Die Verlage-Klage gegen die "Tagesschau"-App schafft neue, alte Fronten. Immerhin könnte sie schon 2016 entschieden sein. Außerdem: Wird Thomas Gottschalk der neue Jürgen Drews?
Gestern tweetete der Neon-Chefredakteur Timm Klotzek (@TimmKlotzek), der zum 1. Juli Chefredakteur des SZ-Magazins wird, an seine Follower die Meldung weiter, dass das SZ-Magazin schon ab dem morgigen Freitag auch auf dem iPad zu haben sein wird:
Meedia: SZ Magazin wandert aufs iPad http://t.co/jbZ2g4a via @meedia
Kurz darauf retweete @Linuzifer, einer der netzpolitik.org-Autoren, diesen Tweet. Allerdings nicht allein in weiterverbreitender Absicht, vielmehr mixte er die heißer diskuierte Meldungslage gestern, also die neue Klage von acht Zeitungsverlagen gegen die "Tagesschau"-App der ARD (siehe Altpapier), bzw seine netzpolitik.org-Meldung dazu:
...und klagt gegen die Tagesschau-App http://bit.ly/l7hIpg RT @TimmKlotzek: Meedia: SZ Magazin wandert aufs iPad
So verdichtet sich in der Sphäre der deutschen Medienbeobachter die Front doch wieder zwischen Netztriumphalisten einerseits und Totholz-Verlagen andererseits, die entweder sowohl digitale Geschäftsmodelle suchen als auch gut angreifbare Gegner, die an deren Scheitern ggf. schuld sein könnten. Oder die zumindest wirken, als täten sie das.
Noch zwei Beispiele: Der freie ARD-Journalist Dennis Horn hat in einem Brief an die Süddeutsche Zeitung erklärt, warum genau er sein Abonnement kündigt, und diesen Brief veröffentlicht (wasmitmedien.de):
"Das Vorgehen der Verlage gegen die öffentlichen-rechtlichen Anstalten ist in den vergangenen Monaten mehr und mehr zur Farce geworden. Aus Sicht vieler Zeitungen, die einen langsamen Tod sterben, ist das sogar noch nachzuvollziehen. Sie hätten diesen Tod aber vermeiden können, und ich bin eigentlich der Ansicht, dass die Süddeutsche Zeitung es richtig macht: weg von reinen Nachrichtenmeldungen der Agenturen, die ich schon am Tag zuvor im Wortlaut im Netz lesen konnte, hin zu hintergründiger, einschätzender, mitreißender Berichterstattung. Genau deshalb habe ich bis heute Geld für Ihre Zeitung ausgegeben: Weil sie mir einen Mehrwert geliefert hat, den mir die Tagesschau eben nicht liefern kann... ..."
Etwas härter argumentiert Don Alphonso, der ja auch einer der Blogger der FAZ ist (die sich ebenfalls an derselben Klage beteiligt), in seinem Blog Rebellmarkt:
"Was die Verlage konkret versuchen, ist die Zerstörung von gelungener Nutzerbindung, um sie durch Nutzerankettung zu ersetzen. Und ich frage mich wirklich, wie blind man sein muss, wie wenig man vom Internet verstanden haben muss, wenn man nach all den Niederlagen und dem weitgehenden Bedeutungsverlust gerade bei den besseren Angeboten immer noch glauben kann, man könnte im Netz irgendwem irgendwas befehlen und dann eine Mauer darum ziehen. Es ist mir dabei vollkommen egal, ob das Treiben der ARD legal ist: Wenn Medien nicht in der Lage sind, dagegen selbst zu bestehen, wird das auch ohne Tagesschau-App nicht anders. Dann kommt eben die Huffington Post. Oder Springer mit irgendwas besonders Obszönen. Irgendwas wird schon auf die Geräte geladen."
Die FAZ selbst, die ja über ein bemerkenswert breites Spektrum auch unterschiedlicher fundierter Meinungen verfügt, hat sozusagen zur Vertiefung der Debatte über öffentlich-rechtliche Sender an sich inzwischen Stefan Niggemeiers Sonntags-Artikel aus der FAS über das ZDF frei online gestellt. Über den hieß es im Altpapier vom Montag, er sei "zwar auch kritisch, allerdings kommt er ohne die Infragestellung des gebührenfinanzierten Rundfunks aus". Geschrieben wurde er vermutlich noch in Unkenntnis der FAZ-vs.-ARD-Klage.
Die TAZ, die sich definitiv nicht an der Verlage-Klage beteiligt und gestern noch nicht darüber berichtete, war in Gestalt Steffen Grimbergs am Dienstag dennoch Augenzeuge jenes "Printgipfels" beim Kölner Medienforum, auf dem die entsprechenden Vertreter der entsprechenden Verlage ihre gemeinsame Aktion sozusagen "mit leuchtenden Augen" feierten. Heute schaut Grimberg sowohl über den Tellerrand der einander wieder zoffenden deutschen Medienlobbyisten hinaus wie auch in die Zukunft, in der die am Dienstag begonnene Aktion beendet sein könnte:
"Bei den wahren großen Playern im Geschäft mit dem Digitalem, wie den 'Googles dieser Welt' kommen sie aus dem Staunen nicht mehr raus. Und in fünf bis sieben Jahren, so die Schätzungen aus der Branche, spricht dann das Bundesverfassungsgericht ein endgültiges Urteil. Mal sehen, ob es dann wenigstens Facebook noch gibt."
An dieser Stelle noch rasch der Hinweis (entnommen dem Buch "Digital ist besser" von Kai-Hinrich und Tim Renner, deren einer weiter unten nochmals vorkommt), dass die vom Zeitungsverlegerverband inkriminierte "Tagesschau"-App von der Firma Cellular Germany in Hamburg entwickelt wurde, die zum Konzern des Zeitschriftenverlegerverbands-Präsidenten Hubert Burda gehört. Der zählt auch zu den Kritikern der App, allerdings sind er und derin Verband an der aktuellen Klage derzeit nicht beteiligt.
Hier jetzt noch ein Blick über den Tellerrand jenes "Printgipfels" auf die sonstigen Sektionen desselben Medienforums, das gestern zu Ende ging und offenkundig ein vergleichsweise lebhafter Medienkongress war.
"Für uns dient das Internet auch weiterhin nur der Programmbegleitung",
sagte zum Beispiel der ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky bei einer Diskussion, in der es nicht um die "Tages-", sondern um die Zukunft der "Sportschau" ab der Saison 2013/2014 ging, wenn die Fußball-Bundesliga-Rechte anders vergeben sein könnten. Darüber berichtet der Kölner Stadtanzeiger. Unabhängig von Köln gingen die Sportfans aus der Tagesspiegel-Medienredaktion derselben Frage nach und erhielten vom WDR-Sportchef und Internetexperten Steffen Simon folgende Info:
"'Die User haben gelernt, im Internet kleine Videoschnipsel zu gucken, wann immer sie wollen.' Bislang hätten sie aber nicht gelernt, sich zu einer bestimmten Zeit für einen Live-Stream vor den Rechner zu setzen."
[listbox:title=Artikel des Tages[Augenzeugenbericht vom Printgipfel (TAZ)##Don Alphonso vs. Verlage (Rebellmarkt)##Und sonst in Köln (Funkkorrespondenz)##Gottschalkzukunft (Tsp.)]]
Aha. Daneben gab es in Köln gestern eine Diskussion über "Perspektiven des Unternehmerjournalismus" u.a. mit Konstantin Neven DuMont und dem freien Journalisten Sven Hansel, der durch sein frisches Lachen in der weit verbreiteten Anzeige des Deutsche Post-Angebots "Die Redaktion.de" zur Reizfigur avanciert ist. Von dieser Debatte (vgl. Foto oben) gibt es bislang leider nur einen schwachen Widerschein auf Twitter.
Eine umfangreiche Gesamtschau zum Kölner Medienforum, von Hannelore Krafts Eröffnungsrede, in der sie das "unglaubliche Potenzial" des von ihr regierten Medienlandes Nordrhein-Westfalen nur von Kalifornien übertroffen sah, bis zur "sehr geschickten Rede" des o.g. Tim Renner, bietet die im nahen Bonn erscheinende Funkkorrespondenz. Und über den "Berliner Politikbetrieb im digitalen Mediendilemma" berichtet hier auf evangelisch.de Ralf Siepmann.
Damit weiter zu Thomas Gottschalk... (im Altpapierkorb)
Altpapierkorb
+++ Nicht aus Köln, sondern von Hamburg aus verbreitete sich lauffeuerartig auf allen bunten Medienseiten (z.B. sueddeutsche.de) die zuvor unbestätigte Ansicht, die öffentlich-rechtliche ARD wolle Gottschalk quasi-täglich für ihr Werberahmenprogramm am Vorabend anheuern. ARD-Programmdirektor Volker Herres habe als Beispiel für Dinge, mit denen sich Gottschalk dort beschäftigen könnte, "die Auswüchse rund um Facebook-Partys" genannt. Der ARD-Vorabend-Koordinator Frank Beckmann, derzeit auch aus der Kika-Prozess-Berichterstattung bekannt, habe den ARD-Vorabend "mit der Errichtung der Hamburger Elbphilharmonie" verglichen (kress.de), was ihm Michael Hanfeld hoffentlich noch um die Ohren hauen wird. +++ Auf was für einer Veranstaltung sich das wohl zugetragen hat? Da können die Fernsehexperten von dwdl.de Auskunft geben: bei der Vorstellung des aktuellen Standes der Vorbereitungen des neuen Vorabendprogramms. +++ Und was wäre von einem täglichen Vorabend-Gottschalk inhaltlich zu halten? Da hilft der Tagesspiegel: "Das klingt nach 'Tagesshow' vor der 'Tagesschau' - und es klingt schauderhaft. Gottschalk im engen Studio, Gottschalk ohne Show, Gottschalk mit Herzilein und Scherzilein zu B- und C-Nachrichten des Tages; das sieht so viel mehr nach Jürgen Drews als nach Thomas Gottschalk an. Aber das Geld. Sein Freund Günther Jauch, der von September an als ARD-Talker üppige Honorare einstreichen wird, dürfte ihm schon erzählt haben, was eine ARD in Not in der Kasse hat." +++
+++Wolfgang Storz, der sich u.v.a. im aktuellen Freitag über den dem Herbert-Quandt-Medienpreis für die Bild-Zeitungs-Redakteure Nikolaus Blome und Paul Ronzheimer ärgert, springt mit gewohnter Verve Stefan Niggemeier in seinem Blog bei. +++ Derweil saß Tom Hanks mit Norbert Körzdörfer "im 19. Stock im Himmel über Berlin – in der alten Bibliothek von Axel Springer", und Hanks sagte, so empfand es zumindest Korzdörfer, "Wow! Wow!". Bild-Reporter Körzdörfer kommentiert: "Hanks kann noch staunen. Er ist Multimillionär, aber bescheiden." +++
+++ Wiederum in Köln wurden die Grimme Online Awards vergeben, u.a. ans GuttenPlag-Wiki (faz.net). Am ausführlichsten informiert das Grimme-Institut selbst. Herzlichen Glückwunsch, jeweils. +++
+++ Heute abend im MDR-Fernsehen (20.15 Uhr): zum "Polizeiruf 110"-Jubiläum die Giftschrank-Folge "Im Alter von …" von 1974, von der im Altpapier vom Dienstag schon die Rede war. Siehe aktuell: TAZ, Tagesspiegel, BLZ, sueddeutsche.de. +++
+++ Kein Krimi, Realität: der "abgeschlagene Kopf auf einer Straße in der mexikanischen Hafenstadt Veracruz", mit dem Klaus Ehringfelds knapper Bericht in der BLZ über Journalistenmorde in Mexiko beginnt. +++
+++ Das in den USA beliebte Videoportal hulu.com könnte verkauft werden, z.B. an Yahoo (FTD). +++ Die TAZ hat sich nun auch die Ausstellung "Experimentelles Fernsehen der 1960er und 70er Jahre" in der Deutschen Kinemathek in Berlin angesehen. +++ "Das mit größter Spannung erwartete Buch zum Prozess des Wettermoderators Jörg Kachelmann", an dem selbstredend Alice Schwarzer arbeitet, aber auch weitere Bücher zum selben Thema sind Thema der Berliner Zeitung. +++
+++ Und FAZ sowie Süddeutsche Zeitung sind heute wegen des katholischen Feiertags Fronleichnam nicht erschienen. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.