Kalter Krieg, heißer Talk

Ihre Schatten werfen voraus: Googles Einstieg ins Handygeräte-Geschäft, Günther Jauchs Einstieg in die Talkshowflut und ein Clinch zwischen RBB und NPD.

Für jeden etwas dabei heute, ob man als Medienbeobachter eher global denkt und die Chancen kalifornischer Konzerne (Google, Apple...) auf Weltherrschaft dringend neu berechnen muss. Oder ob man eher lokal am klassischen Leitmedium Fernseher hängt und schon ganz kribbelig ist vor Vorfreude auf die Ende August endlich anlaufende härteste Talkshowsaison seit Menschengedenken.

Wenn es um politische Relevanz geht, also das, was in Talkshows eher nicht vorkommt oder weiträumig unterminiert wird, lohnt ein Blick nach Berlin, wo gerade regionaler Wahlkampf herrscht: Gestern abend um 19.56 Uhr zeigte das RBB-Fernsehen vermutlich keinen Wahlwerbespot, obwohl es derzeit eigentlich um diese Uhrzeit immer einen sendet. Doch die am Freitag (siehe RBB, NPD-Blog) bis gestern vormittag um 10.00 Uhr gesetzte Frist, den eingereichten Spot sozusagen nachzubessern (also: weniger schlimm zu gestalten bzw. nicht den "Straftatbestand der Volksverhetzung" zu erfüllen), ließ die NPD verstreichen.

Es waren bis zu den Redaktionsschlüssen von Tagesspiegel und TAZ (Berlin-Ausgabe) auch beim Berliner Verwaltungsgericht keine Rechtsmittel gegen den RBB-Entschluss eingetroffen. "Spätestens heute solle ein Eilantrag beim Verwaltungsgericht eingehen", schreibt die TAZ heute. Trotz der bekannt kniffligen Rechtslage "im Spannungsbereich zwischen Strafgesetzbuch und Artikel 5 des Grundgesetzes - der Meinungsfreiheit" sei die "RBB-Intendantin Dagmar Reim, so hört man, ...jetzt im Falle der NPD wild entschlossen, die Sache durchzuziehen, notfalls bis vors Bundesverfassungsgericht", schreibt der Tsp.. Das könnte also spannend werden.

Einen Link zur NPD gibt's an dieser Stelle nicht. Völlig klar ja aber, dass sich den Spot anschauen kann, wer das möchte (und möglich, dass das viel mehr sind, als ihn sich angesehen hätten, wenn der RBB ihn einfach ausgestrahlt hätte). Schließlich ist das mit Abstand größte Videoportal Deutschlands und der Welt bei Inhalten recht unempfindlich. Und Youtubes Mutterkonzern Google hat global hunderttausende Baustellen - seit gestern noch ein paar 1.000 oder 10.000 mehr. Seit der Ankündigung des Plans, Motorola zu kaufen, den "einstigen Kult-Handyhersteller" (meedia.de) ist Google quasi Geräte-Hersteller.

"Das dürfte die Sensation des Jahres sein!" (bild.de). Das "könnte die Machtverhältnisse im Mobilfunkgeschäft fundamental verschieben" (spiegel.de), denn nun ist Google "Alleskönner-Konzern". "Das wäre die größte Übernahme der Konzerngeschichte und gleichzeitig die größte Akquisition in der Internet- und Technologiebranche seit Jahren" (nochmals Nils Jacobsen bei meedia.de).

Am instruktivsten ist die netzökonomischste Betrachtung der Sache, diejenige des FAZ-Bloggers Holger Schmidt (mit praktischer Infografik "Google eifert Apple nach"). In der Papier-FAZ heute kommentiert übrigens nicht Schmidt den Google-Deal (das tut Roland Lindner und sieht Google in der Defensive angesichts der "jüngsten Flut an Klagen"). Dort schildert Schmidt wiederum den jüngsten Schritt Googles auf seinem allerzentralsten Geschäftsfeld, der Suche, also die Operation Panda (mit praktischer Gewinner/ Verlierer-Infografik), und kommentiert sie auch (S. 18: "Wer Inhalte nur schlecht aggregiert oder den Nutzern nicht das Gewünschte liefert, ist jetzt kaum noch sichtbar.... Wer sein Geschäftsmodell auf Besucher von Google aufbaut, geht ein hohes, kaum kalkulierbares Risiko ein - vor allem in Deutschland, wo Googles Marktanteil mehr als 90 Prozent beträgt.").

Rasch noch die mit weitem Abstand extravaganteste Meinung zum Google/ Motorola-Deal. Sie wird im Rahmen der Holtzbrinck-Syndikation von Zeit-Redakteur Götz Hamann bei tagesspiegel.de vertreten und hat für den schon in der FAZ erwähnten "Abwehrkampf" einen originellen Vergleich:

"... Woran erinnert das? Richtig, an den Kalten Krieg. Die Ausgaben für die atomare Abschreckung waren enorm. Sie fehlten in anderen Bereichen der Wirtschaft und der Gesellschaft. Sie verlangsamten die volkswirtschaftliche Entwicklung insgesamt - und trugen am Ende zum Ruin des schwächeren Systems bei. Ein Abnutzungsgefecht, das letztlich allen geschadet hat."

Wenn wir das als Nicht-Volkswirtschaftler korrekt verstehen: Müsste Google nicht Milliarden in Motorola stecken, könnte es dieselbe Summe unmittelbar in die Weltverbesserung investieren, und diese wäre früher erreicht. Oder so.

Ließe sich der Google/ Apple-Komplex womöglich in einer hiesigen Talkshow abbilden, oder fehlt es Apple an smarten deutschsprachigen Frischköppen, an denen in der Hamburger Googlezentrale ja kein Mangel herrscht? Vielleicht müsste man Richard Gutjahr, zeitweise ja der weltbekannteste Apple-Aficionado, umschulen...

Wieauchimmer. Heute erscheint Bernd Gäblers gespannt erwartete Talkshowstudie.

[listbox:title=Artikel des Tages[TAZ über ARD-Kopotard (teils satirisch)##Gäbler & Thomas Baumann/ ARD im Streittalk (welt.de)##BLZ über Gäbler-Studie##Tsp. über RBB vs. NPD##FAZ-Netzökonom über Googles Geräte-Deal##... über Googles neuen Such-Algorithmus##BLZ über Dokument-Anteil in ZDF-Dokus]]

"Das Ergebnis der Studie dürfte niemanden überraschen", schreibt in der Berliner Zeitung im (erst recht niemand überraschenden Antje-Hildebrandt-Stil) Antje Hildebrandt und gleicht die Studie mit Gäblers Vita ab. "Erhellend sind vor allem auch ausführliche Interviews, die für die Studie u.a. mit Anne Will, Frank Plasberg und dem früheren Regierungssprecher Béla Anda über das Wesen der Talkshow geführt wurden", meint Stefan Winterbauer bei meedia.de.

Da läge nahe zu fragen, ob Gäbler solche erhellenden Gespräche nicht auch gesammelt vor der Kamera führen und die ARD das überträgen könnte. Aber auf die Idee, die Talkshowstudie in Talk zurückzuüberführen, war bereits gestern die Springer-Zeitung Die Welt gekommen (vgl. Zusammenfassung hier bei evangelisch.de).

Sie spannte den eloquenten Gäbler mit dem ARD-Chefredakteur Thomas Baumann zusammen, und deren gedrucktes Gespräch würde man wirklich gern auch audiovisuell konsumieren. Wobei Baumann auf dem Betroffenensofa Platz nehmen müsste, so wie er von Gäbler auseinander genommen wird (vgl. Ausschnitt 1.) und so, wie er den Journalismus versteht (vgl. Ausschnitt 2.).

Ausschnitt 1.):

Baumann: "Wir haben selbstverständlich schon Leute eingeladen, die keine Funktionsträger sind und zu bestimmten Themen als Betroffene etwas sagten. Bei 'Anne Will' haben wir diesen Menschen eine ganz spezielle Position gegeben, sie aus der Runde ausgelagert - auf die sogenannte Couch. Warum? Nicht, um sie zu entblößen, sondern eindeutig, um ihnen mehr Aufmerksamkeit in einem kurzen Einzelgespräch zu geben."

Gäbler: "Es ist interessant, wie Sie die Rolle dieses normalen Bürgers da sehen. Er wird nicht als Bürger angesehen."

Baumann: "Er wird als Betroffener angesehen."

Gäbler: "Eben."

Und Ausschnitt 2.):

Gäbler: "... Ein Angehöriger eines Opfers des 11. September 2001 zum Beispiel hat sich in einer Sendung eine eigene Theorie über den Terrorismus erarbeitet. Kaum versuchte er, sie zu artikulieren, wurde klar: Das war nicht seine Rolle. Dafür war der Mann nicht vorgesehen. Sofort ging das Wort an Richard David Precht, der in der Runde saß. Der sagte nur: Ja, ja, der hat Recht."

Baumann: "So funktioniert übrigens Journalismus. Selbstverständlich haben Journalisten eine Erwartungshaltung an Gäste oder Gesprächspartner, die sie einladen. Es gibt aber keine festgelegte Rollenverteilung. Wir machen hier nicht Scripted Reality."

Wie Baumann bei mehreren künftigen Talk-Formaten (bei Anne Will und Reinhold Beckmann) explizit "Gespräche, die auch in die Tiefe gehen", ankündigt und somit impliziert, dass die Gespräche in mehreren anderen künftigen Talk-Formaten in die Tiefe also nicht gehen werden (womöglich eher in die Breite?) - auch das wirkt ziemlich verräterisch.

Womöglich ist so eine Talkshow tatsächlich ein gutes Format, um Themen wie etwa Talkshows aufzubereiten. Den Vogel aber schießt dann doch die TAZ mit einer nahezu René-Pfister-artigen Reportage aus dem Alltag der "Kopotard" ("Koordinationsstelle für die politischen Talkformate der ARD") ab:

"... Immerhin: Wenigstens Hans-Olaf Henkel und Hans-Werner Sinn hatten gleich zu allen Runden zugesagt und das entsprechende Feld 'Sendungstitel' auf dem ARD-einheitlichen Anfrageformular einfach offengelassen. Mit denen war gut arbeiten. Wenn wenigstens eine Großtalkerin darauf setzen würde, dass die Krawalle in Großbritannien wieder aufflammten! Aber nein: Die wirtschaftliche Lage in Eurozonien hatte alleinige Hochkonjunktur. ..."

Große Satire das, von Steffen Grimberg - zumindest bis ganz kurz vor Schluss auch noch der in TAZ offenbar unverzichtbare Frank Schirrmacher auftaucht. Und TAZ-Politikchef wird.


Altpapierkorb

+++ Das ist Thomas Bellut, dem künftigen ZDF-Intendanten, auch noch nie gelungen: eine Überraschung. "Die Überraschung saß. Gekommen waren alle wegen ZDFneo und deren TV-Lab und dann das", notierten zumindest die Kölner von dwdl.de zur in Köln angesetzten ZFD-Neo-Pressekonferenz. Ihre Überraschung galt Belluts Satz "So etwas wie 'Two and a half men' muss auch in Deutschland möglich sein. Wir haben doch gute Autoren". +++ Die Kollegen von kress.de indes wohnten dennoch einer ganz normalen Pressekonferenz bei, auf der halt Sendungsideen wie das Magazin "Wie geil ist das denn?!" vorgestellt wurden. +++ Und Hans Hoff schreibt in der Süddeutschen auch bloß ein paar Zeilen dazu. +++

+++ Neues oder zumindest Zusammenfassendes von der Sache Daniel Domscheit-Berg/ Openleaks vs. CCC (siehe Altpapier gestern): "Damit wendet sich der weltweit bekannteste Hacker-Verein gegen Deutschlands berühmtesten Informatiker", superlativiert Janek Schmidt in der Süddeutschen und führt den Zoff auch auf das Geheimnis der verschwundenen Festplatte mit geheimen Dokumenten zurück. +++ Siehe auch kurz in der BLZ. +++ Ein Feuilleton von der "Sommerfrische für Nerds" in Brandenburgs Wäldern hat Friederike Haupt für die FAZ verfasst. +++

+++ Viel Aufmerksmkeit für Guido Knopps heute anlaufende Reihe "Der Heilige Krieg". Die Süddeutsche charakterisiert sie so: "Männer mit Krummsäbeln rufen 'Allahu Akbar' (Gott ist größer), bevor sie 732 zum Sturm auf das Abendland ansetzen. Männer in Kettenhemden rufen 'Deus lo vult' (Gott will es), als sie 400 Jahre später mit dem Schwert die Herrschaft des Kreuzes über Jerusalem errichten wollen. Und zwischendrin erklären Experten, wie fruchtbar doch die Zeiten der friedlichen Koexistenz beider Religionen waren." +++ "Fortwährend stellen die Spielszenen die religionsversöhnende Botschaft des Textes (der obendrein nicht frei von Widersprüchen ist) in Frage" (Michael Hanfeld dazu in der FAZ). +++ "Im angeblichen Dokumentarfilm gibt es kein einziges Dokument zu sehen. Nein, hier ist alles Fake" (Arno Widmann in der BLZ). +++ Interessante Produktionsnotizen für Krummsäbel/ Kettenhemd-Schlachtenszenen notiert Kurt Sagatz im Tsp. ("Aus Sicherheitsgründen hatte das Produktionsunternehmen Marokko als Drehort ausgewählt. Doch als während der Dreharbeiten Osama bin Laden von einer amerikanischen Eliteeinheit erschossen wurde, spitzte sich die Lage auch am marokkanischen Set zu. Am Ende mussten die Szenen in Rumänien aufgenommen werden"). +++

+++ Vom Verdacht der Neuen Zürcher Zeitung, im gerade gelaufenen, bekanntlich nachgebesserten Schweizer-Tatort hätten die Nachgebesserungen im Eliminieren von Hinweisen auf die Zugehörigkeit einer "Schurken-Figur" zur "rechtspopulistischen SVP" bestanden, spricht knapp die Süddeutsche. Der NZZ-Beitrag lässt sich gerade nicht frei online finden. +++

+++ Ferner ist die SZ angetan von Erfolgen Rupert Murdochs und der New York Times an der Paywall. "Eine denkbare Erklärung für den Erfolg der britischen und amerikanischen Seiten könnte sein, dass sie das Pay-Konzept konsequenter durchziehen: Die geneigten Leser, das scheinen die Zahlen zu bestätigen, zahlen im Netz, wenn sie Inhalte und Einordnungen der von ihnen geschätzten Zeitung dort sonst nicht bekämen. Darauf hat in Deutschland bislang noch kein großer Verlag völlig vertraut." +++ "Auflagenzuwachs von 90 %" mitten in der Holzpresse! Das ist Murdoch zu verdanken (TAZ knapp). +++ Ferner befasst sich die TAZ-Medienseiten mit Mediengattungswechseln: dem des TV-Experten Oliver Kahn zum Blogger und dem des Comictitanen Donald Duck zum Männerlifestylezeitschriften-Editor at large (oder so). +++

+++ "Zwölf Sonderseiten lang feierte die 'Junge Welt', Stabsorgan für alte und junge Stalinisten, am 13. August die Berliner Mauer", ärgert sich per Glosse am Rande die FAZ. Mehr dazu in der alten, also Springers Welt. +++

+++ Tim Renner und die Motor FM-Mehrheitsgesellschafter streiten weiter vor Gericht (BLZ). Wo sich ihr Sender Motor FM übrigens online anhören lässt: sowohl via motor.de als auch über die offizielle Senderseite motorfm.de. +++

+++ "Im Berliner Beförderungsgewerbe nannte man ihn deshalb nur 'Sir Schoenfelder'" (Gerhard Stadelmaier in seinem Nachruf (FAZ, S. 32) auf den mit 94 Jahren verstorbenen Schauspieler Schoenfelder, dessen Vorname Friedrich im ganzen Nachruf daher auch gar nicht vorkommt. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.