Die Gottschalk-Steuer

Transparenz-Forderung und "Mediensteuer", Schächter- und Küng-Talk: Es gottschalkt aus allen Rohren. Außer bei der Einschaltquote. Indes überraschen die Grimme-Preise mit einer Überraschung.

Die größtmöglichen Überraschungen, die sich bei der Vergabe der renommierten Grimme-Preise  abspielen können, bestehen traditionell darin, dass Heinrich Breloer und Dominik Graf mal keinen Preis kriegen, oder darin, dass Produktionen des Privatfernsehens einen kriegen.

Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass gar kein aktueller Breloer-Film vorliegt, der hätte prämiert werden können (während Graf als einer von drei Regisseuren des ARD-Filmprojekts "Dreileben" seinen zehnten Grimme-Preis "einheimste", wie es die flotte DPA formuliert), gab es bei der gestrigen Verkündung der frischen Grimme-Preisträger genau eine Überraschung. Einen der insgesamt bloß zwei Preise in der Doppel-Kategorie "Unterhaltung/ Spezial" bekommt das Privatsender-Format "Walulis sieht fern".

Für regelmäßige Altpapier-Leser ist das freilich keine ganz große Überraschung. René Martens, der auch Mitglied der entsprechenden Nominierungskommission war, hatte die "im Nachtprogramm laufende Medienkritik-meets-Comedy-Sendung" des einschaltquotenmäßig auf Augenhöhe mit Arte befindlichen, auf Medienseiten aber kaum beachteten Senders Tele 5 schon im Januar hier vorgestellt.

Heute halten allerhand Zeitungen die Tradition hoch, zur Preisträger-Bekanntgabe den einen oder anderen Preisträger kürzer oder länger vorzustellen. Zum Beispiel Philipp Walulis, der zur DuMont-Presse sagte:

"Bisher hat der Grimme-Preis bei uns nur als ironisches Mittel eine Rolle gespielt. Wenn mal wieder etwas richtig schief gegangen ist, dann haben wir gesagt: Na, das ist ja wieder Grimme-Preis-verdächtig."

Zum Beispiel Regisseurin Sabine Michel (oder doch eher noch einmal die von Michel porträtierte Fotografin Sibylle Bergemann; BLZ), zum Beispiel den Regisseur Rosa von Praunheim, von dem der Tsp. immerhin den Satz "Auf diesen Preis habe ich 40 Jahre gewartet" zitiert. Das Bjarne-Mädel-Porträt aus der SZ gestern steht inzwischen frei online. Einschätzungen der Preisvergabe gibt's von Michael Hanfeld in der FAZ ("Sehr zu Recht prämiert wird der Film 'Homevideo'... Leider keinen Preis erhielt der ZDF-Film 'Die Lehrerin'...") und natürlich, auf die Fiktion beschränkt, vom Fernsehbeobachter mit dem weitesten Herz, Rainer Tittelbach ("Verdient haben den Preis alle!").

Unser Foto zeigt die Grimme-Preisverleihung aus dem vergangenen Jahr bzw. den Preisträger, den die Entscheider mit sicherem Gespür damals für sein Lebenswerk bzw. "für Verdienste um die Entwicklung des Fernsehens" ausgezeichnet hatten. Bloß Thommy Gottschalk selbst besaß halt nicht dasselbe Gespür, sondern meinte äußern zu müssen: "Das war alles nur Warm-Up. Jetzt geht's erst richtig los."

Und auch wenn seine ARD-Show weiterhin kaum jemanden interessiert, der sich nicht schon immer fürs ARD-Werberahmenprogramm interessierte: In den klassischen Medien gottschalkt es aus allen Rohren.

[+++] Um bei der Gottschalk-Umschau mit den Medienmedien und Medienseiten anzufangen: Diverserorts (wuv.de, meedia.de, Süddeutsche Zeitung, S. 15)  wird nun Ute Biernat, die Geschäftsführerin der Produktionsfirma Grundy Light Entertainment (die zur Ufa gehört, die zu RTL gehört, das zu Bertelsmann gehört), zitiert:

"Entgegen anderslautender Spekulationen in den Medien wird es kurzfristig kein vollkommen 'neues' Konzept geben, sondern die Sendung soll sich langsam aber stetig weiterentwickeln."

Die anderslautenden Spekulationen sollen auch schon ältere von dwdl.de sein, legt wuv.de nahe. Womöglich ging es Biernat oder der Ufa-Pressestelle, die ihre Äußerungen selektiv verbreitet zu haben scheint, aber auch vor allem darum, Formulierungen wie "sich langsam aber stetig weiterentwickeln" und "in den kommenden Wochen und Monaten ...weiter ...optimieren" in die Diskurs einzuspeisen.

Denn, und das ist der Punkt, den Christopher Keil in der Südedeutschen macht, damit rechnet ja kaum jemand mehr,

"damit, dass Gottschalk live noch bis Herbst zu sehen ist. Offenbar gibt es eine Intendantenmehrheit im Ersten, die das Experiment am Vorabend beenden möchte, ausdrücklich nicht aber die Zusammenarbeit mit Gottschalk."

[+++] Gottschalk selbst und seine Produzenten scheinen jedoch hektisch alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit es nicht so kommt. Zum Beispiel interviewt er für die Bild-Zeitung den nun (man könnte sagen: endlich tatsächlich) aus dem Amt scheidenden Intendanten seines früheren Senders, Markus Schächter. Falls er die Fragen wirklich selbst getextet hat, macht er das zwar natürlich auf die beliebte anbiedernde Art, aber gar nicht übel:

"Markus, auf den Zapfenstreich, der dir beim Abschied als Intendant zusteht, hast du aus nachvollziehbaren Gründen verzichtet: Das ZDF-Fernsehballett gibt es schon seit vielen Jahren nicht mehr. Aber den Ehrensold und Dienstwagen mit Chauffeur nimmst du, oder?",

lautet seine Startfrage. Außer Schächter interviewte Gottschalk auch den katholischen Theologen Hans Küng, und zwar außer in seiner Sendung auch noch in einer nicht fürs Fernsehen aufgezeichneten Show vor Publikum im Berliner Babylon-Kino. Diese Show bespricht heute eines der Printmedien, deren Leser die Bild-Zeitung selten erreicht, das FAZ-Feuilleton. Dort (S. 29) schreibt Tobias Rüther:

"Es gibt offenbar zwei Moderatoren namens Thomas Gottschalk. Den einen, der am Montag im Berliner Studio seiner ARD-Vorabendshow neben Hans Küng sitzt und jede Tür einrennt, auf der 'Vorsicht, Pointenabsturzgefahr!' steht – und den anderen, der, etwas später, Luftlinie zwei Kilometer entfernt, ... schon wieder neben Küng sitzt, aber eben nicht weiter mit dem Theologen über dessen neues Buch 'Küng' (nein, Entschuldigung, es muss natürlich 'Jesus' heißen) redet, sondern ganz von neuem, anders, ernster."

Wie kamen Thommy und Küng zueinander? Sie "haben sich vor einigen Monaten bei 'Beckmann' kennengelernt und dort verabredet", sich auf diese Weise crosszuvermarkten, weiß Rüther. Sein Artikel steht derzeit nicht frei online, aber natürlich weniger launige Auftritts-Besprechungen, etwa aus der Welt. Sowie einer hier nebenan bei evangelisch.de.

[listbox:title=Artikel des Tages[Tsp. fordert Transparenz für "Mediensteuer"##Thommys Bild-Talk mit Markus (Schächter)##Grimme-Preisträger "Walulis sieht fern"##Einmal noch wie Schächter reden (FAZ-Blog)]]

Selbstredend ist Thommy auch ohne eigenes Zutun in aller Medien Munde. Nach Klaudia Wick gestern kokettiert heute auch Silke Burmester in der TAZ mit dem derzeit ausgeschriebenen Posten des Gottschall-Sidekicks ("Eine freche und kluge Frau? Gottschalk, nimm mich!").

[+++] Prominenter aber der Platz ganz vorn auf dem Tagesspiegel. Diese Berliner Zeitung, deren Medienseite eigentlich ja zu den treuesten Thommy-Begleitern gehört und die eigentlich ja nicht zu den Haupt-Gegenspielern von ARD und ZDF (etwa zu denen, die gegen die "Tagesschau"-App klagten) gehört, scheint eine Art Attacke gegen die Öffentlich-Rechtlichen zu starten. Und spricht von "einer Art Mediensteuer", "der sich so gut wie keiner entziehen kann", zu der die GEZ-Gebühren bzw. Rundfunkgebühren würden, sobald sie 2013 als Haushaltsabgabe eingezogen werden.

Im Gegenzug fordert Malte Lehming "Transparenz" ein, also besseren Einblick in die teils unbekannten Honorare für ÖR-Stars wie Günther Jauch, Anne Will, Claus Kleber oder eben Gottschalk:

"Stichwort Verantwortung: Gottschalks Vorabendshow 'Gottschalk Live' ist offenbar ein Flop. Extrem teuer, extrem wenig Zuschauer. Eine Grundlage seines Salärs waren die zu erwartenden Werbeeinnahmen. Das heißt, die Rechnung geht nicht auf. Wer immer das Debakel verursacht hat, müsste zur Rechenschaft gezogen werden. Aber wer hat das Debakel verursacht, und wer wird dafür zur Rechenschaft gezogen? Immerhin wurde hier das Geld des Mediensteuerzahlers verspekuliert."

So etwas wird man zum nächsten Jahreswechsel, wenn es mit der Haushaltsabgabe ernst wird, sicher noch öfter lesen und hören. Bloß vielleicht nicht mehr mit Bezug auf "Gottschalk live".


Altpapierkorb

+++ Womit sich die real existierende deutsche Medienpolitik in den Hinterzimmern ausgewählter Staatssekretariate, in denen sie betrieben wird, wirklich befasst, enthüllt die Süddeutsche (S. 15): "Eine merkwürdige Allianz aus dem rotgrün regierten Nordrhein-Westfalen und dem unionsgeführten Sachsen hat nun in der vergangenen Woche eine geplante Gesetzesreform ausgehebelt", die der Berechnung sogenannter "vorherrschender Meinungsmacht" auf Medienmärkten hätte gelten sollen. Ehrlich gesagt, nicht ganz leicht verständlich, dieser Beitrag. Aber das schadet offenbar nichts, denn "Beteiligte sprechen von einer 'Vollbremsung'. Vor der Bundestagswahl 2013 sei eher nichts mehr zu erwarten" von dieser Initiative, die ansonsten der RTL-Group und Bertelsmann hätte gefährlich werden können. +++

+++ Zurück zu Schächter. Im FAZ-Fernsehblog gestaltet Peer Schader ein großes Finale der beliebten Reihe "Reden wie Markus Schächter". +++ Auf der FAZ-Medienseite lobt Michael Hanfeld in einer dichten Abschiedsglosse den alten Intendanten, um am Ende dem neuen Probleme zu prophezien: "Klammert man das Fiasko um den geschassten Chefredakteur Nikolaus Brender aus, fiele die Bilanz positiv aus. Unter dem Nachfolger Thomas Bellut könnte sie sich ins Negative wenden." +++

+++ Laufendes TV-Programm: Die ZDF-Reportage "Mister Karstadt - Der rätselhafte Nicolas Berggruen" sei "schwer erträglich", schreibt David Denk in der TAZ. Was Claudia Tieschky (Süddeutsche) von ihr hält, bleibt etwas unklar. Das Lesen ihrer Besprechung lohnt jedoch schon wegen des Satzes "Wie groß die Sehnsucht ist, doch noch einen edlen Finanzkapitalisten aufzutreiben, das wird immer an der allgemeinen Begeisterung klar, wenn zum Beispiel Warren Buffett mal wieder so Sachen wie eine Eisenbahngesellschaft oder eine Zeitung kauft oder sagt, Reiche sollten mehr Steuern zahlen." +++

+++ Sehr, sehr, sehr ärgert sich Jochen Hieber in der FAZ über den heutigen ARD-Film um 20.15 Uhr: "Vor sieben Jahren ist der Film 'Der Liebeswunsch' nach einer Vorlage von Dieter Wellershoff produziert worden. Er war im Kino, es gibt ihn auf DVD, nun wird er von der ARD lieblos versendet. Das ist mehr als eine Frechheit." Ein Kern seiner Aufregung besteht darin, dass eine "von 110 auf neunzig Minuten heruntergekürzte Fassung" gezeigt wird. Andererseits sei der Film, "auch wenn es auf der Tonspur viel zu viel Cello gibt", bloß "durchaus passabel". Außerdem bemängelt Hieber, dass die ARD ihn gegen eine Fußball-Übertragung auf Sat.1 sendet, obwohl Fußballspiele ohne deutsche Beteiligung alles andere als kein schlechtes Gegenprogramm sind. +++

+++ Neuen großer Streit gab es um Jens Weinreich. Und zwar mit der Nachrichtenagentur DAPD, und zwar aus merkwürdigem, das Zitatrecht berührenden Anlass. Siehe jensweinreich.de und vor allem auch die Kommentare dazu (etwa diesen und diesen vom DAPD-Pressesprecher Wolfgang Zehrt. +++ "Wie gut, dass Jens Weinreich und die Vokabel 'einknicken' zwei entgegengesetzte Pole sind" schrieb trainer-baade.de, insofern hat sich die Sache dann auch erledigt. +++

+++ Etwas untergegangen ist die Tatsache, dass ARD und ZDF sich im ACTA-Streit an die Seite der Verleger- bzw. Urheberrechteverwerter-Lobbys stellten. Als Kollateralprodukt einer Spiegel-Story hat Stefan Niggemeier diesbezügliche offizielle Sender-Stellungnahmen in sein Blog gestellt. +++ Von einem Pressefrühstück "am Rande der Konferenz 'Digital Innovators' Summit'", also mit Verlegerverbänden, die beim Frühstücken bekanntgaben, nicht mehr die "Rolle des Bremsers und Verteidigers des Status Quo" spielen zu wollen, berichtet meedia.de. +++ Von Ex-Focus-Chefredakteur Wolfram Weimers neuer Rolle als Verleger berichtet knapp der Tagesspiegel. Noch unklar wohl, ob "Börse am Sonntag" & "fonds kompakt" nun bürgerliche Debattenmagazine werden sollen. +++

+++ Von Freiheit für zumindest zwei von vielen inhaftierten türkischen Journalisten berichtet knapp die TAZ. +++

+++ Und noch in Unkenntnis der heutigen Bild-Zeitungs-Topstory "Maschmeyer erzählt alles!", die der Crossvermarktung eines neuen Bertelsmann-Buches gilt, ärgerte sich für vocer.org [für das ich zurzeit auch arbeite] gestern Christoph Lütgert über Carsten Maschmeyer und das Blatt, das "sich in der Causa Wulff als Leuchtfackel investigativer Recherche und Sturmgeschütz der Pressefreiheit feiern ließ". +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.