Fröhlicher Rentner am Telefon

Was macht eigentlich Hans-Wolfgang Jurgan? Er steckt der Zeit Degeto-Details, die beinahe etwas mit Thomas Gottschalk zu tun haben könnten. Beinahe auf Talk-Augenhöhe mit Mahmud Ahmadinedschad: Carsten Maschmeyer.

Die renommierte Wochenzeitung Die Zeit hat schon seit Jahren keine Medienseite mehr, sondern beschäftigt sich mit Medien-Themen sehr gelegentlich in den Ressorts, die halt gerade Lust haben. Vermutlich deshalb fehlt ihr die Routine im Umgang mit den Mühen der ressortspezifischen Ebene, zum Beispiel was die Gremien-Gremlins von der ARD betrifft.

Vielleicht deshalb hat sie sich gestern mit einer die Reizwörter "Thomas Gottschalk" und "Degeto" enthaltenden Vorabmeldung weit aus dem Fenster gelehnt. Und ist vom sich ARD-seitig zuständig fühlenden WDR Zeit-ungemäß abgekanzelt worden.

Die Zeit also meldete vorab:

"Die ARD hat den Vertrag zur Produktion der umstrittenen Vorabendtalkshow 'Gottschalk live' an den Kontrollgremien der Sender vorbei mit der Degeto, der Filmeinkaufsorganisation der ARD, eingefädelt. Wie Recherchen der 'Zeit' ergeben haben, wählten die verantwortlichen Intendanten im Senderverbund den gleichen Weg wie schon bei Entertainer Harald Schmidt im Jahr 2004".

Der WDR entgegnete geradezu herablassend, dass er

"die irreführende Vorabmeldung der 'Zeit' zurück [weist], nach der die ARD den Produktionsvertrag an den Kontrollgremien der Sender vorbei mit der Degeto 'eingefädelt' haben soll",

dass Thomas Gottschalks Show so finanziert werde wie bei Produktionen im Vorabend- bzw. Werberahmenprogramm seit 1993/94 üblich, dass "von einer Umgehung der Gremien ...deshalb keine Rede sein" könne. Und schließt seine Mitteilung mit dem Satz:

"Entsprechend ist die 'Zeit' informiert worden."

Der halbseitige Artikel des Wochenblattes, um den es geht, steht auf S. 27 im Wirtschaftsressort (derzeit nicht frei online) unter der schönen Überschrift "Eine Nase tankt Super". Autorin Anne Kunze, die sicher auch zum Top-Titel-Thema der aktuellen Zeit, "Die Wahrheit über Bio", etwas hätte beitragen können, beginnt ihren Text vielversprechend mit dem Satz:

"Zu Beginn möchte er nicht reden, dann kommt Michael Kroemer doch ins Plaudern."

Was das Mitglied des WDR-Verwaltungsrates (wer hier auf "Infos" klickt, bekommt ein Foto zu sehen; tatsächlich Infos gibt's hier) dann so plaudert, ist, dass der Verwaltungsrat bisher keine Einsicht in den Vertrag mit Thommy Gottschalk bekam und er diese nun in der nächsten Sitzung des Aufsichstrates der WDR mediagroup, dem er ebenfalls angehört, fordern möchte.

Um was es sich denn bei dieser WDR mediagroup handelt (oder warum die ARD-Anstalten, wenn sie doch Werberahmenprogramm-Verträge über ihre privatwirtschaftliche Tochterfirma Degeto abwickeln, noch eigene "Fenster zum Markt" benötigen), was genau im WDR-Gesetz (PDF, 48 Seiten) steht, auf das Kroemer sich beruft, und was denn Gottschalk nun eigentlich verdient, steht leider nicht im Zeit-Artikel. Was die Gage betrifft, hat die Wochenzeitung immerhin gegoogelt:

"Gottschalk erhält dafür eine Jahresgage, die eigenen Aussagen zufolge unter vier Millionen Euro liegt. Zum Vergleich: Günther Jauch soll für seine Talkshow inklusive Produktionskosten 10,5 Millionen Euro pro Jahr erhalten."

Zum Vergleich: Gottschalks Gage versteht sich für vier Shows pro Woche, aber exklusive der Produktionskosten, die zumindest Nicht-Fernsehproduzenten unter den Lesern ja auch schwer beziffern können. Insofern taugen die Zahlen eigentlich nicht zum Vergleich.

Zum Ausgleich hat Kunze eine Menge renommierter Experten befragt, etwa den ansonsten vor allem als Zeitungswissenschaftler bekannten Horst Röper ("... Eine wirkungsvolle Kontrolle durch die Gremien findet nicht statt"), den Grimme-Instituts-Direktor Uwe Kammann ("Die Degeto kann viel selbstständiger agieren als die Rundfunkhäuser der ARD im Verbund...") und den Ex-MDR-Intendanten Udo Reiter, der die Chance beim Schopf packt, darauf hinzuweisen, dass er "den Vertrag mit Gottschalk eingefädelt" habe. Am Ende fordert der stets freundliche SPD-Medienpolitiker Marc Jan Eumann einen "ARD-Rat", der auch die ARD-Programmdirektion und die Degeto kontrollieren sollte (bekommt aber keine Gelegenheit mehr zu erklären, wer denn die Schaffung eines solchen Gremiums beschließen könnte).

Bei einem weiteren Experten wird's vorübergehend interessant: mit dem umstrittenen Ex-Chef der umstrittenen Degeto, Hans-Wolfgang Jurgan (siehe Altpapier, auf unserem Foto nebst Veronica Ferres auf der Degeto-Berlinale-Party 2011 zu sehen), hat die Zeit auch geplaudert:

"Er soll das Budget der Degeto auf zweieinhalb Jahre komplett verplant haben, die ARD musste Millionen nachschießen. Gleichwohl hört sich Exchef Jurgan am Telefon ganz wie ein fröhlicher Rentner an. Er erzählt freimütig, wie das mit dem ARD-Stars so läuft."

Allerdings erzählt er von Harald Schmidt anno 2004 und Jauch anno 2007, also recht kalten Kaffee. Dass das, was die ARD "nachschießen" musste, etwa 24 Millionen Euro waren, also mindestens das Sechsfache von Gottschalks Jahresgage, passte indes leider nicht in den Zeit-Artikel.

[listbox:title=Artikel des Tages[Abendblatt zur Gottschalk-Show-Zukunft##Lütgert über Maschmeyer bei Maischberger (SPON)##faz.net über Maschmeyer bei Maischberger##Kontext-Krise (Kontext)##Letzter Batu-"Tatort" (Tsp.)]]

Christopher Keil widmet der Zeit-Recherche in der Süddeutschen ein paar Zeilen. Er scheint ebenfalls etwas ratlos bei deren Einordnung, macht am Ende aber dem Wochenblatt Mut: "Fragen nach dem öffentlich-rechtlichen Kontrollsystem und seiner Modernisierung stellen sich allerdings immer." Vielleicht könnte die Zeit mit ihren Mitteln da gelegentlich noch etwas tiefer reinrecherchieren.

[+++] Falls dennoch jemand grundsätzlich der Medienkompetenz renommierten Wochenzeitung vertraut: Im beiliegenden Zeit-Magazin geht's ebenfalls um ein ARD-Thema. Kriminalreporterin Sabine Rückert ließ sich auf das waghalsige Experiment ein, "zwei Monate lang, den Januar und Februar hindurch", sich "an jedem Sonntagabend um 20.15 Uhr den Krimi im Ersten Programm" anzugucken, acht "Tatort"-Filme und einen "Polizeiruf 110". Der Text steht bereits frei online.

[+++] Falls sich jemand tagesaktueller für Gottschalks Show, ihre EInschaltquoten und die Veränderungen, die der neue "Chefdenker" Markus Peichl so vornimmt, interessiert: Ulrike Simon hat für die Berliner Zeitung "einen Besuch bei 'Gottschalk Live' in Berlin" absolviert.

[Nachtrag 10.40 Uhr] Und falls härtere Spekulationen zur Zukunft der Show interessieren, hat Kai-Hinrich Renner im Hamburger Abendblatt eine Menge zusammengetragen. Der dazu gehörige Kommentar "Die ARD hat eine Führungskrise" steht eigentlich nicht online.


Altpapierkorb

+++ Carsten Maschmeyer kann keine Atombomben bauen, befindet sich aber zumindest was die Wucht der Besprechungen seines recht exklusiven Talk-Auftritts im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und das Meinungsspektrum betrifft, beinahe auf Augenhöhe mit Mahmud Ahmadinedschad (siehe Altpapier). Maschmeyer gastierte bei Sandra Maischberger. "Es wurde ihre beste Sendung seit Jahren", meint Frank Lübberding bei faz.net, selbst der dazugeladene Textilunternehmer Wolfgang Grupp "erwies sich als eine gute Wahl der Redaktion". Und zwar ungefähr deshalb, weil Maischberger "das Menschenbild" Maschmeyer habe "deutlich werden lassen". (Was einzelne Kritiker des Ahmadinedschad-Interviews Claus Kleber ja auch bescheinigten). +++ Während Christoph Lütgert, der stets vor Maschmeyer-Wut schäumende NDR-Reporter sich bei Spiegel Online zwar relativ sensationell zurücknimmt ("Zugegeben, dies ist eine subjektive Kritik, denn ich war der Presenter (sozusagen das journalistische Gesicht) in der ARD-Reportage über den 'Drückerkönig'..."), aber dennoch gegen die wiederum beim WDR beschäftigte Kollegin austeilt: "Kritiker des sonst oft so kamerascheuen Finanzjongleurs mussten leider draußen bleiben - genauso wie jeglicher journalistischer Anspruch", Maschmeyers "Auftritt bei Maischberger... geriet zur programmierten Blamage, aber weiß Gott nicht für ihn." +++ Eher sprachspielerisch ("Menschen bei Maschmeyer mit wütender Wedekind") sah welt.de die Sache. +++

+++ Printbranche: Harte Medienpolitik, die anders von der Medienpolitik gewohnt, bereits zu handeln beginnt, enthüllt exklusiv die Süddeutsche (S. 15): "Eine Art Schutzschirm der Politik für das Grosso-System" soll im Bundestag debattiert werden. Experten von CDU und FDP, SPD und Grünen seien sich in der Sache einig. +++ Nicht gut geht es der Stuttgarter Wochenzeitung "Kontext" (Tsp., Kontext). +++

+++ Claus Kleber: Noch ein Interview mit dem ZDF-Mann zu seinem Ahmadinedschad-Interview gestern mittag der KSTA online ("Warum interviewt man so einen Mann?" - "Warum befragen Sie mich jetzt zu diesem Interview? Doch nicht, weil es so besonders langweilig ist..."). +++ Noch eine ausführliche kritische Analyse gibt's bei cicero.de ("Selbstdemontage eines Nachrichtenstars"). +++

+++ Ausland: Die TAZ beleuchtete gestern den Rückzugsankündigung des BBC-Generaldirektors Mark Thompson "nach acht nicht unerfolgreichen Jahren". +++ Und schaut heute in die französische Ausgabe der deutschen Zeitschrift Neon. +++

+++ Digitalia: Googles Anteil am deutschen Online-Werbemarkt für 2011, der insgesamt 3,4 Milliarden Euro umfasst haben soll, wird von wuv.de auf rund 61 Prozent beziffert. +++ Der Frage, wie gerichtsverwertbar Facebook-Einträge sein könnten, geht die DuMont-Presse anhand eines Falls aus Reutlingen nach. +++

+++ Kriminalfernsehen: Simone Schellhammer wohnte für den Tagesspiegel der Pressekonferenz bei, auf der Mehmet Kurtulus seinen letzten Hamburg-"Tatort" vorgestellt und "erklärt [hat], warum er als Ermittler Cenk Batu aufhört". Verstanden hat sie das nicht ganz. Und Achtung: Wer sich vom offenbar recht irren Plot des letzten Kurtulus-"Tatorts" lieber überraschen lassen möchte, sollte nicht zuviel von diesem Artikel lesen. +++ Ab heute bei Arte laufende Schwedenkrimis empfehlen am Ende doch TAZ und Süddeutsche. +++ Nicht-Kriminalfernsehen: "Shakespeare in Camelot" nennt Andreas Kilb in der FAZ die nun bei RTL2 laufende Fantasy-Serie "Game of Thrones". +++ Die "Grimme-Überraschung" "Walulis sieht fern" wird ab heute bei Tele 5 wiederholt (Tsp.). +++

+++ Kinderfernsehen: "Voller Tatendrang" am Telefon auch Klaus Marschall, Leiter der Augsburger Puppenkiste (FAZ). +++ "Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat Anklage in 44 weiteren Fällen wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit und Untreue erhoben", die bis 2010 beim Erfurter Kinderkanal stattgefunden haben sollen (Süddeutsche, Thüringer Allgemeine). +++

+++ Und zur lustigen Verwechlsungsgefahr-Klage der DPA gegen den Namen der DAPD scherzt die TAZ: "Vor ein paar Jahren zog die diversen Zeitungen beiliegende TV-Beilage Prisma gegen die Christen-Beilage Chrisma zu Felde. Auch wegen Verwechslungsgefahr. Aus Chrisma wurde damals Chrismon. Nach dieser Logik würde aus dapd dann wohl dapt." +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.