Am Altar der digitalen Coolness

Neue Giganten am Institutionenhimmel: Wir begrüßen die Content Allianz und die Digitale Gesellschaft. Außerdem: der druckerschwarze Ernst des Medienwandels.

Gestern mittag im Dali-Museum am Leipziger Platz, einem der befremdlichsten Plätze in Berlin-Mitte, saßen sieben Herren sowie die ARD-Vorsitzende Monika Piel recht gedrängt (Foto) und gedeckt gekleidet, in einem kleinen Raum einer ebenfalls gedrängten Presseschar gegenüber und waren sich bewusst, dass es so etwas noch nie gab: so viele Vertreter von wirkungsmächtigen Interessenverbänden und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die gemeinsame Sache machten. Ja, die Gründer der "Deutschen Content Allianz" (Gründungsdokument mit Originalunterschriften/ PDF) hatten sogar noch Glück, dass die , wie es hieß, mit ihnen inhaltlich völlig einigen Vertreter der Presseverlegerverbände VDZ und BDZV "wegen noch bestehenden formalen Abstimmungsbedürfnisses" fernblieben. Sonst wäre es noch enger gewesen.

"Vorfahrt für die Medien!" forderte Jürgen Doetz, Präsident der Privatsender-Lobby VPRT und sozusagen spiritus rector der Initiative. Was die DCA nun tun möchte? Z.B. "Gespräche suchen an geeigneter Stelle" (Piel) oder "in Gesprächsterminüberlegungen eintreten" (ZDF-Intendant Markus Schächter) mit Brüssel. Was der Content solcher Gespräche sein könnte? Z.B. der Hinweis, "dass unsere Inhalte das Gelingen einer demokratisch verfassten Gesellschaft begünstigen können" (Alexander Skipis vom Börsenverein des deutschen Buchhandels). Die routinierten Formulierungen zeigten, dass die hohe Schule eines durchsetzungskräftigen Lobbyismus beisammensaß. "Einige werden es als Kriegserklärung verstehen", sagte der alte Kämpe Doetz. Und gleich der erste Kommentar zur netzpolitik.org-Meldung gab ihm recht.

Gerade Dieter Gorny allerdings, bzw., so viel Zeit auf dem Namensschild muss sein, Prof. Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Musikindustrie e.V. und der mit Abstand juvenilste Performer auf dem Podium, sagte in den blumigsten Sätzen zur ernsten Lage dennoch Bedenkenswertes. Sichtlich litt er darunter, immer "automatisch retro" zu erscheinen , wenn es um Inhalte statt Technik geht, und das bloß der "modernistischen Meinung einer Minderheit" wegen. Sein Ausweg: "die Metaebene einer Kulturdebatte". Schließlich dürften die ökonomischen Chancen der Kreativindustrie (Fachbegriff vor allem aus Beratschlagungen mit Klaus "Wowi" Wowereit) "nicht auf dem Altar digitaler Coolness geopfert werden".

Wäre Gorny nicht kurz darauf, als er als konkretes Beispiel für richtige Entwicklungen die Vergabe alter Beatles-Songs an den iTunes Store nannte, in die Apple- und die Retro-Falle zugleich getappt, ausgerechnet er hätte durchaus Eindruck gemacht.

Damit zum Medienecho auf die DCA-Gründung: Joachim Huber vom Tagesspiegel, selbst anwesend, bringt Gornys Altar-Zitat und meint dann: "Ausgesprochen hat es so keiner, aber der Eindruck einer Anti-Netzbetreiber-Allianz konnte entstehen." Bloß, was haben denn in Deutschland tätige Netzbetreiber mit Coolness zu schaffen? Treffender das Snippet, das Robin Meyer-Lucht (Carta) putzig aus Hubers Artikel aggregiert:

"In der Tat versammelt die Content Allianz vor allem jene, die man gemeinhin als Verwerter bezeichnet. Ihr Bündnis richtet sich tendenziell gegen jene, die zwischen diesen Content-Anbietern und dem Endkonsumenten stehen ... - also Provider, Aggregatoren und Suchmaschinen. Ob zufällig oder nicht: Die Deutsche Content Allianz versammelt eher die klassischen Medienindustrien - die Sache riecht ein wenig nach Dinosauriertum."

Am ausführlichsten gibt Stefan Krempl auf heise.de Äußerungen der anwesenden DCA-Würdenträger wieder. "Die breite Zusammensetzung der Lobby-Einheit ist vielleicht aussagekräftiger als ihr noch vages Programm", meint die Süddeutsche kurz. Denn "es waren die Vertreter von Organisationen, die ansonsten eher wenig freundliche Worte füreinander übrig haben" (FAZ, S. 35, noch kürzer). "Konkrete Forderungen gab es noch nicht" (meedia.de).

Damit einen Katzensprung vom Leipziger Platz hinüber zur Friedrichstraße, an die unmittelbaren Altäre digitaler Coolness, zur re-publica.

Den stimmungsvollsten Papierzeitungs-Stimmungsbericht bringt der Tagesspiegel, der den einleitenden "Mettmob" (in "einer Metzgerei auf der anderen Seite der Friedrichstraße") ebenso würdigt wie den FDP-Generalsekretär Christian Lindner als "Grußwortgeber" einer inoffiziellen Eröffnungs-Podiumsdiskussion und natürlich die offizielle "Videowall", auf der Twittermeldungen wie "Schweres Nerdbeben in Berlin" das Plenum angeblich erheiterten.

"Topthema" des gestrigen ersten Tages war natürlich (siehe Altpapier gestern) die Gründung von Markus Beckedahls Digitaler Gesellschaft. Die Gründungs-Pressemitteilung zeigt, dass es dieser nicht nur um die gleichen Themen geht wie der Content Allianz, sondern auch um die gleichen Adressaten:

"Dabei ist nicht nur die deutsche Politik im Visier der Internetaktivisten. Gerade die Europäische Union verabschiedet immer wieder Gesetze, die alle Internetnutzer betreffen. Dies betrifft zum Beispiel die anstehende Überarbeitung der Datenschutzrichtlinie oder die Maßgaben für die Netzneutralität im Internet."

Weiterhin wird die Digitalen Gesellschaft von netzaffinen Journalisten wohlwollend begrüßt,
vom Altpapierautor Klaus Raab bei freitag.de, von Detlef Borchers bei faz.net (und kürzer in der Papier-FAZ), kritisch-vergleichend bei heise.de. SPON spendiert guten Rat zum Durchklicken ("Wie unsere Netzaktivisten sein sollten").

Die Berliner Zeitung widmet der re:publica ihre Tagesthema-Seite, auf der die launige Reportage ("Der Kaffee-Dealer kennt seine Pappenheimer, und wahrscheinlich fragte er deshalb gestern morgen einen der jungen Männer vor seinem Stand: 'Warum müsst ihr euch eigentlich noch treffen? Ihr habt doch das Internet'.") leider arg kurz gerät. Außerdem - altes Problem der Berliner Zeitung - macht dieses Tagesthema online wenig her.

[listbox:title=Artikel des Tages[Brennpunkt FR-Sachsenhausen (TAZ)##Coolness-Brennpunkt Berlin-Mitte (Tsp.)##DCA-Gründungs-Pressekonferenz (heise.de)]]

Aber das soll sich ja ändern, seit Jahren schon. Damit noch rasch zum druckerschwarzen Ernst des Medienstrukturwandels. Während der in Berlin-Mitte in cooler oder eher gedrückter Stimmung diskutiert wurde, ist Steffen Grimberg in Frankfurts Apfelweinstadtteil Sachsenhausen gereist und hat eine echte Reportage zum mutmaßlichen Untergang (Strukturwandel?) der Frankfurter Rundschau geschrieben.

Hat sich durchs (im Vergleich mit dem des Berliner Verlags) noch vergleichsweise wirtliche Foyer, in dem "Glaskästen, ...das Sortiment des FR-Shops feilbieten. Ostervorfreude ist angesagt" in die Redaktionsstuben durchgeschlagen. Mit den Chefredakteuren Joachim Frank und Rouven Schellenberg konnte er nicht sprechen. "Die beiden leiden, was für ihre menschlichen Qualitäten spricht", hieß es in der Redaktion.

Frank wird jetzt Chefkorrespondent, Schellenberg "bleibt immerhin als Chef übrig und in Frankfurt. Er soll in Zukunft den Online-Bereich verantworten. Wieviel Sinn es macht, dass dann zwischen Online- und Printredaktion rund 550 Kilometer liegen, kann man derzeit aber auch ihn nicht fragen."


Altpapierkorb

+++ Geradezu eine Content-Explosion heute im Medienjournalismus. Die alte Tante Die Zeit, eigentlich medienseitenfrei, macht mit dem Thema "Was Journalisten anrichten" auf und enthält allerlei Journalismusjournalismus. Hier erklärt der nette Talkshowmoderator Chefredakteur Giovanni di Lorenzo im Video, warum das nötig sei, obwohl es "ein bisschen an Nestbeschmutzung grenzt". Hier aggregiert meedia.de, was Die Zeit so schreibt. Frei online steht bereits dieser Bericht von Jörg Burger, Adam Soboczynski und Wolfgang Büscher aus ihren Reporterleben. +++

+++ Anlässlich eines mitteleuropäischen Blogproblems springt die Süddeutsche dem FAZ-Autor Maximilian Steinbeis bei, der wegen eines Artikels über Ungarns neue Verfassung in der deutschsprachigen Budapester Zeitung angegriffen wurde. Weiß man dort nicht, "was ein Internetlink ist"? Falls Sie in dieses Thema eintauchen möchten: Um diese Artikel der FAZ, der Budapester Zeitung (mit vielen Steinbeis-Kommentaren drunter) geht es. +++

+++ Nicht jedes neue Buch eines Journalisten beschäftigt sich mit der digitalen Gesellschaft oder Zukunft. Um Vergangenes geht es im Buch "Enttarnt" des Spiegel-Redakteurs Peter Ferdinand Koch. Für die FAZ (S. 35) entnahm Michael Hanfeld daraus die Info, dass Hans Otto Wesemann, Deutsche Welle-Intendant in den 1960ern, ein Agent sowjetischer Geheimdienste war (die ihn "mit seiner Vergangenheit als Gestapo-Agent in der NS-Zeit" erpressten) und ermahnt die heutige Deutsche Welle zu rascher Aufarbeitung. +++

+++ Für die Berliner Zeitung interessiert sich Andreas Förster eher dafür, "wie eng das Magazin Der Spiegel in seinen Anfangsjahren mit NS-Tätern kooperierte". Dass das eigentlich schon lange bekannt ist und bloß wenig beachtet wurde, schreibt Förster aber auch. Wer daher wieder genannt wird: Lutz Hachmeister (deckte in seinem Buch "Die Herren Journalisten" 2002 vieles erstmals auf). +++ Hachmeisters Text (mit Thomas Vesting) aus der aktuellen Funkkorrespondenz zum Strukturwandel bzw. "Elend der Medienpolitik", der am Montag Thema im Altpapier war, ist derzeit auch in voller Länge frei online zu lesen. +++

+++ Zum darin eingangs erwähnten "Wedding-Event" der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien hat Carta inzwischen nachgefragt und zugespitzt: "Wedding-Sause auf Kosten des Gebührenzahlers". Vielleicht aber lässt sich entlastend berücksichtigen, dass der LfM-Chef (Nachfolger des Aphorismenkönigs Norbert Schneider) den schönen Namen Jürgen Brautmeier trägt. +++

+++ "Gute alte bleierne Zeit": In der TAZ äußert sich auch noch Zeitzeuge Klaus-Peter Klingelschmitt zur Frankfurter Rundschau. +++

+++ Jetzt zum Fernsehcontent: Empfohlen wird heute "Florence Fight Club" im WDR-Fernsehen (23.15 Uhr) in der TAZ und begeisterter in der Süddeutschen: "Das Erfreulichste an diesem Film ist seine Haltung - dem eigenen Sujet und den Spielern gegenüber. Luigi Perotti nimmt den Florentiner Fußball ernst, ohne ihn zu überhöhen oder lächerlich zu machen. Man will sich gar nicht vorstellen, was mancher deutsche Fernsehregisseur aus dem Stoff gemacht hätte". +++ Was deutsche Fernsehregisseure so machen, würdigt die Süddeutsche aber auch ausführlich, und zwar "Marie Brand und die Dame im Spiel" mit einer enigmatischen Else-Buschheuer-Besprechung. +++ Einmal eine gute Nachricht von der Quotenfront: Das ZDF erlebte am Dienstag "ein völliges Quoten-Desaster" (dwdl.de) mit seiner ganz besonders erbärmlichen "Dokumentation" "Dracula - Das Vermächtnis des Grafen" (vgl. TAZ neulich). +++

+++ Sonstige Mediengattungen: "Herr Gless, die Jugendzeitschrift 'Yuno' erscheint nach zwei Probeausgaben von Donnerstag an regelmäßig im Zweimonats-Rhythmus. Was sind die wesentlichen Gründe dafür?", fragt der Tsp. den zuständigen Redaktionsleiter. +++ Und ein Text zur Zukunft des Radios in der TAZ. +++
 

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.