Auge in Auge

Thilo Sarrazin jetzt auch bei Deutsch-Türken bekannt, der MDR jetzt wieder bei der Bild-Zeitung beliebt: die tagesaktuellsten Räuberpistolen der Unterhaltungsindustrie.

Bereits ganz gut gefüllt ist die von Claudius Seidl verantwortete Webseite michaelalthen.de, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Texte des im Mai mit nur 48 Jahren verstorbenen Filmkritikers für die Ewigkeit des Internet zu sammeln. Heute um 23.15 Uhr zeigt das WDR-Fernsehen den Dokumentarfilm "Auge in Auge – Eine deutsche Filmgeschichte", den Althen 2008 (gemeinsam mit Hans Helmut Prinzler) realisierte. Daran erinnert heute die FAZ-Medienseite, daraus stammt unser Foto (das Althen links neben Wim Wenders zeigt).

Damit ins Tagesgeschäft mit seinen üblichen Verdächtigen. Lange nichts gelesen von Thilo Sarrazin zum Beispiel (bzw. gestern nur ganz unten im Altpapierkorb). Heute bringt nicht bloß Die Zeit ihr Räsonnement zur Story um Güner Balcis abgesagten Sarrazin-Film für den RBB (siehe so einige neuere Altpapiere). Unter der Überschrift "Protokoll eines hysterischen Falls bedauert die Wochenzeitung, "dass der Dialog, zu dem Balci die Welten bringen wollte, zwar stattgefunden hat, aber nicht ausgestrahlt wird" (S 50).

Überdies erfrischt der Tagesspiegel mit der Info, dass die ausgesprochen erschöpfenden Sarrazin-Debatten des deutschen Fernsehens an "einem Großteil der Türken in Deutschland" völlig vorbeigegangen seien. Erst durch seinen "Auftritt in Kreuzberg", jenen in Begleitung Balcis, den die ZDF-Show "Aspekte" zeigte, habe er "eine gewisse Bekanntheit" auch bei den Medien erreicht, die die Türken in Deutschland großenteils nutzten, nämlich türkischen. Bis dato hätten diese sich wegen "wichtiger innenpolitischer Ereignisse", also türkischer, gar nicht um die hiesige Sarrazin-Debatte kümmern können.

All das und noch viel mehr hat der Berliner Tagesspiegel von der in Berlin ansässigen Marktforschungs-Firma "Data 4U" erfahren, die seit mehr als 15 Jahren "den Medienkonsum türkischer Migranten erforscht" und übrigens auf ihrer Webseite einen "TurkLocator" offeriert ("türkische Zielgruppen in Deutschland suchen, finden und analysieren"). "Der Einfluss deutscher Medien auf die türkischstämmige Bevölkerung werde allgemein überschätzt", sagen die Geschäftsführer Joachim Schulte und Umut Karakas. Noch am relativ einflussreichsten sei mit vier Prozent Marktanteil wegen seines Kinderprogramms Super RTL. Ein Sender also, der sich bislang wenig um Sarrazin kümmerte.

Beim RBB werde derzeit, ist wiederum dem Zeit-Artikel noch zu entnehmen, "diskutiert..., wie eine weitere Aufarbeitung der Sarrazin-Debatte aussehen könnte". Vielleicht kann Sarrazin ja einfach mit Georg Friedrich Prinz von Preußen über "Deutschland schafft sich ab" diskutieren. Expertise dürfte der neue Fernseh-Adlige des RBB (vgl. Altpapier gestern) schon deshalb mitbringen, weil Preußen ja längst abgeschafft ist. Jedenfalls kann sich Michael Hanfeld in der FAZ heute den Einwurf nicht verkneifen: "Einen Film über Thilo Sarrazin von der Journalistin Güner Balci bringt der Rundfunk Berlin-Brandenburg nicht zustande, wohl aber die Liveübertragung einer Adelshochzeit."

Damit vom RBB südlich ins Sendegebiet des MDR. Gibt's neue Affären? Nicht wirklich. Die Süddeutsche (S. 15) nennt die gestern in der Welt publizierten Vorwürfe des Volksmusik-Industriellen Hans Beierlein eine "Räuberpistole aus der Unterhaltungsindustrie" und hat wegen sonstiger neuerer Vorwürfe beim MDR nachgefragt, der in seinen Akten keine Hinweise darauf fand und sie also nicht bestätigte. Was, zumal beim MDR, bekanntlich aber überhaupt nichts bedeuten muss.

[listbox:title=Artikel des Tages[Tsp. über Medienkonsum der Deutsch-Türken##BLZ über Angeklagten-Persönlichkeits-Schutz##H. Prothmann über den Redakteursstreik##Michael Althens Filmkritiken]]

Wiederum die Zeit bringt unter der attraktiven Überschrift "Der Skandalstadl" eine MDR-Story, die, schon weil Intendant Udo Reiter für die Wochenzeitung "nicht zu sprechen" war, freilich bloß die bekannten Skandale konfektioniert. Und ein paar O-Töne vom Burda-Pressevorstand und Udo Foht-Geldgeber Philipp Welte enthält ("...sagt auch, er habe einem Menschen geholfen, dem er vertraut habe und den er in Not sah. Foht habe ihm eine dramatische Geschichte aufgetischt").

"Keine leichte Zeit für den Mitteldeutschen Rundfunk", wirft da - huch - die Bild-Zeitung ein: "Doch trotz des Skandals um TV-Manager Udo Foht sollte nicht vergessen werden, dass der Sender seinem Publikum auch viel Freude bereitet. So zum Beispiel der 'Tatort' aus Leipzig mit Simone Thomalla (46) als sexy Kommissarin..." Vielleicht tut das Blatt das weil, "ja servus, wie die Zeit vergeht", die Foht-Entdeckung Florian Silbereisen heute 30 wird (ebd.), vielleicht auch, weil Springers Strategen die ARD-Funktionäre nach Strich und Faden verwirren möchten.
 


Altpapierkorb

+++ Der Streit unter den Gesellschaftern des Berliner Radiosenders MotorFM "spitzt sich weiter zu" (Tagesspiegel) bzw. "ist entschieden" (Berliner Zeitung). Und zwar gegen den u.a. auch als Buchautor bekannten Minderheitsgesellschafter Tim Renner. Unter motorfm.de lässt sich der vergleichsweise sehr angenehme Pop/ Rock-Sender, der seit März auch in Bremen auf Sendung ist, online anhören. Wer genau die Gesellschafter sind, weiß die KEK-Datenbank. +++

+++ Ebenfalls zu spitzt sich der Streik der Zeitungsredakteure. Ausführlich von der Streikfront berichtet aus Tübingen, wo das "Schwäbische Tagblatt" derzeit "so dünn wie" ein "Marmeladenbrot zum Frühstück, aber leider nicht so schmackhaft" ist, und wo Volontäre sozusagen daher "auf dem Holzmarkt eine Suppe anbieten, von 'Billigjournalisten zusammengerührt'", die TAZ. +++ Von einem "Durchburch" bei den Verhandlungen berichtet in gewählten Worten Detlef Esslinger in der Süddeutschen. Doch: "trotz Fortschritten weiterstreiken - ein solches Vorgehen gilt bei Gewerkschaftern als üblich". +++ Dass der Streik laut DuMont Schauberg-Vorstand Franz Sommersfeld Arbeitsplätze gefährde, meldet meedia.de. +++ Ob die Empörung der streikenden Redakteure nachvollziehbar ist, ob die eingeforderte Solidarität wirklich verdienen, hinterfragt aus der Perspektive freier Journalisten Hardy Prothmann in seinem Blog pushthebutton.de. +++

+++ Die Frage der Bild-Zeitung "Ist der Schutz eines Täters wichtiger als die Berichterstattung über eine schwere Straftat?" beantwortete der Vorsitzende Richter am Landgericht Potsdam, Andreas Dielitz, mit Ja. Und zwar, um die Ex-Frau des Angeklagten vor der Presse zu schützen (Berliner Zeitung). +++

+++ Jedes Quartal noch mehr Jubel, wenn Mathias Döpfner die Axel Springer-Geschäftszahlen verkündet (siehe FTD: "Seinen Angaben nach sei die "Bild"-App fürs iPad regelmäßig die umsatzstärkste Anwendung in Apples App Store.... Mit Online-Werbung mache Springer mittlerweile mehr Umsatz als mit gedruckten Anzeigen.") +++ Konsequent lässt dieselbe FTD ihren Grundsatzartikel des neuen Medienredakteurs Bernhard Hübner (während Vorgänger Lutz Knappmann bei sueddeutsche.de wirkt) kurz nach dem vielversprechenden Vorspann "Mit den Gebührengeldern entern die Öffentlich-Rechtlichen das Netz. Ihre Apps sind eine Gefahr für Verleger, ihre Digitalkanäle für Privatsender. Die schlagen nun zurück..." abbrechen und im Bezahlbereich weitergehen. +++

+++ Den Sinn des kürzlich mit Überlastungs-Zusammenbruch gestarteten Portals lebensmittelklarheit.de hinterfragt die FAZ (S. 35): "Wie wäre es mit ein paar klugen Ausführungen zu dem Umstand, warum man in Deutschland generell Lebensmittelangaben misstrauen muss? Und einer Erklärung, warum der Gesetzgeber den Herstellern so viele Freiheiten bei ihren Angaben lässt?.. Gestanzte Antworten helfen niemandem weiter. Und auch technisch ist lebensmittelklarheit.de nicht up to date...". Autorin Lucia Schmidt verlangt nach einer App, die schon "am Regal im Supermarkt" Auskunft gibt. +++

+++ Die Zeitschriftenmarkt-Entwicklung, "dass quasi jede Altersgruppe ein eigens für sie entwickeltes Magazin lesen kann", ist noch nicht die letzte. Vielmehr können solch spezielle Alters-Zielgruppen sogar noch auf sie zugeschnittene Hefte "mit regionalem Bezug... in Geschäften und Arztpraxen" mitnehmen, berichtet die Süddeutsche und erwähnt lobend GenerationPlus, das verlagsunabhängige "Best-Ager-Magazin für die Region Göttingen". Besonders bei Kaufzeitschriften werde die weibliche "Generation 50 plus", die großenteils aus über 60-Jährigen besteht, aber gern mit der Zielgruppendefinition "Frauen über 40" angesprochen, berichtet Katharina Riehl mit Bezug auf "Brigitte Woman". +++

+++ Immer öfter nach Brigitte Woman aus sieht Die Zeit (heute mit der Titelstory "Die Wahrheit über unsere Träume/ Lange wurden sie als rätselhafte Geheimbotschaften missverstanden. Aber Träume sind mehr..."). +++ Im Inneren versteckt sich auch Härteres, z.B. noch "Der Skandal um Murdoch wird immer schmutziger" (S. 49). Da schreibt Reiner Luyken: "Journalisten gelten auf der Insel heute generell als fragwürdige Typen, ganz gleich ob sie für ein Gossenblatt oder den 'Guardian' arbeiten. In der Volksmythologie verdienen sie ein Schweinegeld. Was sie schreiben, wird als frei erfunden abgetan, wenn es nicht gerade die eigenen Vorurteile bedient..." +++ Die Verhaftung Stuart Kuttners melden knapp TAZ, SZ. +++

+++ "Glänzende" Stimmung beim Focus, sagt der neue Allein-Chefredakteur Uli Baur im ersten Kurzinterview ("'Focus' ist 'Focus'") bei horizont.net. +++ Ganz gespannt aufs "Blaue Sofa", die neue Literaturshow mit Wolfgang Herles im richtigen ZDF (nicht nur bei "ZDF-Kultur") ist der Tagesspiegel. +++ Die BLZ war am Set des Adenauer-Dokudramas der ARD. +++ Und den Tod Gisela Holthoffs, der 1927 geborenen Tochter des WAZ-Co-Gründers Jakob Funke und also WAZ-Gesellschafterin, meldet die FAZ. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.