Oder zumindest die deutschen Medien tun es. Das Interview zum Interview sowie differenzierte Betrachtungen zur Frage, ob Ahmadinedschad-Interviews Sinn machen. Außerdem: großes Kino zum Thema Apple im US-Radio.
Wie sagte Claus Kleber so selbstgewiss bzw. "mit bedeutungsschwerer Attitüde" (Süddeutsche Zeitung) während seines ZDF-Gesprächs mit Mahmud Ahmadinedschad? "Herr Präsident, die Welt schaut auf dieses Interview!"
Zumindest die deutschen Medien (und wer würde die Welt besser wiedergeben?) schauen auf es, und zwar lebhaft. Das Meinungsspektrum reicht von "Ahmadinedschad kann man nicht wie Kurt Beck interviewen" (Julius Endert bei Carta, wie bereits gestern vormittag im Altpapier nachgetragen) bis zu "ein journalistischer Scoop von Weltklasse. Kleber meistert die schwierige Aufgabe bravourös" (Stefan Winterbauer, meedia.de).
Auf den Medienseiten der gedruckten Zeitungen werden zum Beispiel - was Medienjournalisten können, können nur Medienjournalisten - die Einschaltquoten eingeschätzt ("unter dem Durchschnitt", TAZ). Ein Scoop von nationaler Klasse gelang dem Tagesspiegel. Er interviewte Claus Kleber zu seinem Ahmadinedschad-Interview.
[+++] Sonja Pohlmann führt echten Hardtalk mit dem ZDF-Star ("Herr Kleber, ist während des Gesprächs ... ... ein Maschinengewehr auf Sie gerichtet worden? ... ... Ich frage deshalb, weil Sie während des Interviews unsicher wirkten. Nicht Sie stellten die Fragen, sondern Ahmadinedschad schien Sie zu interviewen"). KIar andererseits, dass einer, der gerade Ahmadinedschad gegenüber saß, sich zumindest vom Berliner Tagesspiegel nicht verunsichern lässt. Die Frage "Macht es überhaupt Sinn, einen Mann wie Ahmadinedschad zu interviewen?" kommt ebenfalls aufs Tapet (und ob es Sinn macht, solche Fragen den Interviewern zu stellen, sollte man vielleicht fürs nächste Pohlmann-Interview notieren).
[+++] Die Medienseiten der größten sog. Qualitätszeitungen lassen jeweils Iran-Spezialisten eben diese Frage analysieren. Wolfgang Günter Lerch kommt in der FAZ, obwohl auf Michael Hanfelds meinungsfroher Medienseite (bzw. im Netz als TV-Frühkritik) zu lesen, sofort auf iranische Innenpolitik und schert sich gar nicht mehr um Kleber. Seiner Ansicht nach, wollte Ahmadinedschad vor allem "in dem fortdauernden Machtkampf mit dem Obersten Führer der Islamischen Republik auch ein Zeichen nach innen setzen".
Dass der "erst recht seit der Parlamentswahl im März" "weitgehend entmachtete" Ahmadinedschad die von Kleber auch versprochene Aufmerksamkeit wollte, glaubt auch Paul-Anton Krüger auf der Medienseite 15 der Süddeutschen. Kleber wiederum sei es ihm gegenüber "nicht anders als anderen Interviewern zuvor" ergangen: "Ahmadinedschad pariert Fragen mit Gegenfragen, er weicht aus, lenkt das Gespräch in die Richtung, die er haben will..." Was aber keine grundsätzliche Kritik am ZDF-Star darstellt:
"Es ist eine berechtigte Frage, ob solche Interviews journalistischen Mehrwert liefern, oder ob sie nicht nur einem Despoten und glühenden Antisemiten eine Bühne bieten. Kleber schließt seinen Beitrag ... mit den Worten, für 'ein Psychogramm des iranischen Präsidenten' sei das Gespräch nützlich gewesen. Tatsächlich haben Zuschauer selten die Möglichkeit, aus erster Hand einen Eindruck zu gewinnen, sich eine Meinung zu bilden, daher hat ein solches Interview eine Berechtigung. Das gilt umso mehr, wenn es souverän geführt und selbstreflektiert präsentiert wird."
Den Begriff "Bühne" greift auch Andrea Nüsse im Tagesspiegel (Politikressort) auf. Die Überschrift "Eine Bühne für Ahmadinedschad" scheint aber nicht kritisch gemeint. Vielmehr ist Nüsse vom iranischen Präsidenten zumindest partiell angetan ("hat ... verblüffend klare Antworten auf einfache Fragen"). Kleber sei "schlecht vorbereitet" auf Gegenfragen des Iraners gewesen, was aber auf "die Weltgemeinschaft" an sich ebenso zuträfe.
[+++] Völlig anders wiederum sieht TAZ-Redakteur Philipp Gessler im Meinungsseiten-Kommentar die Sache, vor allem, weil Ahmadinedschads "Geisteskrankheit spätestens mit diesem Interview überdeutlich wurde" (die Gessler selbst dann gleich noch mit dem Bild-Zeitungs-Terminus "Der Irre von Teheran" paraphrasiert). Außerdem macht er - wie die zuvor genannten Beobachter auch - darauf aufmerksam, dass Holocaust-Leugnung in Deutschland ein Straftatbestand ist, woran sich wiederum Kleber-Kritik knüpft:
"Kleber hätte Ahmadinedschad widersprechen müssen, als er den Holocaust leugnete - so viel Zeit muss in einem 45-minütigen Interview sein. Denn der Judenhass, das zeigte dieser Abend zufällig, aber treffend, äußert sich zuerst in Gedanken, dann in Worten, schließlich in Taten. Ahmadinedschad wird diese Regel bestätigen."
Andererseits macht Gessler darauf aufmerksam, dass das Interview, auch wenn es womöglich dem womöglich entmachteten Ahmadinedschad ebenfalls in den Kram passte, ebenfalls dem ZDF in den audience flow bzw. den Themenabend passte, an dem es nicht bloß zuvor im "heute-journal" um die Morde an jüdischen Franzosen in Toulouse gehen musste, sondern zu dem auch um 20.15 Uhr der Fernsehfilm "München 72 – Das Attentat" (siehe Altpapier) zählte. Insofern sei es ein "denkwürdiger Fernsehabend" gewesen.
[listbox:title=Artikel des Tages[Kleber-Interview zum Kleber-Interview (Tsp.)##Wann und wie es im TV lief (meedia.de)##Großes Kino im US-Radio (FAZ)##Die entsprechende Radioshow##Aus dem türkischen Internet (BLZ)]]
[+++] Dass er vom "45-minütigen Interview" schreibt, zeigt freilich, dass Gessler keinen Fernsehabend lang vorm ZDF gesessen, sondern das Interview wahrscheinlich im Internet angeschaut hat. Schließlich - und damit zurück in medialere Gefilde - zeigte das ZDF in seinem "heute-journal" nur rund sechs Minuten davon. Im Fernsehen wurde das Gesamtinterview bloß
"bei ZDFinfo zwanzig Minuten nach Mitternacht versendet... Immerhin nicht rund 50.000 Zuschauer verirrten sich um diese Uhrzeit zu dem digitalen Spartenkanal. Das ist ein Marktanteil von 0,7%. Normal sind für ZDFinfo 0,2% bis 0,3%. Und was lief um 21 Uhr bei ZDFinfo: Die Doku 'Naziverbrecher Albert Speer' - wahrhaft zeitloser Content für einen Newskanal."
Schreibt Stefan Winterbauer im oben schon erwähnten meedia.de-Artikel und fühlt sich mit Recht an die Kritik erinnert, die im März letzten Jahres (siehe natürlich Altpapier) an der nicht GEZ-finanzierten RTL-Group geübt wurde, als die ein spektakulär angekündigtes Antonia-Rados-Interview mit dem damals noch lebenden und amtierenden Staatschef Muammar al-Gaddafi recht schmählich versendete.
Jedenfalls zeigen die differenzierten Beurteilungen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven, dass Kleber, wenn auch kein "Hardtalk" à la BBC, so doch jenseits der eingefahrenen Bahnen des deutschen Fernseh-Getalkes ein anständiges Stück Fernsehjournalismus gelungen ist. Ob es wirklich gut war, oder vielleicht doch schlecht, wird auch davon abhängen, was in den kommenden Wochen und Monaten von Ahmadinedschad und aus dem Iran berichtet werden wird.
Altpapierkorb
+++ Großes Kino jedenfalls im amerikanischen Radio: "Es dürfte eine der erstaunlichsten Sendungen der Hörfunkgeschichte sein, sicherlich eine der beklemmendsten. Alles läuft in der entscheidenden Frage von Ira Glass und Rob Schmitz zusammen: Du hast uns also belogen? Eine Frage, auf die [Mike] Daisey keine Antwort weiß, weil jede Antwort die falsche wäre. 'So würde ich es nicht ausdrücken', weicht er aus. 'Wie würdest du es ausdrücken?' Daisey, dem in diesem Moment vielleicht klar wird, dass seine Karriere an ihrem Ende angekommen ist, findet keine Worte. Wir hören Stille, unerträglich lang. Er habe Angst gehabt, sagt er schließlich zu Ira Glass. Wovor? Langes Schweigen. Die Radioübertragung scheint abgebrochen..." Vor allem solche Gesprächspausen "lassen in den Abgrund einer Kommunikationskultur blicken", schreibt der Göttinger Nordamerikastudien-Professor Frank Kelleter vorn auf dem FAZ-Feuilleton. Es geht um "den erfundenen Horror der iPad-Fabriken" in China, der in der Radiosendung "This American Life" des National Public Radio aufgedeckt wurde. +++
+++ Dass er "die Wahrnehmung in ein zu einfaches Narrativ" "presste", ist der zentrale Vorwurf an Daisey. Hoch komplex hingegen das Narrativ der "Gottschalk live"-Wahrnehmung deutscher Medienmedien. Gerade erfährt es eine Wandlung: "Im leergeräumten Studio mit Publikum ist er besser denn je", jubelt beinahe Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite 31. +++ "Die Show wurde äußerlich verschlankt, inhaltlich zugespitzt und atmosphärisch aufgewertet. So war 'Gottschalk live' einfach besser", stimmt Christopher Keil (SZ) nüchterner zu. +++
+++ Wie Frankreichs Medien mit dem Anschlag in Toulouse umgehen, schildert Jürg Altwegg in der FAZ. +++ Die Neubrandenburger Tageszeitung Nordkurier "will das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern per Gerichtsbeschluss zu Auskünften im Zusammenhang mit der Mordserie der rechtsterroristischen Gruppe 'Nationalsozialistischer Untergrund' zwingen", meldet dies. knapp. Mehr dazu frei online gibt's beim Nordkurier selbst. +++
+++ Mal wieder klagen will auch die DPA und zwar gegen die Konkurrenz DAPD, und zwar wegen deren "mehr und mehr zu Verwechslungen" führenden Namens. Der Tagesspiegel zitiert auch auch den DAPD-Sprecher Wolfgang Zehrt mit der Einschätzung des Vorgangs als "karnevalesk". +++ Ebd. wird Wilfried Mohrens Comeback als Fußballreporter, an der Seite des "prominenten Bewährungshelfers" Günter Netzer beim Fußballradio 90elf.de verkündet. +++ Und auch Neues von Ex-Focus-Chefredakteur Wolfram Weimer. Oder, wenn man den Bericht genau liest, nicht gar so Neues, denn Tim Klimeš berichtet von zwei Begegnungen mit Weimer im letzten Jahr (und zwischenzeitlich könnte man meinen, ein Weimer-Interview sei eine so große Sache wie eines mit Ahmadinedschad). Jedenfalls hat Weimer "ein Buch geschrieben - auch deshalb wird er dieses Treffen zugelassen haben -, der Titel: 'Heimspiel'. Eine Realsatire, in der die Bundeskanzlerin Franz Beckenbauer zum Bundespräsidentenkandidaten ausruft. Unterhaltsame 120 Seiten, geschrieben im Lichte der Wulff-Affäre..." +++
+++ Der epd medien-Tagebuch-Text von Katrin Schuster, der die wirklich historische Folge des "Umzug des Seite-1-Girls" der Bild-Zeitung für Franz Josef Wagners Kolumnen vermutet, steht jetzt frei online. +++
+++ Deutschlands Universalkolumnistin Silke Burmester kolumniert jetzt auch noch im medium magazin ("Burmesters Moralberatung" in der Nachfolge Stefan Niggemeiers), lässt aber die wöchentliche TAZ-Kolumne nicht schleifen. Die hübsche Überschrift heute, "Der Stern will älter werden. Noch älter?" bezieht sich auf den angekündigten Stern-Ableger für ältere Mitbürger mit dem Namen "Viva", von dem sachlicher auch die Süddeutsche berichtet. Warum wählt G+J diesen vor wenigen Jahren noch juvenilen Namen? Vermutlich, weil dem Verlag halt die Zeitschriftentitelrechte daran gehören, er hatte ja schon Blätter dieses Titels im Frauen- und im Kochgenre verlegt (siehe TAZ 2005). +++
+++ Schließlich berichtet in der BLZ Korrespondent Frank Nordhausen, wie in der Türkei die Zensoren für ein weitgehend minderheiten-, vor allem kurdenfreies" Internet sorgen (und bezieht Amine Derkaouis gawker.com-Bericht darüber, "wie Facebook ... sich ... den Zensurforderungen der Türkei wie denen keines anderen Landes unterwirft", mit ein). Beinahe wäre im türkischen Netz ein Internetfilter eingeführt worden, "der neben türkischen Begriffen wie 'etek' (Kleid), 'baldiz' (Schwägerin) oder 'hayvan' (Tier) auch englische Schlüsselwörter wie 'free' oder 'pic' verboten hätte". +++ Was "bokum" auf türkisch bedeutet, erklärt schließlich anlässlich von Anti-Erdogan-Protesten in Bochum Serdar Akin vom Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland in der TAZ. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.