Comeback des dicksten Hundes

Volle Kraft zurück in die Nuller Jahre: Die alte Debatte um "gebührenfinanzierte elektronische Presse" ist plötzlich wieder da.

Hölle, was in Köln auf dem Medienforum NRW wieder los war (oder noch ist, denn an diesem Mittwoch läuft es noch). "Köstlich!!" war es dort, irre Partys scheint es gegeben zu haben, seltsam leer muss es auch gewesen sein. Und natürlich wurde die alte Hauptaufgabe von Medienkongressen, das gepflegte Aneinandervorbeireden, nicht vernachlässigt.

Die "Frau hinter Angela Merkel", diejenige, die mit Büroleiterin Beate Baumann "das 'Girls-Camp' der Kanzlerin" bildet, hatte einen Exklusivauftritt. Was Eva Christiansen dabei trug ("blauen Hosenanzug und orangefarbene Bluse"), notiert Thomas Gehringer im Tagesspiegel. "Neue Fronten" an Kriegsschauplätzen, von denen gewöhnliche Medienendverbraucher noch gar nichts wissen, konnten aber auch identifiziert werden (heise.de über den "Konfrontationskurs" der seit ihrer Gründungspressekonferenz im April fast schon in Vergessenheit geratenen "Deutschen Content-Allianz" mit Plattformbetreibern und Geräteherstellern wegen HbbTV aka Hybrid-TV).

Und um dem Event die Krone aufzusetzen, ließen acht Zeitungsverlage und der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger sich auch nicht lumpen und verschafften an einer alten Front dem wohl dicksten Hund der deutschen Mediengeschichte des laufenden Jahrtausends ein unverhofftes Comeback. Vor der Wettbewerbskammer des Landgerichts Köln legten sie gestern Klage ein gegen "gebührenfinanzierte presseähnliche Angebote" der öffentlich-rechtlichen Sender im Internet (kress.de, evangelisch.de).

"Die Ministerpräsidenten schauen untätig zu, wie mit Gebührengeldern umfänglich Pressetexte geschrieben und digital verbreitet werden. Es bedarf in Deutschland aber keiner staatsfinanzierten Presse",

lässt Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff vom BDZV sich zitieren. Und all die alten Argumente aus Podiumsdiskussionen, deren Teilnehmer sich mal tagesschau.de ausgedruckt hatten, um damit wedeln zu können (siehe Altpapier von 2008), sind wieder da, bloß ums Trendwort "App" erweitert. Sie werden auf den Medienseiten und -sites auch schon wieder... ausgetauscht wäre zu viel gesagt, aber: von sich gegeben. Klar, dass auch die Gegenseite die alten Sprachbausteine wieder hervorholt (NDR-Intendant Lutz Marmor: "Die Verleger sollten lieber gemeinsam mit uns versuchen, Journalismus und Informationskompetenz im Dienste der Demokratie zu stärken, als gegeneinander zu arbeiten...").

Die Medienjournalisten sitzen natürlich wieder zwischen den Stühlen, da sie einerseits im Lauf all der Jahre Tag für Tag viel tiefer in die (äußerste trockene, weil großenteils aus Rundfunkänderungsstaatsverträgen bestehende) Materie einsteigen mussten, andererseits oft aber Angestellte der Verlage sind, die jetzt Klage erhoben. Bei denen handelt es sich um "die nordrhein-westfälischen Verlage WAZ, M. Dumont Schauberg, Rheinische Post, Lensing Wolff sowie Axel Springer, die Medienholding Nord (Flensburger Tageblatt), die FAZ und die SZ" (meedia.de).

Folglich kommt es wieder, wie es damals schon kam: Die Süddeutsche vermeldet die Klage-News so nüchtern, dass man zwischen den Zeilen eventuell leichte Distanz herauslesen kann.

Ganz vorn auf der FAZ haut Michael Hanfeld einen kleinen Leitartikel mit Abendlands-Untergangs-Flair heraus, der Kenner von Hanfelds umfangreichem und im Grunde differenziertem Gesamtschaffen irritieren muss. Und ihm im Internet und von anderen Kritikern wieder tausendfach um die Ohren gehauen werden wird:

"Durch gebührenfinanzierte Texte und durch Sender, die im Internet Zeitung machen, ist die weltweit einmalige Vielfalt der Qualitätszeitungen in ihrer Existenz bedroht. Die Appelle von Intendanten, man solle gemeinsam den Journalismus im Sinne der Demokratie stärken, klingen hohl und zynisch, breiten sich ARD und ZDF doch immer mehr im Internet aus. Mit der Klage und der Beschwerde bei der Europäischen Wettbewerbskommission ergreifen die Verlage die letzte Möglichkeit, ihre Position zu behaupten. Sie kämpfen für das Überleben der unabhängigen Presse."

Ansonsten berichtet die FAZ im Wirtschaftsressort (S. 17) und bemüht dort die Kategorie der ""reinen Textproduktion ...im Internet" als Argument. Auf der Medienseite der Berliner Zeitung, deren Verlag M. Dumont Schauberg ebenfalls klagt, ist es natürlich nicht der Artikel "Rettung vor Zombies/ Das Internet macht dumm. Warum gibt es eigentlich keine App gegen Hirnfraß?", der über die Klage informiert, sondern diese ganz besonders nüchterne Agenturmeldung daneben.

Der Tagesspiegel, dessen Verlag sich derzeit nicht an der Klage beteiligt, lehnt sich auch nicht aus dem Fenster, nennt aber zumindest das recht schlagfertige Gegenargument der derzeitigen ARD-Vorsitzenden Monika Piel ("Nicht jeder Text ist eine Zeitung").

Und obwohl der Spiegel-Verlag ebenfalls nicht zu den Klageführern zählt, gibt bei Spiegel Online Konrad Lischka den marktwirtschaftlichen Mega- oder Meta-Hanfeld und schüttet dazu ein ganzes Füllhorn merkwürdiger Vergleiche gegen "öffentlich-rechtliches Internet" und die "Zwangsgebühren" aka GEZ-Gebühren an sich aus:

"Der Zugang zum Publikum ist heute im Buchmarkt schwieriger als im Web - trotzdem verlangt niemand öffentlich-rechtliche Verlagsanstalten für gebundene Print-Produkte.

... ... Obwohl das so ist, leistet sich die Bundesrepublik Deutschland keine öffentlich-rechtlichen Pharma-Forschungsanstalten.

... ... Der Suchmaschinen-Markt ähnelt heute dem Rundfunk der Sechziger ... ... Trotzdem käme niemand in Deutschland auf die Idee, eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine zu installieren."

Auch den klassischen Rundfunk mal rasch der Wirtschaft zu- und unterzuordnen scheint für Lischka dabei kein Problem darzustellen.

Den Anti-Hanfeld gibt indes dwdl.de-Chefredakteur Thomas Lückerath, der, "mit offenem Mund" staunend, nicht weiß, "ob man zuerst lachen oder weinen soll", ebenfalls marktwirtschaftlich argumentiert ("Wer kein Vertrauen darin hat, dass die eigene Qualität Käufer findet, der muss offenbar den Wettbewerb bekämpfen"), daneben aber auch:

"Nach etwa fünfzehn Jahren des kommerziell erfolgreichen Internets fällt den deutschen Verlegern also auf, dass es online Texte zu lesen gibt. Bislang hat man sich an den Online-Nachrichtenportalen von ARD und ZDF nicht gestört..."

Da weiß der Lückerath offenkundig nichts von den medienpolitischen Diskussionen des letzten Jahrzehnts, was immerhin bedeutet, dass er ein glücklicher Mensch sein muss. Und dass die Kernkompetenz von dwdl.de halt eher beim Privatfernsehen liegt.

[listbox:title=Artikel des Tages[Der heutige Hanfeld (FAZ)##Der Mega-/ Meta-Hanfeld (Lischka, SPON)##Der Anti-Hanfeld (Lückerath, dwdl.de)##Neues vom Hybrid-TV (heise.de)##WWF vs. WDR (TAZ-TV-Tipp)]]

Jedenfalls, da der BDZV außer den deutschen Gerichten, deren Medienkompetenz ebenfalls oft Anlass zum Staunen bietet, auch noch die Europäische Wettbewerbskommission zurück ins Boot der Diskussionen geholt hat, auf deren ("Brüssels") Weisung hin der 12. RfStV mit Dreistufentest und all den anderen realitätsfremden Regelungen nach langjährigem Ringen erst als vermeintlicher Kompromiss entstanden war, lässt sich schon einmal vorhersagen:

Auch jetzt werden sich wieder scharenweise Lobbyisten, Referenten und Experten aller Seiten intensiv mit dem Thema befassen. Und so den Anschluss an die digitale Gegenwart noch viel gründlicher verpassen werden als sowieso schon.
 


Altpapierkorb

+++ Die TAZ, deren Verlag sich natürlich nicht an der Klage beteiligt hat, schweigt noch zum Thema. Sie berichtet von Zoff zwischen WDR und WWF (nicht "Westdeutsches Werbefernsehen", das gab es unter dem Namen nur bis 1987, sondern "World Wildlife Fund"), und empfiehlt damit eine heute am selbstredend späten Abend ausgetrahlte ARD-Dokumentation. +++

+++ "Nichts schadet dem Frauenfußball so sehr wie der Vergleich mit dem Männerfußball", sagt 11 Freunde-Chefredakteur Philipp Köster. Und zwar im Rahmen des Tagesspiegel-Beitrags über die weithin als unglücklich empfundene Medienkampagnen zur Ankurbelung der Frauenfußball-WM-Begeisterung. +++

+++ Unter der schönen Überschrift "So könnte es sein, wenn man kochen würde" wirft Marten Rolff in der Süddeutschen einen Blick auf den "nicht mehr überschaubaren Markt der Gastrohefte, wo von Meine Land Küche (Burda) bis Beef (G+J) jede Nische besetzt schien", auf dem zumindest der Burda-Verlag aber dennoch gleich zwei neue Titel unterzubringen versucht. +++

+++ Die nächste Intendantenwahl steigt am 26. September. "Bis dahin sind nicht nur die Kandidaten vorzuschlagen, zu beurteilen und zu bewerten, sondern auch die verschiedenen politischen Interessen bei der Intendantenwahl zu koordinieren" (FAZ), klar. "Ob der eher konservative Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung, Bernd Hilder, der als möglicher Kandidat gilt, aus Unionskreisen eine Mehrheit erhielte, scheint noch nicht ausgemacht" (Süddeutsche). +++

+++ "Unfassbar!": Ex-FR-Chefredakteur Wolfgang Storz äußert seinen Ärger über die Zuerkennung eines Wirtschaftsjournalismuspreises an die Bild-Zeitung, den er schon auf der Webseite seiner Bild-Studie äußerte (PDF), nun auch im Freitag. Bliebe die Frage, ob der dem Thema nicht zuviel Ehre antut, es ist doch bloß ein Journalistenpreis. +++ Wo Springer ebenfalls gewonnen hat: vorm Bundesgerichtshof gegen Eva Herman. "Die Äußerung lässt im Gesamtzusammenhang betrachtet gemessen an Wortwahl, Kontext der Gedankenführung und Stoßrichtung nur die Deutung zu, die die Beklagte ihr beigemessen hat", so der entscheidende Satz des Urteils (FAZ). +++

+++ Wimbledon gucken? Da entfaltet die FAZ-Medienseite 40 geradezu Servicecharakter: "Was Rupert Murdochs deutschem Bezahlsender bislang in Sachen Fußball nicht gelang, wird nun also beim weit weniger massenträchtigen Tennissport, bei dem deshalb vorläufig niemand ein Recht auf Grundversorgung einklagen mag, einmal vorexerziert: perfekte Exklusivität, an der man nur um den Preis eines kompletten Jahres-Abonnements zu 33,90 Euro pro Monat oder eines 'limitierten Online-Angebots' zu monatlich 24,90 Euro teilhaben kann." +++

+++ Tim Renner war auch beim Medienforum NRW (KSTA). +++ Vom Global Media Forum im benachbatren Bonn berichtet evangelisch.de. +++

+++ Dann noch die Frage der Fragen: Wer wird "Wetten, dass..?"-Moderator. Hans Hoff plädiert auf der SZ-Seite 4 für Hape Kerkeling ("Gottschalks Spuren im Showgeschäft sind zwar unübersehbar, doch auch Kerkeling hat einige hinterlassen. Sie sind nicht gerade klein und führen in eine andere Richtung"). Ralf Mielke wirft in der BLZ die Namen Anke Engelke und Claus Kleber in die Runde und gestattet sich dann den Spaß, deren Chancen in Prozent zu beziffern. Und die TAZ-Kriegsreporterin bescheinigt Gottschalk "Altherrenchauvinismus der Meisterklasse". +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.