Immer diese Sehgewohnheiten

Nico Hofmann ganz unglücklich, die deutsche "Laconia" bloß etwas unlakonisch. Außerdem: Masterplan-Geschmäckle in Hamburgs Zeitungsbranche.

Zunächst eine Sensationspersonalie, die die Medienmedien rockt: "Stefan Aust, 65, wird vom 1. November 2011 an Autor der Wochenzeitung Die Zeit", teilte letztere gestern mit. Er werde "für verschiedene Ressorts schreiben" und "zudem die Chefredaktion der Zeit beraten".

Beim Vermelden erinnern der Spiegel, dessen Print-Chefredakteur Aust früher war, online ("Rückkehr zu Print") sowie die Süddeutsche ("bereits die zweite prominente Personalie innerhalb kurzer Zeit: Der ehemalige SZ-Chefredakteur Hans Werner Kilz soll das neu gegründete Investigativ-Ressort der Zeit beraten") an sich selbst. Den Vogel in der Aufbereitung der 368-Zeichen-Mitteilung der Zeit schießt jedoch meedia.de ab.

Wenn hoffentlich bald die Hall of Fame der deutschsprachigen News-Aggregation eingerichtet werden wird, sollte der Artikel "Autoren-Deal: wie Aust zur Zeit kam" ein heißer Kandidat sein. Der News-Dienstleister weiß nicht allein, wie die Kooperation zustande kam ("offenbar in mehreren Gesprächen zwischen Aust und Chefredakteur Giovanni di Lorenzo"), und worin die künftige Beratertätigkeit bestehen soll ("erst einmal" ebenfalls in "lockeren Gesprächen"), sondern bietet überdies im letzten Absatz des kleinen Dossiers, quasi als Bonusmaterial für den überdurchschnittlich interessierten Scroller, noch einen Blick hinter die Kulissen:

"Die Nachricht vom Aust-Engagement bei der Wochenzeitung verwundert die Branche. Denn eine solche Verpflichtung haftet immer das Geschmäckle an, dass hinter der Personalie ein größerer Masterplan stehen könnte."

Damit zu einer alt-ehrwürdigen, traditionsreicheren Disziplin der Medienbeobachtung, die heute programmgemäß weiten Raum auf gedruckten Medienseiten einnimmt: der kritisch-wohlwollenden Besprechung des jeweils neuesten Nico-Hofmann-Eventzweiteilers unter besonderer Berücksichtigung dessen, was Nico Hofmann (auf unserem Foto rechts neben Hauptdarsteller und Zeitzeugin bei der Premiere zu sehen) selbst dazu sagt. Heute abend startet im sog. Ersten der Zweiteiler "Laconia".

Gestern bereits preschte die FAZ mit einer, wie es an dieser Stelle hieß, "sehr erfrischenden Generalabrechnung" vor, für die sie die von der BBC bereits gesendete Version der gleichen Koproduktion mit der deutschsprachigen ARD-Fassung verglich. Dieser Artikel von Uwe Ebbinghaus steht weiterhin nicht frei online (wie man die FAZ kennt, dürfte er aber am Nachmittag erscheinen).

"'Ich stehe zu der emotionalen Zuspitzung in der deutschen Fassung', betont Nico Hofmann, der beide Versionen produziert hat",

zitiert dazu tagesaktuell Klaudia Wick in der Berliner Zeitung. Im selben Artikel enthüllt sie auch, wer genau denn an den Unterschieden zwischen den Fassungen die Schuld trägt:

"Dass die deutsche Fassung dabei klarer auf die Hauptfiguren fokussiert und dem Zuschauer mit ausführlichen Overvoice-Texten von Hilda und Hartenstein auch noch einen Einblick in deren inneren Gedankenwelten spendiert, war nicht nur, aber auch ein Zugeständnis an die Sehgewohnheiten des deutschen Publikums."

"Aktuell verständliche sinnliche Zeichen", welche zum Überbrücken der "Distanz zum Gewesenen" dienen, in diese Worte würde Nikolaus von Festenberg, alter Kapitänleutnant Fahrensmann der Fernsehevent-Beobachtung beim Print- und inzwischen beim Online-Spiegel, den Sachverhalt kleiden.

"Nico Hofmann ist ganz unglücklich, wenn man ihm die zähe Didaktik vorhält", verweist ebenfalls tagesaktuell Willi Winkler in der Süddeutschen (S. 15) auf die emotionale Dimension der Fernsehrezension. Er plauderte gar mit dem britischen Botschafter Simon McDonald als Experten, bleibt aber beim Zähigkeitsvorwurf:

"Die BBC ließ die Deutschen deutsch reden und untertitelte sie. In der ARD-Fassung sprechen Deutsche, Italiener, Engländer, Amerikaner allesamt deutsch. (...) Der Kino- und Arte-ferne, aber dafür umfassend Degeto-betreute Zuschauer mag sich grundsätzlich an den Untertiteln stören, aber wenn er stattdessen mit dem penetranten voice-over behelligt wird, in dem der Kapitän (Ken Duken) und die flüchtige Hildegard/Hilda die Geschichte, die in langen 180 Minuten gezeigt wird, noch einmal kommentieren, wird er auch nicht vom pädagogischen Eros der ARD verschont. Wieder einmal macht es die BBC besser, die allein auf die Kraft der Bilder vertraut."

Dass der Film daher "am Kleingeist scheitert", lautet sein Fazit, während Wick lakonisch konstatiert, dass die englische Fassung der "Laconia" bloß "etwas breiter und lakonischer erzählt" sei als die deutsche, selbst beim Gucken aber das eher Unlakonische goutiert und ihren Lesern die "zwei denkbar intensiven Fernsehabende" ab heute, 20.15 Uhr empfiehlt.

Zuschauern des laufenden Fernsehprogramms, denen morgen "Laconia" gefallen haben wird, dürften gestern und vorgestern aber auch schon intensive Fernsehabende gefallen haben. Darauf weist kontextsensitiv Thomas Gehringer, der Rezensent des Tagesspiegels, hin und sieht "Laconia" im Rahmen der "Fernsehwoche der 'guten Deutschen'" und der ZDF-Sendungen mit Ulrich Tukur als John Rabe beziehungsweise Tom Cruise als Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Kritikdramaturgisch besteht sein Ansatz darin, die Meßlatte erst einmal niedrig zu hängen ("Was man leider auch erwartet, ist Pathos und Kitsch, mit Pauken und Trompeten dramatisierte Geschichte..."), um sie anschließend für übersprungen erklären zu können.

[listbox:title=Artikel des Tages[Nico Hofmann heute abend (BLZ/FR)##Wick/ BLZ über "Laconia"##Gehringer/ Tsp. über "Laconia"##Festenberg/ SPON über "Laconia"##5 Jahre, 13 Abstracts (mediencity.de zum Perlentaucherurteil)##Idealtypische Mediennews-Aggregation (meedia.de)]]

Bleibt dann noch - vor dem Hintergrund der topaktuellen Erwin-Rommel/ Braune-Sauce-Frage (Kontexte: ebenfalls Nico Hofmann/ ARD-Nazizeit-Eventfilm; siehe Altpapier gestern, vorgestern), welche heute Michael Hanfeld vorn auf dem FAZ-Feuilleton anglossiert -  die Admiral-Dönitz-Frage. Also die nach der Nebenrolle des Marinebefehlshabers, der 1945 zum Glück nur sehr kurz Hitlers Nachfolger als Staatsobehaupt war und in "Laconia" von Thomas Kretschmann gespielt wird (welcher wiederum in "Operation Walküre" mit Cruise den Major Remer spielte, also einen der Nazis, an denen der Stauffenberg-Putschversuch scheiterte).

"Der Kriegsverbrecher Dönitz wird sich im Grab freudig auf die andere Seite drehen, weil er hier als Gentleman in kleidsamen Hosenträgern auftreten darf",

flicht Winkler in seinen SZ-Artikel ein. Festenberg formuliert bei SPON dieselben Bedenken weiter aus.

"Genügt der Film 'Laconia' in allen Details dem neuesten Stand der Forschung? Die Antwort lautet: Wen interessiert das? Dieser Fernsehfilm ist gut durchkomponiert, fesselnd erzählt und historisch ordentlich gewichtet. Als Generalprobe für 'Rommel' kann Nico Hofmanns Produktion durchgehen. Schließlich handelt es sich in beiden Fällen um einen Spielfilm",

bezieht Berthold Seewald in der Welt eine Position, die zumindest schön den Mainstream der deutschen Fernsehkritik widerspiegelt, die Nico Hofmann eben einfach nicht böse sein kann. Heute abend um 20.15 Uhr also wird dieser

"allein in seiner Dachgeschoss-Wohnung in Berlin-Charlottenburg sein. Er wird das Telefon ausstellen, sich in den braunen Minotti-Sessel setzen und seinen schwarzen Loewe-Fernseher einschalten. Er wird nervös sein. Wahnsinnig nervös. So wie immer, wenn eines seiner Babys geboren wird. Wenn ein Film, an dem er jahrelang gearbeitet hat, endlich zum ersten Mal im Fernsehen läuft... . Diese Abende sind die schönsten und die schlimmsten, die Nico Hofmann kennt... ...":

Diese federleicht an die beinahe preisgekrönte René-Pfister-Schule erinnernde, von Maxim Leo verfasste  Quasi-Homestory, die eindrücklich deutlich macht, warum man Nico Hofmann einfach mögen muss, zumindest wenn er jedem Kritiker persönlich und individuell erläutert, warum seine Filme immer wie seine Filme aussehen und klingen, stand bereits gestern in der DuMont-Presse. Im Onlineauftritt der Rundschau ist sie bloß in drei (statt wie bei der BLZ in sechs) Teile zum Durchklicken zerstückelt.


Altpapierkorb

+++ Alle Jahre wieder: ein neues Perlentaucher-Urteilchen, das sich so oder so interpretieren lässt. "'Perlentaucher' wertet Urheberrechts-Urteil als Erfolg" (evangelisch.de). "Aus dem Urteil folgt, dass Formulierungen wie 'weltanschauliches Anliegen' oder 'langatmige Ausbreitung von Altbekanntem' künftig nur noch mit Vorsicht zitiert werden dürfen. ... Was genau man zitieren darf und was nicht und in welchem Umfang, wird sich erst aus der ausführlichen Urteilsbegründung ersehen lassen" (perlentaucher.de). +++ Indes die Prozessgegner: "Der 'Perlentaucher' muss für die vom Gericht festgestellten Urheberechtsverletzungen Entschädigung leisten" (FAZ, S. 33), sehr neutral vermeldet es die Süddeutsche. +++ "Nach fünf Jahre Perlentaucher-Rechtsstreit bleiben lächerliche 13 Abstracts übrig. ... Für die Zeitungshäuser, die den Spruch des Bundesgerichtshofes Ende letzten Jahres noch als Etappensieg dargestellt hatten, ist damit eine schlimme Schlappe besiegelt" (mediencity.de). +++ "Mit den heute vorhandenen Informationen gibt es in den grundsätzlichen Fragen allerdings noch immer keine Klarheit" (irights.info). +++

+++ Was sagt denn die TAZ zu "Laconia", die doch zu einer originellen Betrachtungsweise prädestiniert wäre? Sie befragt lediglich zwei beteiligte Jungschauspieler, die mitwirkten, eher allgemein zur Film- und Fernsehschauspielerei, Jacob Matschenz und Frederick Lau. "Lieber Penner als RTL", sagt Lau kämpferisch. Vor die ebenfalls rhetorische Alternative Penner oder Degeto? stellt Interviewerin Daniela Zinser ihn leider nicht. +++ Ein Interview mit Hauptdarsteller Ken Duken über Fragen wie die, ob er eigentlich Amerikaner ist und ob sein Sohn denn "wirklich ein Urenkel von Johann Sebastian Bach" (also des vor 261 Jahren verstorbenen Komponisten) ist, bietet bild.de. +++

+++"Ihre Herkunft kann oder will sie nicht verbergen: Karola Wille sächselt", leitet Christiane Kohl in der Süddeutschen (S. 15) ihr Porträt der neuen MDR-Intendantin, das ansonsten ins Hochdeutsche transkribiert Wille-Aussagen wie die, dass "die Kunst der Führung" darin bestehe, "saubere, klare Strukturen, Verantwortlichkeiten und Prozesse sowie kreative Freiräume möglichst wirkungsvoll miteinander zu verbinden", dokumentiert. +++

+++ Die Leiden des oppositionellen russischen Journalisten Michail Beketow, der nun den russischen Medienstaatspreis 2011 erhalten soll, beschreibt Kerstin Holm in der FAZ: "2008 überfallen und fast totgeschlagen"...verlor er "ein Bein, drei Finger einer Hand, ist an den Rollstuhl gefesselt und kann wegen schwerer Hirnverletzungen nicht mehr sprechen". Ähnlich frei online berichtet Barbara Oertel in der TAZ. +++

+++ Nicht nur U-Boot-Kapitänen der Vergangenheit, auch Raumpiloten der Zukunft widmet sich das öffentlich-rechtliche deutsche Fernsehen. Per Doppelinterview mit Hauptdarstellerin Nora Tschirner und "Kreator" Oliver Jahn macht der Tsp. auf den Start der zweiten Staffel von "Ijon Tichy: Raumpilot", der (was immer man sonst davon hält) mutigsten ZDF-Serie aufmerksam. Folgerichtig startet sie bei ZFD-Neo. +++

+++ Wessen Sehgewohnheiten es gestatten, Zeitgeschichte im Fernsehen ähnlich kompliziert zu konsumieren, wie sie wohl war, kann statt "Laconia" ja den "Kongo Müller"-Film auf Arte (21.05 Uhr) schauen (TAZ). +++ Ebd. hörte die Kriegsreporterin von Bewegung in der (oben implizit erwähnten) Nannen-Bambi-Jury raunen. "Die Chefredakteure Kister, di Lorenzo und Herausgeber Schirrmacher" könnten sie verlassen wollen... +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.