Braucht Harald Schmidt Gerhard statt Kristina Schröder? Außerdem: ein Berliner CDU-Fraktionschef, der in seiner Doktorarbeit die Zeitschrift Max zitiert, und ein Nachrichtensender, dessen Abendprogramm um 16 Uhr beginnt.
Die wichtigste Frage lautet heute natürlich: Wie war Harald Schmidt denn nun so in seiner vorerst letzten Sendung im frei empfangbaren Fernsehen? Sein Dauergast Olli Dittrich (siehe dazu auch David Denk in der taz) nahm die Zäsur zum Anlass, zum Gespräch im Trauerfeier-Outfit aufzulaufen (später zog er sich dann aber noch mal um). Nik Afanasjew hat für tagesspiegel.de zugeschaut:
„Damit auch ja niemand auf die Idee kommt, Schmidt sei am Ende, verzichtete er auf Best-Of-Clips oder Danksagungen, die Schmidt vermutlich ohnehin niemand abgekauft hätte, und machte einfach eine ganz normale Sendung. Andererseits, was hätte er überhaupt anstellen können, das er in den letzten Jahren nicht schon angestellt hatte? Eine Sendung auf Nepalesisch statt auf Französisch? 20 Minuten durchgehend schreien statt 20 Minuten durchgehend schweigen? Der Altmeister wahrte die Contenance, der Sarkasmus-Detektor schlug in gewohnten Bahnen aus.“
Christoph Twickel (Spiegel Online) nahm die Sendung zum Anlass, ein Problem zu benennen, das wohl bleibt:
„Fast scheint es so, als fände Schmidt in der aktuellen Politikergarde keine lohnenswerten Objekte des Spotts mehr. Merkel, Schavan, de Maiziére oder Rösler ‚klein, gelb und vorlaut‘ wie ein Kanarienvogel? Da flüchtet sich der Meister lieber in die Affären des Fritz Wepper. Vielleicht braucht er Alphatiere als Opfer, um zu großer Form aufzulaufen - also Gerhard statt Kristina Schröder. Eigentlich schade.“
Es ist nicht völlig auszuschließen, dass bei Harald Schmidt gelegentlich Schauspieler zu Gast waren, die nebenbei noch Dinge tun, von denen in TV-Interviews eher nicht die Rede ist. Das legt ein Gespräch nahe, das Tilmann P. Gangloff - der nebenan auch über ein „tragikomisches Dorfdrama“ schreibt - für die Funkkorrespondenz mit dem Schauspieler Hans-Werner Meyer über die Einkommenssituation von dessen Zunft geführt hat. Meyer der als - why not? - „stellvertretender Vorstandsvorsitzender“ des Bundesverbandes der Film- und Fernsehschauspieler (BFFS) firmiert, sagt:
„Ich kenne viele Schauspieler, und zwar auch erfolgreiche, die sich mit einem Zweitjob über Wasser halten. (...) Ein Kollege hat zum Beispiel eine Synchronfirma gegründet, andere kellnern, machen eine Massageausbildung oder studieren.“
Womöglich geht es denen sogar noch gut, denn „sogar bekannte Schauspieler“ seien „ein Fall für Hartz IV“. Und auf Gangloffs Frage, ob es stimmt, „dass Nebendarsteller inzwischen danach ausgesucht werden, ob der Produzent Hotelkosten sparen kann“, antwortet Meyer:
„Das ist mittlerweile Standard. Am Drehort zu leben oder bei Freunden schlafen zu können, erhöht die Chancen für ein Engagement deutlich.“
[+++] Freiheit ist auch nur ein Wort, das nichts bedeutet - das ist kein Satz, der von Harald Schmidt stammt, obwohl er vielleicht sogar von ihm stammen könnte. So lautet vielmehr die Quintessenz eines Magnus-Klaue-Artikels für die Jungle World, in dem es um die „Freiheitsrhetorik“ Joachim Gaucks geht und die Art, wie die Medien damit umgehen:
„Nicht die linken Meinungsmedien nannten seinen Schmonzes beim Namen, sondern die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, als sie in seinen Reden ein ‚freiheitliches Grundrauschen‘ vernahm, das ‚wie ein Tinnitus‘ alles Denken störe. Wobei die Störung freilich den Kern der Sache ausmacht (...)“
Auch zur Sprache kommt bei Klaue der Freiheitsbegriff einer „postmodernen Informatikerpartei“, bei der, um mal mitten im Satz ans andere Ende des Printmedienspektrums zu springen, „dieselben Mechanismen auf dieselbe Art wirken wie sonst auch in der deutschen Parteiengeschichte“ (FAZ). Eines der bekanntesten Mitglieder, Christoph Lauer aka @schmidtlepp, fiel gerade bei der re:publica (siehe Altpapier von Donnerstag) durch eine medienhistorisch aufgeladene Performance auf, eine Art Hommage an den Tisch-Zertrümmerungs-Akt, den der damalige Ton-Stein-Scherben-Musiker Nikel Pallat vor rund 40 Jahren in einer Talkshow des WDR vorführte (rp:live-Blog).
Die re:publica ist in der FAZ Aufmacherthema im Feuilleton. Fridtjof Küchemann schreibt:
„Wie stellen wir sicher, dass wir eine Sache nicht nur deshalb für eine gute Sache halten, weil sie im Netz mitreißend präsentiert wird, mit Wumms und Witz, gestalterisch und technisch überzeugend? Wie verhindern wir, dass bei der vielgepriesenen Schwarmintelligenz die Verführungskraft an die Stelle des Nachdenkens, der Skepsis tritt? Vor diesen Fragen stehen die Aktivisten auf der mit ‚Act!on‘ überschriebenen Konferenz, und vor dieser Frage stehen die ‚doofen Nutzer‘ da draußen, von denen hier gelegentlich die Rede ist.“
Die Berliner Zeitung geht auf „Adoptier Deinen Abgeordneten!" ein, die bei der Veranstaltung präsentierte, ein bisschen nach Pennäler-Humor riechende Kampagne, die zur „netzpolitischen Betreuung“ von Politikern aufruft. Johannes Kuhn interpretiert für süddeutsche.de die Konferenz als Musikfestival. Und was das Blogger- und Bürgerjournalismus-Netzwerk Global Voices konkret macht, hat Meike Laaff (taz) dessen Leiter Ivan Sigal gefragt, der auf der re:publica referierte:
„Wir beobachten die Blogosphäre in ihren lokalen Sprachen, lesen und analysieren sie. Teile und Auszüge der interessantesten Berichte übersetzen wir in andere Sprachen - mit Hilfe unserer ehrenamtlichen Mitarbeiter. Und wir betten die Aussagen und lokalen Blogeinträge von Leuten aus bestimmten Regionen, in Geschichten ein - um sie auch für ein breiteres Publikum zugänglich zu machen. Anfangs lag unser Fokus darauf, zu verändern, wie Entwicklungsländer durch die Art und Weise, wie über sie berichtet wurde, im Westen wahrgenommen wurden. Jetzt interessiert uns mindestens genauso sehr, Informationsflüsse in viele Länder sicherzustellen. Dafür zu sorgen, dass eine Nachricht aus Venezuela den Weg nach Madagaskar findet oder aus China es bis nach Ägypten schafft.“
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Möglicherweise ein Thema auf der re:publica 2013 könnte die sich momentan noch in der Beta-Phase befindende App Signal werden, die für fotografierende Bürgerjournalisten gedacht ist. Mashable berichtet:
„Users capture media that they then upload to the app with a geo-tagged location and a short caption of around 60 characters. And if multiple people happen to be covering the same story, an algorithm for the app pushes the photos together, so the content becomes classified under the same story.“
[+++] Im Aufmacher der SZ-Medienseite schreibt Katharina Riehl über den Nachrichtensender n-tv, der „eine Art Anspruch hat“ und 2011 „sogar profitabel war“:
„Zur Geschichte des überraschenden Erfolges von n-tv gehören (...) nicht nur ordentlich verkaufte Werbeplätze zwischen Nachrichtenblöcken, zum Erfolg von n-tv gehören auch ‚Ratgeber - Test‘, ‚Bauen extra‘, ‚PS - Das Automagazin‘, ‚Zerlegt! Ein Flugzeug in Einzelteilen‘ oder ‚Das Superbike‘. Nach 16 Uhr beginnt bei n-tv das Abendprogramm, was bedeutet, dass nicht mehr abwechselnd Nachrichten und das Wirtschaftsmagazin ‚Telebörse‘ gezeigt werden, sondern vor allem Doku-Formate aller Art. ‚Verbraucherorientiertes Programm' nennt Hans Demmel das, ‚Nutzwertfernsehen'. Es sind Sendungen, für die es weniger Werberestriktionen gibt. Es gibt noch immer Nachrichten im n-tv-Abendprogramm, anders als bei N24, wo nach den 20-Uhr-Nachrichten kaum noch aktuelle Berichterstattung stattfindet.“
Ganz anderes Nachrichtenfernsehen als n-tv und N24 macht der ARD-Digitalkanal tagesschau24, nämlich eine Art Inforadio mit bewegten Bildern (siehe auch Altpapierkorb von neulich). Ich habe für die Funkkorrespondenz über diesen Weder-Fisch-noch-Fleisch-Sender geschrieben, über den Kai Gniffke, der Chefredakteur von ARD-aktuell, witzelt, wer ihn länger als 15 Minuten am Stück eingeschaltet habe, „ist entweder eingeschlafen oder ein Genießer“.
+++ Sabine Rennefanz hat für die Berliner Zeitung die gerade veröffentlichte Dissertation des Berliner CDU-Fraktionsvorsitzenden Florian Graf ausgewertet, die der über seine eigene Partei geschrieben hat („Der Entwicklungsprozess einer Oppositionspartei nach dem abrupten Ende langjähriger Regierungsverantwortung“). Der ist seinen Doktortitel mittlerweile los, weil „sieben Seiten des Theorie-Teils von zwei anderen Autoren abgeschrieben wurden“. Aber: „Immerhin ist er ein eifriger Zeitungsleser gewesen. Nicht nur aus den großen Berliner Zeitungen, sondern auch aus Zitty und dem inzwischen eingestellten Lifestyle-Blatt Max hat er ausführlich zitiert (...).“ Das muss man natürlich erwähnen, denn all zu viele Doktorarbeiten von Volksvertretern, in denen dieses frühere Politik-Fachblatt zitiert wird, dürfte es nicht geben. Rennefanz weiter: „Dreizehn von insgesamt 16 Seiten der Literaturliste listen Zeitungs- und Magazinartikel auf. Eine Presseauswertung wäre bei dem Thema vielleicht nichts Ungewöhnliches, wenn er dafür eigene Kriterien entwickelt hätte. Stattdessen hat man den Eindruck, er wählt willkürlich aus, so wie es ihm passt. Auf manchen Seiten reiht sich ein Zeitungszitat an das andere.“
+++ Ein impliziten Vorschlag zur Abschaffung des Kulturjournalismus macht die junge Welt. Sie lässt einen Buchverleger seinen eigenen Autor interviewen.
+++ „Lieber Markus Lanz, erzähl du mir bitte nichts vom Respekt vor geistigem Eigentum von Künstlern“, schreibt der Rechtsanwalt Markus Kompa und rekapituliert einen Fall aus der Zeit, als Lanz noch bei einem „großen Kölner Schundsender“ seine Brötchen verdiente.
+++ Journalistenpreise: Weil er den Urskandal aller Skandale rund um das Murdoch-Imperium aufgedeckt hat, bekommt Nick Davies vom Guardian den Henri-Nannen-Preis. Steht beim Online-Ableger jener Zeitschrift, deren Chefredakteur Henri Nannens früherer Zeitschrift.
+++ Apropos Rupert Murdoch: Um die Untersuchungsausschuss-Formulierung, er sei „not a fit person to run an major international company" (siehe Altpapier) streiten im Nachhinein die im Ausschuss sitzenden Politiker Tom Watson und Louise Mensch - unter anderem via Twitter, und zwar auf für deutsche Politikbetriebsverhältnisse ungewöhnlich ausführliche Weise (Guardian).
+++ Und da wir zu Murdoch ja auch nicht immer nur negativ Konnotiertes verbreiten wollen, hier eine einigermaßen neutrale Business-Nachricht: Die aus seinem Konzern stammende Tablet-Zeitung The Daily gibt es jetzt auch in einer iPhone-Version (Mashable). Möglicherweise hat das auf für den Konzern auf globaler Ebene einen ähnlichen Stellenwert wie die Verpflichtung Harald Schmidts durch Sky.
+++ Anlässlich der Fußball-EM in der Ukraine beschäftigt sich das Monatsmagazin journalist mit der dortigen Pressefreiheit - und damit, wie diese durch Oligarchen beeinträchtigt wird, die Medienunternehmen besitzen. „Auch der einflussreichste Oligarch, Rinat Achmetow, Förderer von Präsident Wiktor Janukowitsch und Eigentümer des Klubs Schachtar Donezk (...) ist ein wichtiger Medienunternehmer (Segodnja Multimedia, Media Gruppa Ukraina). Seit Jahren rangiert er als reichster Ukrainer auf der Forbes-Liste reichsten Menschen der Welt. Legt man dieses Ranking zugrunde, hat er zur selben Zeit, in der die Pressefreiheit in der Ukraine drastisch abgenommen hat, sein eigenes Vermögen verdreifachen können“, schreibt der mit solchen Themen auch als Buchautor befasste Olaf Sundermeyer. ?
+++ Natürlich anlässlich des bevorstehenden Song Contests äußert sich Astrid Frohloff, die Sprecherin von Reporter ohne Grenzen, in text intern (Seite 6/7) zur Pressefreiheit in Aserbaidschan: „Gerade in den letzten Wochen haben wir immer wieder erlebt, dass regierungskritische Blogger verhaftet wurden, weil sie zum Beispiel kritisch über Zwangsumsiedlungen berichtet haben. Sechs Journalisten sitzen zur Zeit im Gefängnis. (...) Außerdem kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu Überfällen auf Journalisten. Uns sind alleine 2011 mehr als 50 Fälle bekannt (...) Nur wenige trauen sich noch kritisch zu berichten.“
+++ Über den Medienandrang zum Prozess gegen den mutmaßlichen 9/11-Chefplaner Khalid Sheikh Mohammed und weitere Drahtzieher in Guantanamo (sehr kurz dazu Welt Online/AFP) berichtet der Miami Herald. „About a dozen German newspapers and broadcasters sought seats, probably because Yemeni defendant Ramzi bin al Shibh, 40, is accused of organizing the cell of hijackers from Hamburg, where he also allegedly helped them apply for Florida flight schools.“ Allerdings habe von den deutschen Medien nur der Spiegel einen Platz im Gerichtssaal ergattern können.
+++ Zur Medienpolitik: Thomas Fuchs, Direktor der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein, schreibt in der FAZ, was er von einer Medienanstalt der Länder hält, die „einige Medienpolitiker fast schon reflexartig fordern“ (siehe auch Altpapier). Die sei „nur dann sinnvoll, wenn sie mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet ist, wie es beispielsweise in der Schweiz oder in Großbritannien der Fall ist. Eine so organisierte Aufsicht würde telekommunikationsrechtliche Kompetenzen, die zurzeit bei der Bundesnetzagentur liegen, ebenso umfassen, wie die werberechtliche und jugendschutzrechtliche Aufsicht über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ohne diese Kompetenzerweiterung wäre eine Medienanstalt der Länder nur Kosmetik.“
+++ Außerdem auf der FAZ-Medienseite: NDR-Bashing. Der Sender bereite „seinem ‚Tatort‘-Helden Cenk Batu „ein irres Ende“: „Er soll den Bundeskanzler töten. Was hat da den Sender geritten? Es ist ein Skandal.“ Der Film sei streckenweise „ungewollt komisch“.
+++ Gut finden die Frankfurter dagegen den französischen Film „Um Bank und Kragen“, „eine wohltuend böse Satire auf eine Gesellschaft, in der nur überlebt, wer seine moralischen Skrupel am besten im Griff hat“ (heute bei arte).
+++ Im Medientagebuch des Freitag (Seite 14) zitiert Ex-Altpapier-Autorin Katrin Schuster genüsslich diverse Doofheiten aus dem Gruner + Jahrs Seniorenmagazin Viva! (siehe auch Altpapier). Zum Thema Champagnertrinken zum Beispiel, dass „hohe schlanke Flöten wie lange Beine in kurzen Röcken“ seien.
+++ Noch doller als Viva! ist aber der ebenfalls Senioren zugeneigte Hessische Rundfunk, der gerade mal wieder das „dollste Dorf“ im Bundeslande sucht, dem es dann den „Goldenen Onkel Otto“ zu verleihen gedenkt. Nein, kein Witz.
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.