Was wird nach dem scheinbaren Daten-Kontrollverlust aus Wikileaks? Warum die Deutschen angeblich Angst vorm Internet haben. Und wie man bei Facebook austritt.
Auf die für April angekündigten Julian Assange-Memoiren von Random House (Bertelsmann) wird ebenso weiter gewartet wie auf - von der Gegenwart aus betrachtet wichtiger - künftige Wendungen in Assanges Vita, also Entscheidungen über seine eventuelle Auslieferung nach Schweden und in die USA.
Heraus kamen dagegen kürzlich 765 neue Wikileaks-Dokumente (SPON) zum US-amerikanischen Gefangenenlager Guantanamo. Diese Daten werden gerade je nach Weltanschauung und Wertschöpfungsmodell interpretiert (und enthüllen z.B. auf bild.de, dass nicht alle nach Guantanamo Verschleppten unschuldig sind: "Laut britischem Telegraph, der vorab aus den Wikileaks-Berichten zitiert, gelten 220 der insgesamt 779 Guantánamo-Häftlinge als gefährliche Extremisten!").
Wie diese Daten nicht wie geplant, sondern vorzeitig in die Weltmedien gelangten, berichten zwei deutsche Zeitungen: die FAZ auf ihrer Medienseite (nun auch) frei online und die Süddeutsche nur online.
Eigentlich geplant gewesen sei eine "konzertierte Medienaktion mit sieben Partnern" von Wikileaks (sueddeutsche.de) oder sogar neun, wie Detlef Borchers in der FAZ aufzählt (Washington Post, Miami Herald, El País, Telegraph, Spiegel, Le Monde, Aftonbladet, Repubblica, L’Espresso). Journalisten dieser Medien saßen offenbar gerade an der Auswertung des ihnen exklusiv zur Verfügung gestellten Materials. "Doch dann ging alles hopplahopp" (Borchers), weil die New York Times und der britische Guardian, die früher zu Wikileaks' Top-Partnern gehörten, "dann aber in Ungnade fielen" und gar nicht zu den aktuell eingeweihten zählten, es dennoch veröffentlichten.
"Domschiet, NYT, Guardian, attempted Gitmo spoiler against our 8 group coalition. We had intel on them and published first", lautet ein viel verlinkter, (vermutlich) offizieller Wikileaks-Tweet. Bei "Domschiet" handelt es sich um eine Verunglimpfung (FAZ) des Namens des Wikileaks-Dissidenten Daniel Domscheit-Berg, der selbstredend nun gern Auskunft gab. Gegenüber Johannes Kuhn von sueddeutsche.de dementierte er "energisch, in den aktuellen Fall verwickelt zu sein", gegenüber der FAZ wies er "auf die Gefahr hin, dass nicht ausreichend gesichtete und gesäuberte Dateien im Konkurrenzkampf der Medien veröffentlicht werden könnten".
Klar jedenfalls, dass die einst Wikileaks zugespielten Daten noch einmal anderen zugespielt wurden, denen die aktuellen Wikileaks-Leute sie eigentlich nicht zuspielen wollten. Dass der Daten-Kontrollverlust sich also fortsetzt. Die hiesigen Beobachter sehen darin keine für Wikileaks gute Entwicklung. "Das letzte Hurra" lautet die Überschrift bei sueddeutsche.de ("Mit den Veröffentlichungen ist Wikileaks wahrscheinlich seine vorerst letzte große Militärenthüllung gelungen").
Unter "Das letzte Lebenszeichen?" sieht es zeit.de einen Tick optimistischer. Nur "in dem Maße, in dem es Wikileaks mit dem noch vorhandenen unveröffentlichten Material gelingt, die Spendenbereitschaft wieder anzuheizen, bleibt das Projekt überlebensfähig", schreibt Bochers in der FAZ. Er hat noch anderes Datenmaterial analysiert, nämlich den "Transparenzbericht 2010" der Wau-Holland-Stiftung (online einfach: wauland.de) zu ihrem "Projekt 04: Informationsfreiheit verteidigen", das zu den wesentlicheren Wikileaks-Finanzierungsquellen zählt. Darin sei
"gut zu erkennen, dass die Spendenbereitschaft immer dann anstieg, wenn Wikileaks im Zusammenspiel mit den Medien eine spektakuläre Veröffentlichung lanciert hatte. ... Rund 54.000 Euro wurden vor den Botschaftsberichten im November 2010 gespendet, während im Dezember 500.000 Euro zusammenkamen."
Immerhin geben die Rollen, die Wau Holland posthum und Domscheit-Berg genregemäß undurchsichtig in der verzwickten Sache spielen, Deutschland einen Hauch von global-digitaler Bedeutung. "Warum spielt Deutschland in so vielen Branchen eine Vorreiterrolle nicht aber in der digitalen Welt?", lautet die (von der Digitalen Gesellschaft entliehene) Unterzeile, die jetzt.de für seine Online-Publikation eines weiteren heutigen Süddeutsche-Feuilletons wählte. Dieses befasst sich noch einmal mit jener Gesellschaft sowie aktuellen Büchern, darunter auch dem ganz neuen und angstfreien des Altpapier-Autors Klaus Raab ("Wir sind online - wo seid ihr?", auch Bertelsmann).
"Denn gegen die deutsche Angst hilft nur die deutsche Normalität. In den USA haben die Stimmen aus dem Netz längst aufgehört, gegen die alten Ordnungen zu wettern. Weil sie wissen, dass es längst eine neue gibt", schreiben Michael Moorstedt und Jan Füchtjohann dennoch am Ende. Sie hätten natürlich bloß noch in ein paar andere deutsche Neuerscheinungen reingucken und dann einen völlig anderen Artikel schreiben können. Aber man kann ja - auch das ein Digitalproblem - weniger denn je alles lesen.
[listbox:title=Artikel des Tages[Das Wikileaks-Datendrama (sueddeutsche.de)##...in der FAZ##Die deutsche Digitalangst (SZ)##Großer Datenfrühjahrsputz (FR/ BLZ)]]
Wessen Weltanschauung an diesem Mittwoch dennoch oder gerade zu digitaler Skepsis neigt, vielleicht auch unterm Eindruck weiterer tagesaktueller Gadget-Headlines ("iPhone ortet immer und überall" usw., oder auch "Hacker stehlen Millionen Sony-Kundendaten/ ... einer der größten Datendiebstähle der Geschichte"), für den hat die BLZ/ FR-Kolumne "Verlinkt" heute einen nutzwertige Tipps zum "Datenfrühjahrsputz auf digitalen Geräten" bereit.
Dies zum Beispiel, wirklich schwer zu finden, ist der Link, um sich von Facebook abzumelden. Den übrigens auch Leute, die überhaupt nicht bei Facebook angemeldet sind, nutzen können.
Altpapierkorb
+++ "Wenn ich Zeitung lese, stoße ich immer wieder auf einen mit feuilletonistischem Hochmut geschriebenen, grammatisch korrekten, aber unendlich komplizierten Satz, bei dem man nach 41 Wörtern ahnt, was der Schreiber gemeint haben könnte." Solche Sachverhalte in nur 33 Wörtern auf den Punkt bringen zu können, das zählt zu den Leistungen des künftigen Nannen-Preis-Trägers Wolf Schneider. Aus diesem Anlass interviewte ihn Ulrike Simon (BLZ/FR) und stellte u.a. die Frage "Sehen Sie jemanden, der eines Tages in Ihre Fußstapfen treten könnte?" +++
+++ Zurück nach Digitalien: "Wer Fernsehen zu Hause über Satellit empfängt, sollte prüfen, ob er nicht längst digital fernsieht. Das lässt sich unter Umständen schon am Programmangebot ablesen...", bieten die Nutzwertfüchse vom Tagesspiegel guten Rat gegen eventuell in einem Jahr drohende schwarze Bildschirme (siehe Altpapier gestern). Weiteres zur Satelliten- und Kabel-TV-Lage (im Kabel wird auch über 2012 hinaus analog gesendet) bei dwdl.de. +++ Noch ein neues Facebook-Dings: der "Senden"-Button, der bislang auf vielen Webseiten eingebaute "Weiterempfehlen per Mail"-Tools ersetzen soll (Tsp., kress.de). +++
+++ Zweimal Hanfeld heute auf der FAZ-Medienseite 33: Einerseits argumentiert er fundiert gegen rheinland-pfälzische SPD-Pläne eines ARD-Jugenddigitalkanals an ("Und ganz nebenbei: Man muss nur einmal einen Blick auf das Osterprogramm am Hauptabend zum Beispiel von ARD und Sat.1 werfen, um zu erkennen, wie falsch Stadelmaier mit seiner Pauschalkritik liegt: Der private Sender hat Familienfilme gezeigt, der öffentlich-rechtliche einen Krimi nach dem anderen".) +++ Andererseits erhebt er in einem Glösschen Jörg Pilawa zum Favoriten für die Gottschalk-Nachfolge bei "Wetten, dass..?". +++
+++ Die Idee, bei der "bedeutendsten Liveschalte seit der Explosion der 'Challenger'", also der Royals-Traumhochzeit, mit dem einen Auge das sog. Erste und mit dem zweiten das Zweite anzuschauen, könnte Hanfeld glatt von Silke Burmester übernehmen, die damit ihre heutige TAZ-Kriegsreportage einleitet. +++ "Wann die rund 1900 bürgerlichen und adeligen Zeugen der Zeremonie in der altehrwürdigen Königskirche eintreffen, wissen sogar die Leser der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung'. Das Blatt, das bisher selten durch boulevardeske Neigungen aufgefallen war, berichtet seit Wochen über jedes noch so banale Detail rund um die Hochzeit des Jahres..." (FTD über dasselbe Ereignis). +++
+++ Zur irgendwann bevorstehenden Bundesverfassungsgerichts-Entscheidung über amtierende Politiker in den Aufsichtsgremien des ZDF, liegt jetzt eine offizielle Sprachregelung der Sender-Führungsetage vor. "Ich gehe wie ZDF-Intendant Markus Schächter davon aus, dass Karlsruhe für Klarheit sorgen wird. Als Journalist und als Chefredakteur halte ich es für richtig, dass das Verfassungsgericht unsere Kontrollstrukturen unter die Lupe nimmt", so Chefredakteur Peter Frey zur DPA (Tsp.). +++
+++ Heute um 0.35 Uhr zeigt das Zweite eine Reportage, welche die TAZ anzuschauen empfiehlt. +++ Die Frage der Monica-Lierhaus-Nachfolge in der ARD-"Sportschau" treibt Christopher Keil von der SZ-Medienseite um. Wird der Lierhaus-Vertreter Claus Lufen, 44, "charmant, kenntnisreich, ein bisschen sehr locker manchmal", jetzt übergangen? +++ Noch-ARD-Entertainer Kurt Krömer hat nach eigenen Angaben beim Dreh seines Kinofilms "Eine Insel namens Udo" in einer Szene "wirklich geweint, es sei sehr emotional gewesen" (Tsp.). +++
+++ "Europas Zeitung des Jahres" ist die dänische Politiken (KSTA). +++ Einen Überblick über die Lage arabischer Zeitungen zwischen Bahrein und Libyen gibt die Süddeutsche (S. 15). +++ Und wie "fünf Jahre nach dem Mord an ihrem Vater ...die junge Verlegerin Nayla Tueni weiter für einen freien Libanon" eintritt, schildert die FAZ-Medienseite. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.