Tore schießen Geld

Ausscheidungsspiele sind keine Win-win-Situationen, auch bei der sensationell quantenspringenden, ritterschlagenden Versteigerung der Bundesliga-Rechte. Wer ist der Verlierer, und wer zahlt nun was?

 

Zunächst ein Absatz in eigener Sache: Gestern wurden Leser (und Autoren) des Altpapiers von einem recht heftigen Relaunch überrascht. Das kommt von der optischen und inhaltlichen Modernisierung des Internetportals www.evangelisch.de, wie sie der Evangelische Pressedienst EPD (mit dem evangelisch.de nun "noch enger ... zusammenarbeitet") skizziert. Zu Randerscheinungen, die damit zusammenhängen, zählt, dass Links ins im Prinzip recht umfassende Altpapier-Archiv zurzeit leider nicht funktionieren.

 

[+++] Wesentlich weltbewegender natürlich, von den Top-Schlagzeilen bis in die Mediennische: die (finanzielle) Erfolgsgeschichte des deutschen Fußballs, der durch seine Fernsehrechte künftig mehr denn je einnimmt. Ob nun Liga-Präsident Reinhard Rauball oder Meister-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke "Quantensprung" gesagt hat, ist ungefähr so entscheidend wie die Frage, ob nun Bastian Schweinsteiger oder Mesut Özil gesagt haben, dass noch nichts erreicht bzw. verloren und vor allem das nächste Spiel wichtig ist. "Ritterschlag", sagte übrigens der Liga-Geschäftsführer, "Meilenstein" indes Karl-Heinz Rummenigge von den distinktionssicheren Bayern. Was die Journalisten schreiben, klingt ganz ähnlich. "Sagenhaft", "schier unglaublich", entfährt Christopher Keil von der Süddeutschen angesichts der 628 Millionen Euro, die die Liga nun pro Jahr statt wie bisher 412 Millionen durchs Fernsehen einnimmt. Beim Quantensprung-Ritterschlag-Meilenstein handelt es sich also um ein "Einnahmenplus von 52 Prozent" (Tagesspiegel).

 

Doch Medienjournalisten wie Fußballfunktionäre wissen natürlich, dass Ausscheidungsspiele keine Win-win-Situationen sind, erstere sind anders als letztere auch gecoacht, so etwas zu benennen.

 

Sobald in den Übersichtsartikeln heute klargestellt ist, dass sich "für die Zuschauer ... so gut wie nichts" ändert (FAZ), dass also in der Vorberichterstattung gern beschworene, in manchen Linkkästen noch erinnerte "Kulturschocks" ausbleiben, wird der Verlierer gern identifiziert: "Der große Absteiger ist die Telekom" (Keil in der SZ). "Telekom im Abseits" heißt es in der TAZ. René Obermann "muss ... die nächste Niederlage einstecken", freut sich das Handelsblatt. "Die Backen etwas voll genommen" habe der Chef der Deutschen Telekom mit Ankündigungen der "Weltmarktführerschaft im vernetzten Leben" und Plänen, erst einmal alle Fußballrechte zu kaufen und sie dann teilweise weiterzuverkaufen, kommentiert Hans-Jürgen Jakobs in der Süddeutschen (S. 4).

 

Wo äußerte Obermann das mit der Weltmarktführerschaft? In dieser Unternehmenspräsentation (PDF) sprach er zumindest von "internationaler Marktführer"-Schaft "für vernetztes Leben und Arbeiten". Statt Marktführer geworden sei die Telekom lediglich Preistreiber gewesen, bilanziert nun Jakobs.

 

Im einzelnen werden ab dem Sommer 2013 alle bekannten Bundesliga-Fernsehformate der ARD, des ZDF, des Privatsenders Sport 1 und vor allem des Bezahlsenders Sky bestehen bleiben, bloß "Liga total!" vermutlich nicht, weil der Telekom ihre Internet-Bewegtbildrechte abhanden gekommen sind. "Ohne Rechte macht ein solches Angebot keinen Sinn mehr" (meedia.de). "Im Milliardenkonzern ist der Frust groß. Er sei 'echt enttäuscht', sagt Marketing-Chef Christian Illek, es gebe auch 'keinen Plan B'", zitiert SZ-Redakteur Keil: "Vorbei mit Moderator Johannes B. Kerner, der 260 000 Kunden samstags das Geschehen auf dem Rasen erklärt." "Das 'Liga total'-Programm der Telekom ist bald Geschichte" (FAZ, S. 31).

 

Andererseits zeigte sich derselbe Marketing-Manager des Bayern München-Trikotsponsors wie jeder anständige Verlierer am Spielfeldrand schon wieder optimistisch. Aus einer Journalisten-Telefonkonferenz zitiert digitalfernsehen.de Irrek mit der Hoffnung, Lizenzen von Sky zu erhalten ("Wir haben heute auf der Infrastruktur IPTV einen Marktanteil von mindestens 90 Prozent").

 

[+++] Denn, und das ist der andere neue Aspekt daran, dass sich für die Zuschauer so gut wie nichts ändert, aus dem strukturell immer gleichen Inhalt von neun Fußballspielen pro Spieltag lässt sich locker noch mehr Mediencontent für sogenannte neue Vertriebskanäle gestalten. Der einzige neue Bundesligarechte-Besitzer ist der Springer-Konzern. Er besitzt Rechte, die es bisher gar nicht gab, nämlich die "audiovisuellen Verwertungsrechte für die Bundesliga-Highlight-Berichterstattung in Web-TV und Mobile". Solche Zusammenfassungen werden ab Sommer 2013 "eine Stunde nach Spielschluss per Video on demand" kostenpflichtig auf Springer-Webseiten abrufbar sein, und ab Mitternacht kostenlos. "Die Filmchen dürfen zwischen 90 Sekunden und sechs Minuten lang ...sein", weiß die Print-Süddeutsche.

 

[+++] Was hat nun wer bezahlt? Bezahl-Marktführer ist der Marktführer im deutschen Bezahlfernsehen. 485,7 Millionen Euro oder aufgerundet 486 Mio. im Jahr wird Sky Deutschland künftig zahlen, heißt es überall übereinstimmend. "Sky zahlt damit pro Saison durchschnittlich 210 Millionen Euro mehr als bislang" (FAZ, Seite 1). Das heißt, das umfangreicher gewordene Rechtepaket wird den von Rupert Murdoch kontrollierten Sender also deutlich mehr kosten als bislang alle Fernsehrechte zusammen.

 

Zweiter im Bezahl-Ranking bleibt die ARD. Während diese selbst in ihrer Pressemitteilung Wortspielchen heraushaut ("... Die Fans können weiterhin samstags nur noch an das eine denken...."), als hätte das Autorenteam, das sonst Gerhard Dellings "Sportschau"-Moderationen schreibt, zur Feier des Tages auch Volker Herres mal zugearbeitet, und bloß ganz am Ende der Verlautbarung "Stillschweigen" "über die Konditionen" verkündet, schweigen die Medienjournalisten natürlich nicht. Auf Sky also

"folgt die ARD mit (geschätzt) rund hundert Millionen Euro, ZDF und Sport 1 dürften mit jeweils um die zwanzig Millionen Euro dabei sein",

schreibt der traditionell schärfste Kritiker der Öffentlich-Rechtlichen, Michael Hanfeld in der FAZ (S. 31). Heute aber geht einer darüber hinaus, nämlich Roland Zorn im schon erwähnten Tagesspiegel-Text: "Bisher für 100 Millionen Euro per annum dabei, künftig für zehn Prozent mehr" sei die ARD, heißt es dort.

 

Genauer erfahren wird man das gewiss, wenn mit den Berechnungen des Bedarfs für kommende Gebührenerhöhungen begonnen wird. Interessant wird 2013 aber auch. Außerdem wird sich den öffentlich-rechtlichen Programmoptimierungsmanagern ab Sommer '13 noch eine Herausforderung bieten, wie mit ernstem Blick Rainer Franzke aus der kicker-Chefredaktion kommentiert:

"Es liegt nun an den Programmgestaltern bei ARD und ZDF, ob sie die selbst geforderte Zeitnähe zu den Spielen tatsächlich umsetzen. Das 'Sportstudio' hat die Chance, am Samstag schon um 21:45 Uhr (statt 23:00 Uhr) auf Sendung zu gehen, die ARD die Möglichkeit, die Berichte von den Sonntagsspielen schon ab 21:15 Uhr (bisher 21:45 Uhr) zu senden."

 

Ob die ARD aber ihre sonntäglichen "Tatort"-Marktanteile mit früherer Fußball-Berichterstattung unterminieren möchte, das ist fast so spannend wie die Frage, ob nun seitens der Fußballclubs "die zusätzlichen Erlöse von fast einer Milliarde Euro aus der nationalen und internationalen Vermarktung für die neue Rechteperiode ab 2013 ... umgehend in die Taschen der Spieler und ihrer Berater fließen" (Franzke noch mal), oder wohin sonst.

 

Altpapierkorb

 

+++ "Jeder Artikel über den Massenmörder von Utøya ist einer zu viel. So auch dieser", steht am Anfang eines TAZ-Artikels von Uli Hannemann über Probleme der angemessenen Berichterstattung zum Prozess gegen Anders Breivik, dessen Name darin nur einmal auftaucht und ansonsten 18-mal (inklusiv Komposita) das Synonym "Arschloch". +++ Julian Assanges halbstündige bzw. 28.-minütige  "Talkshow" bzw. sein "Interview-Format" "The World of Tomorrow" auf dem russischen Nachrichtensender "Russia Today" ist Thema in der Süddeutschen ("Zum Auftakt interviewt er Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah. Doch anstatt ihn ordentlich in die Mangel zu nehmen, fragt Assange lediglich Altbekanntes"), bei SPON ("An Absurdität ist all das kaum zu übertreffen"), in der TAZ ("Die heimische Skype-Sitzung vor schweren englischen Vorhängen strahlte weniger Professionalität aus als so manches studentische Campus-Medium") und der DuMont-Presse ("... Schließlich geht es dem  Wikileaks-Mitgründer, der in England weiterhin unter Hausarrest steht,  und seinem russischen Sender Russia Today  um die Abgrenzung vom Mainstream"). +++ Deutsche Talkshowfragen, die der WDR-Rundfunkrat wiederaufwarf und die der ARD-Chefredakteur Thomas Baumann per Sendungstitel- und Einschaltquoten-Liste zurückwies, greift der Tsp. gern auf. +++ Die alle-gegen-bild.de-Macher "planen in den kommenden Wochen noch mehr Aktionen, auch im Berliner Stadtbild werden wir sichtbar sein", erzählten sie dem Tagesspiegel. +++ Jakob Augstein, der "Gutsherr des Freitag" (Deniz Yücel gestern in der TAZ), der bei Günther Jauch "so energetisch mit dem Fuß" "wippelte", "als hätte er wie Natascha Kampusch über Jahre darauf gewartet, das Nichtstun zu beenden und auch mal was zu sagen", ..., "der ständig auf irgendwelchen Pannels sitzt, eine Fernsehsendung hat und nebenbei Preise entgegennimmt oder vergibt"... ist heute in der TAZ auch Thema der Kriegsreporterin. Vielleicht ist er auch sein eigener Zwillingsbruder. +++



Vielleicht etwas weniger notdürftig gibt es morgen wieder neues Altpapier.