Mitten in der ungespannten Erwartung der ZDF-Chef-Wahl gelingt den ARD-Gremien eine bemerkenswerte Programmänderung. Außerdem: wie Kult-Totholz schon vor Erscheinen Herzen erwärmt.
Öffentlich noch nichts los am frühen Morgen auf wired.de, dem wahrscheinlich im Laufe dieses Donnerstags startenden Redaktionsblog zur vorerst einmaligen deutschen Ausgabe der amerikanischen Zeitschrift Wired, dieses "Kultheftes", wie kress.de es nennt (während meedia.de bloß "legendäres Magazin" sagen würde).
Was genau so ein Kultheft ausmacht, beschreibt der Redaktionsleiter der deutschen Ausgabe, der Ex-Handelsblatt-Redakteur und bekannte Totholz-Kritiker Thomas Knüwer, in seinem Blog indiskretionehrensache.de:
"Denn die Wired ist das einzige Magazin, bei dem mein Herz ein wenig schneller schlägt, liegt es in der Post."
Der herzerfrischende Beitrag, der außer von einem journalistischen Herzenswunsch auch von einer anonymen "Herzensdame" erzählt und in den Kommentaren unten drunter von herzlichen Glückwünschen vieler nicht ganz unbekannter Persönlichkeiten des digitalen Deutschland begleitet wird, enthüllt ferner, worauf man im Wired-Redaktionsblog gespannt sein könnte:
"Im Team werden sich auch einige, nicht ganz unbekannte Personen aus dem digitalen Deutschland finden."
Das medienjournalistische, semidigitale Deutschland lebt einstweilen in der ungespannten Erwartung der Wahl des neuen ZDF-Intendanten, um dann morgen am Freitag Thomas Bellut beglückwünschen zu können oder müssen (siehe Altpapier gestern mit Bezug auf den vorangepreschten Tagesspiegel; hinterher preschen heute: FAZ: "Eine einfache Wahl", TAZ: "Wahl ohne Wahl", BLZ, einige Einzelheiten folgen noch).
Mitten in diese Phase, in der mancher Überdruss langjähriger Beobachter des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems wieder zum Vorschein kommt, platzt eine vor demselben Hintergrund erstaunliche Meldung: Zum ersten Mal, seitdem sie 2006 den Wechsel des RTL-Millionarios Günther Jauch in die ARD-Talkshowschiene um einige Jahre verzögerten, strukturell vielleicht zum ersten Mal überhaupt haben die Gremiengremlins - also die Rundfunkräte und Verwaltungsräte - eine Entscheidung der Intendanten und Programmdirektoren nennenswert verändert.
Für womöglich 28 Millionen, zumindest wohl 24 Millionen Euro weniger aus ihren GEZ-Einnahmen als geplant wird die ARD Fernsehrechte an neuen Boxkämpfen in den kommenden Jahren einfkaufen, berichten die WAZ (Pressemitteilung), die Süddeutsche und der EPD. Weil diverse ARD-Gremien angekündigt hatten, dem von den Senderchefs mit der Sauerland Event GmbH ausgehandelten 54 Mio.-Euro-Vertrag nicht zuzustimmen, gab es Nachverhandlungen. "Für die Intendanten ist es ein Schlag in ihr Machtverständnis", schreibt feinfühlig Claudia Tieschky in der Süddeutschen. Dass allerhand ARD-Spitzen wie etwa Volker Herres, der eigentlich immer zu erreichen ist, wenn es ums Verkünden aus seiner Sicht guter News geht, "auf Anfrage nicht zu erreichen" waren, spricht dafür.
Vielleicht also muss man sie noch immer nicht ganz abschreiben, solche schöne Visionen von einem guten, wahren und schönen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, wie sie im Umfeld der ZDF-Intendantenwahl-Zeremonien wieder in Form von Utopien sprießen. In der schönsten "I Have a Dream"-Form formuliert sie natürlich Michael Hanfeld in der FAZ (S. 39, noch nicht frei online):
"Wie wäre es denn einmal mit einem Kandidaten, den sich nicht Ministerpräsidenten ausgeguckt haben? Wie wäre es mit einem Intendanten, der noch einmal fragt, was der öffentlich-rechtliche Sendeauftrag bedeutet? Der meint, dass ein von Gebühren finanzierter Sender nicht einfach alles macht, was Publikum verspricht, auch wenn es das anderswo längst gibt? Der denkt, dass ARD und ZDF sich auf das konzentrieren, was es ohne sie tatsächlich nicht gäbe?"
[listbox:title=Artikel des Tages[Herzenswunsch erfüllt (Knüwer)##Intendanten geboxt (SZ)##Carlo di Fabio gescheitert (TAZ)##Taliban am Handy (Tsp.)]]
Morgen also wird es trotzdem Bellut werden, für den Hanfeld ein hübsch vergiftetes Lob hat (er habe "längst gezeigt, dass er eine gute Wahl ist, er steht für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der keine Grenzen kennt, und genauso will ihn die Mehrheit der Parteipolitiker in diesem Lande, weil sie glaubt, so ihren Einfluss zu wahren"). Die letzte Chance auf einen Gegenkandidaten verpuffte gestern durch die Ablehnung des "Eilantrages eines Bürgers"vor der 4. Kammer des Mainzer Verwaltungsgerichts, wie faz.net berichtet. Die TAZ weiß im o.g. Intendantenwahl-Artikel ein wenig mehr und enthüllt den Künstlernamen des gescheiterten Gegenkandidaten: "Carlo di Fabio" nannte er sich.
Bei einem so klangschönen Namen ließe sich auch gut vorstellen können, dass dieser Kandidat durch eine Late-Night-Show wie "Menschen bei" oder "Kochen mit di Fabio" hätte führen und die Entfremdung zwischen Intendant und Punlikum hätte mildern können.
Altpapierkorb
+++ Allerneuester ARD-Neuzugang, allerdings von der Produktionsfirma Brainpool statt von Herres verkündet: Thomas D, einer der Fantastischen Vier. Er wird an Stefan Raabs Stelle "die Jury-Präsidentschaft" der wieder in Kooperation mit Pro Sieben gesendeten Castingshow "Unser Star für Baku" "übernehmen", die im Frühjahr 2012 die (oder den) neue Lena ermitteln soll (SZ, KSTA/ DPA). "Bei diesem Großprojekt mit dabei zu sein, ist eine phantastische Aufgabe, auf die ich mich sehr freue und die ich sehr ernst nehme", lautet seine Message. +++
+++ Hanfelds Artikel ist natürlich wieder eine große Oper, in der auch "die Veteranen unter den deutschen Medienjournalisten" vorkommen, die bei Markus Schächters Wahl 2002 "nächtelang ... auf dem Mainzer Lerchenberg herumlungern" mussten. Eher die Veteranen unter den Kindernfernsehbeobachtern spricht Jan Freitag auf der SZ-Medienseite 15 an: Einst stand selbst SciFi-Held "'Captain Future' häufig regungslos vor starrem Hintergrund", heute dagegen: "das unerträgliche Gezappel der Super-RTL-Elfen 'Cosmo und Wanda'. ... Und überall steigt der Schallpegel". Das soll die "erbarmungslose Steigerungslogik" belegen, von der der Soziologe Hartmut Rosa spricht und die außer der Gesellschaft auch das Fernsehen beherrsche. So weit, so interessant. Bloß wenn in der Unterzeile steht: "Das ZDF modernisiert 'Biene Maja' und 'Wickie' in 3D - die Minutenkosten liegen fast auf 'Tatort'-Niveau", würde man über diese Minutenkosten gern auch im Artikel etwas lesen. +++
+++ Die Nachbearbeitung des Falls des falschen "gay girl from damascus" (siehe Altpapier vorgestern, Altpapierkorb gestern) wird nun im Tagesspiegel vorangetrieben. So kann ein anonymer Twitterer zu Syrien genauso in New York oder Moskau sitzen wie in Aleppo oder Beirut, schreibt Martin Gehlen unter der Überschrift "Syrische Bloggerin ist 40 und trägt Bart"). +++ 43, ebenfalls mit Bart und in landestypischem Gewand abgebildet: Christoph Reuter, der zumindest vorerst "letzte deutsche Korrespondent in Afghanistan", den der Tsp. daneben vorstellt. Mit den Taliban lasse sich per Mobiltelefon "kurios gut" Kontakt aufnehmen, dass der afghanische Staat gut funktioniere, glaubt Reuter dagegen nicht. +++
+++ An der Schlagzeile des englischsprachigen Reuters-Angebots "Pope's Berlin mass moved to Nazi Olympic site" freut sich Markus Hesselmann auf tagesspiegel.de. +++ Nachdem die Süddeutsche gestern von einem Interview Matthias Matusseks im kölschen Domradio berichtete, berichtet sie heute von noch einem Interview Matusseks im kölschen Domradio. Er "erklärte darin sein Verhältnis zum oft kirchenkritischen Spiegel als einen Spagat, der 'eigentlich äußerst befruchtend' sei", und hat den Begriff "befruchtend" sicher mit Bedacht gewählt. +++
+++ Inzwischen 40 Jahre alt ist "Deutschlands ältester Show-Praktikant" Elton, den Antje Hildebrandt in Barcelona ausführlich vorstellt (BLZ). +++ "Siggi Seepferd und Otto Octopus"? Comicfiguren in aHoi!, der Kinderzeitschrift aus dem Mare-Verlag, von der gerade 110.000 Exemplare erschienen (ebd.). +++ "Das Bye-bye Buchclub bei Deutschlands größtem Medienkonzern kommt wieder ein Stück näher" ( TAZ kurz über Bertelsmann). +++ Der Kika hat sich in Folge des Kika-Skandals "von einem freien Mitarbeiter der Herstellungsleitung getrennt" (SZ). +++
+++ Zu einem gelinden Datenskandal in Dresden, bei dem Journalistendaten öffentlich zugänglich waren, kam es, weil "das Programm der Website die unerwünschte Verknüpfung zu der betreffenden Datei herstellen konnte" (Süddeutsche). +++
+++ Was hält Stefan Niggemeier vom Deutschen Presserat? Weiterhin wenig, aber mit neuen Belegen. +++ "Es gibt genug gute, seriöse Journalisten", sagt Hella von Sinnen (im Rahmen eines KSTA-Interviews anlässlich ihrer neuen RTL 2-Show. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.