Döpfners Problem, Jauchs Miene

Der MDR bekommt vermutlich einen abgebrühten Intendanten. In Berlin nimmt die verschärfte Jauch-Beobachtung Fahrt auf, und Mathias Döpfner erfindet die "Süddeutsche Allgemeine Welt".

Die Welt schaut auf Berlin. Einerseits stellte gestern im Stadtteil Schöneberg Günther Jauch seine Talkshow vor, andererseits ist auf dem Messegelände in Charlottenburg wieder IFA und Medienwoche. Unser Foto zeigt, wie in der farbenfrohen Unterführung auf dem Weg zum Medienwochen-Veranstaltungsort ICC aktuelle Gratis-Ausgaben einer renommierten Qualitätszeitung den Zeitungsverteilern aus den Händen gerissen werden.

Auf diesem Weltniveau kann höchstens noch das "Hinterzimmer des einstigen Leipziger Schlachthofs" mithalten, in dem ebenfalls gestern der MDR-Verwaltungsrat nach mehr als neun Stunden (Süddeutsche) seinen Kandidaten für die am 25. September steigende Intendantenwahl bestimmt hat. Es ist der auf dem derzeit beliebtesten Agenturfoto (klicken Sie hier und unterstützen so die Frankfurter Rundschau) hinreichend abgebrüht aussehende, derzeitige Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung, Bernd Hilder.

Ein "Zeitungsmann" (Welt) also, dessen bisherige Karrierestationen zwischen Mexico-City, von wo er für jedoch einst für die ARD berichtete, und Göttingen, dessen Tageblatt er auch schon einmal vorstand, überall zusammengefasst werden. Hilder, der durch das Überspringen der ersten Hürde freilich "noch nicht gewählt" ist, wie die SZ betont, habe im Leipziger Hinterzimmer "insbesondere 'die Notwendigkeit trimedialer Angebote' betont - damit ist der beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk gern gehörte Dreiklang von Radio, Fernsehen und Internet gemeint", fügt Michael Hanfeld (faz.net) hinzu.

Damit zurück nach Berlin, wo auf der Medienwoche mit vielen alten Bekannten der Podiumsdiskussionsszene über ungefähr dieses Dreierlei diskutiert wurde. Zur Eröffnung hielt der Kultur- und Medienstaatsminister Bernd Neumann zunächst eine seiner Reden, die immer so weit ausholen, als wollte er die im weiteren Sinne aktuellen Debatten rund um Medien Landwirten nahebringen, die einmal über ihren Tellerrand hinausschnuppern möchten.

Anschließend performte Springer-Chef Mathias Döpfner, warnte vor "Technologiebetrunkenheit" und appellierte an die "Klugheit und Weisheit" der öffentlich-rechtlichen Anstalten wie der Politik. Dazu ersann er aus rhetrorischen Gründen die fiktive Qualitätszeitung "Süddeutsche Allgemeine Welt" und malte zwei Szenarien aus, wie es im Jahre 2021 um sie stehen könnte: Entweder ist sie, obwohl längst nur noch zwölf Seiten dick, insolvent. Oder aber, ihr Geschäft blüht und gedeiht, obwohl sich die Druckauflage in den letzten zehn Jahren halbiert hat. Döpfner-Kenner ahnen, was den Unterschied macht: die Apps, über welche diese SAW im schöneren Szenario 800.000 bezahlte Ausgaben pro Tag absetzt. Was aber vom weisen Umgang der Öffentlich-Rechtlichen mit ihren "Tagesschau"-Apps und dergleichen abhängt.

Später in der Diskussion definierte der der künftige ZDF-Intendant Thomas Bellut cool und präzise "das Döpfner-Problem": "Wie kriege ich Geld für das, was ich herstelle?" (Insofern ist das Döpfner-Problem auch genau das Problem, das Intendanten öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten nicht im mindesten haben). Dennoch herrschte weitgehende Einigkeit auf dem großen Podium, wie auch Marin Majica in der Berliner Zeitung und Alexander Legge (dwdl.de) beobachteten.

Als Bellut gar noch ankündigte, dass das ZDF mit seiner eigenen Nachrichtensendungs-App, der "heute"-App, erst einmal noch abwarte, schien Döpfners Koexistenzmodell fast auf erstaunlich fruchtbaren Boden gefallen  zu sein. Schließlich hatte die Mediathek-App des Senders gerade erst geradezu unnatürlichen Jubel ("Zeitungsverleger: Mediathek-App des ZDF ist die Lösung", sueddeutsche.de: "Bringt die ZDF-App den Frieden?") ausgelöst. Doch auf Nachfrage erklärte Bellut dann, dass halt bloß "die Zulassung der App durch Apple aussteht", notiert Kurt Sagatz im Tagesspiegel. Und so brach sich, als die Eröffnungsdiskussion der Medienwoche eigentlich hätte aufhören sollen, plötzlich doch noch jede Menge altbekannter, dennoch ungeklärter Diskussionsbedarf Bahn.

Und womöglich ist das sogar gut so, denn was treibt die digitale Informationsflutgesellschaft an, wenn nicht ihr Diskussionsstoff? Vielleicht ist Getalke das Öl des 21. Jahrhunderts. Damit einen Katzensprung weiter vom ICC nach Schöneberg, in den Gasometer in der Torgauer Straße, aus dem heraus ab kommendem Sonntag Günther Jauch Neues in die Talkshowschwemme gießen wird. Gestern war ARD-Pressetermin am Originalschauplatz.

"'Günther Jauch' wird vom kommenden Sonntag an nämlich aus dem von der Firma Euref AG für 3,8 Millionen Euro sanierten Gasometer in Berlin-Schönefeld übertragen, aus einer dem Reichstag nachempfundenen Kuppel. Die 'Location' deutet also eher nicht auf Understatement",

notiert Michael Hanfeld in der Papier-FAZ (S. 37; die Tipp- und Flüchtigkeitsfehler, die ihm neuerdings öfters unterlaufen - Schönefeld ist das mit dem Großflughafen, Schöneberg ist die Jauch-Location - deuten darauf, dass Hanfeld wirklich mal einen Tick weniger Artikel selbst schreiben sollte...).

"Im ehemaligen Gasometer in Berlin-Schöneberg ist quasi ein kleiner Reichstag nachgebaut worden", meint Joachim Huber (Tagesspiegel), wirft aber auch schon einmal proaktiv das Scherzwort vom "Jauch-Mausoleum" in die Runde.

[listbox:title=Artikel des Tages[SZ über MDR-Kandidat Hilder##Breaking: Jauch gereizt! (KSTA)##Jauchs Dackelblick (Welt)##Sein Mausoleum? (Tsp.)##BLZ über Medienwochen-Diskussion]]

Das Spannungsverhältnis zwischen den schwer auf ihm lastenden Erwartungen und dem "Deeskalationskurs", den Jauch schon in seinem Spiegel-Interview fuhr (taz.de), muss gestern im Gasometer mit Händen greifbar gewesen sein. Jauch "übertrifft sich selbst in Sachen Tiefstapelei", fasst Jenny Hoch es in der Welt ("Günther Jauch, Talkshow-König mit dem Dackelblick") zusammen, nicht ohne auf die historische Konnotationen der Location einzugehen, an dem einst Widerstand gegen das NS-Regime geleistet wurde. Die emotionalste Reportage von der Pressekonferenz mit "sechs Dutzend Journalisten aus der ganzen Bundesrepublik" bietet jedoch Antje Hildebrandt im Kölner Stadtanzeiger:

" ... ... Er ist damit noch um 41,8 Prozent teurer als die bisherige Top-Verdienerin, Anne Will. Solche Summen rufen Gebührenzahler auf den Plan. Ist Jauch sein Geld wirklich wert? Oder ist dieser Moderatoren-Poker nicht in erster Linie eine Prestigefrage? Solche Gedanken spricht keiner der Journalisten laut aus. Aber ein skeptischer Unterton schwingt mit. Günther Jauch ist sensibel genug, um ihn zu registrieren. Er wirkt gereizt."

Andererseits, vielleicht war das auch einfach bloß diese dackelartige "Jauch-Miene", würde Christian Meier (meedia.de) sagen:

"ARD-Programmchef Volker Herres bemühte den Vergleich zum FC Bayern, der tolle Stars und eine tolle Mannschaft habe. Jauch zog dazu seine bekannte Jauch-Miene -heruntergezogene Mundwinkel, skeptisch-irritierter Blick - und merkte an, der Hamburger SV sei auch toll. ..."

Dritterseits, wenn Jauch auch nur ansatzweise talkt, wie der HSV zumal in dieser Saison spielt, wird die ARD die Übertragung seiner Show nach wenigen Monaten in die Dritten Programme verlegen müssen. 
 


Altpapierkorb

+++ Noch mehr Neues vom App-Streit: Vom Tisch ist die am vergangenen Donnerstag (siehe Altpapier) als Möglichkeit aufgeschienene Klage des WDR gegen den WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus wegen dessen Interviews mit der FAZ. "Hier bin ich missverstanden worden. Ich stelle ausdrücklich klar, dass ich mit meiner Äußerung nicht die ­Behauptung aufstellen wollte, der WDR habe unmittelbar oder mittelbar Abgeordneten im Landtag von Nordrhein-Westfalen in Zusammenhang mit deren Abstimmungsverhalten über die Mediengebühr mit einer negativen Berichterstattung im WDR gedroht", stellt Nienhaus in seinen eigenen Blättern klar (derwesten.de; achten Sie auf Nienhaus' Jauch-Miene auf dem Foto!) - und stärkt seine Position in der WAZ-Gruppe damit sicherlich nicht. " +++

+++ "... Es ist zwar noch völlig unklar, wer jetzt die Klappe aufmacht, sicher ist aber: Viele Politiker haben vor Rupert Murdoch und seinem Empire deutlich weniger Angst als noch vor kurzem": Da hat die TAZ ein Interview mit dem US-Journalisten und "Free Press Action Fund"-Chef Craig Aaron über die amerikanische Sicht auf den britischen Murdoch-Skandal und mögliche Folgen übersetzt. +++

+++ Zurück nach Berlin: In Mitte, dem Berliner Trend-Stadtteil, besichtigte Peer Schader für die FAZ (S. 37), wie die Agentur Concept M in einer für Marktforschungszwecke eingerichteten Wohnung im Auftrag des RTL-Vermarkters IP Deutschland Fernsehverbraucher beim Fernsehen beobachtet. Ihr Ziel: herauszufinden, "warum die Mehrheit der Zuschauer immer noch das normale Programm einschaltet, anstatt sich durch Online-Mediatheken zu klicken oder die unzähligen aufgezeichneten Programmstunden auf dem Festplattenrekorder laufen zu lassen. Gerade mal 0,1 bis 0,2 Prozent entfallen laut IP Deutschland auf solche zeitversetzte Nutzung." +++ Ebenfalls auf der "Suche nach den vermeintlich letzten Lücken im Zuschauer- und Werbemarkt", nämlich nach "Zielgruppen mit einem einheitlichen Lebensgefühl": Katja Hofem-Best, "die gebürtige Aalenerin", die in Unterföhring bei München nach dem Frauensender namens "Sixx" nun noch einen "für Ältere" aufbauen soll. Simon Feldmer porträtiert sie in der Süddeutschen (S. 15). +++

+++ Es gibt immer noch einen Privatsender in Berlin. Und "mit etwas Glück und einem starken vierten Quartal" könnte er in diesem Jahr bereits sog. schwarze Zahlen schreiben. Das sagte Torsten Rossmann, neben Stefan Aust ein weiterer N24-Geschäftsführer und -Gesellschafter, dem Handelsblatt. +++

+++ Besonders gut ist der heute schon öfters (und sowieso an beinahe jedem Altpapier-Tag) erwähnte Michael Hanfeld oft in der Kürze. Mit den Worten "Was unterscheidet die Komödien von Sat.1 von denen anderer Sender? Sie sind nicht so platt wie die Versuche, die RTL unternimmt. Und ihnen geht die Patina ab, die häufig das Genre bei ARD und ZDF auszeichnet..." leitet er heute eine 19-zeilige Empfehlung der Sat.1-Komödie "Flaschendrehen" ein. +++ "Ein Film wie Flasche leer" würde indes Julia Wiessner (BLZ) sagen. +++ Aber hier bei evangelisch.de wird der Film gemocht. +++

+++ Was auch selten vorkommt: dass Fernsehkritiker sich Mehrteiler vollständig ansehen. Heike Hupertz (FAZ) hat sich den ZDF-Vierteiler "Wilde Wellen" angetan, der zum Start vorvorige durchaus auch gelobt wurde (Altpapier, tief unten im Korb), und war nicht angetan: "Wer sich ...die ZDF-Pilcherei in der Bretagne als mystisch breitgetretenen Quark angetan hat, könnte sich die Amnesie wünschen, unter der die Hauptfigur Marie Lamare (Henriette Richter-Röhl) nach brav in Szene gesetztem, dramaturgisch wahnsinnig wichtigem Schusswechsel in der ersten Folge litt..." +++

+++ Wer hat beim "TV-Lab"-Wettbewerb ZDF-Neo gewonnen? Tedros Teclebrhan, "der eine Schmalspurausgabe der Gags aufbietet, mit denen Kaya Yaner einmal angefangen hat, machte das Rennen wohl, weil er im Internet die größte Fanschar um sich versammelt hat" (miha in der FAZ). +++ Der KSTA von  Teclebrhans Standort freut sich.+++ "Wenn völlig unterschiedliche Formate, die teils gründlicher Vorbereitung bedürfen, teils mehr, teils weniger Sendezeit benötigen, in ein Wettrennen nach dem Gefällt-mir-Prinzip geschickt werden, kommt naturgemäß viel Möchtegern-Mainstream heraus" (Spiegel Online dazu, Artikel von mir). +++

+++ Und dass Herr Kreymeier (fernsehkritik.tv) und Herr Lückerath (dwdl.de) in einer recht internettypischen Streitigkeit an Herrn Müller-Lüdenscheid und Dr. Klöbner erinnern, merkt auf meedia.de dann noch Herr Winterbauer an. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.