Fan auch im Untergang

Schade, Tragödie, Generationen-Problem, ARD-Spätfolge: Schon scheinen alle denkbaren Positionen zu Harald Schmidts Rausschmiss bei Sat.1  bezogen. Noch'n déjà-vu: Bertelsmann und seine Börsensehnsucht.

Gestern spät abends nach ausufernder Champions League-Berichterstattung - auch so ein Programmelement, das Sat.1 demnächst fehlen wird - ließ Harald Schmidt die Katze aus dem Sack (Video): Wahrscheinlich wird er demnächst bei ZDF-Neo putzen gehen. Einer von vielen Gags in eigener Sache, wie es sie noch üppiger bei Twitter gibt. Sie zeigen, dass Schmidts Medien-Gags, idealerweise richtig selbstreferenzielle, immer noch die relativ besten sind.

Dort zeigte Schmidt sich leicht geknickt, dass selbst die Bild-Zeitung sich für ihre Online-Aufbereitung der Sat.1/ Schmidt-Trennung damit begnügt, einen seiner eher mauen Twitter-Scherze mit der Original-Pressemitteilung der Sat.1 Satelliten Fernsehen GmbH und der Kogel & Schmidt GmbH zu mixen, anstatt bei ihm anzurufen. Vermutlich hätte er am Handy einen Exklusivgag fürs Springer-Blatt (dem seine Gag-Autoren seit jeher ihre vielfältigsten Anregungen verdanken) gehabt.

Ob der heute erschienene Ausguss des Gossenpoeten F. J. Wagner ("Ihr schönster Witz ist sehr aktuell", "Ihr Fan auch im Untergang"...) Schmidt trösten kann - fraglich.

Aber auf den harten Kern der langjährigen Medienbeobachter ist Verlass, auf jene, die sich noch an Schmidts Höchstform in den 1990er Jahren erinnern können und an den Dezember 2003, als er und Sat.1 sich schon einmal trennten (damals eher auf Schmidts Initiative hin), und an den Terminus "Unterschichtenfernsehen".

Von der Prophezeiung der Sat.1- oder sogar der Fernseh-Apokalypse bis überfälligen Erklärung, dass Harald Schmidt längst nicht mehr so hip war wie seine zumindest schreibenden Anhänger behaupteten sämtliche denkbaren Positionen bezogen. Letztere von Stefan Kuzmany bei Spiegel Online:

"Möglicherweise sind die Zeiten vorbei, in denen die coole Pose dessen, der zu allem Distanz hat und sich zu nichts bekennen mag, allgemeinen Beifall findet - der Schriftsteller Christian Kracht hat es gerade erlebt, wie unangenehm es werden kann, wenn jemand kommt, der hinter aller zur Schau gestellten Ironie eine Haltung sucht."

Erstere Position besetzte Michael Hanfeld, der gestern für faz.net bereits zweimal zur Tat schritt, einen kürzeren Text, in dem es aber bereits hieß:

"Die Sendung von Harald Schmidt allerdings ist ob ihrer ironischen Brechung des täglichen Medienwahns ein Wert an sich – mit dem die ARD seinerzeit überhaupt nichts anfangen konnte und den sich Pro Sieben Sat.1 nicht länger leisten will."

Dieser Artikel endet mit dem Satz:

"Das ist nicht nur 'schade', wie Harald Schmidt sagt, sondern eine Tragödie."

"Schade", sagt Schmidt in der oben verlinkten Pressemitteilung. Das mit der Tragödie vertieft Hanfeld dann in dem umfassenderen Artikel, der, um den Vorspann "Sat.1 setzt Harald Schmidt vor die Tür, an Thomas Gottschalks Stuhl im Ersten wird gesägt: Alltagsszenen aus einer überhitzten Branche, die völlig kopflos nach Quoten giert und so Marken ruiniert" ergänzt, heute auf der FAZ-Medienseite steht.

Andere Beobachter schauten, um gestern für die Zeitung von heute zu schreiben, in die Sendung von vorgestern (Anfang, Video) und stießen auf das "Sateinselmännchen", mit dem sich Schmidt bereits vor Bekanntgabe der Trennung von seinem Sender verabschiedet zu haben scheint:

"Dazu wurde ein klopsiger Zeichentrickzuschauer eingeblendet, der sich im Fernsehsessel mit Bier vollkippt und einen bunten Sat.1-Ball über den eigenen Bauch erbricht. Danach erschien das erfundene Sendermotto: 'Sat.1 – wenn die anderen feiern.' Das mag nicht die feinste Art sein, sich zu verabschieden. Deutlich ist sie allemal",

fasst Peer Schader in der Berliner Zeitung zusammen.

[listbox:title=Artikel des Tages[Schmidt-Aus (SPON)##Schmidt-Aus (FAZ)##Schmidt-Aus (BLZ)##Schmidt-Aus (KSTA)##Kleine Bertelsmann-Sensation (TAZ)]]

Ebenfalls ums Männchen geht's bei Hans Hoff in der Süddeutschen ("Schmidt ist die Generation abhanden gekommen, die es gewohnt war, seine Gags wie Bibelsprüche zu empfangen"), der überdies die steile These äußert, "ohne ihn wäre auch eine Sendung wie Oliver Welkes 'Heute show' im ZDF nicht denkbar". Dabei ist Welkes "heute-show" nun nicht so ungeheuer inspiriert, dass "Rudis Tagesshow" als Inspirationsquelle nicht völlig ausreichen würde...

Und bei Anne Burgmer im Stadtanzeiger vom Schmidt-Standort Köln geht's ums Männchen. Ihre Vermutung "Doch die ARD-Zeit, in der er oft lustlos wirkte, scheinen ihm viele Fans nicht verziehen zu haben", könnte die jenseits des Scherzens plausibelste Erklärung für Schmidts Scheitern sein. Wer übrigens das Unterschichtenfernsehen wieder aufwärmt, ist die FTD.

Was wird nun tatsächlich aus Schmidt? Der Tagesspiegel, der auch darauf hinweist, dass Sat 1 "vorzeitig die Reißleine" zog, da Schmidts Vertrag eigentlich bis zum Sommer 2013 lief, sieht seine Zukunft tatsächlich im ZDF: "Zumindest beim ZDF-'Traumschiff' dürfte er in seiner Rolle als Kreuzfahrtdirektor Schifferle nicht so bald von Bord gejagt werden". "Zurück zur ARD wird es für ihn kaum gehen", meint Hans Hoff im SZ-Artikel. Dass Schmidts Show "nun höchstens noch ins Erste zurückkehren könnte, um dort den Talkshowwahnsinn zu beenden", scheint indes auf der TAZ-Seite 2, auf der es ja nur selten sarkastisch zugeht, David Denk also ernstlich zu meinen.


Altpapierkorb

+++ Noch so ein déjà-vu: Die Bertelsmann AG, die in den letzten Jahren viel Geld ausgegeben hat, um das Vor-Börsengangs-Abenteuer der Thomas Midelhoff-Ära rückgängig zu machen, will nun wieder an die Börse. "Die kleine Sensation war gut versteckt", "auf Seite 16 des Redemanuskripts" Thomas Rabes, wo der Vorstandsvorsitzende erst nach gut einer ganze Stunde der Bilanzpressekonferenz in Berlin anlangte (TAZ), sie wurde aber doch entdeckt. Den Trick mit der neuen Rechtsform SE & KG aA erklärt die TAZ unter der Überschrift "Bertelsmann reloaded". Die Süddeutsche erklärt ihn auch. +++

+++ Dass in Gütersloh gar von "Tommy reloaded" die Rede sei, steht im SZ-Wirtschaftsressorts. Das bezieht sich selbstredend auf die Thommys Rabe (wie es dem gelang, "den Nimbus des Neuanfangs zu verströmen", schildert ausführlich meedia.de-Chefredakteur Georg Altrogge) und Middelhoff (der Bertelsmann das letzte Börsenabenteuer einbrockte). Und nicht auf Thommy Gottschalk. +++ Wer sich dem heute mal wieder intensiv zuwendet: Tagesspiegel-Medienressortchef Joachim Huber. Der hat sich eine Gottschalk-Show als Studiozuschauer angesehen, "im Epizentrum der ARD-Krise", wurde dabei von Kritiker seiner Kritiken angegangen ("Sie als Kritiker schreiben fies statt fair") und dachte, als er auf den Gendarmenmarkt trat, "wieso auch immer, an Lili Marleen", wie man am Ende der einfühlsamen Reportage erfährt. +++

+++ Die Süddeutsche widmet ihren Medienseiten-Aufmacher der "T-Frage", also der, ob die Deutsche Telekom für 1,2 Milliarden Euro Fußballrechte kaufen darf, obwohl sie unter staatlichem Einfluss steht. Falls sie das darf und tut, soll damit ein "Schlag gegen [Rupert] Murdoch" ausgeführt werden, also gegen dessen deutschen Bezahlsender Sky. Welche Schläge dieser anderswo gegen Konkurrenzsender ausführte, berichtet nun auch (vgl. TAZ gestern) dies., er soll dies auch im heimatlichen Australien getan haben. +++

+++ Die Vertreter der Presseverlage sagen das nicht, aber ein Presseleistungsschutzrecht könnte auch die Wikipedia gefährden" (Marcel Weiß bei Carta). +++

+++ Vielleicht sogar das Kuriosum des Jahres hat das Bildblog in der vereinigten Springer-Presse beobachtet und dokumentiert. +++

+++ Und wer dieses Altpapier nicht zu früh liest, nach 18.00 Uhr, der stößt auf wach-magazin.de auf das Nachtmagazin der Deutschen Journalistenschule in München. Wer früher hinklickt, stößt auf nicht viel zu klicken, denn die Artikel dort sind nur (im weiteren Sinne) nachts freigeschaltet. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.