Der Fan des Grals

Geld schießt doch Tore, zumindest auf dem Fernseh-Transfermarkt. Aktuelle Meinungen zu Matthias Opdenhövels Wechsel von Pro Sieben zur ARD. Aber auch, wie immer, zur Lage des Journalismus.

Selbstredend können sich Freunde des öffentlich-rechtlichen Fernsehfußballs noch auf in Kürze anstehende laaaange Länder-, Pokalend- und Relegationsspiel-Abende freuen. Doch ihr "heiliger Gral" (Matthias Opdenhövel), die "Sportschau", ging gerade in die Sommerpause. Insofern ist sozusagen jetzt das Transferfenster geöffnet, und die öffentlich-rechtliche ARD hat ab der kommenden "Sportschau"-Saison für die Position, die die - darf man sportinvalide metaphern? - Monica Lierhaus nicht mehr einnehmen wird, vom Privatsender Pro Sieben den "Schlag den Raab"-Moderator und Song Contest-Begleitshows-Mitmoderator (vgl. Foto von 2010) Opdenhövel geholt.

In der gestern herumgeschickten offiziellen Pressemitteilung sagt ARD-Programmdirektor Volker Herres über seine Neuerwerbung: "Die Fußball-Bundesliga schätzt ihn als fundierten Kenner, fairen Interviewer und nicht zuletzt als bekennenden Fan." Und Opdenhövel, der weiß, dass die Journaille nicht umhin kann, so etwas prominent zu zitieren, nennt die "Sportschau" seinen "heiligen Gral". So ist heute auf allen Medienseiten (außer auf der der TAZ natürlich) vom Gral die Rede.

Am begeistertsten bündelt der Kölner Stadtanzeiger die allgemeinen Überschwänglichkeiten. Am (relativ) dramatischsten schildert dwdl.de, wie professionell Pro Sieben mit der Abwerbung umgeht und Opdenhövel sozusagen vorzeitg vom Raabshow-Dienst freistellt.

Und am strukturell kritischsten beleuchtet die Süddeutsche Zeitung die Sache. Sie hatte schließlich noch kürzlich eine heilige Lanze für eine dauerhafte Verpflichtung des Lierhaus-Ersatzspielers Claus Lufen gebrochen.

Andererseits könnten die "Sportschau"-Entscheidungsträger auch durch die Süddeutsche erst auf die Idee mit Opdenhövel gekommen sein. Hatte er doch anno 2009 zu dieser gesagt, um die Sportschau moderieren zu dürfen, nähme er sich "sogar einen Fuß ab." Heute aber fragen ebd. Christopher Keil und Hans Hoff: "Wer hätte gedacht, dass Fan-Sein eine Eigenschaft ist, die befähigt, die Sportschau zu moderieren?" Das lasse für den Sportjournalismus, um den es sich bei der Sportberichterstattung vor einiger Zeit im Prinzip noch handelte, Schlechtes befürchten:

"Die ARD steuert durch die Verpflichtung Opdenhövels ausgerechnet die Unterhaltungssendung weiter Richtung Show, für die das Bundeskartellamt Vermarktungsschranken setzte, um sie den Menschen zu erhalten."

Außerdem weist die Süddeutsche auf das ihrer Ansicht nach "noch nicht richtig thematisierte" Problem des Champions League-Deals des ZDF hin, also darauf, dass "ein öffentlich-rechtlicher Sender einen bestimmten Sportrechtemarkt mit Gebührengeld beherrschen" kann.

Zumindest an der FAZ-Medienseite liegt's nicht, wenn es an der Thematisierung hapert. Sie thematisiert das Problemumfeld an ungefähr jedem zweiten Tag. Heute fokussiert dort Michael Hanfeld auf die Zukunft der Bundesliga-Fernsehrechte. Ende dieses Jahres werde für die Zeit ab 2013 verhandelt, und seit der Opdenhövel-Verpflichtung dürfte "endgültig klar sein, dass die ARD alles daran setzen wird, die Rechte an der Fußball-Bundesliga zu behalten". Auch wenn sie derzeit "rund hundert Millionen Euro aus Gebührengeldern ...pro Saison" dafür zahlt, von denen sich "weniger als die Hälfte ...nach Expertenschätzungen durch Werbung wieder einspielen" ließe.

Am schäumendsten zeigt sich heute Joachim Huber vom Tagesspiegel. Er nennt die ARD "Allgemeine Rentenanstalt Deutschlands" und zürnt:

"Die ARD hat Nachwuchs in den Landessendern, den sie nicht kennen, nicht fördern will. Sie hat etwas viel Tolleres: Sie hat Geld, sehr viel Geld. Einkaufen statt ausbilden, das ist die Devise. Mit Euros jedes Risiko totkaufen."

Weil der Berliner Tagesspiegel aber über ein großes Herz fürs Fernsehen verfügt, gibt's dort überdies ein neutrales Kurzporträt Opdenhövels. Das porträt-igste Porträt des "gebürtigen Detmolders" jedoch bietet die Berliner Zeitung. Marcus Bäcker gibt einen Überblick über "die Niederungen der Branche", die Opdenhövel seit 1994 intensiv kennenlernen durfte, und erinnert auch daran dass, die er für die ARD-Anstalten dank eines "vor zwölf Jahren ...bei der WDR-Jugendwelle 1Live" gegebenen Gastspiels "fast ein Eigengewächs" sei. Eine (indirekte) Einschätzung des Pro Sieben-Nachfolgers für Opdenhövel, Steven Gätjen, ist gar auch noch enthalten: "Im Gegensatz zu seinem Nachfolger hat Opdenhövel Witz, Esprit und Haltung".

Solche Eigenschaften wird Opdenhövel sich abgewöhnen müssen, wenn er wirklich neben Reinhold Beckmann bestehen möchte.

[listbox:title=Artikel des Tages[Was Opdenhövels Verpflichtung bedeutet (SZ)##Wer Opdenhövel nochmal ist (BLZ)##Bissingers Journalismuszukunft (Carta)##Aktham Suliman-Porträt (Tsp.)##]]

Damit noch rasch in die höheren Sphären desselben Gewerbes. Wer wähnte, die Debatte prominenter Elche um die Posse des dem Spiegel-Redakteur René Pfister aberkannten Henri-Nannen-Bambis, habe sich endlich dem Ende zugeneigt, wird heute schon wieder in der FAZ (S. 31) eines anderen belehrt.

"Häme, Hybris und die Lust an der Skandalisierung vernebeln die Debatte; so ist das Leben", schreibt in einem 8770-Zeichen- ähm... -Essay der Henri-Nannen-Journalistenschulen-Leiter Andreas Wolfers. Zur Crux des ominösen Einstiegs, also Fragen der Berechtigtheit von Preiseinreichung, - zuerkennung und -aberkennung (siehe viele Altpapiere der letzten zwei Wochen, z.B. dieses) meint Wolfers am Ende sozusagen salomonisch:

"'Die Eisenbahn ist ein Modell von Seehofers Leben', heißt es gleich zu Textbeginn - doch ausgerechnet diese Bahn kennt der Autor nur aus Schilderungen Dritter. Das ist weder unredlich noch unzulässig, nur ein kleiner handwerklicher Makel. Aber ein Text, der als beste Reportage des Jahres ausgezeichnet werden soll - wofür laut offiziellem Statut auch Porträts in Frage kommen -, solch ein Text muss 'vorbildlich' sein und 'besondere Anforderungen erfüllen', erklärte die Jury. Die Mehrheit ihrer Mitglieder fasste daher den Entschluss, den Preis abzuerkennen. Der Streit, ob das harte Urteil notwendig oder völlig überzogen ist, hat sich nun verbreitert in eine Debatte über einige Grundregeln des Journalismus. Das kann nur hilfreich sein, gerade für einen Berufsstand, dem es schwerfällt, ab und zu auch mal sich selber und sein Handwerk in Frage zu stellen."

Genau. Mehr Journalismusdiskussionen - das ist's, was der Journalismus jetzt braucht.


Altpapierkorb


+++ Viiiiel feuriger als Wolfers und weit mehr als doppelt so lang geht in die gleiche Richtung Manfred Bissinger voran. Fünfzehn allgemeine Journalismuszustandsthesen aus der "diesjährigen Buchausgabe des Henri Nannen Preises" publiziert Carta online. "Warum ist ebay keinem Verlag eingefallen?", und: Lassen sich Zeitungen wie Schraubenfabriken managen? - sind nur zwei der Fragen, mit denen Bissinger seine Zielgruppe wachrüttelt. Erwähnenswert ferner die gewitzte Alliteration "Blogger-Blähungen", die Bissinger "sogenannten Leser-Reportern" zuschreibt... - kurzum: Der Diskurs vieler durchaus verdienter Veteranen des Journalismus hinkt hinter der Entwicklung sowieso hinterher, aber Bissinger könnte ihn noch zurückwerfen. +++ Wer partout durchnummerierte Journalismuszustandsthesen lesen möchte, sollte lieber zu denen (zwei mal fünf) der früheren Altpapier-Autorin Katrin Schuster klicken. +++

+++ Nicht in Thesen-, sondern in Interviewform äußert sich Bernd Ziesemer, Ex-Handelsblatt-Chef sowie aktuell (als Nachfolger Bissingers) Chef bei Hoffmann und Campe Corporate Publishing, zur selbsen Sache. "Insofern glaube ich, so traurig das ist, viele Medienunternehmen in Deutschland sind nicht gut gemanagt", und "Es gibt da viel gepflegte Heuchelei in unsere Branche. Weil Chefredakteure viele Dinge mitkriegen, über die sie nie reden. Mich erinnert das immer an den Grundsatz der italienischen Mafia. Der lautet: Die, die reden, wissen nicht und die, die wissen, reden nicht.", sagt er z.B. im epd-medien-Interview. +++ Wie wir darauf kamen? Via TAZ-Kriegsreporterin, die sich aber auch selbst mit der Lage des Journalismus befasst ("Das Ausmaß, mit dem manche Medien über den ESC berichteten, scheint die inhaltliche Krise dieser Häuser zu spiegeln..."). +++

+++ Was FAZ-Frankreich-Korrespondent Jürg Altwegg wiederum an o.g. Mafia erinnert: Der Umgang von Frankreichs Presse mit einflussreichen Politikern. Für diesen sei der Fall Strauss-Kahn "ein Menetekel: Zu lange wurden mit Hilfe des eigentlich vorbildlichen Persönlichkeitsschutzes im Land Zustände kaschiert, die aufgedeckt gehörten." Nur in der Provinz, z.B. in den "Dernières Nouvelles d'Alsace“ verhalte es sich anders. +++ "Die Pressefreiheit schützt eben nicht nur jene, die moralisch hochstehende Ziele verfolgen, sondern auch solche, die niedere Instinkte bedienen" (Stefan Winterbauer bei meedia.de über den Otti-Fischer-vs-Bild-Zeitungs-Prozess). +++

+++ Das Internet wird immer voller und voller? Ja schon, aber manchmal auch leerer. Die Deutsche Telekom stellt ihre Portale 3min.de und tvister.de (fürs Fernsehprogramm) ein, berichten basicthinking.de und dwdl.de. Wo sich die Einstellung des Webserien-Portals 3min.de schon abzeichnete: in einem an einem Wochenende neulich auf SPON versendeten (und - disclaim - von mir verfassten) Artikel über Webserien-Regisseur Daniel Hyan. +++

+++ Claus Graf von Stauffenberg in einer Reihe mit Che Guevara? Jawohl, zumindest an der Pinnwand vorm Schreibtisch des Berliner Al Dschasira-Korrespondenten Aktham Suliman. Den porträtiert der Tagesspiegel, und weil Sonja Pohlmann den Bogen kriegt vom "Big Eden“, in dem Suliman früher Garderobier war, bis zum Tahrir-Platz ("Die Freude auf dem Tahrir-Platz zu erleben, war wie Viagra für meine Seele"), ist das lesenswert. Bloß das Foto dazu irritert ein wenig. Hier z.B. lässt sich der keineswegs selten befragte Suliman besser erkennen. +++

+++Gemächlich geht es in der Medienpolitik voran. Das Bundesverfassungsgericht "wird voraussichtlich erst im kommenden Jahr über die Klage gegen den ZDF-Staatsvertrag entscheiden" (Süddeutsche unter der Überschrift "Brender 2012"). Auch "noch lange nicht beendet": Aufklärungsarbeiten und "Ursachenforschung für diesen größten Betrugsfall in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens", also die Kika-Affäre (ebd., knapp und frei online dazu die TAZ). +++

+++ Was war nochmal AOL? (BLZ) +++ Und wer ist noch mal Ingolf Lück? (ebd. Interview von Antje Hildebrandt). +++ In wievielter Generation ist die Bertelsmann AG ein Familienunternehmen? (Tsp.)
+++

+++ Erwartungsgemäße Zufriedenheit herrscht beim ZDF mit dem Fernsehkrimi-Internet-Experiment "Dina Foxx" (siehe Altpapier), auch wenn die "Kleines Fernsehspiel"-Chefin Claudia Tronnier im TAZ-Interview sagt, sie hätte "auf die Verlängerung beim Fußballspiel Real Madrid-FC Barcelona vorher gut ...verzichten können", die die TV-Ausstrahlung verzögerte. Denn die Online-Community "kam der Lösung schneller bedrohlich nahe, als wir gedacht hätten, sodass unser Team noch eifrig improvisieren musste und den Live-Charakter des Spiels so noch gestärkt hat." Also den Live-Charakter des Krimirate-, nicht des Fußballspiels. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am  Donnerstag.