Das nächste TV-Event: Christian Wulffs Zapfenstreich. Vielleicht kein Superhit: Google TV. Trotz Hilfspaket-Bedürftigkeit immer noch zumindest ein beliebter Bezugspunkt: Thomas Gottschalk.
Eine gute Nachricht aus dem Herz der Unterhaltungsform, die die Menschen kennen und lieben (wie sogar Google sagt), aus dem Fernsehen also: Die Abschiedsgala des jüngsten Alt-Bundespräsidenten Christian Wulff wird am Donnerstagvorabend zwar natürlich im ARD-Programm live übertragen werden. Aber wider alle längst eingespielten öffentlich-rechtlichen Gewohnheiten nicht auch noch parallel vom ZDF. Darauf macht, wie auf vieles anderes auch, die TAZ-Kriegsreporterin aufmerksam.
Das ZDF wird um 19.00 Uhr seine "heute"-Nachrichten und im Anschluss an die Werbung programmgemäß die Folge "Das Testament" aus seiner Krimiserie "Notruf Hafenkante" zeigen. Darauf, dass Gebührenzahler natürlich nicht auf öffentlich-rechtliche Doppelberichterstattung verzichten müssen, weist @epdmedien auf Twitter hin: Phoenix widmet dem Event nicht bloß eine Dreiviertelstunde (vermutlich abzüglich Werbung) wie die ARD, sondern zwei Stunden.
Den Grund, aus dem die ARD vermutlich sehr gern auf das Ex-Präsitainment mit Musik zugegriffen haben wird, haben Quotenanalysten und -fetischisten natürlich im Hinterkopf: Andernfalls hätte sie auch morgen ja ihren "Dead Man Talking", wie Thomas Gottschalk Spiegel-Hintergrundrecherchen zufolge ja anstaltenintern genannt wird, auf Sendung schicken müssen. Mit dem Strapfenzeich-Haudegen UIli Deppendorf dagegen (obwohl Thommy zu Wulffs Lieblingshits zwischen "Somewhere over the Rainbow" und "Ebony and Ivory" vielleicht sogar Pfiffigeres zu sagen hätte, als schon jetzt zwischen Springer- und Dutschke-Straße hereininterpretiert wird...) wird sie vermutlich Einschaltquoten einfahren, die die Mitarbeiter ihrer Marktforschungsabteilungen höchstens noch aus Vorjahresvergleichen kennen.
[+++] Aktuelles zur Lage von "Gottschalk live" bietet natürlich wie an circa jedem zweiten Tag der Berliner Tagesspiegel. In der Sache ist's eine neue Personalie (außer Markus Peichl soll noch ein neuer Mann angeheuert werden, der vielbeschäftigte Fernsehregisseur Frank Hof). Auffällig aber die gesteigerte Drastik der Wortwahl: Sonja Pohlmann schreibt von "Hilfspaketen", die "geschnürt werden" müssen, um Sendung noch zu retten.
Erstaunlich bei all der Gottschalk-Versessenheit der Tagesspiegel-Medienseite, dass deren Chef die Gelegenheit verstreichen lässt, dem Chef der in der Sache auch schon des öfteren kritisierten privatwirtschaftlichen Produktionseinheit hinter der Gottschalkshow auf den Zahn zu fühlen. Zwar erwähnt Joachim Huber gleich in der ersten Frage seines Interviews mit dem "CEO der Ufa Film & TV Produktion GmbH", Wolf Bauer, die zur Ufa gehörende "Gottschalk live"-Produktionsfirma "Grundy Light Entertainment", doch in ihrer Funktion als "DSDS"-Produktionsfirma.
Und Bauers erste Antwort
"Wenn ich Ihre Frage richtig interpretiere, dann schreiben Sie als Journalist so, dass Ihr Verleger einen möglichst hohen Profit damit erzielen kann",
nimmt Huber dermaßen den Wind aus den Segeln, dass Bauer einen Medien-CEO-Kalenderspruch nach dem anderen performen kann ("Unterhaltungsfernsehen betrachten wie eine Art topografische Landkarte des Lebens", "Dieter Bohlen ist also eine Art Anti-Held, an dem sich die Jugendlichen abarbeiten und einen eigenen Weg im Umgang miteinander finden", "Das Unterhaltungsfernsehen nicht ernst zu nehmen, ist unverantwortlich"...) und Huber gar nicht mehr auf Gottschalk kommt.
[+++] Was auch nicht vorkommt im Ufachef-Interview des Tsp.: dass die Ufa "seit Längerem mit Google" spricht, und zwar über "programmbegleitende Apps" und Metadaten-Aufbereitung. Auf der Medienseite 17 der Süddeutschen (derzeit nicht frei online) geht es heute um die Frage, wann und wie Google TV in Deutschland startet. Antworten: im Prinzip in diesem Jahr, bloß "Programminhalte hat der Internetkonzern noch keine".
Autor Simon Feldner zitiert, worauf wir hier eingangs zurückgriffen, das Google-Gebot "Wenn es eine Unterhaltungsform gibt, die Menschen kennen und lieben, dann ist es das Fernsehen" ("If there’s one entertainment device that people know and love, it’s the television", 2010, hier) und nennt als Sinn der Sache aus Google-Sicht:
"Man kann sich GoogleTV aber einfach auch als eine Art App-Store, wie man das bisher für Smartphones kennt, für den Fernseher vorstellen. ... Die Software legt sich über das Programm und öffnet eine Menüleiste mit Apps - von Youtube über Wetterdienste bis Karaoke. Über das Suchfenster soll man nach Links, Filmen, Serien, Clips suchen können. Doch dahinter steckt natürlich mehr: Denn eigentlich will Google sein Betriebssystem Android und seinen Browser Chrome auch als Betriebssystem in der neuen Fernsehwelt installieren."
Doch in den USA sei das bisher nicht besonders erfolgreich. Für Deutschland habe Google kürzlich einen "Strategic Partner Development Manager" angeheuert (Christian Witt, 129 Kontakte auf Linkedin), der "seit ein paar Wochen... durchs Land" tourt. Doch Feldmers Managerumfrage ergibt, dass deutsche Fernsehveranstalter wie ihre US-Kollegen ebenfalls eher wenig mit Google TV zu tun haben wollen.
[listbox:title=Artikel des Tages[Gottschalk-Empörung bei Radiorettern (TAZ)##Neue Gottschalk-Hilfspakete geschnürt (Tsp.)]]
[+++] Damit zu einer Unterhaltungsform, die ebenfalls viele lieben, die aber in der allgemeinen Medienflut zusehends (weniger zuhörends) in den akustischen Hintergrund gedrängt wird: Auf der Seite der "Radioretter"-Initiative aus dem WDR-Umfeld (siehe Altpapier) ist eine Menge los, es gibt neue Solidaritätsgrüße sowie Rundfunkrats-Forderungen, aber auch Hörfunkdirektors-Repliken.
Heute befasst sich die TAZ auf ihrer Medienseite mit dem noch nicht ganz 12.000.mal unterzeichneten Offenen Brief und hat mit dem Mitinitiator und V.i.S.d.P. der Retter-Webseite, Hans-Joachim Lenger gesprochen. Der sagt u.a.:
"Es ist ein Skandal, dass man mit unseren Gebühren den vorabendlichen Selbstfindungsprozess von Herrn Gottschalk finanziert. Es ist doch gar nicht wahr, dass der WDR 3, also insgesamt der WDR wenig Geld hat. Er schmeißt es nur zum Fenster heraus!"
Sogar Milieus, die überhaupt nichts mit gängigen Entertainment-Visionen zu schaffen haben, greifen, um besser wahrgenommen zu werden, auf Thommy Gottschalks kaum gesehene Sendung als Bezugspunkt zurück.
Wenn das kein Triumph ist für den vormaligen "Wetten, dass...?"-Moderator. Einer, nach dem er gut abtreten könnte.
Altpapierkorb
+++ Zurück zu Google: Irgendjemand muss Meike Laaff von der TAZ gesagt haben, dass ihr gestern erschienener Artikel zum komplexen Thema Leistungsschutzrecht langweilig differenziert gewesen ist. Insofern hat sie's für heute noch mal aufgeschrieben, aber einen flotteren Ansatz ("Und nichts ist in Deutschland konsensfähiger, als bei Google zu schnorren, dieser superreichen und hierzulande superpopulären Suchmaschine. Deren Mutterfirma aber zugleich auch immer wieder als Turbokapitalisten- und Datenkrakenarschloch herhalten darf...") gewählt. +++ Für alle LSR-Propagandisten eine frische griffige, ja "sehr plakative" Zahl importiert die Süddeutsche aus den USA: "Für jeden Dollar, den die Verleger im Digitalgeschäft einnehmen, gehen im Print sieben Dollar verloren." +++
+++ Visionen, was passieren könnte, falls das Leistungsschutzrecht Gesetzeskraft erlangt, gibt's im Netz u.a. bei Kaffee bei mir und in der Karlshochschule. +++ Wer "geistiges Eigentum" an sich für "kulturfeindlichen Unsinn" hält, dem stößt Wolfgang Michal auf Carta mit Bertolt Brecht Bescheid: "Wurde 'das siebentorige Theben' etwa nicht von Tausenden von Arbeitern erbaut, deren Arbeitskraft sich im Sacheigentum des Königs verdinglichte?" +++
+++ "Das Urteil ist ein Meilenstein", sagt der Vorstand des Verbraucherzentrale-Bundesverbandes, Gerd Billen, weil sein Verband vor dem Landgericht Berlin gegen Facebook gewonnen hat. Sowohl der "Freundefinder" als auch die Geschäftsbedingungen seien rechtswidrig. Dazu haben Medienmedien viele Meldungen, etwa die FAZ und netzpolitik.org. +++
+++ "Sportarten, die ihren Erfolg präsentieren wollen, um bekannter zu werden, müssen sich aber auch auf die Medienlogik einlassen", rät Jens-Uwe Nieland von der Sporthochschule Köln, und zwar im Tagesspiegel-Bericht über das (in solchen Fällen) symbiotische Verhältnis von Medien und Sport. Interessierte Sportarten sollten sich ein Beispiel am Biathlon nehmen, das bzw. dessen Quoten-Erfolg natürlich Anlass für den Artikel ist: "Massenstarts, Verfolgungsrennen und Mixed-Staffeln" können zu telegenität verhelfen. +++
+++ Die FAZ-Medienseite schaut nach London zur Programm-Messe der BBC und nach Duisburg, wo Wikipedia-Gründer Jimmy Wales einen Festvortrag Rede zum 500. Geburtstag des Navigations-Revolutionierers Gerhard Mercator hielt. +++
+++ "Es bleibt spannend an der Krimi-Front" (sueddeutsche.de) lautet der vielleicht schönste Satz zur breit zitierten Meldung, dass auch das Bundesland Thüringen einen "Tatort" erhält. Was sagt der Landesvorsitzende der Jungen Union dazu? Steht im Hamburger Abendblatt. Die Frage, ob die sog. "Thüringer Terrorzelle" die Entscheidung inspiriert hat, warf Dirk Liedtke auf Twitter auf. +++
+++ Schließlich gibt es Hans-Jürgen Jakobs' Grundsatzkritik am irrelevanten, provinziellen deutschen Medienjournalismus (deren Kern regelmäßige Altpapier-Leser natürlich schon kennen) jetzt auch für Online aufbereitet, also mit Links (die z.B. zu Michael Hanfeld in der Internet Movie Database führen) bei vocer.org zu lesen [für das ich zurzeit vertretungsweise arbeite]. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.