Argentinien 1978, Düsseldorf '76, Oberhausen '62 und Berlin 1945 bieten zeithistorische Fixpunkte für Fußball-EM und Drittsendeplätze sowie Urheberrechtliches zwischen Punk und Adolf Hitler.
Immer nur Zukunftsvisionen, welche Apps, Chancen und Herausforderungen der Medienwandel denn noch so mit sich bringen wird? Das wäre ja auch langweilig. Zurzeit wird auch ein wenig in jüngere Vergangenheiten zurückgeschaut, um unverbrauchte Vergleichsmaßstäbe zu finden.
Die im Juni bevorstehende Fußball-Europameisterschaft werde "die bisher politischste" sein, "vergleichbar nur mit der WM 1978 im Junta-Land Argentinien". Das hat der Berliner Tagesspiegel aus der HSV-Arena, dem Stadion des mutmaßlich auch in der kommenden Saison in der Bundesliga vertretenen Hamburger Sportvereins, mitgebracht. Dort stieg gestern die große ARD/ ZDF-Pressekonferenz zur geplanten Berichtererstattung von der EM. Die politisch-historisch bewussten Worte sprach Jörg Schönenborn, WDR-Chefredakteur sowie nun "ARD-Teamchef", aber natürlich auch "Staatsbürger" (TAZ knapp). Was war '78 in Argentinien außer Cordoba? Siehe hier bei 11freunde.de.
Wie um Schönenborn zu bestätigen, machten das ZDF-"heute-journal" und die ARD-"Tagesthemen" gestern wegen Julia Timoschenkos Hungerstreik mit Krisenberichten aus dem EM-Co-Gastgeberland Ukraine auf, wie sie deutsche Fernsehzuschauer von dort bislang eher selten gesehen haben. "Die Verantwortlichen von ARD und ZDF waren sehr um die Botschaft bemüht, mit der EM nicht ein Jubel-Trubel-Programm zu veranstalten", fasst Tsp.-Medienchef Joachim Huber zusammen.
Ansonsten werden von derselben PK ARD/ ZDF-Bemühungen, kostensparend zusammenzuarbeiten (meedia.de) und Personalien (Süddeutsche) vermeldet: Das ZDF, ab Sommer ja auch Champions League-Sender, wird weiter mit Olli Kahn zusammenarbeiten, außerdem im Sommer Orakel-halber mit einem noch ungenannten Tier (siehe Süddeutsche, die ferner fragte, ob Bela Réthy das Finale komentieren werde und hörte, "man denke 'nur von Spiel zu Spiel'").
[+++] Zwei Jahre vor Argentinien '78, in Düsseldorf 1976 wurde "das Übermotto" der "Bewegung" erstformuliert, der sich Sascha Lobo zugehörig fühlt, der "Leitgedanken der sozialen Medien". "Das kann ich ja auch!", so laute dieser Gedanke, schreibt Lobo (Jahrgang 1975, ja Halbargentinier) in seiner SPON-Kolumne. Und auch wenn seine Interpretationen der aktuellen Urheberrechtsdebatte als "nur die neueste Ausprägung ... der alten Infragestellung der Hierarchien" und von Anhängern des geltenden Urheberrechts als "Kohlehändlern" während der Einführung der Zentralheizung wohl nicht zu den aufregendsten 250 Digital-Analogien des laufenden Jahres gehören, so ist doch aufschlussreich, woher Lobo den Satz gesamplet hat: aus dem "wunderbarsten Buch über die jüngere deutsche Kulturgeschichte, dem Doku-Roman 'Verschwende Deine Jugend' von Jürgen Teipel", in dem ihn nämlich Xao Seffcheque, "ehemaliger Wahldüsseldorfer aus Graz und einer der wichtigsten Köpfe des Punk in Deutschland", geäußert hat:
"Etwas später, Ende 76, kam jemand mit der ersten Ramones-Platte aus New York zurück.[…] Und plötzlich merkte ich: 'Das kann ich ja auch!'"
Aus Seffcheque wurde dann Drehbuchautor, auch von "Tatort"-Folgen, und als einer der 51 "netzverletzten" (Lobo) "Tatort"-Autoren hat er den kürzlich relative Furore machenden Offenen Brief mitunterzeichnet.
[+++] Zu den schönsten Entwicklungen des 20. Jahrhunderts gehört, dass man aus heutiger Sicht dessen erste Hälfte so schwer mit der zweiten verknüpfen kann. Bloß das Urheberrecht bestimmt halt weiterhin, dass das Recht an einem schriftlichen Werk halt 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers erlischt. Aus diesem Grund ist 2015, wenn sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 70. Mal jährt, ein Fixpunkt für den bayrischen Finanzminister (und einstigen Leiter der CSU-Medienkommission) Markus Söder. Denn Bayern ist das Copyright an Adolf Hitlers "Mein Kampf" zugefallen, und wie es, solange es es noch hält, mit ihnen umgehen will, wurde gestern in Nürnberg mitgeteilt:
"'Das Ziel ist die Entmystifizierung des Buches', sagte Söder im Nürnberger Dokumentationszentrum auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände, wo er sich mit Vertretern des Zentralrats der Juden, der Sinti und Roma, der Kirchen und mit Wissenschaftlern getroffen hatte, um den künftigen Umgang mit 'Mein Kampf' zu besprechen. 'Es muss klar werden, welch großer Unsinn mit fatalen Folgen das ist', sagte Söder."
Das heißt: "Schon bis 2015 soll das Münchner Institut für Zeitgeschichte eine wissenschaftlich-kritische Edition" des in Deutschland verbotenen Buches herausgeben, berichtet die Süddeutsche. Falls Ihnen dieser Berichtsansatz zu dröge-sachlich sein sollte: "'Mein Kampf' wird Schulbuch", titelte das populäre Boulevardportal Spiegel Online, da die Landeszentrale für politische Bildung auch ausgewählte Texte für den Schulunterricht zusammenstellen soll.
[+++] Jene Generation, die mit dazu beigetragen hat, dass sich die beiden Hälften des 20. Jahrhunderts so schwer miteinander verknüpfen lassen, ist natürlich nicht mehr jung. Alexander Kluge ist inzwischen 80 Jahre alt. Und heute mal wieder im Fernsehen auch jenseits der Drittsendeplätze zu sehen, die er und seine DCTP bespielen.
Weil das Oberhausener Manifest der sehr ehemaligen deutschen Jungfilmer 50 Jahre alt wurde (genauer: 50 Jahre und zwei Monate ist, jedoch beginnen nun die damit wiederum verknüpften Kurzfilmtage in Oberhausen), zeigt Arte heute um 22.15 Uhr die vom Alt-Oberhausener Hans-Jürgen Pohland gedrehte Dokumentation "Die Rebellen von Oberhausen". Der Tagesspiegel bespricht sie ambivalent:
"Aber die Rebellen von einst wirken sympathisch entspannt im Rückblick. Die Eitelkeiten in diesem Selbstgespräch halten sich in Grenzen. Als wichtigsten Erfolg rechnen sie sich – zu Recht – den durch ihren Impuls ermöglichten Aufbau einer Filmförderung an."
Besonders gelassen wirkte auf Rezensent Thomas Gehringer eben Kluge, dessen Film "Abschied von gestern" Arte im Anschluss zeigt:
"'Ob wir sehr rebellisch waren, das lass’ ich mal dahingestellt', sagt der 80-jährige Kluge am Ende gelassen. 'Aber dass wir eine Alternative zur Adenauer-Zeit waren, darauf kannst du Gift nehmen.'"
[+++] Kenner gegenwärtiger Medienmedien würden nun natürlich ein großes Michael Hanfeld-Stück über Kluges exemplarischen Marsch durch die Institutionen erwarten. Schließlich ist der Veteran immer noch ein Topthema für die erkleckliche Anzahl der deutschen Medienwächter, schließlich haben diese ("Die Direktorinnen, Präsidenten und Direktoren der Landesmedienanstalten..." - ein extrem hochrangiges Gremium also) gerade gestern zur Frage der Drittsendezeiten im Privatfernsehen, bei denen Kluges DCTP auch schon seit Jahrzehnten bestens im Geschäft ist, Reformwillen geäußert.
Doch der große Hanfeld bleibt heute aus (er schrieb nur zwei kurze Stücke auf der FAZ-Medienseite, siehe in Kürze im Altpapierkorb). Und lediglich die Süddeutsche berichtet in einem ebenfalls kürzeren Artikel über den Versuch der Landesmedienanstalten, "bei den Drittsendezeiten die alte Ordnung [zu] stürzen und künftig zentral in der Kommission für Zulassung und Aufsicht [zu] entscheiden". Was diese Drittsendeplätze noch mal genau waren, versucht Claudia Tieschky auf dem begrenzten Raum gar nicht erst zu erklären:
"Es ist vielleicht nicht einmal so wichtig zu wissen, was Drittsendezeiten sind, um zu verstehen, dass rund um diese Sache etwas schief läuft in der deutschen Medienaufsicht."
+++ "Uniformität ist ein Meister aus Deutschland. So wie ein Marsmensch 1979 vermutlich nicht sofort den Unterschied zwischen einem Wartburg und einem Golf I erkannt hätte, ist nur für Kenner oder oft nur bei genauem Hinsehen erkennbar, was die 'Welt am Sonntag' anders macht als die 'Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung'... Es mag daran liegen, dass 'WamS' und 'FAS' wie rund 50 weitere Titel im Land von derselben Agentur KircherBurkhardt gestaltet wurden", schreibt Peter Littger auf vocer.org. Das weiß der Schelm natürlich umso besser, als er für diese Agentur selber tätig war, bevor er Berater in London wurde. Nun rät er schön beraterisch, woran sich hiesige Zeitungen denn tatsächlich ein Beispiel nehmen sollten: "In den weltweit besten Redaktionen lautet die Losung dagegen längst: 'Creativity first!', 'Uniqueness first', 'Difference first!' - und das bitteschön nicht gratis", aber bitteschön arbeitsteilig. +++
+++ Jetzt eine bzw. sogar zwei Zukunftsvisionen: "Langfristig werden alle Medien über das Internetprotokoll verbreitet werden, die Endgeräte werden allesamt internetfähig und mit dem Netz verbunden sein". Das sagte ZDF-Digitalstratege Robert Amlung der TAZ. Vor allem geht es in Wilfried Urbes Artikel um das unsinnige Verbot einer gemeinsamen RTL-ProSiebenSat.1-Mediathek. Privatsenderlobbyist Jürgen Doetz glaubt daher sogar, dass sich Privatsender an der (problemlos gestatteten) ARD-/ZDF-Mediathek "Germany's Gold" beteiligen könnten. +++
+++ Die heutigen Hanfeld-Texte: "Die ARD eifert dem ZDF nach - zumindest in Ansätzen", schreibt der FAZ-Medienseitenchef zur kommende Woche kommenden Neuausrichtung des künftig ZDF-Neo-ähnlichen Digitalkanals Eins Plus. +++ Außerdem widmet er ein paar Zeilen der über fünf Millionen Dollar schweren Lobbyarbeit Googles in den USA (mehr frei online mit Links zu US-Quellen bei heise.de). +++ Der große Text auf der FAZ-Medienseite 29 stammt von Peer Schader, der die "ITV Studios Germany" vorstellt, wie die Kölner Fernsehproduktionsfirma Granada seit kurzem heißt, "um ihre Zugehörigkeit zum britischen Konzern ITV stärker herauszustellen". Was stellen diese Studios so her? Die Sat.1-Serie "Der letzte Bulle“ und jede Menge Privatfernsehtrash ("Let’s Dance", "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!", "Der Bachelor"). +++ Das US-Original, das bei ABC läuft, wird gerade wegen Diskriminierung verklagt, schließlich habe es in 23 Staffeln noch nie einen schwarzen Bachelor gegeben (Süddeutsche). +++
+++ "Der letzte Bulle" wiederum "hat 130.000 Fans auf Facebook" und taugt daher als Exempel im BLZ-Artikel "Wie Serien in sozialen Netzwerken weiterleben". +++ Außerdem bereitet sich die DuMont-Presse das offenbar erhebliche Missvergnügen, die noch ja laufenden Thomas-Gottschalk-Shows der ARD anzusehen. +++ Die abendlichen Talkshows der ARD jagen aber auch von Tiefpunkt zu Tiefpunkt, meint Stefan Winterbauer (meedia.de), "Hart aber fair" müsste eigentlich "Weich aber doof" heißen. +++ "Wahrscheinlich muss man das als Akt der Auflehnung begreifen, als Rebellion gegen die sich ewig im Kreis drehenden Diskussionen über Schuldenkrisen, Parteienzwists und gesellschaftlichen Niedergang, mit denen das Erste seine Zuschauer sonst allabendlich ins Bett schickt", meint indes wiederum Peer Schader (faz.net). +++
+++ Was für eine Krawatte, was für einen Gesichtsausdruck trug James Murdoch bei seinem gestrigen Untersuchungsausschuss-Auftritt in London? Siehe Süddeutsche. +++ Wie ist das neue Spiegel-Sonderheft namens "London!"? Ebd.. +++
+++ Auf fünf riesengroßen Zeitungsseiten walzte die WAMS ihren Versuch eines neuen Wallraff-Stasi-Dossiers aus (das ist doch etwas, was die FAS so nicht tun würde). Und es hallt noch immer nach. Felix Dachsel fühlt sich in der TAZ an einen Vorfall anno 1980 erinnert, als Axel Springer ja noch lebte und mit Günter Wallraff sprechen zu wollen ankündigte. Doch schon damals verhinderten das "die Betonköpfe" im Springer-Konzern. "Geschieht Mathias Döpfner" nun "dasselbe, was einst Verlagsgründer Springer selbst geschah?" +++
+++ Interessantes über den juristischen Begriff der "Verjährung" sowohl bei den noch ja erhobenen Rundfunkgebühren wie auch der sie künftig ersetzenden Haushaltsabgabe steht schließlich bei Carta. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.