Die Gestreiftheit der Schlipse

Der nächste "Tatort" spielt im Kölner Pressemilieu. Vor allem bei ihrer Kernkompetenz der Hofberichterstattung lassen sich ARD und ZDF nichts vormachen. Heute gibt's eine Homestory beim Papst.

Bevor wir zur Tagesaktualität kommen, erstmal ein heißer, "liebe Zielgruppe" (wie Dieter Moor früher gesagt hätte), Fernsehtipp fürs Wochenende, und zwar mit ksta.de, dem Internetauftritt des Kölner Stadtanzeigers: Der nächste "Tatort" am Sonntag spielt in einem "Medienhaus, in dem ein Klima der Angst und des Misstrauens herrscht", und er spielt in Köln. Und dass es dort, wenn man von der lokalen Dependance der Springer-Presse (sowie vom "Tatort"-Auftraggeber WDR selbst und von RTL) absieht, quasi nur ein Medienhaus gibt, ist inzwischen ja überregional bekannt.

Um ein Familiendrama wie sonst so oft im "Tatort" handelt es, der offiziellen ARD-Inhaltsangabe zufolge, dennoch nicht:

"Beim Kölner 'Abendblatt' wurde der junge Unternehmensberater Carsten Moll ermordet. Jemand hat ihn in dem Verlagshochhaus über eine Brüstung in den Abgrund gestürzt. ..."

Sobald die Kommissare ermitteln, geht es aber schon um "Fusion" und "Stellenabbau", wie sie bei den Kölner Zeitungen ja schon vor Jahren vollzogen wurden und wie sie in gewissen von Köln aus geführten Verlagen in anderen deutschen Städten wahrscheinlich weiter bevorstehen. Insofern kann man auf diesen "Tatort" und auf seine Besprechungen zum Beispiel in Berliner Zeitung und Frankfurter Rundschau gespannt sein.

Die Unternehmensberater, die den fiktiven "Abendblatt"-Verlag entern, und die fast wie im wirklichen Leben gut an ihren gestreiften Schlipsen zu erkennen sind, zeigt unser Szenenfoto. Einen reichhaltig illustrierten Eindruck des Films und seiner sonstigen zeitungsmilieutypischen Motive ("Überwachungskameras im Verlag", "Blattmacher vom alten Schlag", "agiler Verlagsgeschäftsführer", Kummer in der Anzeigenabteilung und natürlich "Druckmaschinen auf Hochtouren") bietet der WDR.

Es gibt auch mal wieder eine aktuelle News aus dem echten Medienhaus DuMont Schauberg: Über den Berliner Verlag hat dieses die BerlinOnline GmbH & Co. KG, den Betreiber des Portals berlin.de, zu 100 Prozent übernommen.

Jetzt könnte es losgehen mit der Digitaloffensive der Berliner Zeitung, deren Online-Auftritt sich ja weiterhin auf dem Niveau der David Montgomery/ Josef Depenbrock-Ära bewegt, meint Spiegel Online: "Vermutlich hatte man mit der digitalen Nachrüstung bewusst gewartet, bis der Übernahmedeal der  Hauptstadtportale eingefädelt werden konnte."

Ansonsten führt heute die Berliner Konkurrenz vom Tagesspiegel die vom sächsischen Staatskanzleichef Johannes Beermann angestoßene aktuelle Öffentlich-Rechtlichen-Debatte lehrbuchmäßig fort. In einem DPA-Gespräch hatte der CDU-Politiker gestern ARD und ZDF mit den Worten "Es darf nicht sein, dass stundenlang auf beiden Kanälen jeweils eigene Sondersendungen mit denselben Bildern laufen“ aufgefordert, sich bei den Berichten über die im April anstehende Hochzeit des britischen Prinz William mit Kate Middleton abzustimmen.

Anlass also für den Tagesspiegel heute, bei den Chefredakteuren Thomas Baumann (ARD) und Peter Frey (ZDF) nachzufragen. Aber selbstverständlich werden beide Sender die Königliche Hochzeit übertragen:

"Grund für den öffentlich-rechtlichen Doppelschlag ist ein Verfahren, auf das sich im März 2007 ARD-Chefredakteur Baumann und der damalige ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender geeinigt haben. Demnach sollen Parallelübertragungen von royalen Ereignissen nur noch in begründeten Ausnahmefällen stattfinden, nämlich dann, 'wenn das Ereignis von so großem öffentlichen Interesse ist, dass die Ausstrahlung in beiden öffentlich-rechtlichen Sendern sinnvoll und vertretbar ist', sagte Baumann."

Der dann auch preisgibt, welche europäischen Königshäuser in die "Kategorie A" fallen, in welcher das deutsche öffentliche oder wenigstens öffentlich-rechtliche Interesse an "Krönungen, Hochzeiten oder Beerdigungen von Königen, Königinnen und Thronfolgern" gewaltig genug für eine Doppelübertragung ist (Großbritannien, Schweden, Spanien und aus irgendeinem Grunde sogar die Niederlande) .

Immerhin werden beide Sender, auch wenn sie ähnliche oder sogar dieselben Bilder übertragen werden, für deren Übertragungsrechte sie auch jeweils einzeln GEZ-Gebühren überweisen, "mit unterschiedlichen Experten und Kommentatoren in London vertreten" sein. Die ganz gewiss ebenfalls auch wieder ordentlich gestreifte Schlipse tragen werden.

[listbox:title=Artikel des Tages[Der Kölner Zeitungs-"Tatort" im KSTA (DPA)##...in der WDR-Vorschau##Die A-Königshäuser von ARD und ZDF (Tsp.)##Die Vatikan-Homestory der ARD (BLZ)##Radiorazzia vorm BVG (TAZ)##Hürriyet wird verkauft (FTD)]]

In ein weiteres A-Haus, das freilich bei Hochzeiten aus bekannten Gründen außer Konkurrenz fährt, gestattet die ARD am heutigen katholischen Feiertag Heilige Drei Könige Einblicke. Um 21.45 Uhr gibt's sozusagen eine "Homestory beim Papst". Ihre relativ rhetorische Frage, "ob etwas Gutes dabei herauskommen kann, wenn ausgerechnet der katholischste aller deutschen Fernsehsender - der Bayerische Rundfunk - einen Neunzigminüter über den Vatikan in Auftrag gibt", beantwortet sich die TAZ, wenn wir sie recht verstehen, ungefähr mit Jein.

Der eigentliche Star der Sendung scheint aber auch, wie ebenfalls der Vorabbesprechung in der Berliner Zeitung deutlich zu entnehmen ist, der (vor allem als "Tatort"-Kommissar bekannte) Sprecher Udo Wachtveitl zu sein. Auch BLZ-Autor Dirk Pilz zitiert ihn gern, zeigt sich aber bei der Einordnung der heutigen öffentlich-rechtlichen Hofberichterstattung erheblich meinungsfroher:

"Ungezählte Male wird uns versichert, dass die Kamera sich gerade an einem Ort befinde, der 'sonst' verschlossen sei. Wir sehen also: den Papst bei seinem täglichen Spaziergang durch die schönen Gärten des Vatikans ('selbst die Überwachungskameras sind jetzt abgestellt'), die Gemächer der missionarisch-ethnologischen Abteilung unter den Vatikanischen Museen ('bis heute für die Öffentlichkeit nicht zugänglich'); wir betreten das Geheimarchiv ('nur wenige haben hier Zutritt'), wir stehen am vermeintlichen Grab des Petrus in der Nekropole des Petersdoms ('nur sehr wenige haben Zugang'). Aus jeder Szene tropft das Pathos der Auserwähltheit. Wahrscheinlich deshalb übt sich diese Dokumentation in größter Unterwürfigkeit..."

 


Altpapierkorb

+++ Heute in fast allen Meldungsspalten: Bundesverfassungsgericht stärkt Rundfunkfreiheit (z.B. Tsp., sueddeutsche.de). Um was es bei der Klage des altenativen Hamburger Radiosenders FSK ging, vor allem um Verhältnismäßigkeit, erläutert am besten Christian Rath in der TAZ. +++

+++ Die auch in Deutschland verbreitete türkische Zeitung Hürriyet steht zum Verkauf, und viele erwarten, dass der Springer-Verlag zuschlägt (KSTA, Handelsblatt, meedia.de). Am ausführlichsten über die komplexen Hintergründe, also über die enorme Steuerstrafe, die ein "orientalischer Berlusconi" aus undurchsichtigen Gründen, die vermutlich mit Berichten von Dogan-Medien "über einen Spendenskandal im Umfeld der islamisch-konservativen AKP-Regierung" zu tun haben, zahlen muss, informiert die FTD. Die daneben Arzuhan Dogan Yalcindag, die "getriebene Matriarchin" des Konzerns, vorstellt. +++

+++ Das Fernsehevent des heutigen (und morgigen) Abends auf Pro Sieben: der DDR-Flucht.Zweiteiler "Go west". "Wer an diese fesselnde Unterhaltung die Elle des Historienfilms anlegt, wird natürlich über kurz oder lang verärgert sein", meint Klaudia Wick in der BLZ. Mit dem System der DDR "rechnet der Regisseur Andreas Linke ohne ideologische Überhöhung ab, indem er sich ganz auf seine Figuren konzentriert, deren Leben von einem Augenblick auf den anderen aus den Fugen gerät", meint Michael Hanfeld in der FAZ. "Wie die Jugend im Osten wirklich gelebt hat, davon erfahren die Zuschauer wenig. Aber eins erreicht der Film ganz sicher: Verständnis, warum so viele Menschen für ihre Freiheit die größten Gefahren auf sich nahmen" (Kurt Sagatz, Tsp.). +++

+++ Wie gestern die Lokalrivalen, so geht heute die DuMont'sche BLZ (online lesbarer in der FR) dem Boom des Fernsehenguckens nach, und zwar per Interview mit dem Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung, Matthias Wagner. Eine wichtige Rolle "spielen die immer größer werdenden Flachbildschirme", sagt er, nicht weil da mehr Menschen drauf gucken können, sondern weil die ausgetauschten alten Röhrenfernseher "heute kaum mehr kaputtgehen" und "als Zweit- oder Drittfernseher in die Nebenzimmer" wandern. +++

+++ Facebook-Anteile sind reißend begehrt (SPON) bei Spekulanten. Sind mittlerweise "komplett überbewertet" (der Werber und Berliner CDU-Mann Thomas Heilmann, der seine Anteile kürzlich verkaufte, in der FTD). +++ "Facebook sticht die Suchmaschine Google aus" (Freitag). +++

+++ Die Ausstrahlung der ersten "Mad men"-Staffel mündet bei ZDF-Neo in die Wiederholung der ersten "Mad men"-Staffel (Tsp.). +++ Sozusagen ein "Erfolg" der RTL 2-Show der Verteidigungsminister-Gattin: Der Leiter eines Würzburger Kinderdorfs, gegen den die Staatsanwaltschaft vorübergehend ermittelte, wurde in "gegenseitigem Einvernehmen" entlassen (Rundschau, TAZ). +++ Man sollte statt "Gattin" besser "Ehefrau" schreiben (Harald von Martenstein im Zeit-Magazin). +++ In die Debatte um eventuelle Kostenpflichtigkeit von öffentlich-rechtlichen Apps bei Stefan Niggemeier hat sich die ansonsten kaum noch präsente Generalsekretärin des Zentralkomitees der ARD, Verena Wiedemann, mit einem angemessen langen Beitrag eingeschaltet. Über dieses Thema wurde übrigens im Oktober auch schon diskutiert (vgl. Heiko Hilker bei Carta). +++

+++ Während die Süddeutsche heute feiertagshalber nicht erschien, befasst sich die FAZ-Medienseite ausführlich mit israelisch-palästinensischem Zeitungsstreit um den Tod einer Palästinenserin bei einer Demonstration. Und empfiehlt, bei Youtube "homeless man radio voice" einzugeben. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.