Maischberger wird Kellnerin

Ist Mark Zuckerberg ein Pirat? Außerdem auf der Agenda: die Geburt des Genres Wutgegenrede, doppelte Daumenschrauben für Amazon-Rezensenten sowie Vorschläge zur Reform der universitären Journalisten-Ausbildung.

Fast zwei Jahre ist es her, dass Katrin Müller-Hohenstein in der Halbzeitpause eines Fußball-WM-Spiels vermutet hatte, bei Miroslav Klose habe sich infolge eines Torerfolgs ein „innerer Reichsparteitag“ abgespielt, Unter medienkritischen Aspekten war das damals interessant, weil bei dieser Causa der zu dem Zeitpunkt noch relativ neue Beschleunigungseffekt von Twitter zu beobachten war. Im recht weiten Feld zwischen Fußball und Politik leistete sich Sandra Maischberger am Dienstagabend eine Entgleisung auf ähnlichem Niveau, als sie Fußball-Ultras als „Taliban der Fans“ bezeichnete. Gewiss, es ist immer problematisch, Talkshows zu kritisieren, denn grundsätzlich ist ja längst alles gesagt über ihren Verblödungscharakter, sogar von politisch sehr hoher Stelle. Und natürlich haben die Macher von „Menschen bei Maischberger“ die Aufregung über das Niveau von vornherein einkalkuliert. Der barbarische Nonsens, den die Runde um Marijke Amado und Rolf Töpperwien unter dem Titel „Kicker, Kohle, Krawalle – wer regiert König Fußball?" verzapfte, hatte dennoch eine neue Qualität, was man auch daran sieht, dass bei den Rezensenten im Vergleich sogar die gruseligste Talksendung in der Geschichte des deutschen Privatfernsehens gut wegkommt.

Andreas Bock (aka @okonskiyouth) schreibt bei 11freunde.de:

„Nach spätestens 45 Minuten ist man sich jedenfalls sicher, dass der sonntägliche ‚Doppelpass‘ neben dieser Runde wie ein Kolloquium zur Quantenphysik aussehen würde. Bei Maischberger geht es nun um: Spielerfrauen, Spielergehälter, taktische Ausrichtungen, Diego Maradonas Fuhrpark, einen senegalesischen Reiseleiter, Mark Zuckerberg, Bianca Illgner, Toni Schumacher, Tripper, Bier, Bratwurst und VIP-Logen. Irgendwann fragt Mario Basler: ‚Wo sind wir hier? ARD?!‘“

Ähnlich klingt es bei Welt Online:

„Jeder ‚Doppelpass‘ mutete gegen den ARD-Talk wie ein philosophisches Quartett an.“

Es wurde also - mal wieder, siehe Altpapier - deutlich, dass die „gefährlichen Irren“, die das ebenfalls außer Rand und Band geratene Politikmagazin Frontal 21 in Fußballstadien zu entdecken glaubt, eher in Redaktionen und TV-Studios zu finden sind. Und man darf es auch bezeichnend finden, dass sogar ein Druckerzeugnis, das mit der Bezeichnung Trash-Zeitung geradezu geadelt wäre, die Hamburger Morgenpost nämlich, nicht umhin kam, Maischbergers Sendung als „Trash-Talk“ einzustufen. Dem Lokalblatt ist zugute zu halten, dass es die Ausführungen des kürzlich 75 Jahre alt gewordenen Kabarettisten Werner Schneyder („Ich habe gestern das Wort Choreografie gehört“) protokolliert zu haben. Schließlich noch eine qualifizierte Äußerung aus dem Fan-Forum des aktuellen deutschen Meisters:

„Schlimmer als inner Kneipe nachts um 3 Uhr. Maischberger ist die Kellnerin, die für Trinkgeld so tut, als würde sie sich für das Gespräch interessieren.“

So manche Journalistin hat früher als Kellnerin gejobbt. In diesem Sinne könnte man sagen: Maischberger geht gerade den umgekehrten Weg.

Für Altpapier-Leser, die Aktien kaufen, dürfte das Thema der Stunde das „verpatzte Börsendebüt“ von Facebook sein, das „ein Fall für die Aufsichtsbehörden geworden ist“ (FAZ), weil diverse beteiligte Banken nicht undubios agiert haben. Hans-Jürgen Jakobs nimmt „einen der schlimmsten Flops der jüngeren Wirtschaftsgeschichte“ zum Anlass, auf der Leitartikelseite der SZ loszuledern:

„Binnen weniger Tage hat sich der Wert des Blendwerks Facebook um gut 19 Milliarden Dollar dezimiert, also um ein Sechstel. Das ist Kapitalvernichtung des Extraklasse. (...) Immer mehr Ungereimtheiten rund um den drittgrößten Börsengang in der US-Geschichte tauchen auf und legen nahe: Mark Zuckerberg ist kein Zauberer, er ist ein Zocker. Der hippe Gründer, seine Spießgesellen im Unternehmen und die begleitenden Banken haben nach allen Regeln der Gier Kasse gemacht. Sie haben einen Hoffnungswert geplündert. Das ist bitter für das System Börse, für den Standort USA und für die Netz-Gemeinde. (...)

Wer sich für den Komplex Facebook und die Banken interessiert, sollte den langen Riemen lesen, der vor zwei Wochen beim Business Insider erschienen ist. Aber zurück zu Jakobs, der auch einen einst großen Namen aus heimischen Gefilden ins Spiel bringt:

„Die Sache liegt anders als etwa im Fall der deutschen Blendfirma EM.TV vor 15 Jahren in der New Economy. Die hatte klein begonnen, ehe sie das Fantasieren anfing, und wer in den ersten zwei Jahren dabei blieb und rechtzeitig verkaufte, konnte sich ein Eigenheim im Grünen leisten. Etwas Vergleichbares wird bei Facebook nicht so schnell passieren. Keiner weiß, ob der Umsatz weiter stark wächst oder ob er eben fällt (...) (Zuckerbergs) Griff in die Geldbörse der Aktionäre ist nichts anderes als finanzielles Hacking. Auch Mark Zuckerberg ist ein Pirat, freilich ein extrem reicher.“

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Eine andere „Wutrede“ hat laut Einschätzung von Meedia der Geo-Chefredakteur Peter-Matthias Gaede verfasst. Es handelt sich um einen vom Branchendienst dokumentierten Aufruf, den 23 Chefredakteurinnen und Chefredakteure von Gruner + Jahr unterzeichnet haben. Pro Urheberrecht und „gegen das Freibeutertum“ - so lautet die Botschaft. Die „Wutrede“ enthält ein paar korrekte Sätze, ist aber nicht von allzu großem Einfallsreichtum beseelt, vor allem ist das Ende irritierend, gelinde gesagt:

„Wer den ‚Kontrollverlust‘ der Inhalteproduzenten über ihre Inhalte feiert; und wer jene, die sich zum Urheberrecht bekennen, anonym und mit denunziatorischen Mitteln verfolgt – der dient nicht einer Bürgergesellschaft, die auf fairen Geschäftsbedingungen aufbaut.“

Dass die Verlagsmanager seines Hauses und natürlich auch anderer Verlage den „Kontrollverlust der Inhalteproduzenten“ durch fragwürdige Buyout-Verträge forcieren bzw. auf ihre Art ein „Freibeutertum“ betreiben, schreibt Gaede nicht. Es dürfte vor allem jene Passage gewesen sein, die die gebloggte „Wutgegenrede“ eines anonym bleibenden freien Journalisten provoziert hat:

„Ich verwahre mich insbesondere dagegen, die mehrfache Verwertung und Weiterlizensierung meiner Arbeit zu einem Recht der Verlage zu erklären und damit das Ziel der fairen Vergütung der Urheber ad absurdum zu führen. (...) Wer den ‚Kontrollverlust‘ der Inhalteproduzenten über ihre Inhalte propagiert, indem er sie bis zur Unkenntlichkeit redigiert und glättet; und wer jene, die sich nicht zu jenen Aspekten des Urheberrechts bekennen, die eigentlich als Verwerterrecht besser beschrieben wären, mit polemischen Mitteln und aggressiver Rhetorik verfolgt – der dient nicht einer Bürgergesellschaft, die auf fairen Geschäftsbedingungen aufbaut.

Im Literaturbetrieb äußern sich die Urheber über ihre Verlage anders. Deutlich wird dies anhand eines differenzierten Interviews, das Joseph von Westphalen für faz.net mit sich selbst geführt hat (und das einem Interview ähnelt, das kürzlich jemand anders mit ihm geführt hat). Der Schriftsteller begründet hier, warum sein Name unter dem Aufruf „Wir sind die Urheber“ steht, der Gaedes „Wutrede“ inspiriert hat.

„Ich habe den Aufruf nicht zuletzt der Verlage wegen unterzeichnet. Wenn die in Sorge sind, werden sie ihre Gründe haben. Ich komme als Autor nur zurecht, wenn es den Verlagen gut geht. Ich lebe nicht von Literaturpreisen, sondern von den Honoraren der Verlage. Wenn Urheberrechtsverletzungen Verlage schädigen, dann habe ich auch einen Schaden.“


ALTPAPIERKORB

+++ Von einer bizarren Entscheidung der Pressekammer des Landgerichts Hamburg gegen die Einbettung von Videos ist der bloggende Rechtsanwalt Markus Kompa betroffen. Ein anderer bloggender Rechtsanwalt, Thomas Stadler (Internet-Law) kritisiert: „Diese Rechtsprechung des Landgerichts Hamburg ist ein gutes Beispiel dafür, wie die meinungsfreundliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BGH ausgehebelt und gegen den Strich gebürstet wird. (...) Das Landgericht Hamburg macht im Ergebnis genau das, was es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des BGH zu verhindern gilt, es schnürt den von Art. 5 GG  geschützten Kommunikationsprozess ein.“

+++ Einige Vorschläge zur Reform der universitären Journalistenausbildung macht Eric Newton (Mediashift). „How Journalism Education Can, and Should, Blow Up the System“. lautet der nicht unbescheidene Titel des Beitrags. Einer von Newtons Vorschlägen: „No longer must students be lone wolf reporters or cogs in a company wheel. In small, integrated teams of designers, entrepreneurs, programmers and journalists, students learned to rapidly prototype news projects and ideas.“ Ein anderer: Connect to the whole university. This can mean team-teaching a science journalism class with actual scientists. Or creating centers with engineers or entrepreneurs.“

+++ Ursula Scheer porträtiert für die FAZ-Medienseite Thorsten Wiedau, einen ehemaligen „Top-Rezensenten“ von Amazon, der ausgestiegen sei, „weil er das System der Online-Kritik für unmoralisch hält“ und die „doppelten Daumenschrauben“ beklagt, die das Unternehmen Online-Rezensenten anlege: „Der indirekte Druck komme von anderen Kunden – vor allem anderen Rezensenten – und vom mathematischen Algorithmus, der hinter dem Besprechungsranking steckt. (...) ‚Wer in der Rangliste aufsteigen will, muss vor allem eines tun‘, sagt Wiedau: ‚Fünf Sterne vergeben.‘ Als er 2002 seine erste Besprechung online stellte, seien die Mechanismen durchschaubar gewesen: An der Spitze standen Vielschreiber. (...) Heute wandere nach oben, wer vor allem positive Rezensionen schreibe. Und positiv bei Amazon heiße: mit fünf Sternen und nicht weniger prämiert.“

+++ Anderes FAZiges Zeug: Daniel Haas schreibt über Meetings der Anonymen Alkoholiker als „wiederkehrendes Motiv“ in US-Serien und die „strukturelle Logik“ dieses Motivs (nicht online). Peer Schader bloggt über die „Kuriositäten-Nachklapps“ in der „heute“-Sendung des ZDF.

+++ Das Organisationskomitee der Olympischen Spiele in London hat offenbar dafür gesorgt, dass Twitter den Account einer Anti-Olympia-Gruppe stillgelegt hat (Index on Censorship).

+++ Mehr Unschönes aus Großbritannien, aber immerhin mit skurrilem Anstrich: Christian Zaschke berichtet in der SZ, der britische Abhörskandal sei „in diesen Tagen immer für eine neue, absurde Wendung gut“. Womöglich habe Rupert Murdochs eingestellte Krawallzeitung News of The World „indirekt ihren damaligen Chefredakteur Andy Coulson abgehört“. Auch ein Ex-Redakteur von NOTW, der nunmehr bei der vermeintlich seriösen Sunday Times als „falscher Scheich“ zugange ist, steht in der Kritik.

+++ Ebenfalls auf der SZ-Medienseite: Harald Schmidt kehrt „ein bisschen zurück“ zur ARD, jedenfalls moderiert er am 25. Juli im SWR Fernsehen eine dreieinhalbstündige Live-Übertragung der Oper „Don Giovanni“.

+++ ARD-Programmdirektor Volker Herres „rechnet Marktanteile schön“. Das findet der Tagesspiegel.

+++ Mola Adebisi (früher Viva) hält Sarah Kuttner (ebenfalls früher Viva) für „minderbemittelt“. Hintergrund der Äußerung: die „Negerpuppen“-Affäre. Welt Online weiß mehr - und platziert neben dem Text ein Foto von 2003, das Adebisis Äußerung ein bisschen konterkariert.

Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.