Er liebte Israel und Teetische

Endlich! Axel Caesar Springers 100. Geburtstag ist gekommen. Dazu ein Kessel unterschiedlicher Würdigungen. Außerdem: ausnahmsweise substanzielle Kritik an der Inflation öffentlich-rechtlichen Fernsehens, ein Ausweg für Harald Schmidt.

Die wirklich großen, wichtigen oder wuchtigen Jahrestage kommen derzeit in der Medienflut immer so gewaltig vorab, dass kaum jemand mehr weiß, wann genau denn wirklich der Jahres-Tag ist. Heute ist's, heute würde er 100 Jahre alt werden, wenn er nicht schon 1985 gestorben wäre: Axel Caesar Springer - der "Erfinder der BILD-Zeitung, Liebhaber Israels und Freiheitskämpfer", wie es die Deutsche Post in ihrer Anpreisung ihrer nassklebenden Sondermarke formuliert (und wer, wenn nicht sie müsste das einschätzen können, schließlich war die Post zu Springers Lebzeiten der Inbegriff einer Bundesbehörde, also der freiheitlich demokratischen Grundordnung verpflichtet, und ist heute, was die Unternehmenspersönlichkeit Axel Springer heute ebenfalls ist, eine auch digital und global bemühte, vor allem den Zahlen verpflichtete Aktiengesellschaft).

Wo sind die großen, kritischen Würdigungen des Verlegers, der Springer, wenn man die Konzern-PR beiseite lässt, ja vor allem war, die auch die große, laute und in mancher Hinsicht zweifelhafte Rolle, die der gleichnamige Konzern in der Gegenwart spielt, beleuchtet?

"Der nach Axel Cäsar Springer benannte Konzern, das mächtigste Medienhaus im Land, bittet in Berlin anlässlich des Hundertsten seines Gründers zum verlagseigenen Staatsakt. Und man darf darauf wetten, dass es an Spitzenpersonal aus Politik und Gesellschaft beim Stelldichein nicht fehlen wird",

hebt Michael Hanfeld in der FAZ an. Doch tut er das bloß auf der zweiten Seite des Feuilletons, dort wo die Buchbesprechungen stehen, und bespricht in der Tat drei frische Springer-Bücher, die aber älteren Springer-Büchern, denen von Michael Jürgs und von Hans-Peter Schwarz, nicht vorzuziehen seien (falls Details interessieren: Tilman Jens' Buch "handelt weniger von der Person denn von der Projektionsfläche", Tim von Arnim schreibe "so sachlich und langweilig, wie es der Titel verheißt", "das Buch zur Figur und zur Stunde aber hat Axel Sven Springer geschrieben...").

Aber die Seite 3 des Tagesspiegels, die bietet so eine große, kritische Würdigung des Verlegers und seines Verlages. Gleich im zweiten Absatz bereitet Hermann Rudolph den Springer-Honoratioren die Freude, Axel Springer sowohl mit Rudolf Augstein als auch mit Wallenstein zu vergleichen und zu letzterem Zweck ein Schillerwort so zu zitieren, wie es anno 1912 noch geläufiger gewesen war. Springer-Kritiker kommen später dank glänzend durchdachter Sätze aber auch auf ihre Kosten, wie diesem zur Bild-Zeitung:

"Auch hat ja Springer selbst sich seinerzeit mit dem Bekenntnis, dass er bei dessen Lektüre wie ein Hund leide, sozusagen einen allgemeinen Ablass eingehandelt. Aber das ändert nichts daran, dass das Blatt in seiner rüden Mischung aus Boulevard- und Tendenzjournalismus auf die mediale und politische Öffentlichkeit destruktiv gewirkt hat." (Hervorhebungen: AP)

Jene Bild-Zeitung verschießt ja schon seit Monaten Springer-Lorbeeren. Heute steuer der Gossen-Goethe F.J. Wagner eines seiner Gaga-Stückchen ("Nach der Dunkelexistenz der Nazis bastelte er eine menschliche Zeitung, in der gelacht und geweint wurde... ... Das Fantastische ist, dass Axel Springer nicht fort ist.") bei. Wenn Sie das interessiert, sollten Sie zur feier des Tages nicht zu bild.de klicken, sondern es bei meedia.de in der Originaloptik der Bild-Zeitung genießen, zwischen Bohlen, dem "geilen Typen" (Bushido-Zitat zur DSDS-Reform als Top-Schlagzeile des Blattes überm Bruch, das sich ja am Kiosk verkaufen muss), und besonders schnell zubereitbarem Gulasch (Anzeige).

Einen straffen, tazzigen Lebenslauf des Jubilars formuliert in der TAZ Steffen Grimberg, der außerdem ebendort den Vogel abschießt und - nun keineswegs straff - den verstorbenen Verleger Springer auch als Liebhaber von Fayence-Teetischen würdigt. Dazu ist der TAZler bis nach Schleswig gereist, um im Museum Schloss Gottorf mit dem Fayenceausstellungs-Kurator Ulrich Schneider zu reden. Wer sich für diese Facette von Springers Lebenswerk interessiert, kann hier für 22,50 Euro papiernes Bonusmaterial bestellen.

Wer nun aber richtig gründlich nachlesen möchte, wer Springer noch mal war, und gerne Bonusmaterial online in Form bereitgestellt haben möchte, wird in der Schweiz fündig. Für medienwoche.ch zeichnet der dem Bildblog verbundene Ronnie Grob alle Topthemen rund um Axel Springer aus aktueller Sicht nach: die Frauen, die 68er, die DDR usw.. Dazu gibt's eine Menge externe Links (die, altes Problem link-reicher Texte, nicht allesamt stimmen: Der Buchverlag Propyläen/ Ullstein gehört seit 2003 nicht mehr zum Springer-Konzern, der sich ja recht radikal von vielen Totholzgeschäften trennte und trennt, sondern zu Bonnier). Dafür gelingt Grob am Ende jedoch ein Brückenschlag ins unmittelbare medienjournalistische Tagesgeschäft, der vielleicht sogar Friede Springer oder Mathias Döpfner einen Moment irritiert:

"Eine markt- und pressefreiheitsfeindliche, protektionistische Kungelei mit der Regierung, wie das von Christoph Keese im Auftrag des Verlags propagierte Leistungsschutzrecht für Presseverleger hätte Axel Springer selbst aber wohl kaum je vertreten."

[+++] Das unmittelbare medienjournalistische Tagesgeschäft ist heute etwas langweilig. Die Klage der Verlage führender Zeitungen (darunter des Springer-Verlags) gegen die "Tagesschau"-App der ARD wird fortgesetzt, lautet eine überall verbreitete Meldung. Die Enttäuschung, die der Zeitungsverlegerverbands-Präsident per Presseerklärung äußerte ("'Wir sind enttäuscht', sagte BDZV-Präsident Helmut Heinen"), wird darin human touch-halber gern zitiert.

In der Sache ist die Süddeutsche irgendwie opti- (Da sei "der Versuch einer außergerichtlichen Einigung zunächst gescheitert - vom Scheitern der Verhandlungen ist noch nicht die Rede"), die FAZ in Gestalt erneut Hanfelds eher pessimistisch ("Dass sie", die Verlage, "mit ihrer Klage Erfolg haben, ist unwahrscheinlich, dass eine Einigung im avisierten Sinne kommt, ebenfalls") und insofern mit der TAZ in Gestalt erneut Grimbergs d'accord, der überdies eine steile These aus dem Ärmel schüttelt:

"Man könnte das Thema also einfach - lassen. Denn ob der Verlagsjournalismus im Netz überlebt, hängt weniger von ARD und ZDF als von Spiegel Online ab."

Was noch mal Sache war, also welche zwischenzeitlich womöglich erzielte Einigung die Intendanten von ARD und ZDF dann doch nicht mehr unterschrieben mochten, fasst der Tagespiegel zusammen.

[+++] Der dann auch (obwohl sein Verlag nicht zu den in diesem Zusammenhang klagenden gehört) eine der substanziellsten Kritiken am öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die in den letzten Jahren zu lesen waren, auf den Punkt bringt. "Mehr TV vom gleichen TV" oder noch einfacher: Inflation, lautet sie. Joachim Huber wundert sich über inzwischen 22 nominell unterschiedliche Fernsehprogramme von ARD und ZDF, die dennoch weitgehend gleiches Material aussenden und am jüngeren Publikum weitgehend vorbeisenden. Ein Anlass: der neue ARD-Digitalsender namens "tagesschau24", der freilich gar kein neuer Sender ist, sondern bloß der alte Sender "EinsExtra", der "unter neuem Markennamen" auch draufstehen habe, was schon länger drin sei (ARD aktuell- "Vize-Chefredakteur" Thomas Hinrichs) und auf mehr Beachtung hofft. Und dessen Webseite tagesschau24.de mit tagesschau.de identisch ist.

Außerdem neu im irren öffentlich-rechtlichen Fernsehsenderbouquet: "Eins Plus", nun nicht dem Markennamen, aber der Programmierung nach. Die ist seit 30. April noch jugendaffiner. Was das bedeutet, hat Torsten Wahl für die DuMont-Presse analysiert: u.a., dass Sarah Kuttner ihre Prominenten-Interviews, auf die die Jugend bekanntlich abfährt, außer bei ZDF-Neo ("Bambule", ein "Trendmagazin" bzw. "Straßenmagazin") auch bei Eins Plus ("Ausflug mit Kuttner") aufführt.


Altpapierkorb

+++ Ein Ausweg? Sowohl aus der "Tagesschau"-App-Problemzone wie auch der Senderinflation? Die AG Dok fordert "ein von ARD und ZDF unabhängiges öffentlich-rechtliches Internetangebot", für das zehn Prozent der künftigen Haushaltsabgabe "abgezweigt werden" sollten (Carta). +++

+++ Der Ausweg für Harald Schmidt, dessen Sat.1-Show noch läuft, aber diese Woche ausläuft: Sky! Das meldet die Süddeutsche: "Ein Deal wird dem Vernehmen nach immer wahrscheinlicher", schreibt Hans-Jürgen Jakobs nicht auf der Medienseite, sondern in seinem Wirtschaftsressort. +++ Auch interessant: Die Welt (Axel Springer) hat zwar geradezu eine Homestory mit Sky Deutschland-Chef Brian Sullivan ("...doch zuhause bestimmt seine Ehefrau über das Fernsehprogramm"), erfuhr im Rahmen dieser Recherche aber nix über Schmidt. +++

+++ Ja, ist denn schon wieder re:publica? Jawohl. "Die Konferenz über Blogs, soziale Medien und die digitale Gesellschaft ist ausverkauft, es gibt aber noch Tagestickets", informiert Vera Bunse bei Carta mit einer Menge Links. +++ Dieses Jahr "muss es um Lösungen gehen: Denn die Probleme von Acta bis Aktivismus sind allen bekannt - oder sollten es zumindest mal langsam sein" (Meike Laaff, TAZ). +++

+++ Neues Internationales von den Murdochs, denen ja auch Sky zuzurechnen ist: Der 121-seitige Bericht der britischen Untersuchungskommission zum News of the World-Skandal liegt vor (Süddeutsche: "Für die Murdochs bedeutet der Bericht zum einen eine enorme Beschädigung ihres Rufs. Zum anderen könnte er konkrete geschäftliche Folgen haben..."; online ähnlich). "Volle Klatsche für die Murdochs", würde die TAZ sagen. +++

+++ Googles "Schnorcheltechnik", was das Abfischen von am Rande der Streetview-Vermessungen schwirrenden WLAN-Daten betraf, mithilfe des "Wardriving"-Programm-Experten Marius Milner fasst Detlef Borchers für die FAZ in deutsche Worte. +++

+++ "'Kontext' gerettet": Knapp 1.000 rettende "AbonnentInnen, die Kontext pro Monat mit zehn Euro oder mehr fördern, haben durch ihr Engagement verhindert, dass die Zeitung Ende April eingestellt werden musste", meldet die dem Blatt verbundene TAZ. +++ "1000 Dank!!!", ruft Josef-Otto Freudenreich aus. +++

+++ Über eine aserbaidschanische "Schmutzkampagne" gegen Deutschland informieren SPON und Stefan Niggemeier privat. +++ Grundsätzliches "über den Ablauf von Skandalen in Deutschland" zwischen Werner Höfer und Christian Wulff äußert Hans Mathias Kepplinger bei vocer.org. +++

+++ Mehr Digitalsender-Content: Dass Youtube-Klickstar Tedros Teddy Teclebrhan aus "Teddy"s Show" gern die Nachfolge Harald Juhnkes antreten möchte, berichtet Hans Hoff (Süddeutsche). +++ Schwer jugendlicher Nicht-Neo-, sondern Original-ZDF-Content: "Ich kann Kanzler!". Kritiken gibt's u.a. bei der BLZ online und bei SPON. +++

+++ ARD-Content heute abend: die Hermann-Hesse-Verfilmung "Die Heimkehr". "Jo Baier, der einst gekonnt 'Stauffenberg' inszenierte, später 'Nicht alle waren Mörder' nach Michael Degens Erinnerungen und 'Henri4', schrieb das Hesse-Buch selbst um - und dramatisierte heftig hinein. Das muss gar nicht schlimm sein, wäre es nur nicht so schenkelklopferig geworden", meint Barbara Gärtner in der Süddeutschen. +++ "Heike Makatsch baut ihre Sammlung mit Rollen der Sorte "Eine taffe Frau gibt nicht auf, obwohl die Emanzipation ja noch gar nicht stattgefunden hat" weiter aus, Herbert Knaup, der den Bürgermeister und amtlichen Oberspießer spielt, darf wieder viel Dialekt sprechen, und Udo Lindenberg singt am Ende 'The River', auf Englisch. Aber das alles macht es nicht besser" (Jens Müller, TAZ). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.