zu nähern" (Tsp.). +++

+++ Die FAZ-Medienseite 29 beschäftigt sich mit Elternzeitschriften, besonders am Beispiel von Brigitte Mom. +++ Und mit einem kurzzeitig im Netz stehenden Interview, das ein Offizier der "Freien Syrischen Armee" der israelischen Zeitung Haaretz gab. +++ Und mit dem amerikanischen Zeitungsmarkt: "Unter den bedeutenden amerikanischen Großstädten wird New Orleans die erste sein, die über keine täglich gedruckte Zeitung mehr verfügt", weil die Times-Picayune ab Herbst "nur noch mittwochs, freitags und sonntags auf Papier erscheinen" wird. +++

+++ Rezepte, den Stern "aus den Sphären der Langeweile, Beliebigkeit und von Scheißegal herauszuführen", sind u.v.a. Thema der TAZ-Kriegsreporterin. +++ Außerdem berichtet dort Steffen Grimberg aus Murdochland. +++

+++ Ebd., also in England, wird es wieder ernst für Julian Assange (Carta). +++ "Es war tiefe Nacht in Moskau, als es bei dem Journalisten Sergei Aslanjan klingelte. Unbekannte baten ihn per Gegensprechanlage, herunter auf die Straße zu kommen..." (Tagesspiegel). +++

+++ Obwohl er "nicht wirklich, oder besser gesagt: wirklich nicht gut aussieht und eben eine ordentliche Wampe hat", dennoch bringt der Schauspieler Charly Hübner "verlässlich eine sehr aparte Grobheit ins deutsche Fernsehen", lobt die Süddeutsche den "Polizeiruf 110"-Darsteller, der heute auch im ARD-Film "Unter Nachbarn" zu sehen ist. +++ "Sollten Sie eines Tages Talkshows oder Sport-Events bei Arte sehen, dann hätten Sie allen Grund, sich Gedanken zu machen", zitiert dieselbe die Arte-Präsidentin Véronique Cayla. Wobei es Talkshows bei Arte natürlich schon gab, bloß hat die vermutlich niemand gesehen... +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.