Die Phase des Anlaufs

Wie intendantabel war Thomas Bellut bei der Vorstellung des Gutachtens zum spektakulär schlimmen "Wetten, dass..?"-Unfall? Und wer könnte außer dem Menschen-Zusammenbringer Thomas Gottschalk noch Grimmepreise kriegen?

Eine Verkettung von Umständen führte dazu, dass ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut gestern bei einer schwierigen Veranstaltung in Köln nicht nur als ZDF-Programmdirektor auftrat, sondern auch als hoch potenzieller künftiger ZDF-Intendant, als "heißester Kandidat" (FAZ gestern) für den höchsten Posten seines Senders, als einer, der von seinem Chef und potenziellen Vorgänger just als "einer der herausragenden Medienmanager in Deutschland" (Markus Schächter zur SZ) bezeichnet worden war.

Einerseits konnte das ZDF gestern mitteilen, dass es der Deutschen Sporthochschule Köln (in der die Veranstaltung stattfand) zufolge keine Schuld am schweren Unfall des "Wetten, dass..?"-Showkandidaten Samuel Koch im Dezember (siehe Altpapier) trug, sondern dass dieser "auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurückzuführen ist". Das ZDF fasst zusammen:

"Die Ursache liegt danach in Bewegungsfehlern in der späten Phase des Anlaufs und beim Absprung selbst. Technische Fehler oder ein Versagen der Sprungstützen konnten nicht nachgewiesen werden. Die Auswertung des Video­materials und der schriftlichen Unterlagen zeige, dass der Kandidat nachweislich in der Lage war, die Sprünge zu realisieren und dass die notwendigen und möglichen Sicherheitsmaßnahmen eingehalten waren. Weder ein anderer Bodenbelag, noch ein zusätzlicher Matten­schutz am Fahrzeug hätten den Unfall und die dabei entstandenen Verletzungen verhindern können."

Andererseits, darin bestand das Schwierige, wäre es natürlich grob falsch gewesen, wenn anwesende ZDF-Vertreter deshalb erleichtert oder zuversichtlich gewirkt hätten. Wie intendantabel also trat Bellut unter den Augen der Vermischtes- und Medien-Journalisten auf?

"Gerade erleichtert, ja zuversichtlich wirkte ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut nicht", notiert Senta Krasser im Tagesspiegel. Bellut "spricht beherrscht, gedämpft, so wie es dem Anlass angemessen scheint", beobachtete Hans Hoff für die Süddeutsche und lobt dort auch Belluts Art des Lehre-Ziehens und Verantwortung-Übernehmens.

Noch angetaner ist (während die BLZ detailliert auf den Unfallhergang, aber kaum auf Bellut eingeht und der KSTA vom Ort des Geschehens eine Kurzform der DPA-Meldung präsentiert) die TAZ sowohl von der schwierigen, aber "gut gemeinten und durchaus aufklärenden Informationsveranstaltung" wie auch von Belluts Art, neben dem Biomechanik-Professor und Gutachter Gert-Peter Brüggemann "betreten" auf dem Podium zu sitzen und später "zerknirscht" zuzugeben, dass das Risiko dieser "Wetten, dass..?"-Wette doch sehr hoch war.

Ja, "Bellut saß wie versteinert auf dem Podium", würde die FAZ sogar sagen. Und ist dennoch das Blatt, das die Veranstaltung am kritischsten sieht. Belluts Sätze "glichen frappierend den Formulierungen, die wir aus den Finanztürmen kennen", also sozusagen Euphemismen, mit denen Finanzkrisen verschleiert oder verharmlost werden, wenn wir Matthias Hannemann recht verstehen. Der außerdem am Ende des 20-seitigen Originalgutachtens (hier als PDF) den Satz "Ob die Risikobeurteilung durch das ZDF hinreichend und genügend war, ist schwer zu beurteilen" fand und findet, dass auf der schwierigen Veranstaltung "dieser Satz ein wenig unterging".

Ob "Wetten, dass..?", das einerseits ja schon länger nicht mehr ist, was es vermutlich einmal war, andererseits in Zukunft wird sein können, was es den Unterhaltungsexperten des ZDF zufolge noch kürzlich war und wohl weiterhin sein soll, wird sich demnächst zeigen müssen, wenn auch "parallel im Privatfernsehen wieder Menschen in Bratpfannen waghalsig den Eiskanal hinunterjagen oder sich unter Kreissägen legen" (Tsp.).

[listbox:title=Artikel des Tages[Das Gutachten bei zdf.de##Leise Kritik an der Veranstaltung (FAZ)##Eher Lob dafür (TAZ)##Eher Lob (Tsp.)##Die Grimme-Verdächtigen (tittelbach.tv)]]

"Wetten, dass..?"-Moderator Thomas Gottschalk jedenfalls kriegt, auch das wurde gestern weiter nördlich in Nordrhein-Westfalen bekanntgegeben, fürs "generationenübergeifende Zusammenbringen von Menschen" jene "Besondere Ehrung des Deutschen Volkshochschul-Verbandes (DVV)", die populärer "Grimme-Preis fürs Lebenwerk" heißt (den Preisträger traditionell aber dennoch nicht verpflichtet, wenigstens mal kürzer zu treten).

Die schönste Laudatio auf diese Entscheidung hat erwartungsgemäß Christopher Keil in der Süddeutschen verfasst ("Die Ehrung findet - wie passend - am 1. April in Marl statt, wohin Gottschalk, der gerade in Malibu überwintert, sicher die entsprechende Kleidung auf die Bühne tragen wird").

Parallel kamen die frischen Grimmepreis-Nominierungen kamen heraus. Die Zeitungen fassen sie in Agenturmeldungen à la "Mehr als 60 Schauspieler und Fernsehmacher können sich in diesem Jahr Hoffnungen auf einen der begehrten Grimme-Preise machen..." zusammen. Aber im Internet ist Platz genug für alle Titel. Hier, hier und hier listet das Grimme-Institut die nominierten Sendungen auf; hier zeigt es die dafür verantwortlichen Nominierungskommissionen im Bild (achten Sie auf die angemessen abgekämpft wirkende Nominierungskommission Unterhaltung).

Und hier kommentiert Rainer Tittelbach die Fiction-Nominierungen: "Es sind die üblichen Verdächtigen, die bei der Nominierung zum Adolf-Grimme-Preis 2011 die Nase vorn haben..."
 


Altpapierkorb

+++ Und der Bert-Donnepp-Preis geht an die Kollegen von epd medien, Diemut Roether und Michael Ridder. Glückwunsch! Die Laudatio wird am 8. Februar der Wirtschafts-Ressortchef der Süddeutschen (und schon legendäre Altpapier-Jubiläums-Gastautor) Hans-Jürgen Jakobs halten. +++

+++ In München fand unter großer internationaler Beteiligung, aber auch der Maria Furtwänglers, Hubert Burdas populäre Sause DLD ("Digital - Life - Design") statt. "Hinter den Kulissen soll es hoch hergegangen sein", weiß Gesellschaftsreporter Christian Meier bei kress.de, vor den Kulissen im Grunde aber auch. Dass etwa "Hubert Burda jodelte", war keineswegs der einzige bizarre Moment. +++ Auch Freifrau Stephanie zu Guttenberg performte und brachte die Idee eines Notfallknopfs im Internet ins Spiel. " Ein weiteres Beispiel Aktionismus und Unlogik", meint Telepolis: "Hierzu reicht es, das Chatfenster zu schließen, den Computer herunterzufahren. Wozu bei einem Programm, das mittels einfachem Mausclicks bereits jederzeit beendet werden kann, noch ein Beendigungsknopf notwendig sein sollte, ist nicht nachvollziehbar." +++

+++ "Kritik übt, wer Sicherheit genießt" ist in etwa das Fazit, das Daniel Bouhs von einer Berliner Journalistendiskussion mitbrachte (BLZ), die auch dazu diente, das neue Journalistenbuch von Stephan Weichert und Leif Kramp vorzustellen. +++

+++ Ausblicke auf einen eventuellen “Tsunami der deutschen Blogosphäre" geben meedia.de und Carta. +++ Eher stoisch betrachtet werden erfahrungsgemäß die Optimierungen bei Facebook, z.B. nun, Nutzern die Chance zu geben, Werbe-Testimonials zu werden (BLZ). +++

+++ Der von Klaus-Peter Schmidt-Deguelle beratene und ja übrigens von "Chief Communication Officer" Béla Anda be-sprochene Carsten Maschmeyer sei "im aktuellen Fall schlecht beraten", sagt NDR-Justiziar Werner Hahn in der aktuellen TAZ-Zusammenfassung der Causa: "Hätte er gar nichts gegen uns unternommen, würde wohl niemand mehr über unseren Film sprechen", also über die ARD-Reportage "Der Drückerkönig und die Politik". +++ Die für gestern angekündigte ARD-Reportage "Angriff aus dem Internet - Wie Online-Täter uns bedrohen", deren hübsch hämische FAZ-Besprechung inzwischen frei online steht, wurde indessen in den März verschoben. +++

+++ "Mittlerweile will die Redaktion über die Daten von 30.000 Frauen verfügen, die sich gern einmal ablichten lassen wollen", weiß Lena Bopp in der FAZ (S. 35) zum einjährigen Bestehen der "Ohne-Models-Initiative" der Gruner+Jahr-Zeitschrift Brigitte zu berichten. +++ Während die BBC "bis zu 650 der 2400 Stellen ihres Radio-Auslandsdienstes" sowie fünf der 32 Sprachdienste des World Service einstellen muss (ebd.), plant die spanische Mediengruppe Prisa, "die seit zwei Monaten von der Holding des Karstadt-Investors Nicolas Berggruen" beherrscht wird, gar "2500 Stellen abbauen" (SZ, S. 17). +++

+++ Ferner in der Süddeutschen: die Expansion des aus "der dunklen Nische zwischen Pornografie und Rock'n'Roll" aufstrebenden kanadischen Medienunternehmens Vice, zu dessen Abnehmern SPON und ZDF-Neo gehören; ein Augmented Reality-Experiment bei ProSiebens "Galileo" sowie zehn Jahre Britt Hagedorn-Getalke: "Daily Talk war mal eine große Nummer, aber dann sind die Talker umgestiegen und nerven jetzt im Abendprogramm. Einige sind in der Versenkung verschwunden, und die inzwischen verstorbene Ilona Christen hat gesagt, sie habe den Niveauverfall nicht mehr ertragen. Britt gibt es noch, und Britt sagt, wenn es nach ihr ginge, könnte es ewig so weitergehen. Auch das spricht nicht für sie", meint Holger Gertz. +++

+++ Und "Wer hätte gedacht, dass der Tod Bernd Eichingers die ganze Republik erschüttern würde?", schreibt Verena Lueken ganz vorn oben auf der FAZ. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.