Kerner und Kerkeling geben dem Fernsehpersonalienkarussell Schwung. Markus Schächter kommt auf seine alten Intendantentage visionär daher. Und der echte Visionär Friedrich Kittler ist tot.
Fast scheint es, als hätten sich zwei der beliebtesten Fernseh-Showmaster, deren Nachnamen mit der Silbe "Ker-" beginnen, zusammengetan und zwei der beliebtesten Boulevardmedien (deren sprechen sollende Namen jeweils mit "B" beginnen) brisante News gesteckt, um das allgemeine Interesse am Fernsehen mal wieder so richtig anzuheizen.
"Kerner gibt auf", "Kerkeling sagt 'Wetten. dass..?' womöglich ab" dringt jedenfalls aus den Schlagzeilen der Medien-Newsschleudern.
Was Johannes B. Kerner betrifft, stammt die harte Info aus einem gestrigen Artikel der Bild-Zeitung (Kerner erfüllt also klaglos die alte Mathias-Döpfner-Vorgabe, dass, wer dank des Blattes aufstieg, gefälligst auch mit ihm "im Aufzug nach unten" zu fahren habe). Sie führt heute zu allerlei Medienseiten-Betrachtungen:
Medienseitenchef Michael Hanfeld zeigt sich in der FAZ (S. 31) "insofern" überrascht, als dass Kerners Sat.1-Show auf ihrem Donnerstags-Sendeplatz doch "die Vorgabe erfüllte, einen zweistelligen Marktanteil zu erreichen". SZ-Gegenüber Christopher Keil diagnostiziert im Porträtkasten auf der Meinungsseite eine Art Midlife-Crisis ("Vielleicht war er, den Eindruck könnte man haben, als Sportreporter Mitte 20 beruflich zum letzten Mal so richtig zufrieden"). Tagesspiegel-Medienseitenchef Joachim Huber adelt ihn als "ein Kämpfer", der "vieles, ja alles versucht haben" muss, bevor er aufgibt. Die TAZ reitet am Rande ihr altes Steckenpferdchen der Wortspielchen.
Der wohl einzige Medienbeobachter, der solche Shows wie die, die Kerner veranstaltet, tatsächlich öfters anschaut und insofern fundiert dazu schreiben kann, Peer Schader, argumentiert in der Berliner Zeitung, dass Kerner absolut Recht damit hat, "keine Lust mehr" zu haben:
"Mehr denn je verlässt sich die Redaktion auf Standardthemen und -gäste, die vorher schon zigmal durchs deutsche Fernsehen geschleust wurden. Am vergangenen Donnerstag ging es unter anderem um 'Diät-Irrtümer', die im Filmbeitrag von einem übergewichtigen Herrn erläutert wurden, den 'Kerner'-Zuschauer schon aus dem Februar kennen, als er sich bereits beim – offensichtlich erfolglosen – Abnehmen begleiten ließ. ..."
Verzwickter stellt sich die Lage bei Hape Kerkeling dar, der schließlich als eher aufsteigender Stern am Showmasterhimmel gilt. Der Urheber der aktuellen Info ist die Illustrierte Bunte, die die Qualitätszeitung Bild zum "Magazin" erhebt. Online präsentiert bunte.de die Meldung, dass Kerkeling "nach Bunte-Informationen die Moderation von 'Wetten, dass …?' als Nachfolger von Thomas Gottschalk (61) abgesagt haben soll", freilich mit Fragezeichen in der Überschrift ("Hat er 'Wetten, dass ...?' abgesagt?") präsentiert. Unterhalb der Überschriften werden überall belanglose Sprachregelungen von Managern Kerkelings und des ZDF wiedergegeben. Der Tagesspiegel bekam von ZDF-Sprecher Walter Kehr den schönen Satz "Die Ungeduld wird immer brennender..." gesagt. Womöglich handelt es sich in erster Linie um PR für eine andere Sendereihe, die das ZDF und Kerkeling in Kürze starten.
Andererseits, die Aggregatoren von turi2.de haben im Blick, dass Kerkeling vor anderthalb Wochen im Interview des SZ-Magazins Sätze sagte wie:
"... Ich bin nun mal in einer Zeit geboren, als das Fernsehen auf seinen Höhepunkt zustrebte. Heute erlebe ich seinen Niedergang. Es verliert an Bedeutung."
Der noch amtiererende Chef des noch nicht amtierenden, aber mit brennender Ungeduld erwartenden neuen "Wetten, dass …?"-Moderators würde das salomonischer formulieren:
"Die digitale Welt bewegt sich auf das Hybrid-Model zu, Fernsehen und Netz auf einem Schirm mit einer Fernbedienung - auch im Wohnzimmer: Das ist das neue Paradigma".
Intendant Markus Schächter bekommt auf der SZ-Medienseite 15 anlässlich des heutigen Beginns der Münchner Medientage (siehe Foto) ein großes Porträt verehrt, das ihn äußerst ausgeruht ("Der Bildschirmschoner seines Computers lässt weiße Wölkchen aufziehen und Mainzelmännchen hüpfen. Schächter hat noch Reste einer auf Wanderungen zugelegten Urlaubsbräune im Gesicht. Das weiße Hemd unterm schwarzen Frack...") als enormen Visionär preist ("Die Klarheit, mit der er - der sich ja überwiegend mit den Inhalten des Fernsehens beschäftigt hatte - von Anfang an die Technik als den Treiber rundfunkrechtlicher und struktureller Veränderungen identifizierte, ist erstaunlich").
"Wenn ihm, in den achtziger Jahren, der 'Computer' den Plural des Begriffs 'Medien' aufzusaugen schien, dann ahnte er in ihm schon das Medium, als das er erst im einundzwanzigsten Jahrhundert zu erkennen ist, das Medium, in dem alle anderen aufgehen werden."
[listbox:title=Artikel des Tages[Kerners Niedergang (BLZ)##...des Fernsehens (Kerkeling/ SZ-Mag. neulich)##...des Vertrauens in den Innenminister (Schirrmacher/ FAZ)##Kittler-Nachruf der SZ##Kittler-Nachruf der FAZ##Kittler-Nachruf der TAZ]]
Das hat nur nichts mehr mit Schächter zu tun, sondern steht vier Seiten weiter vorn in Süddeutschen, und zwar aus traurigem Anlass. Der Medientheoretiker bis Medienphilosoph Friedrich Kittler ist gestorben, dessen jahrzehntealte Erkenntnisse inzwischen sozusagen in die öffentlich-rechtlichen Sendebehörden durchschlagen, nachdem sie ihn selbst schon längst wieder weniger interessierten und der "professorale Spekulant" lieber "vollends grundsätzlich" wurde, wie Thomas Steinfeld in der Süddeutschen schreibt.
Weitere Zeitungsnachrufe kommen, besonders persönlich, von Stefan Heidenreich in der TAZ ("Wenig hätte gefehlt, um die Theorie technischer Medien für die Gegenwart des Netzes fruchtbar zu machen...") und Jürgen Kaube in der FAZ ("Für Kittler waren 'Medien' überhaupt kein eigener Gegenstand, sondern eine und zwar die entscheidende Dimension jeglicher Kultur"), in deren Papier-Ausgabe gleich noch ein weiterer (Rose-Maria Gropp: "Dabei war er durchaus streng, um ihn herum musste gedacht werden, sonst langweilte er sich merkbar") daneben steht.
Dazwischen druckt die FAZ zwei Originalsätze Kittlers ab. Einer davon lautet:
"Gott schuf den Menschen, weil er ihn träumte. Der Mensch aber vergaß Gott und schuf die Maschine, weil er sie träumte. Am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts aber hat die Maschine den Menschen vergessen. Wer wollte vorhersagen können, von wem oder was sie träumt?"
Altpapierkorb
+++ "Wir leben in einer Zeit, in der Politiker die Unwahrheit sagen müssen, weil sie die Erwartungen von Finanzmärkten nicht beeinflussen wollen, die aber selbst nur wieder Abbilder von Algorithmen hochkomplexer Computersoftware sind." Dies schreibt Frank Schirrmacher im Leitartikel auf der ersten FAZ-Seite, der mit dem Satz "Warum redet sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich ohne Not um Kopf und Kragen?" beginnt und um Friedrichs FAS-Interview (siehe Altpapier vom Montag) kreist. +++
+++ Ebenfalls oder jedenfalls "gescheitert", Kai Biermann von zeit.de zufolge: die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Bundestags. +++
+++ Die SZ-Medienseite besteht heute aus nur zwei dafür umso längeren Artikeln. Der andere (neben dem oben erwähnten über Markus Schächter) gilt Edmund Stoiber bzw. einem halböffentlichen (d.h. der SZ vorliegenden) Brief, in dem der frühere Ministerpräsident und jetzige "Beiratschef" der ProSiebenSat.1 AG die Medienpolitik der jetzigen Ministerpräsidenten kritisiert (Meldung bei wuv.de). Hans-Jürgen Jakobs lobt die "wohltuend ungeschminkte Diagnose" darin. +++
+++ "Vielleicht sollte man aufhören, die neuen Medien nur Medien zu nennen. Sie sind Verstärker. Sie können, im guten Fall, geteilte Momente schöner und lauter machen". Kittler? Nein, Jan Wiele, der auf der FAZ-Medienseite über Cybermobbing informiert. Und zwar, weil heute der fiktionale ARD-Fernsehfilm "Homevideo" das Thema behandelt. +++ Den eigentlich Film lobt Michael Hanfeld separat: "Das Fernsehen spricht selten die Sprache der Jugendlichen und findet selten den richtigen Ton für die Sprachlosigkeit, die zwischen Erwachsenen und Jugendlichen herrschen kann. Das ist hier anders". +++ Einen Hinweis auf die Ministeriumswebseite bmfsfj.de/cybermobbing gibt's dort auch noch. +++ Der Tagesspiegel widmet dem jungen "Homevideo"-Hauptdarsteller Jonas Nay ein schönes Porträt.+++
+++ Fußball geht immer im Fernsehen? Nein, die Europa League geht nicht mehr, so der Tagesspiegel (wobei dessen Behauptung, dass es dort "keine garantierten Startplätze für deutsche Teams" gebe, nicht ganz zutrifft; diese Startplätze können bloß schnell verspielt werden).+++ Über das Aufgeben der schwedischen Webseite "Politiskt Inkorrekt" freut sich die TAZ. +++
+++ "Selten hatte ich so viel Freude an einem schlechten Buch, selten hat ein Mann ohne Not so gelungen seine Spezies als dermaßen lächerlich dargestellt": Da arbeitet sich die TAZ-Kriegsreporterin weiterhin mit Verve an Alfred Neven DuMont als Romanautor ab. +++
+++ Das "Ausmaß an Brenzligkeit" der abgesagten Freischreiber-Negativpreises für Redaktionen namens "Hölle" versucht Freischreiber-Vorsitzender Kai Schächtele im Interview mit journalistenpreise.de (einer Webseite für die Überfülle positiver Journalistenpreise, die neuerdings zum medium magazin-Verlag Oberauer gehört) zu umreißen. +++
+++ Zurück zur Kerner-Show: Den produktionswirtschaftlichen Aspekt, dass es sich um einen Produktionsauftrag für eine "Spiegel TV"-Firma handelt, betont meedia.de. +++ SPON wiederum erwähnt in seiner Kerner-Meldung die Involviertheit des eigenen Unternehmens. Und arbeitet einen tröstlichen Aspekt der Sache heraus: Zumindest stehe Kerner "mit den Akzeptanzproblemen seiner Sendung nicht alleine da." +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.