Gaddafi kam ohne Leibwächter

Zumindest an der deutschen Fernsehfront bleibt fast alles wie immer: RTL macht Schlagzeilen mit Informations-Anschein, ARD und ZDF machen Information und kriegen Grimme-Preise. Und auf Fußball sind alle scharf.

Bei der Berichterstattung übers Aktuelle hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen gelernt. Gegen Vorwürfe (vor allem der FAZ), beim Sturz Hosni Mubaraks in Ägypten zunächst nicht oft genug berichtet zu haben, hatten sich die ARD-Chefs im Februar zwar noch verwahrt und überzeugt gegeben, alles richtig gemacht zu haben (vgl. Altpapier). Seitdem aber machen sie vieles anders, seither herrscht an "Brennpunkten" und aktuellen Sondersendungen im ARD-Programm so wenig Mangel wie gerade an Brennpunkten auf der Welt.

"Die Öffentlich-Rechtlichen krempeln nahezu ihr gesamtes Programm um, bei den Privaten ist fähiges Personal für seriöse Berichterstattung teilweise nicht vorhanden", heißt es in einer recht umfassenden Bestandsaufnahme des Kölner Stadtanzeigers zur Japan-Berichterstattung.

Die FAZ gestattet sich auch heute wieder einen kleinen, 14-zeiligen Seitenhieb auf die Öffentlich-Rechtlichen. "Japan steht vor dem Super-GAU, Deutschland befindet sich mittendrin. Diesen Eindruck vermochte zumindest 'Frontal 21' zu vermitteln, das sich in Zeiten wie diesen in ein innenpolitisches Kampfmagazin verwandelt...", ärgert sich Michael Hanfeld in einem "in medias res"-Glösschen auf der Medienseite. Dass dasselbe Magazin bei taz.de gelobt wird, auch klar.

Alles wie immer. Die Öffentlich-Rechtlichen haben außer ihren traditionellen Gegnern mindestens genauso überzeugte Freunde. Zum Beispiel in Marl, am Sitz des Adolf-Grimme-Instituts, das gestern die Gewinner seiner immer noch renommierten Preise bekannt gab. "12:0 für die Öffentlich-Rechtlichen" (evangelisch.de), lautete da das Ergebnis. Bzw., wenn man die ignorierten Privatsender gar nicht mitzählt, 11:1 zwischen ARD und ZDF.

"Die Zuschauer wird es überraschen. Das Fernsehjahr 2010 war ein überragendes Jahr der ARD", schreibt süffisant der Tagesspiegel (dessen Artikel sich allerdings nur dann ganz verstehen lässt, wenn man weiß, dass der relativ überraschendste Preisträger, Kurt Krömer, privat Alexander Bojcan heißt; ihn - weder Mubarak, noch Muhammar al-Gadaffi, zeigt unser Foto). "Die Privatsender gehen zum zweiten Mal in 20 Jahren leer aus. Das Ergebnis steht in der Tradition dieses Fernsehpreises", so Joachim Huber weiter.

Diese nichtberuflich fernsehende Zuschauer ebenfalls immer wieder überraschende Privatsender-Blindheit der Grimme-Instituts, spezifiziert wiederum die FAZ ("In der Kategorie 'Unterhaltung' haben die Grimme-Juroren kräftig an Sat.1-Programmen wie 'Danni Lowinski' oder 'Der letzte Bulle' vorbeigeschaut..."). Darauf, dass es trotz des eines irrational hohen Preisanteils für die ARD nicht nur Lob gab, weist Hans Hoff in der Süddeutschen hin:

"Seinen neunten Grimme-Preis bekommt Dominik Graf für die Serie 'Im Angesicht des Verbrechens'. Das Lob dafür verbindet die Jury mit einer Botschaft an die ARD-Programmplaner, die das Werk in der Nacht versteckten. 'Die Mühe und das herausragende Ergebnis hätten es gerechtfertigt, wenn die Serie auf einem der allerbesten Plätze im ARD-Programm gelaufen wäre', heißt es in der Begründung. Für Grimme-Verhältnisse darf das als scharfe Kritik gelten."

Ebenfalls alles wie immer in der (immer schwammigeren) Kategorie "Information". Wenn sie nicht gerade Peter Kloeppels Einschaltquoten loben, spielen die Privatsender weiterhin merkwürdig schwache Rollen. Selbst dann, wenn sie zwischenzeitlich meinen, positiv auffallen zu können. Das hat die Berliner Zeitung anhand des Gaddafi-Interviews der RTL-Reporterin Antonia Rados beobachtet.

Dieses war von der RTL-Gruppe am Dienstag ziemlich pompös ("...Für das 40-minütige Exklusiv-Interview kam Gaddafi allein in einem Golf-Wagen angefahren - ohne einen einzigen Leibwächter an der Seite...") angekündigt worden, was seinen Eindruck auf Mediennewsschleudern wie meedia.de ("Ein Coup für RTL...") auch nicht verfehlte. Was der Dikator inhaltlich so sagte, indem er etwa krude die deutsche Außenpolitik lobte, schaffte es gar bis in die großen SPON-Schlagzeilen.

Dass erstens das mit dem Coup gar nicht stimmt, weil Gaddafi zuvor schon "Journalisten von ABC und BBC empfangen hatte, damit die seine verschrobene Realität besichtigen konnten", und dass zweitens das angeblich 40-minütige Interview nicht einmal ansatzweise vollständig ausgestrahlt wurde, arbeitet Peer Schader, der wahrscheinlich intensivste kritische Beobachter des deutschen Privatfernsehens, schön heraus:

"Eine Langfassung des vorher stolz beworbenen Interviews wurde weder bei RTL noch bei n-tv gezeigt, auch online nicht. Dann hätte man sich ja die Mühe machen müssen, es tatsächlich zu bewerten. RTL hat einfach die Tatsache gereicht, dass Rados da war. Die Welt hat es per Pressemitteilung erfahren, der Rest war egal."

Unklar, ob die Süddeutsche, die ihre Meldung über neue Ansätze zur alten Landesmedienanstalten-Idee, die Position von nachrichtlichen Sendungen im Privatfernsehen durch Anreize zu steigern, mit den Worten "Rados, die preisgekrönte Journalistin, ist eine Ausnahme-Erscheinung im Privatfunk" einleitet, mehr als Nachrichtenschnipsel gesehen hat. Damit die Privatsender die Idee verstehen, ernennen sich die Medienwächter nun zu deren "Super-Nanny", das ungefähr ist jedenfalls der Kern dieser Sache. 

[listbox:title=Artikel des Tages[BLZ über RTLs Gaddafi-Coup"##Champions League-Pläne des ZDF (FAZ/ Mi.)##Tsp.über die Grimmepreise##Carta zum Medienwächter/ Bundestags-Problem]]

Vom neuesten Konfliktfeld zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem System, dem Champions League-Fußball, den gern das ZDF mit seinen GEZ-Einnahmen ersteigern möchte, berichtete gestern (inzwischen frei online) die FAZ. Die SZ hat dazu eine erste Aussage des Pro SiebenSat.1-Vorstandsmitglieds Andreas Bartl ("Ich als Gebührenzahler erwarte, dass kein Gebührengeld verschwendet wird...") eingeholt. Außerdem beschäftigt sie sich mit der länger schon schwelenden, jetzt im März zur Entscheidung kommenden Frage, ob die nächste Leichtathletik-WM im öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen übertragen werden soll. 

"Wenn Fußball die kommerziellste Sportart in Deutschland ist, so ist Leichtathletik die Disziplin mit der größten Tradition. Im Kern ist Leichtathletik Laufen. Der 100-m-Sprint ist Mittelpunkt jedes Wettkampfs, der schnellste Mann der Welt ist ein Archetyp, ein einzigartiger Athlet. Doch wie bekannt ist er?",

leitet Medienseitenchef Christopher Keil, bekanntlich im Herzen ein Sportreporter, seine Bestandsaufnahme ein. Dann entwickelt er sowohl Verständnis für ARD-Programmdirektor Volker Herres und seine Leute, die nicht so viel für die Rechte bezahlen wollen, wie der Leichtathletik-Weltverband (der "den Weg des maximalen Profits wählte") haben möchte, wohl 15 Mio. Euro für zwei Weltmeisterschaften, stellt dagegen aber, dass die ARD "neulich für 54 Millionen Euro circa 30 Boxabende, die von Anfang 2013 bis Ende 2015 durchgeführt werden", kaufte.

Und am Ende weiß man immer noch nicht, ob die Öffentlich-Rechtlichen diese Sportveranstaltung denn nun kaufen und übertragen sollten, fühlt sich zumindest aber mal ausgewogen über den Öffentlich-Rechtlichen-Komplex informiert. 


Altpapierkorb

+++ Bei Vorbereitungen für Filmaufnahmen zum "Weihnachtsspecial" der schon ewig laufenden ARD-Nonnenserie "Um Himmels Willen" ist in Namibia eine freie Mitarbeiterin der Produktionsfirma "von einem Leoparden angegriffen und tödlich verletzt worden" (Tagesspiegel). +++

+++ Mehr von den o.g. Landesmedienanstalten: Dem Fernsehkanal des Bundestages "fehlt jede rechtliche Grundlage", teilten die in der Kommission ZAK versammelten Medienwächter mit. bei den einen eine kleine Meldung, für andere ein größerer "Hat das eigentlich schon jemand so richtig mitbekommen?"-Aufreger (Carta). Weitere Hintergründe gibt's bei epd medien. +++

+++ Die Story, von der die BLZ berichtet, in der "maskierte Männer in Kampfanzügen der Militärpolizei", "entsicherte Maschinenpistolen im Anschlag", einen Fernsehsender stürmen, um "nach einem einzigen Blatt Papier" zu suchen, spielte sich gar nicht weit weg, in Prag, ab. +++ Indes aus Mönchengladbach, wo die "salafistische Gruppierung" namens "Einladung zum Paradies" (EZP), in einem "Geisterhaus mitten in der Stadt, das mehrmals schon abgerissen und einer Einkaufspassage weichen sollte und zu einem Symbol für die von der Strukturkrise gebeutelte und hochverschuldete Kommune geworden ist", gegen die lokale Zeitung, die Rheinische Post, "hetzt", berichtet die FAZ auf ihrer Medienseite 39. Vgl. rp-online.de. +++

+++ Mehr als elf Wörter sind kein Zitat mehr? Die BLZ hat bei den Machern der weiterhin abgeschalteten bzw. in Neustartlöchern wartenden Webseite commentarist.de nach dem aktuellen Stand gefragt. +++

+++ Der Vorsitzende der Bundespressekonferenz, Werner Gößling, scheidet aus dem Amt. Und wer ihn im Abschiedsinterview (Tsp.) immer noch am meisten wurmt, Guttenberg hin oder her, bleibt der ehemalige Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.