Mainz bleibt Mainz, wie es quizzt und pilawat. Die Bild-Zeitung geht gegen die Schweiz vor (auf einer Berliner Polizeiwache). Deutschland bleibt Innovationsentwicklungsland, hat aber immerhin Marina Weisband.
Das Netz, der Journalismus, das Fernsehen, wie sie sind und sein sollten, werden könnten bzw. zu werden drohen - das schimmert in vielen Berichten durch, als ob das Bewusstsein des digitalen und sonstigen Wandels die Medienmedien im Moment besonders ergriffen hat.
Um bodenständig zu beginnen: Falls jemand befürchtete, der zum April frisch angetretene neue Programmdirektor Norbert Himmler könnte das gewohnte ZDF mit seinem Pilawa-Pilcher-Kleber-Lanz-Zuschauerfluss-Schema durcheinananderwirbeln - schließlich kommt Himmler aus der manchmal als "jung" apostrophierten Digitalnische Neo - so beruhigt Himmler selbst ungemein. Drei geplante neue Formate vertraute der neue Programmdirektor einem Mitarbeiter der DPA (Tsp., wuv.de) an: "Der Super-Champion 2012", "Deutschlands Superhirn" und "Der neue deutsche Bildungstest" heißen sie. Moderieren soll jeweils, zwischen seinen anderen Verpflichtungen ("Rette die Million!", "Quizshow mit Jörg Pilawa"), Jörg Pilawa.
Zugleich bestätigte Himmler die Befürchtung, dass Markus Lanz wegen "Wetten, dass..?" nicht etwa seine abendlichen Talkshows aufgeben wird, sondern lediglich seine Freitagabend-Kochsendung. Zur Nachfrage, ob das ZDF denn einen neuen Kochshowgastgeber castet oder wenigstens dann eine neue Programmidee im Hauptprogramm ausprobieren wird, scheint der DPA-Kollege keine Gelegenheit gehabt zu haben.
[+++] Am morgigen Gründonnerstagabend müssen ZDF-Zuschauer auf Lanz verzichten. Stattdessen startet um 22.15 Uhr der Fernsehfilm "Komm, schöner Tod", zu dem das gewaltige epd medien-Interview mit Regisseur Friedemann Fromm inzwischen online steht. Schon heute (wegen des rund um Ostern geballten Feiertagefernsehprogramms) gibt es Besprechungen zum Film, die ebenfalls die Frage aufwerfen, warum denn bloß das ZDF ihn nicht um 20.15 Uhr zu zeigen wagt.
Er "fängt Sterbewunsch wie Lebenswille bei alten Menschen genauso ein wie Jugendwahn und Einsamkeits-Verwahrlosung bei Forty-Somethings und leistet mehr für das Thema als manche Doku oder Talkshow über Sterbehilfe", lobt die Süddeutsche. Weniger begeistert ist die FAZ ("In der Unentschiedenheit zwischen Thesenstück und Altenklamotte liegt die Schwäche dieses Films, der drängende Fragen aufgreift, die uns alle angehen", schreibt Sandra Kegel auf S. 31).
[+++] Ein instruktives Gespräch zu Gegenwart und Zukunft der Fernsehfiktion (bzw. zur Frage "Warum sind deutsche Serien so mies?") hat Spiegel Online mit dem Medienwissenschaftler Lothar Mikos (coole Homepage) geführt, der gerade am privaten Erich-Pommer-Institut in Babelsberg ein "European TV Drama Series Lab" veranstaltet. Lesenswert ist zumindest Folge 2 des Interviews. Dort sagt Mikos:
"Er" - der deutsche Fernsehmarkt - "steht nicht unter Innovationsdruck. Das ist das Erstaunliche: Obwohl Deutschland der größte Fernsehmarkt in Europa ist, bringt er sehr wenig innovative Formate - sowohl aus dem fiktionalen als auch dem nonfiktionalen Bereich - hervor. Schweden oder Holland sind da viel kreativer, was höchstwahrscheinlich an wirtschaftlichen Faktoren liegt. Kleinere Länder können nicht die Budgets für hochwertige Produktionen stemmen und sind auf Co-Produktionen angewiesen. Deutschland ist groß genug, dass es sich im eigenen Saft wälzen kann."
Der neue ZDF-Programmchef Himmler (auf die zumindest im ZDF vielgerühmten ZDF-Digitalsender geht Mikos auch ein und sagt: "Einen richtigen 'Ausgleich' zum Hauptprogramm werden sie nicht leisten können") scheint sich gleich schonungslos mitzuwälzen.
[+++] Um jetzt aber "Komm, schöner Tod" kein Unrecht zu tun: Was die Süddeutsche am Fromms Film auch noch lobt, ist die Rolle eines "von Herbert Knaup hinreißend gespielten Journalisten", genauer: "einen versoffenen Leitartikler". A propos, bzw.: Damit zum nonfiktionalen harten Journalismus. Die Bild-Zeitung verblüfft heute online mit der News "BILD: Strafanzeige gegen Schweizer Justizministerin":
"Der für die Schweiz zuständige BILD-Reporter Matthias Kluckert erstattete gestern Strafanzeige bei der Polizeidirektion 5, Abschnitt 53 in Berlin. Vorgangsnummer bei der Polizei: 120403-1645-025905!"
Im Online-Artikel ist der genannte Reporter mit ernstem Blick (aber hochgegeltem Haar) dann gar vor der Tür zur Anzeigenaufnahme der Polizeiwache zu sehen. Damit beweist das Blatt immerhin Zutrauen in den Rechtsstaat. Und überkompensiert gewiss eine Niederlage an einer anderen Gerichtsfront. Über die Neuauflage des Strafverfahrens "gegen den Bild-Mann Wolf-Ulrich S." (Süddeutsche, S. 15) informiert frei online meedia.de. In der SZ (S. 15) meint Christian Rost:
"Der Streit entwickelt sich zu einem Präzedenzfall über die Grenzen der Pressefreiheit. Der an Parkinson erkrankte [Ottfried] Fischer hatte seinen mühsamen Kampf gegen Bild einmal so erklärt: Er wolle verhindern, dass die Pressefreiheit zur 'Erpresserfreiheit' verkomme. Und die Verteidiger des Bild-Redakteurs streiten erklärtermaßen für einen 'Sieg der Recherchefreiheit der Presse'. Weil über solche grundlegenden Rechtsfragen gemeinhin nicht Münchner Gerichte entscheiden, wird auch die nächste Instanz vermutlich nicht die letzte sein."
Klar zumindest, dass so ein Rückschlag das Springer-Blatt schmerzen muss, zumal, wenn zugleich ein anderes deutsches Medium sogar vor einem internationalen einen glorreichen Freispruch für ein recht Bild-Zeitungs-artiges Delikt erzielt (vgl. Tagesspiegel).
[+++] Damit zur Zukunft des Journalismus. Die ist, wie Altpapier-Leser wissen, ein weites Feld. Als ziemlich zukunftssicher zumindest hat sich erwiesen, griffige Thesen zusammenzustellen und durchzunummerieren. 15 frische Thesen bietet vocer.org. "Deutschland ist noch Innovationsentwicklungsland", postulieren Leif Kramp und Stephan Weichert (die gerade einen neuen "Innovationsreport", hier als PDF, herausgebracht haben). Was in ihren Thesen für deutsche Medien/-Journalismus-Debatten innovativ ist: dass sie ein "Marktversagen in besonders kostenintensiven journalistischen Arbeitsbereichen" und "zunehmende Abhängigkeit des deutschen Journalismus von Wirtschaft und Politik" für möglich halten (These 13).
[listbox:title=Artikel des Tages[Interview 1: Weisband (BLZ)##Interview 2: Medienwissenschaftler Mikos (SPON)##Interview 3: Regisseur Fromm (epd)##15 Journalismusthesen (Vocer)##TAZ übers Cnetz]]
[+++] Überhaupt scheint die uneingeschränkte Internet-Euphorie ein wenig auf dem Rückzug zu sein. Dafür zumindest spricht das neueste Interview mit der Noch-"Ober-Piratin" Marina Weisband. Die Berliner Zeitung hat es geführt, es geht zwar nicht um "Online-Lynchmobs", wie der Vorspann verspricht (sondern um Tanz-Mobs am Karfreitag), aber doch um Shitstorms. Dazu sagt Weisband:
"Ich glaube nicht, dass Online-Drohungen so ernst gemeint sind wie Drohungen im realen Leben. Aber das Internet verleitet dazu, sich hochzuschaukeln. Mancher entgleist dann unglaublich. Dazu sage ich ganz klar: Die größere Bedrohung der Freiheit im Netz sind nicht Vorratsdatenspeicherung, Zugangsbeschränkung oder ACTA – sondern dieser Umgang miteinander."
Anregungen, wie man im Netz netter miteinander umgehen könnte, zieht sie aus der Geschichte der eigenen Partei:
"Als der Piraten-Vorstand anfing, war das ein Horrorjob. Nie gab es Lob, man wurde für jede Entscheidung mit Dreck beworfen. Weil die Zufriedenen schwiegen und die Unzufriedenen schrien. Inzwischen gibt es aber die Formel '#flausch' als Zeichen der Anerkennung. Jetzt gibt es öfter auch Flausch-Stürme."
[+++] Und wenn wir nun bei der Politik im Netz sind: nicht gerade mit einem Flausch-Sturm, aber doch begrüßt wird c-netz.info, der neue Verein netzpolitisch interessierter CDU/ CSU-Freunde, nachdem das kürzlich schon netzpolitik.org tat ("Insofern wünschen wir viel Erfolg bei dem Ziel, ein Internet der Freiheit mit zu schaffen"), heute in der TAZ. Meike Laaff weist zwar daraufhin, dass solche Vereine es nicht leicht haben (und führt dabei netzpolitik.org-Mann Markus Beckedahl als auch nicht so erfolgreiches Beispiel an):
"Die SPD zeigt mit ihrem netzpolitischen Verein D64 seit einiger Zeit, wie gut eine Partei ignorieren kann, was Experten und Netzpolitiker in einem solchen Forum diskutieren. Und der Verein Digitale Gesellschaft, den der Blogger und Unternehmer Markus Beckedahl mit einer Handvoll Mitstreitern vor einem Jahr gründete, zeigt, wie schwierig es selbst mit netzlibertären Positionen ist, das Plazet derer zu bekommen, die so oft und gerne als 'Netzgemeinde' beschrieben werden."
Geradezu bezwingend entspannt jedoch ihr evolutionäres Verständnis des Internet:
"Doch je zentraler das Internet für unsere Gesellschaft wird, je erfolgreicher netzpolitische Probleme Aufmerksamkeit erheischen, desto weniger ist man als digitaler Ureinwohner unter sich - also unter Linken und Liberalen."
Altpapierkorb
+++ Journalismus der Gegenwart besteht auch darin, dass Journalisten in ihren jeweiligen Referenzsystemen (Filter-Bubbles?) vorm Computer sitzen gegeneinander googeln. In ungefähr diesem Sinne hat Stefan Winterbauer auf meedia.de die gestern hier im Altpapier (Korb) aufgeführte Auseinandersetzung zwischen cicero.de und Nils Minkmar von der FAS/ FAZ um Saarländerinnen, die Jasmin oder so ähnlich heißen (und halbwegs bekannte Nicht-Saarländerinnen, die aber auch Jasmin heißen und überdies irgendeinen Nachnamen haben), als dreiaktige Posse aufgeschrieben. Harter Newswert: Gegen Ende erscheint Andreas Bogk von der Bundespressestelle der Piratenpartei und nennt den Internetauftritt der Zeitschrift Cicero "eine Zeitung", die "sich erdreistet, im Sexleben der Vorsitzenden eines Landesverbandes und Abgeordneten zu wühlen". Scheinbar werden nun auch die Piraten zu herkömmlichen medienjuristischen Mitteln greifen. +++
+++ Auf der FAZ-Medienseite geht es ums ebenfalls gestern im Altpapier verhandelte Thema Fußballrechte: "Erstaunlich ist bei alldem nur, mit welchem Aplomb Medienrechtler gegen den -numerischen - Einfluss der öffentlichen Hand bei der Telekom argumentieren, die Tatsache aber, dass für den Fußball bei ARD und ZDF - Weltmeisterschaften, Europameisterschaften, Bundesliga, Champions League - in den nächsten Jahren rund eine Milliarde Euro ausgegeben werden und ein Monopol errichtet wird, die Auguren offenbar nicht bekümmert", schreibt Michael Hanfeld dort. +++ Mehr dazu unter Sky-Aspekten hier (DPA/ Tsp.). +++ Dass "generell zu wünschen wäre, dass gerade die ARD mehr Journalismus und weniger Talkshow böte", schreibt Hanfeld in einem kurzen Artikel über die Einschaltquoten für die ARD-Dokumentation mit Margot Honecker. +++ Einen "Triumph der Dokumentaristen und ein Signal an die Programmmacher" erkennt darin der bekannte Einschaltquoten-Analyst Joachim Huber (Tagesspiegel). +++ Wobei er sich außer auf Honecker auch auf Antonia Rados' RTL-Reportage über Muammar al-Gaddafi als Vergewaltiger (hier die Kritik der Funkkorrespondenz) bezieht. +++
+++ Schwierige Filme zu guten Sendezeiten wagt die ARD eher als das ZDF. Zeigt sich auch heute um 20.15 Uhr. "Uns trennt das Leben", ein Debütfilm sogar, wird frei online in TAZ und Tsp. abgewogen. +++
+++ Til Schweiger wird sich über den Freitag freuen, denn inhaltlich so ernst wie Altpapier-Autor Matthias Dell dort hat wohl schon lange niemand mehr Äußerungen des bekannten Querdenkers genommen. Ums Thema "Tatort"-Vorspann geht es. +++ Außerdem im Freitag: ein Flauschsturm für Harald Schmidt, der in der guten alten Zeit mit Playmobilmännchen nachgespielt worden wäre. +++ Eher nüchtern sah Michael G. Meyer für den Onlineauftritt der BLZ eine neue, "zuweilen durchaus unterhaltsame" Show des ja noch sendenden Entertainers. "Solange es ihn noch gibt, muss man ihm zuschauen - irgendwie" ist vermutlich so zu verstehen, dass man, wenn man fürs Besprechen bezahlt wird, sich die Sendung schon auch anschaut. +++
+++ Der Einschaltquotendiskurs des Fernsehens lässt sich auch auf kostenpflichtige Papierzeitungen übertragen. "Neuerdings unterschreitet die Zeit am Kiosk häufiger die Schwelle von 100.000 Exemplaren, und seit Ihrem Antritt vor acht Jahren war der Einzelverkauf noch nie so niedrig wie im vierten Quartal 2011", hält Ulrike Simon in der Berliner Zeitung dem Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo vor. Der natürlich geschickt kontert. Hier geht's zu diesem Interview. +++
+++ "Ist die neue Zeitschrift also eine Plattform für Sehnsüchte nach dem Vergangenen, etwa nach dem Hippietum der 70er, dem Nihilismus der 80er oder dem Hedonismus der 90er? Eine Beruhigungspostille für gestresste Bacheloristen?" Wohl eher eine "Aufforderung an den Hipster, eine neue Balance zwischen Selbermachen und Gemachtwerden zu entwickeln", meint der Tsp. am Ende einer Besprechung der Päng. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.