"Tatort"-Autoren liefern sich mit Hackern und Piraten eine zünftige Mediendebatte. Außerdem: Schmidt-Nachhall, neue Gottschalk-Sensation!
"Liebe Grüne, liebe Piraten, liebe Linke, liebe Netzgemeinde!", schreiben 51 "Tatort"-Autoren von Urs Aebersold bis Peter Zingler. Im Anschluss an die liebe Anrede geht es im Offenen Brief aber heftig zu Sache, ist von "Dilemma" die Rede, von "ein paar Lebenslügen", von einer "demagogischen Suggestion" ("es gäbe keinen freien Zugang zu Kunst und Kultur mehr") und einer "demagogischen Gleichsetzung", von "zum Freiheitsakt" hochgejazzten "Rechtsverstößen, "Symbolpolitik" und "Blutsaugern", die "die Zeche zahlen" sollen: Um ihre Haltung zum Thema Urheberrecht zu verdeutlichen, wählen die Drehbuchautoren kräftige Begriffe, mit denen sie sich freilich auskennen.
Lebenslügen bzw. der Erkenntnisschock oder der Wunsch, sie zu vertuschen, sind schließlich ein wichtiges Motiv für Fernsehkrimimorde oder zumindest ein Element, anhand dessen Fernsehkommissare Verdächtige (von denen es im Fernsehkrimi ja immer noch mehr als Morde geben muss) identifizieren. Andererseits rühren die Autoren manchen wunden Punkt an, zum Beispiel wenn sie beobachten:
"Neuerdings schicken gerade die Grünen gerne von Google alimentierte Initiativen wie collaboratory, Alexander-von-Humboldt-Institut oder auch das (vormalige) Max-Plank-Institut für geistiges Eigentum vor, die angeblich völlig autonom und unabhängig eine neue Rechtsgrundlage suchen würden – im sogenannten Immaterialgüter-Recht."
Außerdem stellt der "Tatort", wie Internetfüllstoff quasi täglich neu (aktuell von BLZ/ DPA/ Fernsehwoche) unterstreicht, das beliebteste Format des klassischen Mediums Fernsehen bzw. seiner teuersten Renommierdisziplin dar. Insofern hagelt es bereits Reaktionen auf den gestern nachmittag veröffentlichten Brief.
"'Tatort'-Autoren beschimpfen 'Netzgemeinde'", titelt Spiegel Online (obwohl der Brief Schimpfwörter eigentlich nicht enthält) und verlinkt zum Antragsportal für den letztjährigen Bundesparteitag der Piraten, auf dem differenzierter argumentiert wurde als die Autoren behaupten. Indes samplet zeit.de das Schreiben zur Einmischung in "die aktuelle Debatte um Leistungsschutz im Internet" um und hat damit seit gestern abend bereits fast 150 Kommentare abgegriffen, ohne übrigens einen einzigen der Autoren mit Namen zu nennen.
Solche Einordnungen erledigt die gedruckte Presse: "Zu den Unterzeichnern zählen unter anderem Stefan Cantz und Jan Hinter, die den äußerst erfolgreichen 'Tatort' aus Münster prägen, Fred Breinersdorfer, Friedrich Ani oder Orkun Ertener ('KDD')" (Süddeutsche), "eigentlich alle, die im Fernsehgeschäft Rang und Namen haben" (FAZ).
In der Online-Erweiterung seines Printzeitungs-Textes sorgt FAZ-Redakteur Michael Hanfeld auch für die beste Einordnung der Debatte, die nämlich tatsächlich schon läuft. Auf den "geharnischten" Brief der Autoren liegt, "nicht weniger drastisch, im Gegenteil" eine Antwort des Chaos Computer Clubs vor, der in puncto Institutions-Prominenz dem Format "Tatort" kaum nachsteht. Hier ist es, und wenn auch an die "lieben Tatort-Drehbuchschreiber" gerichtet, so doch schön geschliffen formuliert. Z.B.:
"Natürlich wird niemand behaupten, in den Filesharingdiensten würde überwiegend Schostakowitsch getauscht. Dies ist keine Lebenslüge, auch wenn es schade ist. Daß..."
schreiben die Hacker, und allein, dass sie "daß" schreiben, ist eine elegante Reminiszenz. Vielleicht also gut, dass eine schwungvolle und vielbeachtete Debatte in Gang kommt. Vielleicht auch nicht so gut: "Milliardenverwerter wie Google, die nur Krümel von ihrem Kuchen abgeben, den andere anrühren, werden den Frontverlauf der Debatte zu schätzen wissen" (Hanfeld). Hier dann noch die netzpolitik.org-Antwort an die Autoren.
[+++] "Das Volk will Langweile. Deswegen schaltet es Sonntag für den Sonntag den 'Tatort' im Ersten ein. Dort wird das Grundprinzip Ordnung – Unordnung – Ordnung ständig erneuert. Kein Mörder entkommt, kein Zuschauer muss nach Sendeschluss um 21 Uhr 45 fürchten, dass da draußen einer frei herumläuft, der längst verhaftet sein müsste. Die Kernbotschaft lautet: Verbrechen lohnen sich nicht und nie. Wer lange genug 'Tatort' geschaut hat, der wird ein guter Deutscher."
Hoppsala. Will da jemand die Zielgruppe der "Tatort"-Autoren beschimpfen? Nein, Joachim Huber (Tagesspiegel) hat diese Sätze vermutlich noch in Unkenntnis des Autoren-Brandbriefes geschrieben und eigentlich das in der deutschen Fernsehkritik allerverbreitetste Motiv, diese Zeilen zu schreiben. Es gilt, den neuesten Film des derzeit zehnfachen Grimme-Preisträgers Dominik Graf (Foto) zu loben. Und man kann ja nicht immer "Grimme-Qualität" drüberschreiben (Bzw.: Kann man doch, siehe TAZ). Der Film heißt "Das unsichtbare Mädchen" und läuft auf Arte um, was bei Graf-Filmen ja nicht selbstverständlich, 20.15 Uhr.
Auch sonst gibt's großes Lob in großen Worten, "Graf macht ein Kino der Grenzerfahrungen, der Grenzland-Erfahrungen. Am Rande des Deliriums", schreibt Fritz Göttler auf der SZ-Medienseite über den Fernsehfilm. "Schonungslos realistisch in mehrfacher Hinsicht, zeigt Grafs neuer Film mit einem grandiosen Ensemble einmal mehr, was diesen Regisseur auszeichnet", Heike Hupertz gestern in der FAZ.
Grafs Drehbuchautoren sind hier Ina Jung, die den Autoren-Brandbrief nicht, und Friedrich Ani, der ihn ja doch unterschrieben hat. Graf selbst unterschrieb nicht.
[+++] Zurück zur Langeweile, die das "Tatort"-Publikum angeblich liebt. Gerade mit deren Erzeugung gelangt man zu Geld, polemisiert auf der Meinungsseite der Süddeutschen der sehr einstige Medienseiten-Chef Alexander Gorkow unter der Unterzeile "Im deutschen Fernsehen werden Menschen sehr gut dafür bezahlt, keine Ideen zu haben".
Ihm geht es nicht um Rechte eher unbekannter Autoren, sondern um teilweise hoch gelobte und definitive hoch bezahlte Fernseh-Celebrities, um die in den letzten Tagen (und auch heute, siehe Altpapierkorb) sehr sehr viel medienjournalistischer Wirbel gemacht wurde. Zu Harald Schmidt, Thomas Gottschalk sowie Johannes B. Kerner schreibt Gorkow:
"Schuld an den Untergängen tragen die Untergeher selbst. Fatal ist nur, was ihnen Private wie Gebührenfinanzierte mit Luxusverträgen wieder und wieder schriftlich gaben: Dass es als fähiger Entertainer in Deutschland reicht, zu sein statt zu werden. Das war praktisch, so musste niemand eine Idee haben..."
Dann wendet er sicher der Zielgruppe zumindest wohl Harald Schmidts zu: "Sie sind", also wir sind, meint Gorkow "auch Intellektuelle. Ihr", also: unser "eisenharter Auftrag lautet: gute Unterhaltung", und die fände diese "feine Zielgruppe" längst bei angelsächsischen Entertainern wie Ricky Gervais und Jimmy Kimmel. Wenn Gorkows Kommentar ein Offener Brief wäre, die halbe "Netzgemeinde", sofern es die wirklich gäbe, hätte gewiss schon unterschrieben.
[listbox:title=Artikel des Tages[Gorkow-Kritik am dt. Fernsehen (SZ)##Autoren-Kritik an "Netzgemeinde"##CCC-Kritik an Autoren-Brief##Was meint Hanfeld? (FAZ)##"Tatort"-Kritik zum Graf-Lob (Tsp.)##Als Martin Walser noch beim Fernsehen war (FK)]]
[+++] Mehr Schmidt-Stoff weiter unten. An die Zeit, als Intellektuelle noch Fernsehen machten, und an den Umstand, dass viele Urheber aktueller ARD/ ZDF-20.15 Uhr-Unterhaltung intellektueller sind als ihre Produktionen vermuten lassen (sofern man nur halt die Produktionsbedingungen berücksichtigt), erinnern die konfessionellen Mediendienste. Das gestern erschienene epd medien-Heft enthält ein siebenseitiges Interview mit dem Fernsehfilmregisseur Friedemann Fromm (der nicht, dessen Bruder Christoph aber den Autoren-Brief unterschrieb), in dem Fromm von seinem neuen ZDF-Film "Komm, schöner Tod" (der nicht um 20.15 Uhr laufen soll, vgl. Süddeutsche neulich) berichtet und auch grundsätzlich über die deutsche Fernsehfiktion redet:
"Ich schaue auch gern Fußball im frei empfangbaren Fernsehen, aber die Gewichtung hat sich verschoben. Früher war das Fernsehspiel ganz wichtig im Fernsehen, das hat abgenommen zugunsten von sogenannten Events. Aber wenn wir über Nachhaltigkeit reden: Es gibt Filme von mir, die sind schon sechsmal wiederholt worden. Mit dieser Art von Refinanzierung kann keine Champions League mithalten. Das sollte man im Blick behalten und nicht sagen, das Fernsehspiel ist doch egal. Wenn es nämlich weg ist, wird es fehlen. "
[+++] An die Zeit, als zwar die deutsche Gesellschaft noch eine ganz andere war, aber ungeheuer anspruchsvolle Filme vor ungeheuer großem Publikum gesendet wurden und gerade junge Intellektuelle zum Fernsehen strebten, dem damals recht neuen Medium, erinnert anlässlich in der Funkkorrespondenz gewohnt kenntnisreich Harald Keller. Martin Walser, der gerade einen großen Geburtstag beging, darf nämlich
"füglich zu Deutschlands Fernsehpionieren gezählt werden... Ein Faktum, das in manch einer Biografie und übrigens auch bei Wikipedia gänzlich unterdrückt wird. Offenbar gilt in literaturverwertenden Kreisen das Fernsehen noch immer als Schmuddelmedium, das man nicht in einem Atemzug mit edlem Schriftgut genannt wissen möchte."
Und weil Harald Keller natürlich Harald Keller ist, gibt's auch einen recht aktuellen Seitenhieb auf den "scheint‘s schlecht informierten Interviewer Jan Freitag".
Altpapierkorb
+++ Jetzt die versprochene Gottschalk-Sensation: "Gottschalk nicht mehr live"! Das weiß natürlich der Tagesspiegel. Die Show werde künftig aufgezeichnet, ihr, wenn man so will, vertrauter Name "Gottschalk live" soll aber erhalten bleiben. +++ Falls Sie die ebd. zitierten offen Gottschalk-kritischen Aussagen des Gremien-Gremlins HR-Ausschussvorsitzenden Rolf Müller näher interessieren: siehe auch Frankfurter Rundschau. +++
+++ Schmidt-Nachhall: "Aber die Quoten in meinem Umfeld waren derart mies, dass ich gesagt habe: Das kann ich mir nicht länger antun, ich schmeiß euch raus." - Wie sich der Entertainer über Sat.1 lustig machte, schildern der KSTA vom Standort und der Tagesspiegel. Sueddeutsche.de widmete der Show vom Mittwoch eine eigene (allerdings gestern erst um 12.00 Uhr erschienene) Nachtkritik. +++ Drei Meinungen von TAZ-Autoren, ein Permalink. +++ Und darauf, dass Joachim Kosack, damals lediglich "Sat.1-Fiction-Chef" und noch nicht Gesamtsenderchef, letztes Jahr am Ende eines großen Interviews sagte: "Wir haben Harald Schmidt nicht wegen der Quote geholt und sind da auch ganz realistisch", weist epd medien hin. +++
+++ Noch ein Offener Brief, auf Carta, und zwar von Matthias Spielkamp an Gabor Steingart, den Chefredakteur des Handelsblattes, der seinen Autoren nämlich ziemlich seltsam argumentierende Rechteabtretungsbriefe (voller "dreister Falschdarstellungen und Unverschämtheiten") zu schicken pflegt. +++
+++ "Auch jetzt schon dürfte das Spiel so manchem aus der Generation Facebook eher die Augen öffnen als der nächste Datenschutzskandal", meint die TAZ zum österreichischen Onlinespiel "Data Dealer" (siehe Altpapier). +++ Wer definitiv schimpft: Rupert Murdoch (FTD). +++
+++ Zurück ins Fernsehen. Der große Hanfeld des Tages füllt fünf von sechs Spalten der ersten FAZ-Feuilleton-Seite. Und gilt dem neuen Werk von "Das Schweigen der Quandts"-Regisseur Eric Friedler, das die ARD am Montag um 21.00 Uhr zeigt. "Der Sturz - Honeckers Ende" heißt es, "erstmals seit zwanzig Jahren äußert sich Margot Honecker im Fernsehen". +++
+++ Hoppsala, schon wieder wird die Nachrichten-Moderationslandschaft des ZDF umgebaut. Von der Baustelle berichtet die BLZ. +++ Auch eine: EinsPlus, "einer dieser Digitalkanäle, mit dem sich die ARD notwendigerweise schwertut, weil sie gleich drei davon zu füllen hat, und sich über das Wie, Wo und Was auch noch innerhalb des Senderverbunds einig werden muss". Von dieser Baustelle berichtet Steffen Grimberg in der TAZ. +++
+++ Sagt Hans Hoff lauernd: "It's lonely at the top". Entgegnet Peter Kloeppel schlagfertig: "It's also very nice at the top". Natürlich muss das dann auch in Hoffs Süddeutsche-Stück zum 20-jährigen Dienstjubiläum des RTL-Nachrichtenmannes rein. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.