Demokratische Prozesse auf den Yachten von Medienunternehmerfamilien, „selbsternannte Blogger“ und einige Aspekte aus der Geschichte des „Aktuellen Sportstudios“ sowie eines Hamburger Nachrichtenmagazins stehen heute auf der Agenda.
Nachdem das Altpapier vom Mittwoch mit allerlei historischen Bezugspunkten aufwartete, drängt es sich heute auf, noch tiefer einzutauchen in die Mediengeschichte. Das liegt unter anderem an dem Fußballmagazin 11 Freunde, das in seiner Mai-Ausgabe (Inhaltsverzeichnis) einen recht materialreichen Text zur Geschichte des „Aktuellen Sportstudios“ druckt:
„Harry Valérien, Hajo Friedrichs, und Dieter Kürten haben sich in mein frühkindliches Gedächtnis ebenso eingebrannt wie die RAF-Fahndungfotos aus der örtlichen Postfiliale“
schreibt Dirk Fischer, dessen Artikel im Vorspann als „voreilige Grabrede eines bekennenden Liebhabers“ angekündigt wird. Voreilige Grabreden auf diese ZDF-Sendung wurden schon einige verfasst. Der Reiz des Textes besteht jedenfalls darin, dass Fischer die Geschichte anhand von sehr skurrilen, teilweise kaum bekannten Sendungen und entsprechenden Äußerungen von Moderatoren und Studiogästen Revue passieren lässt. Nehmen wir ein „Sportstudio“ aus dem August 1983, als Ulrich Maslo zu Gast war, damals Trainer bei Borussia Dortmund:
„An der Torwand lief der gute Uli, gekleidet mit einer hellblauen Kombi aus Woolworth-Hose und Pullunder (....), zur Höchstform auf. Das ZDF-Team hatte inmitten des Studios eine Manege für Pferde mit Sägespänen aufgebaut, zu Gast war der ‚mögliche deutscher Meister im Voltigieren‘. An der einen Seite stand die berühmte Torwand, auf die Maslo aus dem Sägespäne-Sandgemisch zielen musste. Dies entlockte ihm nur den Kommentar: ‚Fast wie auf Sylt.‘“
Außerdem erzählt in 11 Freunde der Schauspieler Matthias Brandt, warum er als 12-jähriger mal im „Sportstudio“ auf die Torwand schießen durfte:
„Es war im Jahr 1974. Mein Vater, der Bundeskanzler, war in die Sendung eingeladen worden. Seine PR-Strategen hatten jedoch Angst, dass man ihn fragen würde, ob er auf die Torwand schießen wolle. Das hätte seinen Ruhm in der Tat nicht gemehrt.“
Wir nehmen zur Kenntnis: Die „PR-Strategen“ von Politikern waren schon vor rund vier Jahrzehnten auf Zack. Der neue „Polizeiruf“ mit Brandt junior, der am kommenden Sonntag läuft, ist übrigens, um zwischendurch auch mal ein bisschen nach vorn zu blicken, „ästhetisch brillant“ und daher „großes Fernsehen“ (tittelbach.tv). Ein anderer Ex-Kanzler hat es in nie ins „Sportstudio“ geschafft: Kurt Georg Kiesinger, dem das SWR Fernsehen heute ein Porträt widmet. Normalerweise werden Porträts von Ex-Kanzlern ausgiebig vorab rezensiert, aber bei Ingo Helms Film über den „Kanzler und ‚König von Baden-Württemberg‘", wie der Protagonist im Titel apostrophiert wird, scheint dies nicht der Fall zu sein (weshalb hier auf die Pressemitteilung des SWR verwiesen sei). Das kann damit zu tun haben, dass das SWR Fernsehen nicht überall zu empfangen ist, aber auch mit dem blassem Image des alten NSDAP-Mannes, der dank der berühmten Ohrfeige durch die kürzliche Bundespräsidentschaftskandidatin Beate Klarsfeld übrigens auf dieser demnächst erscheinenden Vinyl-Schallplatte der Band FSK eine Rolle spielt.
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[+++] Unser heutiger Vergangenheitsbetrachtungsschwerpunkt rührt auch daher, dass gerade die Stunde älterer, bereits den goldenen Herbst ihres Lebens genießenden Fotografinnen und Ex-Fotografinnen zu sein scheint, jedenfalls sind sie als Interviewpartnerinnen derzeit sehr beliebt. Für die neue Ausgabe der Monatszeitschrift konkret etwa hat Jens Hoffmann ein Gespräch mit Digne M. Marcovicz geführt, die in den 60er Jahren zeitweilig beim Spiegel festangestellt war und später als feste freie Fotografin für das Nachrichtenmagazin arbeitete. Besonders kurzweilig: eine Anekdote rund um das berühmte Interview, das das Blatt 1966 mit dem Philosophen Martin Heidegger geführt hat, das aber erst nach dessen Tod erscheinen durfte:
„Dann war da noch dieser unangenehme Redakteur, Georg Wolff, der mir gleich auf der Fahrt nach Freiburg erzählt hat, dass er bei der SS war und dass da doch alles ziemlich harmlos gewesen sei. Ich habe mich dann gerächt – das würde ich heute nicht mehr machen. Ich habe beim Fotografieren darauf geachtet, dass ich den alten SS-Mann nur von hinten zeige. Wolff hat sich ziemlich geärgert, dass er nur von hinten zu sehen war – und das sollte er ja auch.“
Dass der Spiegel damals ausgerechnet einen Ex-Nazi zum Gespräch mit Heidegger schickte, kann man seltsam finden. Andererseits war der frühere Hauptsturmführer Wolff zu der Zeit stellvertretender Chefredakteur, er hat sich möglicherweise sogar selbst damit beauftragt, den Philosophen gemeinsam mit Rudolf Augstein zu interviewen. Augstein kam in der vergangenen Woche schon im anderen großen Fotografinnen-Interview vor. Inge Feltrinelli, heute trotz ruhmreicher bildjournalistischer Vergangenheit eher als Buchverlegerin bekannt, erinnerte sich im SZ-Magazin an die frühen 50er Jahre in Hamburg:
„Augstein fuhr oft in großen amerikanischen Cabriolets um die Alster herum. Weil er so klein war, sah er in seinen Straßenkreuzern noch kleiner aus. Aber für ihn waren sie ein Schutz, um seine Schüchternheit zu verbergen. Tanzen konnte er überhaupt nicht. Er hüpfte herum wie ein Osterhase.“
Die Zeit, um die es hier geht, kennt auch der heute 81-jährige Rolf Lamprecht, der drei Jahrzehnte lang Korrespondent des Spiegel bei den obersten Gerichten in Karlsruhe war. Christian Rath berichtet für die taz über eine Veranstaltung, bei der Lamprecht aus seinem Berufsleben erzählte:
„Am Anfang war Adenauer, ein Kanzler mit entschlossenem Machtanspruch. Für ihn war es nur schwer zu akzeptieren, dass es ein Gericht gab, das auch die Politik in die Schranken weisen konnte. (...) ‚Das Kabinett ist sich darin einig, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts falsch ist‘, erklärte er zum Beispiel, als Karlsruhe 1963 die Staatsunabhängigkeit des ZDF forderte. Erst der massive Protest der Öffentlichkeit zwang Adenauer zum Einlenken, erinnerte Lamprecht.“
[+++] Dass Digne M. Marcovicz, Inge Feltrinelli und Rolf Lamprecht Viva! lesen werden, das heute erscheinende G+J-Magazin für die „Generation Ruhestand“, das Katharina Riehl in der SZ vorstellt, wagen wir zu bezweifeln, aber rein altersmäßig zählen sie wohl zur Zielgruppe. Weiter vorn in der SZ, auf der Meinungsseite, geht es mal wieder um Rupert Murdoch - ein Mann, der alt genug ist, um bereits Ruheständler und medienhistorische Figur zu sein, aber statt dessen in der Gegenwart viel bewegt, zum Beispiel dafür sorgt, dass deutsche Fußballprofis nicht unter Brücken oder in der Bahnhofsmission schlafen müssen (siehe Altpapier). Christian Zaschkes Thema sind die Kalamitäten (ebd.), in denen Murdoch schon lange steckt und die unter anderem dazu führen, dass der Alte in London mal wieder vor dem „unabhängigen Untersuchungsausschuss zur Ethik der Presse und dem Verhältnis von Politik und Medien“ aussagen muss. Was er und sein Sohn James dort bisher zum Besten gaben, mache, so Zaschke, deutlich, „wie Murdoch-Mitarbeiter Lobbyarbeit betrieben“:
„Murdochs wirtschaftliches Interesse bestand zuletzt im Kern in der geplanten vollständigen Übernahme des Kabelsenders BSkyB (...) Es ist nicht beweisbar, aber es ist immerhin denkbar, dass (Premierminister) Cameron und die Murdochs seinerzeit einen Deal geschlossen haben: Die Murdochs unterstützten Cameron, und der unterstützt die Murdochs in ihrem Bemühen, den Sende vollständig zu übernehmen.“
Barbara Klimke berichtet in der Berliner Zeitung, Murdoch habe bei der Anhörung, für die „sechs Stunden an zwei Tage angesetzt“ sind, „unter Eid erklärt“:
„Ich habe niemals einen Premierminister um irgendetwas gebeten“,
was man sofort glaubt, weil es schwer vorstellbar ist, dass Murdoch einen Hiwi um etwas bittet. Ohnehin parlierte der Tycoon recht flott:
„Der Fakt, dass der jetzige konservative Regierungschef, David Cameron, Murdoch auf einer der Familienyachten besuchte, ist für den Unternehmer ‚Teil des demokratischen Prozesses‘“,
schreibt jedenfalls Klimke - und geht auch noch einmal auf den Auftritt von Murdochs Sohn James vor dem Ausschuss ein (siehe Altpapierkorb vom Mittwoch). Mehr Essentielles zur Causa Murdoch findet man selbstverständlich beim Guardian.
[+++] Gewissermaßen der Vergangenheit entreißen will der Verlag Egmont Ehapa die Zeitschrift Yps. Das laut Tagesspiegel „legendäre“, tatsächlich aber allenfalls legendär langweilige Magazin soll im Oktober als Zeitschrift für erwachsene Männer bzw. „große Jungs“ zurückkehren, was den Meedia-Leser Peter Müller zu der Bemerkung veranlasst, die Yps für Erwachsene gebe es doch bereits. Das sei die deutsche Wired. In der neuen Nummer der US-amerikanischen Wired, im Original also, findet sich ein instruktiver Text über Roboterjournalismus, der uns nicht nur in die Gegenwart, sondern in die Nähe der Zukunft führt.
„Can an Algorithm Write a Better News Story Than a Human Reporter?“
lautet die Frage, die der Text stellt, und die auch im Altpapier schon angerissen wurde.
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+++ Kai Diekmann agierte am Mittwoch mal als eine Art Gegendemonstrant, er zog sich ein T-Shirt über, dessen Motiv bereits bekannt ist: ein Konterfei, das ein Mashup aus seinem Gesicht und dem Che Guevaras darstellen soll. Schlichte Aufschrift des Kleidungsstücks: „Kai.“ Mit ein paar Pappnasen, die bereit waren, diese Klamotte ebenfalls überzustreifen (vielleicht, weil sie auch Kai heißen) verteilte er vor dem Springer-Verlagshaus Brötchen an dort protestierende Anti-Bild-Aktivisten (siehe Altpapier). Der Campact-Blog berichtet - inclusive Bild des Tages. Der Tagesspiegel bringt ein nicht ganz so gutes Motiv, liefert aber dafür ein paar Zahlen von der Aktionärsversammlung des Konzerns, die für die Demonstranten ein Anlass war, mal vorbeizuschauen.
+++ Die taz war auch vor Ort, sie berichtet, einige Aktionäre hätten die Gelegenheit genutzt, mal vor großen Publikum zu performen: „‚Mir ist noch nie gelungen, eine Frau zu entjungfern, die nicht mit mir verwandt ist‘, sagt ein Aktionär ins Mikrofon, er dreht sich zu Dr. Guiseppe Vita, dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats, der blättert aufmerksam in seinen Unterlagen. Und das hänge, sagt der Aktionär mit dem zerzausten Haar, mit den Kleinanzeigen in der B.Z. zusammen.“ Rockt auf alle Fälle, die Passage, obwohl sie inhaltlich nicht wirklich verständlich ist.
+++ „Wenn man die Äußerungen der ARD zu der von den öffentlich-rechtlichen Sendern und den Zeitungsverlagen geplanten gemeinsamen Erklärung zu den Aktivitäten im Internet interpretieren soll, scheint es, als habe sich eine kurz vor dem Abschluss stehende Angelegenheit zur Hängepartie entwickelt.“ - So steigt Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite in einen Artikel über den Stand der Verhandlungen, die sich aus einem berühmt-berüchtigten, von diversen Verlagen angestrengten Gerichtsverfahren (siehe Altpapier) ergeben haben. Dass die Sender noch ein Interesse haben an einem „medienpolitischen Signal“, bezweifelten die Verlage, schreibt Hanfeld, und das bezweifelt wohl auch er. Dass die Sender an so einem „Signal“ gar kein Interesse haben dürften und sollten, hat ja kürzlich der Ex-NDR-Intendant Jobst Plog in einem Leserbrief an die Funkkorrespondenz (zitiert bei stefan-niggemeier.de) deutlich gemacht: „Kaum nachvollziehbar ist die Strategie der Rundfunkanstalten in der Auseinandersetzung mit den Verlagen. Das fängt damit an, dass sie Vergleichsverhandlungen ausgerechnet dann begonnen haben, als das Gericht zu erkennen gab, dass die Klage der Verleger abweisungsreif war.“ Auf Letzteres geht nun auch Hanfeld noch mal ein: „Dass die Klage Erfolg haben würde, schien nach der Verhandlung unwahrscheinlich.“
+++ Wer sich für den Tatbestand interessiert, dass die Tagespresse in Hamburg qualitätsjournalistisch gesehen nur bananenrepublikanischen Standards genügt, lese diesen Blogbeitrag und diesen schon mal vorab publizierten Leserbrief. Es geht unter anderem um Journalisten, die meinen, „selbsternannte Blogger“ dissen zu müssen, obwohl mal wohl keinen Blogger findet, der leugnet, dass er sich selbst dazu ernannt hat - und obwohl im Journalismus die Zahl der Selbsternannten wahrscheinlich größer ist als an allen anderen Branchen.
Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.