Oder wenigstens Allianzen. Zum Start der re:publica tut sich was unter digitalen Headbangern, aber auch "hochrangigen" Würdenträgern. Außerdem: die neuen Medienkonzern-Charts.
Einer der zehn besten Tipps für Onliner, sich möglichst viele Klicks zu sichern, besteht darin, Überschriften mit Superlativen zu gestalten, die Lesern/ Klickern besonders schnelles, amüsantes oder nutzwertiges Überblickswissen versprechen.
"Die besten" (z.B. aktuell: Tricks gegen Fruchtfliegen, Flottenautos - also nicht Tricks gegen, sondern: die besten Flottenautos), "die peinlichsten" (z.B. SMS-Pannen), "die größten" (z.B.: Zahnarzt-Muffel), so was geht online immer.
Hier in der seriösen Mediennische interessant und nutzwertig: die 50 größten Medienkonzerne. Das neue Ranking des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik ist kürzlich erschienen. "Zu den Gewinnern 2010 zählt insbesondere das brasilianische Medienkonglomerat Globo. Das Unternehmen konnte seinen Umsatz um rund zwei Milliarden auf 10,4 Milliarden brasilianische Reais steigern (4,46 Mrd. Euro) und kletterte von Rang 36 auf Rang 27", heißt es im Chartskommentar.
Stärker interessieren vielleicht die deutschen Konzerne (Bertelsmann auf 7, nur noch vier statt einstmals acht in den Top 50) bzw. die allergrößten (neu auf Platz 1: das trotz seines Besitzes von NBC Universal hierzulande immer noch recht unbekannte US-Unternehmen Comcast).
Zu den beliebtesten Aktivitäten von Deutschen, wenn sie so zusammensitzen, gehört es bekanntlich, einen Verein zu gründen. Oder eine Arbeitsgruppe oder Kommission, wenn nicht gar eine Gesellschaft oder Allianz. In dieser Hinsicht tut sich heute einiges in unserem Sektor der digitalen Medien.
Da ist zum Einen die Digitale Gesellschaft, die schon im Altpapier vom Montag ihre Schatten vorauswarf und deren Webseite heute freigeschaltet werden soll. Auch am heutigen Mittwoch wird sie von Mitgliedern der digitalen Gesellschaft (noch nicht ganz mit o.g. zu verwechseln) in Zeitungen begrüßt. In der Süddeutschen (S. 12, derzeit nicht frei online) vergleicht Dirk von Gehlen die Gründung mit der von Greenpeace anno 1971 in Kanada, und Gründer Markus Beckedahl wehrt bescheiden ab ("Sich mit Greenpeace zu vergleichen, geht eigentlich gar nicht. Die haben so viele großartige Sachen gemacht. Wenn wir da mal ins dreißig Jahren angekommen sind, ist mein Lebenstraum erfüllt").
Zumindest aber handelt es sich bei netzpolitik.org, der bislang bekanntesten Beckedahl-Gründung, nach eigenen Angaben ja schon mal um "Deutschlands liebenswertestes Netzpolitik-Blog".
Außerdem stellt in der TAZ Meike Laaff die Digitale Gesellschaft vor, und macht zugleich mit den Kontexten vertraut, also nicht bloß dem allgemeinen "facettenreichen Konflikt" zwischen den "Offline-Mächtigen", die "endlich das Internet entdeckt" haben, und der "libertär eingestellten Urnetzgemeinde", sondern auch ganz konkret mit der heute beginnenden Bloggerkonferenz re:publica (vgl. Foto). Also sozusagen dem "Wacken der Mediensoziologen" (die, schließlich war gerade erst ebenfalls in Berlin der TAZ-Freitag-Medienkongress, aus dem Headbangen gar nicht mehr herauskommen...).
"Wäre das Internet ein Stadtviertel, würde man derzeit von Gentrifizierung sprechen", leitet Laaff geschickt ihren Artikel ein. Und tatsächlich, wie es sich für eine Gentrifizierung gehört, wenden sich erste earliest adoptors bereits ab:
"Wenn bei Twitter die Frage kursiert, ob man gegen das mäßige Wetter in Berlin nicht noch schnell eine Online-Petition einreichen oder eine App entwickeln könnte, ist das ein untrügliches Zeichen: Die Re:publica beginnt mal wieder, das Jahrestreffen derer, auf deren Visitenkarten oder Nackentattoos irgendwas mit Internet steht",
heißt es in der Berliner Zeitung aus demgleichen Anlass, mit gebremster Begeisterung und, einer kürzlich wiederbelebten Mode folgend, einem Tocotronic-Titel als Überschrift. Freilich wendet sich der Autor (um zu wissen, ob Marin Majica oder Patrick Beuth müsste man eine BLZ physisch vorliegen haben, was in der digitalen Gesellschaft ja eher selten der Fall ist) nicht komplett von der Veranstaltung ab. "Ich werde mir deshalb lieber den Vortrag über Anonymous anhören, eine Chaotentruppe aus Hackern, Aktivisten und Teenagern", schreibt er.
Da könnte er auch einfach zum ausführlichen Interview klicken, das die Lokalrivalen vom Tagesspiegel mit der Vortragenden Gabriella Coleman, einer New Yorker Anthropologin ("Stimmt es, dass alle Geeks Männer sind?" - "Ja, das stimmt schon."), führt:
"Es gibt gar keine Organisation?"
"Es gibt keine Anführer, aber wechselnde Personen, die Aktionen koordinieren. Die echten Hacker unter ihnen haben eine natürliche Autorität. Ansonsten ist das Prinzip spontaner Konsens."
[listbox:title=Artikel des Tages[Die 50 größten Medienkonzerne (IfM)##TAZ über Digitale Ges. &re:publica##BLZ über re:publica##Interview über Anonymous (Tsp.)##Elend der Medienpolitik (Hachmeister/ IfM bei Carta)]]
Das zumindest dürfte sich anders darstellen bei der zweiten wichtigen deutschen digitalen Vereinsgründung dieses Mittwochs, die nämlich von, nach eigenen Angaben, "hochrangigen Vertretern der Kultur- und Kreativwirtschaft" vorgenommen und gewiss ordentlich und nach Prinzipien des organisierten Konsenses durchgeführt wurde. Am Vormittag wird sie vorgestellt.
In der "Deutschen Content Allianz" haben sich Mediendarlings von der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) über GEMA, SPIO ("Spitzenorganisation der Filmwirtschaft") und VPRT (die Privatsender-Lobby), bis hin, natürlich, zum ZDF zusammengefunden, um... um... jedenfalls, um noch eine weitere Initiative gegründet zu haben. Vielleicht sogar, wer weiß, um Beckedahls libertärer Digitaler Gesellschaft eine gleichrangige unlibertäre entgegenzustellen.
Mehr dazu morgen an dieser Stelle.
Altpapierkorb
+++ Eine "digitale Version von 'Mein Kampf'"?? Nur eine Metapher, die Thomas Knüwer verwendet, um (auch vorm Digitale Gesellschaft/ re:publica-Hintergrund) einen Überblick über die außerordentlich verzwickte Lage bei Sportwettenanbietern im internationalen wie deutschen Internet zu geben. Aber keineswegs seine kräftigste Formulierung: "CDU, CSU, Grüne, SPD oder FDP: Ihnen allen wäre es am liebsten, das Internet würde in 47 Minuten abgeschaltet", schreibt Knüwer ebenfalls. +++
+++ "Noch immer lässt sich kein Fisch von einem Buch einwickeln. Auch sonst ist der Nutzwert gering: Das Buch ist zwar eckig, aber nur selten dick genug, um damit eine Tür zu sperren": eher tradtionelle Metaphern bemüht Willi Winkler in seiner Besprechung einer Buchvorstellung (oder einer Buchvorstellungs-Besprechung), an der jedenfalls Nikolaus Blome als Buchautor und Sigmar Gabriel als Laudator teilnahmen. Etwas interessant war sie, weil ursprünglich einmal Dr. KT zu Guttenberg laudatieren sollte (Süddeutsche). +++
+++ Ins öffentlich-rechtliche Biotop: Während meedia.de die langsam offenbar immer samstags vorankommenden Enthüllungen beim Kinderkanal mit der Trendmetapher GAU belegt, befassen sich die amtlichen Organe für Rundfunkräte, also die Medienseiten von FAZ und SZ, mit der spannendsten Intendantenwahl vor derjenigen in Mainz, also der beim Saarländischen Rundfunk (kurz frei online: TAZ/EPD, FK): "Keines der politischen Lager ist in Saarbrücken offenbar in der Lage, eine stabile Mehrheit zu organisieren" (SZ). Michael Hanfeld bringt in der FAZ mehr Drama in die Sache. Er weiß von einer "Hinterzimmerverabredung", die "lautete: Die Schwarzen bestimmen den Intendanten, dafür kriegen die Roten den Programmdirektor", aber wegen der Kandidatur von Thomas Kleist, "der einst in den Landesregierungen von Oskar Lafontaine und Reinhard Klimmt Staatssekretär war", gebrochen wurde. +++
+++ Doch noch eine Online-Bewerbung um den Mainzer Intendantenposten! TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester wirft (kaum verkappt) ihren Helm in den Ring. +++
+++ Das digitale Drama um die durch den Verkauf ihrer "Post" besonders reich gewordene Arianna Huffington und die Blogger, denen sie meinte "einen Gefallen zu tun, wenn sie diese in der Huffington Post hat schreiben lassen", ist Thema in der Süddeutschen und bei SPON. +++
+++ Der Text von Lutz Hachmeister (und Thomas Vesting) aus der aktuellen Funkkorrespondenz zum Strukturwandel bzw. "Elend der Medienpolitik", der am Montag Thema im Altpapier war, ist nun in "einer sehr stark gekürzten Fassung" (Carta) frei online vor. Hachmeister ist auch Chef des o.g. Instituts für Medienpolitik. +++
+++ Sie kann "das 'Jüdische' in Show, Serie und Film nicht wirklich fassen", sei aber dennoch interessant: Joachim Huber (Tsp.) hat sich nun auch die Münchener Ausstellung über Hans Rosenthal angesehen, um die es schon gestern an dieser Stelle ging. +++
+++ Was die Digitale Gesellschaft ärgern könnte: das FAZ-Interview zur Vorratsdatenspeicherungs-Frage mit dem nordrhein-westfälischen LKA-Direktor Wolfgang Gatzke ("Heißt das, Ihr Aufklärungserfolg hängt derzeit davon ab, ob ein Täter bei Provider A oder B ist?" - "So ist es leider. Das finde ich schlicht unhaltbar"). +++
+++ Und der TV-Tipp des Tages: der ARD-Film "Kehrtwende" mit Dietmar Bär und Inka Friedrich (SZ, FAZ, TAZ, BLZ, Tsp., evangelisch.de. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.