Verkleidete Verfremder

Zensurgefahr mitten in Europa, öffentlich-rechtliche Unregelmäßigkeiten und weitere Wechsel in den Talkshowsesseln: nichts da mit vorweihnachtlicher Ruhe.

In der Mediennische brummt es von Aufregern aller Art: Das neue ungarische Mediengesetz gerät zu einem solchen, es wird eingestellt in jedem Wortsinn (neue Chefredakteure, mittelalte Fernsehsendungen, alte Comichefte) sowie das sog. Personalkarussell angeschoben. Und aus dem öffentlich-rechtlichen Medienmilieu erreichen uns außer neuen Unregelmäßigkeiten auch verblüffend verständliche Worte Kurt Becks.

Ganz abgesehen davon, dass die Süddeutsche Zeitung ein bislang unbekanntes Exemplar der schon relativ alten Mediengattung Fotografie präsentiert, welches den jungen Bertolt Brecht "mit Mozartperücke" zeigt. Das nicht unsensationelle Foto des "verkleideten Verfremders" ist schon digitalisiert und online, lässt sich also für den Privatgebrauch herunterladen (rechte Maustaste, "Grafik speichern untern" o.ä.). Unser Foto zeigt aus Gründen des Copyrights nicht Brecht, sondern Helmut Markwort, der weiter unten auftritt.

Also, Ungarns Medienrecht. Um was es grundsätzlich geht, steht u.a. nebenan bei evangelisch.de. Schlagzeilen wie "Merkel kritisiert Ungarns Mediengesetz" stehen heute auf beinahe jeder Zeitung vorn und oben. Die Süddeutsche macht die Sache zum "Thema des Tages" und widmet ihr die Seite 2. Auf Fotos dort sehen protestierende Ungarn beinahe so aus wie Guy Fawkes, bekannt durch die "Anonymous"-Masken von den Pro-Wikileaks-Demonstrationen. Bei genauerem Hinsehen entpuppen sie sich jedoch als nicht verkleidet, die Ungarn sehen wirklich so elegant aus. Alle drei Artikel stehen inzwischen frei online, in dem des Medienredakteurs Marc Felix Serrao heißt es:

"Zum Vergleich: Auch in Deutschland werden die Medien überwacht, von den öffentlich-rechtlichen Gremien bis zu den Landesmedienanstalten, die private Radio-, TV- und Telemedienanbieter beaufsichtigen. Vor allem bei ARD und ZDF ist der Einfluss der Parteien mitunter klar erkennbar, etwa bei der Abwahl unliebsamer Chefredakteure. Vielen geht diese Form der politisch-medialen Verwicklung entschieden zu weit. Dennoch wäre es unzulässig, eine Parallele zu Ungarn zu ziehen. Wenn in Deutschland Einfluss genommen wird, dann meist indirekt und nur da, wo Gebühren fließen. In Ungarn aber sind künftig alle Medien direkt betroffen und bedroht."

Ferner enthält der Artikel ein relativ kryptisches Zitat des WAZ-Gruppen-Geschäftsführers Bodo Hombach ("Nachrichten aus Südosteuropa lasse ich erst an mich herankommen, wenn ich sie selbst recherchiert habe"), das eigentlich nach einem Wortlautinterview schreit.

Worauf Serraos Nebensatz mit der "Abwahl unliebsamer Chefredakteure" zielt: klar, auf das ZDF und Nikolaus Brender (vgl. Altpapier von vor knapp 13 Monaten). Just zu diesem Thema bzw. seinen noch auf Jahre hinaus anhaltenden Nachwirkungen gelang es der TAZ, den der damaligen Protagonisten aus der Politik, der noch immer in der Politik ist (der andere wäre Roland Koch, ab März in der Bauwirtschaft), für ein kleines Interview zu gewinnen. Der Mainzer Ministerpräsident Kurt Beck kündigt an, seine laaange überlegte Normenkontrollverfahren rund um die sog. Staatsferne im ZDF "noch heute" einzureichen. Und erklärt im Vergleich zu sonstigen Äußerungen der SPD-Medienpolitik relativ verständlich, worum es ihm dabei geht.

Jene "Aufsichtsgremien", in denen laut Beck Politiker bleiben müssten, haben derzeit alle Hände voll zu tun. Während der durch Betrug beim öffentlich-rechtlichen Kinderkanal erwirtschaftete Schaden von den zunächst bekannt gewordenen vier Millionen auf sieben Mio. Euro angestiegen ist (kress.de, FAZ), werden ganz neue "Unregelmäßigkeiten" bekannt.

[listbox:title=Artikel des Tages[Ungarisches und dt. Medienrecht (SZ)##Kurt Beck im Interview (TAZ)##Unregelmäßigkeit bei ARD Istanbul (SZ)##ZDF-Leseshow abgesetzt(SPON)##"Fix & Foxi" wieder eingestellt (Tsp.)##Online-"Hyper-Enklavismus" im Prenzlauerberg? (BLZ)]]

"Einer der Durchstarter im Bayerischen Fernsehen", der Träger der "Verfassungsmedaille in Silber" des Freistaates Bayern, der Leiter des vom BR betriebenen Studios Istanbul, Peter Althammer (hier relativ weit unten als ARD-Korrespondent vorgestellt) geht dieses Postens "nach gut fünfeinhalb Jahren mit sofortiger Wirkung" verlustig, berichtet die Süddeutsche mit Freude am Detail. Immerhin sei der materielle Schaden gering.

Ebenfalls der Bayerische Rundfunk sorgt dafür, wie wiederum die FAZ meldet, dass der ehemalige Focus-Chefredakteur, "Jedermann"-Darsteller (vgl. Foto oben)und Facebook-für-Tote-Schirmherr Helmut Markwort nun doch nicht, wie kürzlich gemeldet, die alte Sat.1-Talkshow seines alten Rivalen Stefan Aust, "Talk im Turm" neu zu beleben versuchen darf:

"Es schien alles perfekt, da intervenierte der Bayerische Rundfunk, in dessen drittem Fernsehprogramm Markwort seit Jahr und Tag den politischen 'Sonntags-Stammtisch' bestreitet. Wie aus dem Sender verlautet, war man nicht darüber amüsiert, dass Markwort sowohl beim öffentlich-rechtlichen wie beim privaten Fernsehen verpflichtet gewesen wäre. Was der NDR Günther Jauch zugestehe – der vom kommenden Herbst an im ersten Programm und bei RTL auftaucht –, gelte in München noch lange nicht, hieß es. Und da sich Markwort dem BR offenbar verbunden fühlt und es Verträge gibt... ",

...muss Sat.1 das Moderatoren-Casting (aus dem das Hamburger Abendblatt kürzlich weitere Details verkündete) nun also weitergehen. Im Gespräch sei nun, herrje, Claus Strunz.
 


Altpapierkorb

+++ Auch wieder auf dem Markt der Fernsehmoderatoren: Ijoma Mangold und Amelie Fried. Ihre ZDF-Literaturshow "Die Vorleser" ist bereits eingestellt; die Ausgabe von Anfang Dezember bleibt die letzte. "Die Büchershow hatte nicht nur schlechte Quoten - vor allem war sie öde", schreibt Markus Brauck (SPON) beinahe so, als ob öde Shows im ZDF den audience flow stören würden. Die Show hätte "in der Nische zu solcher Blüte" kommen müssen, dass zumindest "ein interessiertes Spezialpublikum so ein Format bedeutend findet und davon spricht", präzisiert Claudia Tieschky in der Süddeutschen. +++ Noch frei online (und am Ende aktualisiert): die große "Vorleser"-Abrechnung der Funkkorrespondenz. +++

+++ Auch mal wieder eingestellt: das Comicheft "Fix und Foxi", das nach traditionreichem Vorbild in den letzten Jahren in kleinen Verlagen so manchen Anlauf nahm. "Seit Wochenbeginn kursiert die Information, dass die Kinder-Comiczeitschrift ... eingestellt wird – was der Verlag New Ground Publishing am Mittwoch auf Anfrage offiziell bestätigte", berichtet der Tagesspiegel. Dessen Empathie erklärt sich auch daraus, dass der genannte Verlag "ein Joint Venture der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG" ist, welche wiederum wie der Tsp. selbst der Holtzbrinck-Verlagswelt angehört. +++

+++ Ab Juli 2011 wieder beim Süddeutschen Verlag angestellt, und zwar als Chefredakteur des SZ-Magazins: Timm Klotzek, derzeit wg. Neon und Nido bei Gruner + Jahr, wohin sein künftiger Vorgänger dann wechseln wird (Tsp.). Klotzek gelte mit Michael Ebert als "Erfinder des 'Lebensgefühl-Journalismus'" (meedia.de). +++

+++ Das heftige Gewallander im Nachweihnachtsprogramm jener ARD, die "jetzt sogar über zwei Satelliten" (ARD) auch in Afghanistan zu empfangen ist, beschäftigt die FAZ-Medienseite ausführlich. Zum öden Axel-Milberg-"Tatort" nach Henning-Mankell-Vorlage schreibt Edo Reents: "Wohl seit Derricks Zeiten nicht mehr wurden Dialoge unter den oberen Zehntausend so hölzern und vorhersehbar heruntergeleiert wie hier." +++ Wer in diesem "Tatort" auch mitspielt: Matthias Matschke, bekannt u.a. als Pastewka-Bruder in "Pastewka" und heute im Tsp. porträtiert. +++

+++ Schon weiter im TV-Programm ist die Süddeutsche, die Götz George zum nächsten "Schimanski"-Film (Ende Januar in der ARD) interviewt. "Herr George, ist das der letzte Schimanski, der Ende Januar gezeigt wird?" - George: "Nein, der WDR mag die Figur und ist ihr gegenüber sehr offen. Es gibt ja auch nur alle zwei Jahre einen 'Schimanski', weil der in der Produktion etwas teurer als ein normaler 'Tatort' ist. Dazu gibt es immer ein WDR-Fernsehspiel mit mir, das steht jetzt 2011 an. Das heißt, der nächste 'Schimanski' wäre 2012 dran." - SZ: "In 'Schuld und Sühne' wirkt Schimanski etwas zu müde, etwas zu traurig." - George: "Der ist gar nicht müde. Der schlägt sich doch, und am Ende ist er der Gewinner..."

+++ Das FAZ-Feuilleton freut sich über Frank Schirrmachers medium magazins-Prämierung zum "Kulturjournalisten des Jahres 2010" (online mit besorgtem Porträtfoto). +++

+++ Die ProSiebenSat1 AG will ihre niederländischen Sender verkaufen, und wer sie kauft, könnte niederländischer "TV-Kaiser" werden (BLZ). +++ Und wie sich der "einstige Szenebezirk" Prenzlauer Berg und seine "immer spießigeren Bewohner" im Internet spiegeln, analysiert aus Anlass der neuen Webseite prenzlauerberg-nachrichten.de ebenfalls die Berliner Zeitung. Stadtsoziologe Andrej Holm schöpft das schöne neue Wort "Hyper-Enklavismus". Allerdings übersieht die BLZ Oliver Gehrs' Ansichten zum etwas totgerittenen Thema, obwohl die u.a. bei der Verlagschweste Tip-Magazin erscheinen. +++

Das Altpapier meldet sich auch an Heiligabend wieder.