Das Gutti-Gewitter

Vom Bilderwitz bis zur ganzseitigen Analyse: mehr Guttenberg als zum einstweiligen #Guttbye war noch nie in den deutschen Medien.

Quer durch alle Holz- und Digitalmedien zieht er sich noch einmal. Vom 86 Zeichen (inkl. des heiteren Hashtags "#guttbye") umfassenden Tweet bis zur 16.432 Zeichen starken Seite Drei-Reportage sind sämtliche bekannten Textformen heute vielfach dabei.

"Der Brad Pitt unter den deutschen Politikern", wie der Danny de Vito unter den deutschen Talkshow-Experten, Hans-Hermann Tiedje, ihn kürzlich nannte, Karl-Theoder zu Guttenberg, ist gestern also unter Hinterlassung einer hoch Pathos-haltigen Rede zurückgetreten.

Wie es der Zufall oder das Rotationsprinzip wollten, war Tiedje gestern auch gerade wieder on air, als der Rücktritt stattfand. Da performte er im Telefoninterview mit N 24, während dessen Konkurrenzsender N-TV zwar auch keine Livebilder, aber immerhin exklusiv Livetöne von der (inzwischen überall in Bild und Ton zeitsouverän anguckbaren) Rücktrittsrede sendete. Das ist dem Tagesspiegel aufgefallen.

Weitere Berichte zur medialen Live-Vermittlung des Auftritts bzw. dem zumindest einem Sender dank eines Handy-Tricks gelungenen Ansinnen, "auch unter schwierigen Bedingungen die Zuschauer an einem historischen Moment teilhaben zu lassen" (N-TV-Chefredakteur Volker Wasmuth), gibt's bei dwdl.de. Sowie in der Süddeutschen mit genauen Uhrzeit-Angaben, die deutlich machen, dass die Bild-Zeitung als erste den bevorstehenden Rücktritt vermeldete.

Zusammenhänge damit nachweisen zu wollen, dass zu jenen Arbeitsgängen, die noch nötig waren, um "ein weitgehend bestelltes Haus zu hinterlassen" (Guttenberg gestern), offenbar auch noch gehörte, eine 600.000 Euro schwere Bundeswehr-Werbekampagne in den Springer-Medien zu buchen (Tagesspiegel unter der hübschen, vielleicht Twitter-inspirierten Überschrift "Bild nimmt Guttenberg-Rücktritt an"), wäre zweifellos hoffnungslos.

Und war es denn nun so, wie gestern kolportiert, dass Live-Kameras während Guttenbergs letzter Minister-PK ausdrücklich verboten waren? Nein, schreibt Michael Hanfeld in einer Randspaltenglosse der FAZ-Medienseite 33:

"In besonders fixen Mediendiensten machte schnell die Mär die Runde, Liveaufnahmen seien vom Verteidigungsministerium verboten worden. Das aber dementierte entschieden. 'Es gab vom BMVg keinerlei Einschränkungen oder Vorgaben', sagte ein Sprecher auf Anfrage dieser Zeitung."

Anderslautende Einschätzungen liegen auch vor. In derselben Glosse zitiert dann Hanfeld noch einen ungenannten Reporter, "der dabei war", mit den Worten "Dann haben wir ein bisschen Benghasi gespielt."

"Will heißen: Das Pressecorps hat die Sicherheitsschleuse im Verteidigungsministerium überrannt, ein in der deutschen Mediengeschichte wahrscheinlich einmaliger Vorgang."

Umso merkwürdiger, dass trotz der Heerscharen multimedialer Berichterstatter keiner live sendete. Vielleicht wird dieses Rätsel diese deutsche Mediengeschichte noch eine Weile beschäftigen.

Außer der medialen Vermittlung von Guttenbergs vorerst letzter großer Rede (Wortlaut in Textform z.B. hier) wird natürlich auch dessen Inhalt analysiert. Darin ging es Guttenberg u.a. um die zerstörerischen "Mechanismen im politischen und medialen Geschäft". Als vielleicht größter Quatsch darin erscheint Guttenbergs Aufmerksamkeitsökonomie:

"Wenn allerdings - wie in den letzten Wochen geschehen - die öffentliche und mediale Betrachtung fast ausschließlich auf die Person Guttenberg und seine Dissertation statt beispielsweise auf den Tod und die Verwundung von 13 Soldaten abzielt, so findet eine dramatische Verschiebung der Aufmerksamkeit zu Lasten der mir Anvertrauten statt. Unter umgekehrten Vorzeichen gilt Gleiches für den Umstand, dass wochenlang meine Maßnahmen bezüglich der Gorch Fock die weltbewegenden Ereignisse in Nordafrika zu überlagern schienen."

Diese Argumentation lässt Kurt Kister in der Süddeutschen zu größerer Form auflaufen:

"Das ist wirklich großartig. Guttenberg wirft den Forschern im Netz, den zehntausenden Akademikern, die gegen ihn protestierten, und natürlich den meisten Medien vor, dass sie ihre Aufmerksamkeit nicht auf Nordafrika oder Afghanistan gerichtet hätten, sondern auf ihn. Ausgerechnet der Mann, der die Talkshow an den Hindukusch gebracht hat, hadert mit der Öffentlichkeit. (...) Wer dazu neigt, vor Spiegeln zu leben, der wird glauben, es gehe immer nur um ihn."

Noch einen Tick vernichtender allerdings, zumindest unter alten Kameraden mit Faible fürs Soldatische, argumentiert FAZ-Co-Herausgeber Berthold Kohler:

"Schon die Rücktrittserklärung enthält bis hin zum Rücken der Soldaten, der nicht leiden soll, alle Elemente, die ihm nachhallende Verehrung sichern werden: im Felde unbesiegt."

Weitere Kommentare bündeln u.a. die Kollegen von meedia. de. Wir kommen nun noch zur naheliegenden Frage, wer sich denn, zumindest bis zum unterschwellig eigentlich überall (außer ausgerechnet am Ende der Bild-Zeitungs-Saga "Aufstieg & Fall der Guttenbergs", was freilich textdramaturgische oder karrieretaktische Gründe haben dürfte) erwarteten Comeback des Freiherrn, die Trophäe an die Wand hängen kann. Mindestens drei Kandidaten stehen zur Auswahl:

a) er selbst. "Daran ist Karl-Theodor zu Guttenberg allein Schuld. Von Beginn an ist ihm das Management seiner Dissertationskrise misslungen", sorgt Welt-Chefredakteur Thomas Schmid für Binnenpluralismus bei Springer.

b) die Akademiker. "Entscheidend für Guttenbergs als Rücktritt getarnten Sturz aber war, dass er durch den Versuch der Verschleierung des Plagiats und dessen Bagatellisierung ... die akademische Gemeinde gegen sich aufbrachte", meint Kister im o.g. SZ-Leitartikel.

c) das Internet. Guttenberg war "der erste Minister, den das Internet gestürzt hat", titelt Robin Meyer-Lucht mit Freude an der Zuspitzung bei Carta.

Diese Einschätzung hatten wir hier (bzw. ich) in einem Quasi-Echtzeit-Kommentar gestern für "auch von der Selbstüberschätzung geprägt, die man eher von Pressejournalisten kennt" gehalten. Dieselbe Frage hat die Berliner Zeitung dem Hans-Hermann Tiedje des Internets überall gern gefragten Experten Markus Beckedahl von netzpolitik.org zum Start eines Interviews gestellt. Die Antwort lautet:

"Das klingt erst Mal toll und ich würde es auch gerne unterschreiben, aber ich halte die These für nicht richtig und für eine gewisse Selbstüberschätzung. Mit Sicherheit waren das Internet und kollektive Prozesse wie das Guttenplag-Wiki oder andere Aktionen wie die spontan über das Netz organisierte Guttbye-Demonstration am vergangenen Wochenende in Berlin wichtige Bestandteile, die dann zum Rücktritt führten. Aber ohne die traditionellen Medien und das Wechselspiel zwischen 4. und 5. Gewalt wäre das so nicht passiert."

Leider war die Berliner dann zu verdutzt, um nachzufragen, um wen genau es sich denn bei dieser fünften Gewalt handelt, ob nach Telepolis-Definition um Wikileaks (oder vielleicht, als eine Art Extension, das Internet selbst), oder gar, nach Thomas-Leif-Schule, um die Lobbyisten. Dennoch zählt das Beckedahl-Interview zu den lesenswertesten Texten rund um Guttenberg an diesem Mittwoch.

[listbox:title=Artikel des Tages[Der Rücktritt live (Tsp.)##Springer-Kampagne unter Dach und Fach (ebd.)##Kister analysiert akademisch (SZ)##Kohler analysiert soldatisch (FAZ)##Carta analysiert Internet-begeistert##Beckedahl wiegelt ab (BLZ)##Telemedicus über Springers TAZ-Anzeige]]

Ohne auch nur ansatzweise Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, noch der Hinweis, dass natürlich auch aktuelle Bilderwitze zum Thema vorliegen, die TAZ aber zum Glück auf ihren preiswerten Versuch, mit einem solchen von ihrem Problem mit einer kürzlich entgeltlich abgedruckten Springer-Anzeige abzulenken, die einen nicht zum Abdruck vorgesehenen Brief enthielt (Darf man so was eigentlich? Siehe neu telemedicus.info), nicht auf die Titelseite genommen hat, sondern dort einen gar nicht üblen Wortwitz bringt.
 


Altpapierkorb

+++ Was macht eigentlich Andreas Fischer-Lescano? Also der Juraprofessor, der die Plagiats-Enthüllungen rund um Guttenbergs Doktorarbeit vor wenigen Wochen anstieß? In der eingangs erwähnten SZ-Reportage (16.432 Zeichen) kommt er gegen Ende vor. Da heißt es: "Stolz empfinde er nicht über den Rücktritt, sagt der Professor leise. Er wolle dies nicht bewerten. (...) Seinen Rücktritt forderte er nie. 'Ich habe Guttenberg immer aus der Perspektive kritischer Rechtswissenschaft betrachtet, die politischen Schlussfolgerungen müssen andere ziehen.' Und das sei schon mehr, als er habe sagen wollen." +++

+++ "Die Sonne geht auf" überschrieb der "Freies Libyen"-Chefredakteur Mohammed Salim Alimnifi "die erste freie Zeitungskolumne seines Lebens": Da richtet der Tagesspiegel trotz allem innenpolitischen Bohei Aufmerksamkeit auch auf Nordafrika. +++

+++ Um die Kirche im Dorf zu lassen: 0,6 Mio. Werbe-Euro von der Bundeswehr sind sozusagen Peanuts für den Springer-Konzern, der heute morgen seine "neue Ergebnisbestmarke" (510,6 Mio.) verkündete. Will und kann und sollte der Konzern denn nun ProSiebenSat.1-Anteile kaufen? Sollte er nicht (meedia.de). Will er auch nicht, sagt er zumindest (DPA). +++ Die neue Paradedisziplin der TAZ: Sabine Christiansen-Shows verreißen, auch dann, wenn Springer-Außenminister Christoph Keese die Christiansen gibt. Steffen Grimberg erfreute sich am Auftritt des RWE-Vorstandschefs Jürgen Großmann in der Sendereihe "Chefsache" des (oben schon erwähnten) Senders N-TV. +++ "Ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht" (TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester, die sich auch mit dem Schriftsteller Uwe Timm in den Augen der Springer-Presse sowie mit deren Anzeige in der TAZ beschäftigt). +++ Unterdessen perfektioniert Springer die Methode, jede "geübte Kritik in eine Art Werbekampagne umzuinterpretieren" und verschenkte in Hamburg und Berlin Streichholzbriefchen: "Ihre Vorderseite zeigt das besagte Spiegel-Cover, auf der Rückseite ist zu lesen: '6 Tage Bild im Abo gratis lesen.' Kein Plagiat, ein Zitat" (Süddeutsche). +++

+++ Ebd. geht's ferner um den nun öffentlich ausgeschriebenen Posten des Saarländischen Rundfunkintendanten, um (allerdings kaum bemerkt) streikende Huffington Post-Autoren sowie um das steigende Alter der Nutzer von Facebook und anderen Online-Netzwerken: "Für ältere Menschen sei es angenehm, dass sie Nachrichten an reale Personen mit Namen und Foto schreiben könnten, sagt Karin Rothgänger, Pressesprecherin von wer-kennt-wen. 'Das ist für Senioren greifbarer als eine E-Mail-Adresse, die @-irgendetwas heißt.'" +++

+++ Es könnte wieder Zeit werden, die Frage nach der Zukunft der ARD-Sportschau zu stellen zu beginnen. Aber, herrje, als öffentlich-rechtlicher Fernsehsport sei auch Golf im Kommen (Hamburger Abendblatt). +++

+++ Gäbe es heute nicht das Guttenberg-Gewitter, hätte sich das Altpapier vermutlich ausführlicher mit dem Interview, das ARD-Programmdirektor Volker Herres der FAZ gab, beschäftigt. Streng genommen sagt Herres alles wie meistens kaum etwas, das halbwegs informierte Herres-Kenner irgendwie überraschen könnte. Vielleicht am ehesten zitierenswert der Satz "Aber ich bin durchaus der Meinung, dass die Dritten sich wieder stärker auf ihre traditionelle Rolle als Entwicklungsstuben für neue Formate und Protagonisten besinnen sollten." +++

 

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.