Mit der Kraft der Wut hinterm Tresen siegte David über Goliath. Medien-Topthema heute: der Fernseh-Fußball und seine europäische Zukunft nach Karen Murphys Triumph über den britischen Sky Channel.
Quer durch Europas Medien hält Karen Murphy Biere dieser (unser Foto: DPA) oder jener Art (Reuters/ TAZ; siehe auch bild.de: "Wer ist die Frau, die den europäischen TV-Fußball zum Beben bringt?") in allerlei Kameras. Was die tapfere Wirtin des "Red White & Blue" im britischen Portsmouth einen "Victory for the little man" nennt (wir zitieren sie aus der Daily Mail, die hiesigen Mediennischenbewohnern gerade auch aus der aktuellen Niggemeierpolemikdebatte als "Lügenblatt" geläufig ist: "I feel amazing, this is such a fantastic thing to have happened. If things stay in the same vein it could be a real victory for the little man in the end"), ist für klassische Erklärjournalisten eine Steilvorlage, um mal wieder schwungvolle ad-hoc-Zukunftsanalysen loszulassen, fast so wie Udo Lattek bis vor kurzem im "Doppelpass".
Und das vor großem Publikum, schließlich könnte sich das gestern gefallene höchstrichterliche Europaurteil über grenzüberschreitende Fernsehfußball-Abos im europäischen Binnenmarkt sowohl auf den Spitzenfußball als auch auf das Portemonnaie des erwähnten kleinen Mannes auswirken - zwei der Inhalte, die beim Medienendverbraucher auf das allergrößte Interesse stoßen. Raum für preiswerte Namens- (BLZ: "Miss Murphys Gesetz"; Hans-Jürgen Jakobs/ Süddeutsche: "Für die Fußball-Fernsehbranche gilt jetzt also nicht Murphys Gesetz ('alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen')") und Länderscherze (Michael Hanfeld, FAZ S. 33: "Für die gebeutelten Griechen ergäbe sich so eine neue Einnahmequelle, zumindest für den Sender Nova") gibt's gratis dazu.
"Fußballklubs drohen Millionen-Verluste", heißt es auf der ersten Seite der Süddeutschen, auf deren zweiter Seite gleich drei Artikel das Tagesthema vertiefen oder zumindest -breitern. "So mancher Bundesligamanager fragt sich hinter vorgehaltener Hand bereits, ob der Luxemburger Spruch den deutschen Topklubs nicht sogar helfen könne, ihren Wettbewerbsnachteil gegenüber der britischen Konkurrenz zu verringern", wissen Boris Herrmann und Raphael Honigstein (wobei, was die Manager hinter der Hand sagten, gestern bereits ein faszinierend honigkuchenpferdartig strahlender ARD-Kommentar in den "Tagesthemen" performte und z.B. heute der Tagesspiegel gern seinen Lesern mitteilt). Und sie zitieren den Wolfsburger Fußballmanager Thomas Röttgermann mit dem schönen Satz: "Wir schauen hier gerade in eine Glaskugel."
Ferner gelang der Münchener SZ, was anderen Medienjournalisten noch nicht gelang (z.B. dwdl.de), nämlich Auskunft von der deutschen Sky-Zentrale im nahen Unterföhring zu erhalten: "'Das Urteil bedeutet erst einmal gar nichts', sagt Wolfram Winter von Sky Deutschland" in einem weiteren Artikel.
In der FAZ feiert London-Korrespondent Marcus Theurer vorn auf Seite 1 den Sieg des (von der hinten im Wirtschaftsressort beschriebenen "Wut hinterm Tresen" angetriebenen) David gegen Goliath und prophezeit den europäischen Fußballvereinen, "in Zukunft mit dem Verkauf von Übertragungsrechten wohl deutlich weniger Geld ein[zu]nehmen als bisher".
"'Dieses Urteil wird auch Auswirkungen auf andere Branchen wie etwa den Markt für Musik, Filme und Bücher haben', erwartet Nils Rauer, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Hogan Lovells in Berlin. 'Auch dort wird es nicht mehr möglich sein, den europäischen Binnenmarkt durch Landeslizenzen aufzuteilen'",
lautet eine weitere aus dem Urteil abgeleitete Zukunftsprognose in einem weiteren Wirtschafts-Artikel
"Auf was müssen sich Klubs einstellen? Das weiß noch niemand...". Im FAQ-Stil bereitet einträchtig die DuMont-Presse das Thema auf. Am interessantesten dabei, dass im vorletzten Satz auch der BLZ-Version ein Berliner Sachbearbeiter vergessen hat, das Wort "Eintracht" gegen "Hertha" oder ligagemäßer "Eisernen" auszutauschen ("Und wenn die" - die Einnahmen - "auf das deutsche Niveau sinken, findet einer der zurzeit teuersten Spieler der Premier League, Fernando Torres, womöglich sogar die Eintracht attraktiv"). Einen Leitartikel ist das Thema BLZ/FR überdies noch wert. Und auch wenn man darin zunächst mit Markus Lotter beim Füllenmüssen der vielen zu füllenden Zeilen ein wenig mitleidet, so macht er dann doch den einen oder anderen Punkt:
"Nur wenn die Unmöglichkeit von Exklusivitäts-Vereinbarungen im angelsächsischen Raum tatsächlich zu einem Verfall des Preises für Übertragungsrechte führen sollte, ist ein Domino-Effekt mit Auswirkungen auf die anderen europäischen Ligen, auch auf die Bundesliga, wahrscheinlich."
[listbox:title=Artikel des Tages[TAZ übers europäische Fernsehfußball-Urteil##BLZ/ FR darüber##TAZ über türkische Internetstrangulation]]
Dass in diesem Sinne die Möglichkeit von neuen Exklusivitäts-Vereinbarungen von den Juristen-Heerscharen der beteiligten Unternehmen durchaus geschaffen werden könnte, schreiben die reflektierteren Beobachter. "Fußball ist kein 'Werk'", fasst der Medienjustizkenner Christian Rath in der TAZ das Urteil in eine Schlagzeile zusammen und meint, es könnte aber eines werden:
"Karen Murphy dürfte sich nach der ersten Freude über das Urteil am Ende eher ärgern. Denn aus urheberrechtlichen Gründen darf sie keine von der Premier League produzierten Bilder ohne deren Erlaubnis öffentlich in ihrem Pub zeigen. Zwar ist das Fußballspiel selbst kein geschütztes Werk, Hymne und Logo der Liga sind es aber. Man kann darauf wetten, dass diese nun noch viel öfter als bisher eingeblendet werden, um Kneipenbesitzer auszutricksen."
Alexander Becker von meedia.de würde sogar sagen:
"Wenn es also der Premier League gelingt, aus der gesamten Spielübertragung ein geschütztes Werk zu machen, würde sich auch wenig ändern."
Altpapierkorb
+++ Skandal? RTL hat einige Medienscherze Oliver Pochers bei der Fernsehpreis-Verleihung, etwa über den Topkrisensender MDR, aus der Fernseh-Übertragung herausgeschnitten. Vermutlich, weil "Produzent Werner Kimmig, der den Fernsehpreis für RTL aufbereitete, zu denen gehört, die dem gekündigten MDR-Unterhaltungschef Udo Foht für obskure Transfers Geld geliehen haben". Michael Hanfeld meint in der FAZ: "Es hätte von einer gewissen Souveränität gezeugt, hätte man Pochers Bemerkung den Zuschauern nicht vorenthalten. So gibt es Anlass für die nächste Spekulation". Die Bild-Zeitung hat den kürzesten Draht zu RTL und auch dessen altem Neuzugang Pocher und ließ sich von beiden viel Einvernehmliches (RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer: "Wir hatten uns an diesem Abend auf die Fahnen geschrieben, würdevoll und positiv mit Nominierten, Preisträgern und Mit-Stiftern umzugehen. Dies wurde an dieser Stelle der Verleihung nicht erfüllt“) erzählen. +++
+++ Frische Kommentare zum Springer/ WAZ-Thema (siehe Altpapier gestern): Die Krone aus Österreich "ist so etwas wie die 'Bild-Zeitung' in Deutschland, nur mit einer noch größeren Reichweite. Das würde zu Springer passen - zumal Boulevardmedien auch in der digitalen Welt gut laufen. Zusammen mit dem Schweizer Blick aus dem Ringier-Verlag, ein Verbündeter von Springer, könnte eine europäische Boulevard-Gruppe entstehen", schreibt Caspar Busse im Wirtschaftsressort der Süddeutschen. +++ Beinahe nahtlos schließt da die TAZ-Kriegsreporterin an: Mathias Döpfner "könnte also das Oberhaupt eines in Europa einzigartigen Schmierenreichs werden. Eines Reichs, dessen Bruttosozialprodukt sich auf Blut, Tränen und Sperma gründet." +++
+++ "Die Menschen müssen im Mittelpunkt stehen, wenn wir darüber nachdenken, das Zusammenwachsen der Medien aktiv zu gestalten". Solche schönen Sätze hat Birgit Spanner-Ulmer auf Lager. Obwohl ihr bisheriger Arbeitgeber, TU Chemnitz sie online mit dem klangvollen Titel "Univ. Prof. Dr. phil. habil. Dr.-Ing. Birgit Spanner-Ulmer" vorstellt, wird sie nun Technische Direktorin beim Bayerischen Rundfunk. Die Süddeutsche (S. 15) begrüßt sie sehr freundlich. +++
+++ Ebd.: "Slowakische Medien scheinen ein Modell gefunden zu haben, mit Journalismus im Netz Geld zu verdienen"!! Da geht es ums Unternehmen Piano Media, in dem neun Inhalteanbieter "wie bisher den größten Teil ihres Internet-Angebots umsonst bereit" stellen, "gewisse Exklusivbeiträge aber - wie die Kommentarseiten oder auch Diskussionsforen - ...nur gegen Bezahlung zugänglich" machen. +++ Von der voranschreitenden Strangulation des freien Internet in der Türkei berichtet Jürgen Gottschlich in der TAZ. +++ In der FAZ berichtet Nina Rehfeld von der Konferenz der Television Critics Association, was es in den USA Neues im Fernsehen geben wird: "Dinosaurier! Märchen! Retro-Stoffe! Remakes! Zeitreisen in allen nur denkbaren Versionen". +++
+++ "Beängstigend dämlich" laut SZ: der heutige ARD-Regionalkrimi "Der Bulle und das Landei". "Aber wir wurden schon schlechter unterhalten", wendet Michael Hanfeld in der FAZ ein. +++
+++ Neues von Günter Wallraff, zumindest von einem Prozess infolge seiner Undercoverrecherchen "in einer Hunsrücker Brotfabrik" anno 2008, weiß der Tagesspiegel zu vermelden. +++ Daneben erweist er dem Lokalrivalen eine kleine Hommage und zitiert tatsächlich aus der Berliner Zeitung (auch wenn er sie natürlich "Frankfurter Rundschau" nennt). Inhaltlich geht es um die Zeitungszukunftsprognose von Jimmy "Wikipedia" Wales ("Eine Zeitung kann ich zum Strand mitnehmen, in den Rucksack stopfen und muss mich nie sorgen, dass sie gestohlen wird"). +++ Wobei das im Originalinterview doch einen oder mehrere Ticks skeptischer klingt ("Die Zukunft der Druck-Industrie, wo Menschen physisch Farbe auf Papier bringen, ist ein anderes Thema. Aber selbst in dieser Form, denke ich, bleibt uns die Zeitung noch eine Weile erhalten..."). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.